47

Die Sklaven, die einen kleinen Mitternachtsimbiss zusammengestellt hatten, wurden knurrend hinausgeschickt. Angesichts des Blicks in seinen Augen und nach den Schreien der sterbenden Männer draußen waren sie nur allzu glücklich, das Zelt verlassen zu können. Er wartete, bis sie allein waren, dann lenkte Jagang Kahlan an dem Tisch mit Wein, Fleisch, Brot, Nüssen, Obst und Süßspeisen vorbei zu einem anderen Vorhang, hinter dem ein Schlafraum lag. Dieser Raum war mit gepolsterten Platten abgeteilt, vermutlich um Lärm zu dämpfen. Die Wände waren dazu mit Fellen und Webstoffen verhängt. Das Abteil selbst schmückten auserlesene Teppiche, einige edle Möbel, Schränke mit Glastüren, die voller Bücher standen, und zierliche Lampen aus Gold und Silber. Das Bett, mit Pelz und Satin bezogen, hatte spiralförmige Pfosten aus dunklem Holz an jeder Ecke.

Kahlan verbarg die zitternden Hände hinter dem Rücken und schaute zu, wie Jagang seine Lammwollweste auszog. Er hängte sie über einen Stuhl an einem kleinen Schreibtisch. Brust und Rücken waren mit dunklem lockigem Haar bedeckt. In vielerlei Hinsicht erinnerte er sie an einen Bären. Jedenfalls hielt man ihn nicht für einen Mann, der in Satin schlief. Vermutlich wusste er solche Dinge gar nicht richtig zu schätzen, sondern betrachtete sie als Symbole seines Rangs. Sie nahm an, er habe vergessen, dass im Orden niemand besser sein durfte als der andere, und gewiss hatte er nie darüber nachgedacht, ob die Männer in ihren schmutzigen Zelten unter feinen Decken schliefen.

Jagang blickte sie an. »Frau, zieh dich aus. Oder soll ich dir die Kleider vom Leib reißen? Die Entscheidung liegt bei dir.«

»Ob ich mich selbst ausziehe oder Ihr das übernehmt, es bleibt eine Vergewaltigung.«

Er richtete sich auf und sah sie in der Stille des Zeltes an. Draußen war auch ins Lager eine gewisse Ruhe eingekehrt, gedämpfte Unterhaltungen verschmolzen zu einem fernen Summen. Die Männer waren vom langen Marsch des Tages und der Aufregung der Ja’La-Spiele erschöpft, und Jagang hatte befohlen, an den nächsten Tagen ebenso zu marschieren, bis sie den Palast des Volkes erreicht hätten. Daher schliefen die meisten Männer wahrscheinlich bereits. Jagang allerdings hatte noch längst nicht zur Ruhe gefunden. Nach den Spielen hatte ihn Erregung erfasst, und nachdem sie die vier Männer getötet hatte, war er der Tobsucht nahe. Kahlan kümmerte es nicht. Wenn er sie bewusstlos schlug, brauchte sie wenigstens nicht wach zu erdulden, was er ihr antat.

»Du gehörst mir«, sagte er mit tiefer, bedrohlicher Stimme. »Du gehörst mir allein. Ganz allein. Ich kann mit dir tun, was immer ich will. Wenn ich dir die Kehle durchschneiden möchte, ist es deine Pflicht, für mich zu verbluten. Wenn ich dich diesen drei Männern überlasse, die dich sehen können, wirst du dich ihnen unterwerfen, ob du nun willst oder nicht.

Du gehörst mir. Dein Schicksal bestimme ich. Du hast keine Wahl. Keine. Alles, was mit dir geschieht, entscheide ich.«

»Es ist trotzdem Vergewaltigung.«

Mit drei Schritten hatte er den Raum durchquert und verabreichte ihr wütend eine Ohrfeige, die sie rücklings zu Boden warf. Er zog sie an den Haaren hoch und schleuderte sie aufs Bett. Die Welt drehte sich um Kahlan, als sie durch die Luft flog. Einen der Pfosten verpasste sie nur um wenige Zoll.

»Natürlich ist es eine Vergewaltigung! Das will ich ja gerade! Und das steht dir jetzt bevor.«

Er stürmte wie ein zorniger Stier zum Bett. In seinen schwarzen Augen toste ein wilder Sturm von Formen. Ehe sie sich’s versah, lag er auf ihr. Kahlan hatte sich einen Plan zurechtgelegt. Sie würde sich nicht wehren und ihm nicht die Befriedigung lassen, sie mit Gewalt genommen zu haben. Aber als er nun auf ihren Hüften saß, ging dieser Vorsatz in eben einer solchen Panik verloren, die sie hatte vermeiden wollen. Sie vergaß alles und bemühte sich verzweifelt, seine Hände fortzuschieben, doch in der Laune, in der er war, ließ er sich davon nicht aufhalten. Sie hatte nicht die Kraft, sich mit ihm zu messen. Er ohrfeigte sie nicht einmal. Mit einem Ruck riss er ihr das Hemd auf.

Kahlan wurde ruhig, als er innehielt, und ihre Brust hob und senkte sich mit ihrem heftigen Atem. Jagang starrte auf ihren Busen. Sie nutzte die Stille, um die Fassung zurückzuerlangen. Gerade hatte sie vier dieser brutalen Rohlinge getötet. Sie würde es überstehen. Diese Sache war nichts im Vergleich mit dem Ring um ihren Hals, der ihr die Erinnerung stahl, ihre Persönlichkeit, ihr Leben und sie zur wehrlosen Sklavin der Schwestern und des Kaisers der Meuchelmörder machte.

Das war nichts. Sie würde ihm keinen törichten Widerstand leisten wie ein junges Mädchen, das die Hände eines groben Kerls wegschiebt. So würde sie nicht kämpfen. Nein. Sie wusste es besser. Ja, Angst hatte sie, aber sie ergab sich nicht der Panik. Sie hatte auch Angst gehabt, als sie die vier Soldaten umbrachte, doch hatte sie sich darüber hinweggesetzt und gehandelt.

Sie war besser als er. Er war bloß stärker. Haben konnte er sie nur mit Gewalt. Dieses Wissen gab ihr eine gewisse Macht über ihn, und das wusste er. Niemals würde er sie mit ihrem Einverständnis bekommen, denn sie war besser als er und hatte weitaus Besseres verdient. Eine Frau wie sie würde er niemals haben, außer durch Gewalt, denn er war ein schwacher, wertloser Mann.

»Ist Eure Beute zu Eurer Zufriedenheit, Exzellenz?«, spottete sie.

»O ja.« Jagang grinste fies. »Und jetzt zieh diese Hose aus.«

Da sie keine Bereitschaft erkennen ließ, sich zu fügen, machte er die Knöpfe einen nach dem anderen auf, als würde er eine Schatztruhe öffnen. Sie lag da, die Hände an den Seiten. Er zog ihr die Hose aus, warf sie auf den Boden und betrachtete ihren nun fast nackten Körper von oben bis unten.

Kahlan biss sich in die Wange, sonst hätte sie vor lauter Panik seine Hand weggestoßen, die über ihren weichen Schenkel nach oben strich. Sie musste gegen die Tränen ankämpfen. Alles hätte sie gegeben, wenn sie nicht hätte hier sein müssen, wenn sie der Gnade dieses Ungeheuers nicht ausgeliefert gewesen wäre.

»Und jetzt den Rest«, flüsterte er rau.

Sie sah, dass es ihn noch mehr erregt hatte, sie der Kleidung zu entledigen, daher nahm sie sich vor, so wenig verführerisch wie möglich zu wirken.

Er schaute zu, während sie seinen Befehl befolgte, saß auf der Bettkante und zog die Stiefel aus. Dann ließ er die Hosen herunter und strampelte sie von den Füßen. Kahlan wurde übel angesichts seiner Nacktheit, und sie überließ sich der Schwäche und wandte den Blick ab.

Würde sie nach diesem Erlebnis jemals wieder fähig sein, einen Mann zu lieben und sich von ihm berühren zu lassen? Nein, sie würde niemals die Gelegenheit erhalten, einen Mann zu lieben. Sie machte sich Gedanken über etwas, das niemals eintreten würde. Unter Jagangs Gewicht bewegte sich das Bett, als er sich zu ihr legte. Er starrte sie an und ließ seine Hand über ihren Bauch gleiten. Sie hatte eine grobe Berührung erwartet, ein raues Betatschen, doch stattdessen folgte eine verstohlene Zärtlichkeit, die zaghafte Erkundung einer Kostbarkeit. Allerdings glaubte sie nicht, dass diese Behutsamkeit lange andauern würde.

»Du bist etwas höchst Außergewöhnliches«, sagte er mit belegter Stimme, beinahe mehr zu sich selbst als an sie gewandt. »Dich durch die Augen anderer zu beobachten war nicht das Gleiche - das habe ich jetzt begriffen.«

Sein Ton hatte sich verändert. Die Wut war verflogen im Verlangen nach ihr. Er stand kurz davor, sich seiner ungehemmten Lust zu ergeben.

»Es ist überhaupt nicht das Gleiche ... Ich wusste stets, wie außergewöhnlich du bist, aber jetzt, da ich dich sehe, wie du hier liegst... du bist ein besonderes Geschöpf. Einfach ... etwas Besonderes.«

Kahlan fragte sich, was er damit meinte, er habe sie durch die Augen anderer wahrgenommen und ob er damit auf die Augen der Schwestern anspielte. Ein unerwarteter Gedanke brachte sie aus der Fassung: Er hatte sie beim Auskleiden beobachtet, wenn sie geglaubt hatte, nur die Schwestern seien anwesend. Diese Unverschämtheit erfüllte sie mit kalter Wut.

Er hatte sie beobachtet und diesen Abend geplant. Doch gleichzeitig hatte sie das Gefühl, er beziehe sich auf etwas noch anderes. Seine Worte trugen eine verborgene Bedeutung. Die Art, wie er sprach, warf die Frage auf, ob er das Leben meinte, das sie geführt hatte, bevor die Schwestern ihr alles genommen hatten. Sie war wütend, weil er sie durch die Schwestern beobachtet hatte, doch der Verdacht, er könne sie auch früher schon gesehen haben, ging ihr durch und durch.

Ohne Vorankündigung legte er sich auf sie. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie lange ich auf diesen Augenblick gewartet habe.«

Ihr Atem und ihr Herzschlag hatten sich gerade ein wenig beruhigt. Jetzt ging alles so schnell. Wieder pochte ihr Herz unter den Rippen. Sie wollte ihn bremsen, wollte sich Zeit verschaffen, um sich überlegen zu können, wie sie es verhindern konnte. Als sie seine Haut auf ihrer spürte, konnte sie jedoch keinen klaren Gedanken mehr fassen. Ihr fiel nichts ein, wie sie ihn hätte aufhalten können. Sie erstarrte lediglich und dachte allein daran, dass sie es nicht wollte.

Nun fiel ihr wieder ein, was sie sich vorgenommen hatte. Sie war besser als er; und so würde sie sich verhalten.

Sie sagte nichts. Sie starrte an ihm vorbei zur Decke des in sanften Lampenschein getauchten Zeltes.

»Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich mich darauf gefreut habe«, sagte er plötzlich bedrohlicher.

Sie blickte ihm in die albtraumhaften Augen. »Ja, das kann ich nicht. Also bringt es schon hinter Euch und erspart mir diese Worte, die mir nichts bedeuten, weil ich keine Ahnung habe, wovon Ihr redet.«

Damit wandte sie den Blick wieder ab und starrte ins Leere. Sie wollte sich ihm gleichgültig präsentieren. Also ließ sie ihre Gedanken schweifen. Das war nicht leicht, während er sich an sie drängte, aber sie gab ihr Bestes, ihn einfach zu ignorieren. Die Befriedigung eines Kampfes, den sie nur verlieren konnte, wollte sie ihm nicht geben. Das Ja’La-Spiel schoss ihr durch den Kopf, nicht, weil sie gern daran gedacht hätte, sondern weil die Erinnerung frisch genug war, um sie sich in allen Einzelheiten vor Augen zu rufen. Unvermittelt schob er die Arme unter ihre Knie und drückte diese fast bis zur Brust nach oben. Sie bekam kaum mehr Luft. Die Hüftgelenke schmerzten, so wie er sie bog, aber sie unterdrückte den Schrei und wollte sich nicht von ihm beherrschen lassen, während er sie nahm.

»Wenn er es wüsste ... Es würde ihn umbringen.«

Kahlan sah ihn an. Wegen seines Gewichts konnte sie kaum atmen.

»Von wem sprecht Ihr?«

Vielleicht meinte sie ihren Vater - einen Vater, an den sie sich nicht erinnerte. Vielleicht hatte sie einen Vater, der Kommandant in der Armee war, was auch erklären würde, warum sie so gut mit einem Messer kämpfen konnte. Auf wen sollte er sonst anspielen? Sie hätte gern etwas gesagt, um ihn aus seiner Stimmung zu reißen, doch hielt sie es für besser, zu schweigen und Gleichgültigkeit vorzugeben.

Jagangs Mund befand sich an ihrem Ohr. Die rauen Bartstoppeln kratzten äußerst unangenehm an Hals und Wangen. Er atmete in kurzen Stößen. Langsam verlor er sich in der Begierde, mit der er bald über sie herfallen würde.

»Wenn du nur wüsstest ... Es würde dich ebenfalls umbringen«, sagte er, offensichtlich tief befriedigt von diesem Gedanken. Sie blieb stumm, noch verwirrter, und spürte eine zunehmende Unruhe, dachte, er würde nun seine Geilheit befriedigen. Doch er verharrte, hielt ihre Beine gespreizt und starrte sie an. Der lange haarige Körper drängte sich an sie und strahlte seine Wollust aus. Sein Gewicht machte ihr das Atmen fast unmöglich, aber sie wusste, es würde ihn nicht kümmern, ob sie sich darüber beschwerte. Wenn er sich doch nur beeilen und es hinter sich bringen würde. Das Warten machte sie verrückt. Am liebsten hätte sie geschrien, doch das gestattete sie sich nicht. Sie hatte Angst vor dem Schmerz, den er ihr zufügen würde, vor der Dauer - und vor der ohne Frage in den folgenden Nächten stattfindenden Wiederholung. Hätte er sie nicht mit seinem Stiergewicht auf das Bett gedrückt, hätte sie gezittert.

»Nein«, sagte er zu sich selbst. »So will ich es nicht.«

Kahlan war verwirrt. Sie war nicht sicher, ob sie richtig gehört hatte. Er ließ ihre Beine los, legte sie aufs Bett und drückte sich mit den Armen hoch. Sie wünschte sich, er würde nicht zwischen ihren Schenkeln liegen, dann hätte sie die Beine zusammenpressen können.

»Nein«, wiederholte er. »So nicht. Du willst nicht, aber es wäre dir nur lästig. Dir würde es nicht gefallen, aber mehr nicht. Du sollst wissen, wer du bist, wenn ich es mache. Dann wirst du es mehr verabscheuen, als du je etwas in deinem Leben verabscheut hast. Ich möchte derjenige sein, der dir diese zwei Dinge antut. Deine Erinnerungen werde ich dir zurückgeben, während ich meinen Samen in dich ergieße. Diese Erinnerungen sollen dich verfolgen, solange du lebst, und ihn verfolgen, solange er lebt, sollen ihm ins Gedächtnis kommen, sobald er dich ansieht. Er soll dich dafür hassen, für das, was du für ihn geworden bist. Und er soll das Kind hassen, das Kind, das ich mit dir zeugen werde.

Und deshalb musst du zuerst alles erfahren. Wenn ich es jetzt mache, würdest du es nur dumpf ertragen und die exquisiten Qualen verderben, die es dir bereiten würde, wenn du alles weißt.«

»Dann erzählt es mir doch«, sagte sie und war beinahe bereit, die Vergewaltigung zu ertragen, um es zu hören.

Er lächelte fies. »Erzählen ist nicht so gut. Worte sind leer, haben keine Bedeutung und keine Gefühle. Du musst es spüren. Du musst dich selbst erinnern, wer du bist, du musst alles wissen, wenn es eine richtige Vergewaltigung werden soll... Und ich beabsichtige, dich so gemein zu schänden, wie du es nur ertragen kannst. Und dann wirst du einem Kind das Leben schenken, das er als stete Erinnerung und als Ungeheuer betrachten wird.«

Langsam schüttelte er den Kopf, überaus befriedigt hinsichtlich seines Vorhabens. »Dazu musst du dir vollkommen dessen bewusst werden, wer du bist, und danach wirst du begreifen, was dies alles für dich bedeutet, was es in dir anrührt, verletzt und für alle Zeit mit einem Makel behaftet.«

Abrupt stieg er von ihr herunter. Kahlan holte tief Luft, keuchte fast. Er zeigte die Zähne und packte mit einer Pranke ihre rechte Brust.

»Glaub nicht, du hättest es schon hinter dir, Schätzchen. Du wirst schön hier bleiben. Ich werde nur dafür sorgen, dass es für dich noch erheblich schlimmer werden wird, als es heute Nacht geworden wäre.« Er kicherte und quetschte ihre Brust. »Und auch für ihn.«

Kahlan vermochte sich nicht vorzustellen, wie es noch schlimmer werden konnte. Vielleicht glaubte er, eine Vergewaltigung erlege dem Opfer die Schuld auf. Das passte zu seiner Denkweise, zur Denkweise des Ordens: Das Opfer trug die Schuld.

Plötzlich stieß er sie aus dem Bett. Obwohl der Sturz von den weichen Teppichen gedämpft wurde, tat sie sich weh. Er sah auf sie herab. »Du schläfst auf dem Boden, dort, neben dem Bett. Später hole ich dich zu mir.« Er grinste. »Wenn dein Erinnerungsvermögen zurückkehrt, wird es dich vernichten. Dann wirst du von mir bekommen, was du verdient hast und was nur ich dir geben kann, womit nur ich dein Leben ruinieren kann ... und seines.«

Kahlan lag auf dem Boden, wagte sich nicht zu regen und fürchtete, er könnte seine Meinung ändern. Sie fühlte sich erleichtert, weil es heute Nacht nicht zum Äußersten kommen sollte.

Er beugte sich über die Bettkante und starrte sie aus seinen schrecklichen schwarzen Augen an. So unerwartet, dass sie aufschrie, schob er ihr die große Hand zwischen die Beine. Grinsend sagte er: »Und wenn du glaubst, du könntest dich fortschleichen, oder ärger noch, mich im Schlaf umbringen, solltest du es dir lieber gleich aus dem Kopf schlagen. Das wird dir nicht gelingen. Und diesmal wird es dir die Zelte einbringen, doch später erst, nachdem ich alles für dich zerstört habe. Ich werde dafür sorgen, dass viele, viele Männer dort eindringen, wo jetzt meine Finger sind. Hast du verstanden?«

Kahlan nickte und spürte, wie ihr eine Träne über die Wange rann.

»Wenn du heute Nacht die Teppiche neben dem Bett verlässt, wird die Kraft des Halsrings dich aufhalten. Möchtest du das ausprobieren?«

Kahlan schüttelte nur den Kopf, weil sie befürchtete, ihre Stimme könnte versagen.

Er zog die Hand zurück. »Gut.«

Sie hörte, wie er sich auf die Seite drehte und ihr den Rücken zuwandte. Kahlan lag vollkommen still. Sie konnte kaum atmen. Eigentlich begriff sie gar nicht, was gerade geschehen war und was es zu bedeuten hatte. Aber sie fühlte sich einsamer als je zuvor in ihrem Leben - zumindest in dem Teil ihres Lebens, an den sie sich erinnern konnte.

Auf gewisse Weise wünschte sie fast, er hätte sie vergewaltigt. Dann würde sie jetzt nicht aus Angst vor dem, was er gesagt hatte, zittern und sich fragen, was er damit meinte. Nun würde sie jeden Morgen erwachen und nicht wissen, ob es der Tag wäre, an dem sie ihr Gedächtnis zurückerlangte. Denn das würde die Vergewaltigung schlimmer machen, alles schlimmer machen, viel schlimmer. Kahlan glaubte ihm. So geil er auch auf sie gewesen war, und das hatte sie genau gespürt, hätte er nicht einfach aufgehört, wenn das, was er ihr erzählt hatte, nicht stimmen würde.

Auf einmal wollte sie gar nicht mehr wissen, wer sie war. Ihre Vergangenheit wurde zu einer Bedrohung für sie. Wenn sie ihr altes Leben kannte, konnte er ihr das Schlimmste antun. Unwissenheit hieß in diesem Fall Sicherheit.

Als sie zunächst seinen gleichmäßigen Atem und etwas später sein leises Schnarchen hörte, zog sie sich wieder an.

Obwohl es Sommer war, zitterte sie. Sie deckte sich mit einem Teppich zu und lag neben dem Bett. Ihn mit einem Fluchtversuch auf die Probe zu stellen, würde sie nicht wagen. Sie konnte nicht fliehen. Dies war ihr Leben.

Sie hoffte nur, der alte Teil ihres Lebens bliebe begraben und vergessen.

Falls sie sich je erinnerte, wer sie war, dann würde ihr Leben unendlich viel schlimmer werden. Das durfte sie nicht zulassen. Sie würde hinter dem dunklen Vorhang bleiben. Heute Nacht war sie zu einem anderen Menschen geworden, der sich von dem abspaltete, der sie gewesen war. Jene Person sollte für immer tot bleiben. Wer mochte wohl der Mann sein, von dem Jagang gesprochen hatte? Sie fürchtete, was Jagang ihm antun würde und dass er ihn durch sie vernichten könnte.

Diese Gedanken verbannte sie aus ihrem Kopf. Das war ihr altes Ich. Diese Person gab es nicht mehr, und so würde es bleiben. In ihrer Einsamkeit und Verzweiflung rollte sie sich zusammen und weinte sich still in den Schlaf.

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