Nicci hörte ein leises Klopfen an der Tür. Zedd blickte auf, erhob sich jedoch nicht. Cara, die die Hände hinter dem Rücken gefaltet hatte und aus dem Fenster schaute, sah über die Schulter. Nicci stand der Tür am nächsten und öffnete. Die kleine Flamme der Lampe auf dem Tisch schaffte es kaum, die Dunkelheit aus dem Zimmer zu vertreiben, doch spielte der warme Schein über das Gesicht des Propheten.
»Was ist los?«, fragte Nathan mit tiefer Stimme in den Raum. Er warf einen misstrauischen Blick in die Runde. »Rikka wollte nicht mit mehr herausrücken, als dass du und Cara zurück seid und Zedd mich sofort sehen will.«
»So ist es«, antwortete Zedd. »Komm rein.«
Nathan blickte sich in dem düsteren Zimmer um und trat ein. »Wo ist Richard?«
Nicci schluckte. »Er hat es nicht mit uns zurückgeschafft.«
»Nicht zurückgeschafft?« Er zögerte und bemerkte nun Niccis düsteren Blick. »Bei den Gütigen Seelen ...«
Zedd, der neben Jebra beim Bett saß, schaute nicht auf. Jebra war bewusstlos. Jedes Mal, wenn sie versuchten, ihr die Augen zu schließen, öffneten sie sich wieder. Schließlich hatten sie es aufgegeben, und nun starrte Jebra an die Decke.
Das gebrochene Bein hatte Zedd bereits versorgt. Jebra hatte Glück gehabt, weil Cara nicht nur schnell, sondern auch stark war, denn deshalb hatte sie ihren Knöchel noch packen können, während sie ohnmächtig vom Balkon kippte. Doch die Bewegung hatte die Seherin unter den Balkon schwingen lassen, und Jebras Bein war gegen eine Strebe gekracht und gebrochen. Nicci vermutete, dass die Frau seit dem Sturz bewusstlos war.
Es war ein übler Bruch. Zedd hatte sich sofort nach der Verletzung an die Arbeit gemacht, doch wegen des ungewöhnlichen Zustands, in dem sich Jebra befand, konnte er den Knochen nicht sofort heilen. Er hatte ihn nur gerichtet und geschient, und zuletzt hatte er die weitere Heilung mit seiner Gabe in Gang gebracht. Wenn sie aufwachte, könnte er sein Werk fortsetzen. Falls sie aufwachte. Nicci hatte da ihre Zweifel.
Das gebrochene Bein war, wie Nicci wusste, Jebras geringstes Problem. Obwohl sie alles versucht hatten, war es ihnen nicht gelungen, sie aus dem Zustand der Starre zu wecken. Zedd hatte es versucht. Nicci hatte es ebenfalls versucht, hatte sogar subtraktive Magie zu Hilfe genommen. Zedd war zunächst dagegen gewesen, aber als Nicci ihm verdeutlichte, welche Wahl ihnen blieb, hatte er widerwillig zugestimmt.
Leider hatte selbst das nichts genutzt. Jebras Geist war ihnen nicht zugänglich. Welche Magie die andere Hexe auch eingesetzt haben mochte, es gelang ihnen nicht, den Bann zu brechen. Allerdings glaubte Nicci nicht, dass bei der Magie die Unumkehrbarkeit beabsichtigt gewesen war. Wenn sie ihr auf die Spur kämen, konnten sie vermutlich etwas unternehmen, allerdings blieb ihnen das Wesen des Zaubers bis dato nicht erkennbar.
Nathan beugte sich vor und legte der Bewusstlosen zwei Finger an die Schläfe. Daraufhin richtete er sich wieder auf und schüttelte nur hilflos den Kopf, als Zedd ihn fragend anblickte.
Derartiges hatte Nicci nie zuvor erlebt. Zedd hingegen hatte sich das Kinn gerieben und gegrübelt. Ihm komme das Ganze seltsam bekannt vor, hatte er gemurmelt. Was genau, vermochte er jedoch nicht zu sagen; er war mit seiner Weisheit am Ende. Zedd wollte es schlichtweg nicht einfallen, woher dieses Gefühl rührte, einer Magie dieser Art bereits begegnet zu sein.
Schließlich war er, wie er ihnen in Erinnerung rief, der Oberste Zauberer, und er hatte einen großen Teil seines Lebens damit verbracht, solche Phänomene zu studieren. Eigentlich, so glaubte er, müsste er dieses Netz, in das Jebra eingesponnen war, identifizieren können. Nicci wusste, alles wäre viel einfacher gewesen, wenn Jebra bei Bewusstsein gewesen wäre, aber Zedd wollte sein Scheitern damit nicht entschuldigen.
Nicci hörte Aufruhr auf dem Gang. Nathan steckte den Kopf zur Tür hinaus und schaute nach.
»Was ist los?«, rief eine Stimme aus einiger Entfernung. Es war Ann, die begleitet von Rikka herbeirannte. An der Tür angelangt, fragte sie: »Was gibt es?«
Als sie atemlos das Zimmer betrat, legte Nathan ihr eine seiner großen Hände auf die Schulter. »Richard ist etwas zugestoßen.«
»Und mein Strafer funktioniert nicht mehr«, sagte Cara und hielt die Waffe in die Höhe. »Unsere Bande zu Lord Rahl sind unterbrochen. Wir fühlen ihn nicht mehr.«
»Gütiger Schöpfer«, flüsterte Ann, musterte jeden der Anwesenden eindringlich und schlug dann die Augen nieder.
Zedd deutete auf die Frau, die in dem Bett vor ihm lag. »Worin die Kraft, welche diese Hexe ausübt, auch bestehen mag, Jebra ist dadurch in Bewusstlosigkeit gefallen. Wir können sie daraus nicht wecken. Obwohl mir klar ist, dass es sich um die Magie einer Hexe handelt, will mir einfach nicht einleuchten, wie es ihr gelungen ist, ein solches Netz aus der Ferne zu wirken. Meinen Erfahrungen nach bleiben sie nicht nur gern für sich, sondern sind außerdem zu solchen Dingen nicht in der Lage. Das übersteigt ihre Fähigkeiten.«
»Was macht dich so sicher, dass es sich um eine Hexe handelt?«, wollte Ann wissen.
Zedd stieß einen tiefen Seufzer aus, während er ernsthaft über die Frage nachdachte. »Mit Hexen habe ich oft genug zu tun gehabt. Wenn eine Katze mal mit ausgefahrenen Krallen nach dir geschlagen hat, vergisst du so leicht nicht, wie sich das anfühlt. Zwar kann ich nicht genau sagen, wer es war, aber ich bin mir ansonsten ganz sicher. Es war eine Hexe.«
Nicci verschränkte die Arme. »Ich meine, wir wissen recht gut, wer diese Hexe ist: Sechs. Und vergesst eins nicht: Nur weil Ihr die Handschrift einer Hexe erkennt, bedeutet es nicht, dass ihrer Kraft die gleichen Grenzen gesetzt sind wie anderen. Schließlich würde auch jemand, der Eure Kraft als die eines Zauberers deutet, nichts über Eure Grenzen oder Euer wirkliches Potenzial wissen.«
»Stimmt nun auch wieder«, räumte Zedd seufzend ein. Nathan wechselte das Thema. »Hat Jebra Euch von ihrer Vision erzählt? Irgendetwas?«
Zedd blickte Nicci an. »Nun, nicht, bis der Bann sie erfasste. Kurz bevor sie in diesen Zustand verfallen ist, deklamierte sie: ›Sterne. Sterne, die auf die Erde fallen. Sterne im Gras.‹«
»Sterne ...« Nathan wiederholte das Wort, während er in dem kleinen Zimmer hin und her schritt. Er tippte sich mit den Fingern einer Hand ans Kinn, während die andere den Ellbogen stützte. Schließlich wandte er sich an Zedd. »Ich fürchte, eine solche Prophezeiung sagt mir gar nichts. Vermutlich hat sie nur ein Bruchstück herausbringen können. In dem Falle wäre es leicht möglich, dass ich damit überhaupt nicht weiterkomme.«
Nicci verlor langsam den Mut. Sie hatte so sehr gehofft, der Prophet werde einen Sinn hinter der Prophezeiung entdecken. Ann kratzte sich den Nasenrücken und suchte nach Worten.
»Demnach wäre es möglich, dass wir ...«, sie räusperte sich, »... dass wir Richard verloren haben. Dass diese Hexe ihn getötet hat.«
Angriffslustig trat Cara einen Schritt vor. »Lord Rahl ist nicht tot.«
Im anschließenden Schweigen erhob sich Zedd von seinem Stuhl. Er warf Cara einen warnenden Blick zu, ehe er zu Ann sagte: »Ich glaube es auch nicht.«
Ann sah von der erregten Cara zu Zedd. »Warum sie es nicht glaubt, ist mir klar. Und warum du nicht?«
Er deutete auf Jebra. »Weil diese Frau hier in diesem Bett liegt.«
Ann runzelte die Stirn. »Worauf willst du hinaus?«
»Tja, in Jebras erster Vision seit Jahren ging es um Richard.«
»Das stimmt«, warf Nicci ein. »Ihre Vision handelte davon, was ihm widerfahren sollte. Sie hatte mir gesagt, ich dürfe ihn nicht alleinlassen, nicht für einen einzigen Augenblick.«
Ann zog eine Augenbraue hoch. »Und trotzdem hast du es getan.«
Nicci setzte sich über die Kränkung hinweg. »Ja. Nicht mit Absicht, sondern wegen der Bestie. Die Bestie war ein unvorhersehbarer Zwischenfall, ein zufälliges Ereignis.«
Da Ann daraufhin noch verblüffter dreinschaute, erklärte Zedd ihr die Sache. »Unserer Ansicht nach war es der Plan dieser Hexe, Richard mit ihrer Kraft zu berühren. Aber die Bestie mischte sich genau im falschen Moment ein und machte ihr einen Strich durch den wunderbaren Plan.«
Die Furchen auf Anns Stirn vertieften sich. »Inwiefern?«
»Der Bestie wegen hat sie Richard nicht erwischt«, meinte Nicci.
»Und der Bestie wegen hat sie Richard in der Sliph verloren, ebenso wie wir. Jetzt hat sie ein Problem. Sie muss ihn finden.«
»Im Grunde geht es ihr und uns haargenau um das Gleiche«, sagte Zedd. »Sie ist hergekommen, oder zumindest hat sie ihre Kraft hergeschickt, um von der Seherin zu erfahren, wo er sein wird.«
»Sie hat nach einer Prophezeiung gesucht?«, fragte Ann. »Hexen sehen die Dinge im Strom der Zeit. Warum brauchte sie die Seherin?«
Zedd breitete die Hände aus. »Ja, sie können manches sehen, aber und Nathan wird dir das besser erklären können - sie sehen nicht genau das, was sie sehen wollen, wenn sie es sehen wollen.«
Nathan nickte zustimmend. »Bei Prophezeiungen spielt stets das Element des Zufalls eine Rolle. Sie kommen, wenn sie wollen, nicht wenn du es wünschst. Vielleicht kannten die Zauberer in grauer Vorzeit die Schlüssel dafür, wie man Prophezeiungen nach Belieben rufen kann, allerdings haben sie dieses Wissen, falls sie es denn besaßen, nicht überliefert. Nur selten kann man sich bei Prophezeiungen das Ereignis aussuchen, das man sehen möchte.«
Zedd hob den Zeigefinger, um seiner Meinung Nachdruck zu verleihen. »Sechs hat vermutlich mithilfe ihrer eigenen Fähigkeiten oder durch ihren Zauber gesehen, dass Jebra eine Vision hatte, in der sich enthüllte, was Richard als Nächstes widerfahren und wo er sich aufhalten wird; daher ist sie in Jebras Gedanken eingedrungen und hat die Antwort gestohlen.«
»Deswegen können wir Jebra nicht wecken, glaube ich«, meinte Nicci. »Bestimmt will Sechs verhindern, dass jemand erfährt, was sie weiß. Jebra hat nur wenige Worte laut ausgesprochen, doch Sechs hat, da möchte ich wetten, die gesamte Vision aus Jebras Gedanken gezogen. Daraufhin hat Sechs die Seherin dazu gebracht, von dem Balkon zu springen; nach dem Selbstmord hätte sie ihre Vision niemandem mehr mitteilen können. Damit scheiterte sie zwar, aber wegen des Zaubers blieb Jebra bewusstlos - Ohnmacht ist viel einfacher zu bewerkstelligen, als aus der Ferne zu töten, und es dient dem Zweck ebenso gut.«
Nathan hatte, während er zuhörte, die Stirn immer stärker gerunzelt. Er rief sich das Geschehen noch einmal vor Augen. »Du meinst also, in dieser Prophezeiung habe Jebra enthüllt, Richard werde Sterne finden, die auf die Erde gefallen sind? Und er hält sich an einem Ort auf, an dem Sterne im Gras liegen? Also quasi an einer Stelle, wo Meteoriten gefunden werden?«
Zedd legte die Hände in den Nacken und nickte. »So scheint es jedenfalls.«
Nathan starrte ins Leere, während er nachdachte und dabei gelegentlich vor sich hin nickte. Ann wirkte kaum überzeugt.
»Richard würde demnach noch leben und diese Hexe, Sechs, hätte ihn irgendwie verzaubert?«, fragte die ehemalige Prälatin. Nicci nickte entschieden. »Zu dem Schluss sind Zedd und ich gelangt.«
Ann beugte sich zu ihrem früheren Schützling vor. »Zu welchem Zweck? Ich kann mir Gründe vorstellen, aus denen Sechs Richard ermorden möchte, warum hingegen sollte sie sich seiner bemächtigen wollen?«
Nicci wich dem unnachgiebigen Blick nicht aus. »Sechs hat schon die Hexe, die hier lebte, unter ihre Kontrolle gebracht - Shota. Wozu? Nun, was hat Sechs benutzt? Shotas Gefährten Samuel«, beantwortete sie ihre Frage selbst. »Und Samuel hat jetzt das Schwert der Wahrheit, das er schon einmal getragen hat.«
Ann sah aus, als hätte sie jetzt den Faden vollständig verloren. »Was hat nun das wieder mit der Geschichte zu tun?«
»Wozu hat Samuel das Schwert benutzt? Was hat er gestohlen?«, fragte Nicci.
Die einstmalige Prälatin riss die Augen auf. »Ein Kästchen der Ordnung.«
»Von einer Schwester der Finsternis«, fügte Nicci hinzu, »mit der Hilfe des Schwertes der Wahrheit.«
Aufgeregt blickte Ann hinüber zu Zedd. »Aber wieso will diese Sechs unbedingt Richard?«
Zedd sah zu Boden und rieb sich mit den Fingerspitzen die gerunzelte Stirn. »Um das richtige Kästchen der Ordnung zu öffnen, braucht man ein sehr wichtiges Buch. Ich denke, ihr beiden dürftet damit ziemlich vertraut sein.«
Nathan klappte die Kinnlade nach unten, als er begriff.
»Das Buch der gezählten Schatten«, hauchte Ann.
Zedd nickte. »Das einzige Exemplar, das es noch gibt, existiert in Richards Kopf. Er hat das Original verbrannt, nachdem er es auswendig gelernt hatte.«
»Wir müssen ihn als Erstes finden«, entschied Ann.
Zedd grunzte spöttisch über diese Äußerung und zog verächtlich eine Augenbraue hoch, als wäre er ohne ihre Hilfe nie auf diesen Gedanken gekommen.
»Wir haben ein vordringlicheres Problem«, wandte Nicci ein. Cara fuchtelte auf der anderen Seite des Zimmers mit ihrem Strafer.
»Solange wir Lord Rahl nicht finden, existieren die Bande nicht mehr.«
»Ohne die Bande«, meinte Nicci, »sind wir auf Gedeih und Verderb dem Traumwandler ausgeliefert.«
Die Erkenntnis traf Ann wie ein Donnerschlag.
»Wir müssen sofort etwas unternehmen«, sagte Zedd. »Die Bedrohung ist ernst, und wir haben wenig Zeit. Wenn wir nicht handeln, kann dieser Krieg jeden Augenblick für uns verloren sein.«
»Worauf willst du hinaus?«, fragte Nathan argwöhnisch. Zedd blickte dem Propheten in die düstere Miene. »Du musst Lord Rahl werden. Wir dürfen es nicht riskieren, unser Volk noch länger ohne die Bande zu lassen. Danach musst du sofort zum Palast des Volkes aufbrechen.«
Nathan stand wortlos und grimmig da. Mit seinen langen weißen Haaren gab er eine beeindruckende Figur ab. Beim Gedanken, dass jemand anderer Richards Platz als Lord Rahl einnehmen könnte, wurde Nicci schwer ums Herz.
Die Alternative bedeutete allerdings, dem Traumwandler den verheerenden Zugang zu ihren Gedanken zu gewähren. Wie das war, wusste sie nur allzu gut. Die Bande zu Richard hatten ihr nicht nur das Leben gerettet, sondern durch sie erst hatte sie die Freude am Leben kennen gelernt. Das ging weit über das hinaus, was das Volk von D’Hara gewöhnlich tat, nämlich das Gesetz des Lord Rahl lediglich formal anzuerkennen; vielmehr handelte es sich um eine tiefere Bindung an Richard als Mann. Ihn hatte sie quasi vom ersten Moment an geliebt, als sie den Funken des Lebens in seinen grauen Augen gesehen hatte. Richard hatte ihr gezeigt, wie sie wieder leben konnte, und darüber hinaus, wie man liebte.
Sie schluckte den Schmerz hinunter, denn er würde niemals der ihre sein - und schlimmer noch, sein Herz gehörte einer anderen, einer, an die sich Nicci nicht einmal erinnern konnte. Herrlich wäre es gewesen, wenn Nicci sich Kahlans entsinnen könnte und eine kluge, liebevolle und wunderschöne Frau vor Augen hätte, denn dann hätte sie sich für Richard freuen können. Dass er ein Phantom liebte, machte alles nur schwieriger.
»Ich verstehe«, sagte Nathan schließlich.
Ann erweckte den Eindruck, dass sie tausend Einwände hatte, einen für jedes Lebensjahr des Propheten, doch gelang es ihr, diese für sich zu behalten, da sie natürlich die Folgen abzusehen vermochte, die damit verbunden wären, keinen Lord Rahl zu haben.
»Die D’Haranische Armee ist nicht weit vom Palast entfernt«, meinte Nathan. »Schon bald wird sie sich Jagangs Horden zu stellen haben. Ich glaube, Ihr habt recht - ich würde unserer Sache am besten dienen, wenn ich dort wäre.«
Nicci hatte es bislang niemandem erzählt. Sie räusperte sich, damit ihr die Stimme nicht versagen würde. »Richard hat zur Armee gesprochen. Deshalb ist er nach D’Hara gegangen. Er hat den Männern erklärt, sie dürften bei einem Kampf gegen die Imperiale Ordnung nicht auf einen Sieg hoffen.«
Anns Gesicht färbte sich puterrot. »Was erwartet er denn von ihnen! Wenn sie nicht gegen die Ordnung kämpfen, was dann?«
»Sie sollen die Alte Welt in Schutt und Asche legen«, stieß Nicci mit grimmiger Entschlossenheit hervor.
Zedd, Nathan und Ann starrten sie wortlos an.
»Er hat ihnen was gesagt?«, hakte Zedd ungläubig nach.
»Es ist die einzige Möglichkeit«, fuhr Nicci fort. »Wir dürfen nicht hoffen, ihre Armee zu vernichten. Richard möchte, dass die D’Haranische Armee stattdessen die Kampfmoral des Feindes untergräbt. Darin besteht unsere einzige Chance.«
»Bei den Gütigen Seelen«, flüsterte Zedd und wandte sich ab. Er trat ans Fenster und starrte hinaus in die Nacht. Als er sich wieder zum Raum umdrehte, standen ihm die Tränen in den Augen.
»In dieser Lage war ich auch schon einmal. Ich musste unserer Seite den Befehl erteilen, Dinge zu tun, die erledigt werden mussten.« Er schüttelte den Kopf. »Der arme Junge. Ich fürchte, er hat recht. Ich hätte selbst drauf kommen können, nur wollte ich wohl nicht. Manchmal braucht man den Mut, einsam und allein die notwendigen Entscheidungen zu fällen.«
Cara ging vor Nathan auf ein Knie. Sie neigte den Kopf.
»Führe uns, Meister Rahl. Lehre uns, Meister Rahl. Beschütze uns, Meister Rahl. In deinem Licht werden wir gedeihen. Deine Gnade gewährt uns Schutz. Deine Weisheit beschämt uns. Wir leben nur, um zu dienen. Unser Leben gehört dir.«
Zedd beugte ebenfalls das Knie, und Rikka folgte seinem Beispiel. Nicci gesellte sich zu ihnen, und am Ende schloss sich Ann ihnen ebenfalls an, wenn auch etwas widerwillig.
»Führe uns, Meister Rahl«, sagten sie im Chor. »Lehre uns, Meister Rahl. Beschütze uns, Meister Rahl. In deinem Licht werden wir gedeihen. Deine Gnade gewährt uns Schutz. Deine Weisheit beschämt uns. Wir leben nur, um zu dienen. Unser Leben gehört dir.«
Nathan ragte schweigend über ihnen auf, hatte die Hände gefaltet und betrachtete die gesenkten Köpfe. Er sah durchaus wie ein Lord Rahl aus. Nach dem Gebet erhoben sich alle wieder, innerlich aufgewühlt, und keiner brauchte auszusprechen, was das, was sie gerade getan hatten, tatsächlich bedeutete: dass Richard nicht mehr der Lord Rahl war.
»Es ist vollbracht«, stellte Cara fest. Sie prüfte ihre schlanke rote Waffe und starrte sie mit feuchten Augen an. »Mein Strafer lebt.«
Sie lächelte traurig. »Die Bande bestehen wieder. Ganz D’Hara wird sie erkennen und wissen, dass wir einen Lord Rahl haben.«
Nathan atmete tief durch. »Zumindest eine Sache, die für uns in die Waagschale fällt.«
»Nathan«, wandte sich Zedd an den Propheten, »du musst sofort nach D’Hara aufbrechen. An den größeren Pässen liegen imperiale Truppen und suchen einen Weg durch die Hintertür. Ich werde dir zeigen, wie du sie umgehen kannst.
Es wäre das Beste, wenn ein Lord Rahl, Hüter der Bande, denjenigen beisteht, die sich nun allein im Palast aufhalten.«
»Und Jagangs Armee?«, fragte Ann besorgt, nachdem Nathan zustimmend genickt hatte. »Was, glaubt ihr, wird Jagang tun, wenn er feststellt, dass sich die D’Haranische Armee vor seinen Augen in Luft aufgelöst hatte, ehe er sie in seiner Faust zerquetschen konnte?«
Zedd zuckte mit den Schultern. »Er wird den Palast des Volkes belagern. Verna und einige ihrer Schwestern werden bei der Verteidigung helfen, doch der Palast des Volkes ist in Gestalt einer Bannform gebaut, welche die Kräfte eines Rahls verstärkt und die anderer mindert. Verna und die Schwestern werden nicht mit ganzer Macht zuschlagen können. Im Augenblick ist Nathan unser einziger Rahl, der bei der Verteidigung des Palastes und seiner Bewohner helfen kann.«
»Deshalb sollte Nathan auch sofort zum Palast aufbrechen«, meinte Nicci.
»Noch heute Nacht«, ergänzte Zedd.
Nathan blickte von Zedd zu Nicci. »Schon verstanden. Ich werde mein Bestes geben. Hoffentlich wird Richard eines Tages in der Lage sein, seinen Platz wieder von mir zu übernehmen.«
Bei diesen Worten wurde Nicci wenigstens ein kleines bisschen leichter ums Herz,
»Für dieses Ziel werden wir mit ganzem Einsatz arbeiten«, versicherte ihm Zedd.
»Verlasst Euch drauf«, stimmte Nicci zu.
Cara zeigte mit ihrem Strafer auf den Propheten. »Und lasst Euch nicht in den Sinn kommen, die Position behalten zu wollen. Der Platz gehört Lord Rahl.«
Nathan zog eine Augenbraue hoch. »Der Lord Rahl bin jetzt ich.«
Cara verzog das Gesicht. »Ihr wisst schon, was ich meine.«
Nathan lächelte schwach.
Ann piekte Nathan mit dem Finger in die Rippen. »Und halte dich mit hochfliegenden Einfällen zurück, Lord Rahl. Ich begleite dich und sorge dafür, dass du dich nicht in Schwierigkeiten bringst.«
Nathan zog die Schultern hoch. »Vermutlich braucht der Lord Rahl eine Dienerin. Du wirst wohl genügen.«