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Als sie nach den Ja’La-Spielen ins Lager des Kaisers und sein großes Zelt zurückkehrten, war Kahlan äußerst mulmig zumute. Das rührte nicht nur daher, dass sie nun mit diesem Mann, bei dem man nie wusste, wie er reagieren würde, allein war und fast schon Panik litt wegen dem, was er mit ihr anzustellen beabsichtigte. Nein, es gesellte sich noch eine bedrohliche Unterströmung seiner Grausamkeit hinzu, die unter der Oberfläche brodelte. Sein Gesicht zeigte Röte, seine Bewegungen wirkten energischer, seine kurzen Bemerkungen waren schärfer und seine tintenschwarzen Augen funkelten. Durch das Zuschauen bei den Spielen war Jagang nun in eine noch gewalttätigere Stimmung versetzt. Die Darbietungen hatten ihn aufgepeitscht. Er war erregt - in jeglicher Hinsicht. Bei einem der Spiele hatte er gespürt, dass eine Mannschaft nicht alles gab. Er war davon überzeugt gewesen, dass die Männer sich zurückhielten und nicht mit ganzer Kraft in den Kampf gingen. Als sie verloren, ließ er sie noch auf dem Spielfeld alle hinrichten. Die Menge hatte lauter gejubelt als bei den eher ermüdenden Spielen. Man hatte auch Jagang zugejubelt, weil er die Verlierer zum Tode verurteilte. Die folgenden Spiele waren von beträchtlich mehr Leidenschaft geprägt gewesen und fanden auf dem Boden statt, der noch vom Blut der Enthaupteten durchtränkt war. Beim Ja’La wurde gerannt und ausgewichen, der Mann mit dem schweren Ball - dem Broc - wurde geblockt oder gejagt, um ihm den Broc abzunehmen oder damit anzugreifen. Die Spieler fielen häufig oder wurden von den Beinen gerissen. In der Sommerhitze und ohne Hemden war ihre Haut bald nicht nur vom Schweiß glitschig, sondern auch vom Blut. So weit Kahlan sehen konnte, waren auch die Frauen, die von den Seitenlinien aus zuschauten, vom Blut nicht abgestoßen. Eher schienen sie noch eifriger zu versuchen, die Aufmerksamkeit der Spieler zu erregen, welche die Menge jetzt mit ihren schnellen aggressiven Taktiken bis zur Verzückung aufheizten. In den anderen Spielen nach dem mit den Hinrichtungen wurden die Verlierer, wenn sie sich wenigstens entschlossen präsentiert hatten, nicht getötet, sondern ausgepeitscht. Für diese Strafe wurde eine Peitsche benutzt, die aus mehreren verknoteten Seilen bestand. Jedes Seil hatte am Ende schwere Metallstücke. Die Spieler bekamen einen Hieb für jeden Punkt, den sie verloren hatten. Die meisten Mannschaften hatten einige Punkte verloren, doch schon ein einziger Hieb mit dieser Peitsche riss den Rücken bis aufs nackte Fleisch auf. Die Menge hatte begeistert jeden Hieb mitgezählt, den die Spieler kniend in der Mitte des Feldes erhielten. Die Sieger tanzten oft am Rande des Feldes und jubelten den Zuschauern zu, während die Verlierer mit gesenkten Köpfen ihre Strafe in Empfang nahmen. Bei diesem Schauspiel wurde Kahlan übel. Jagang hingegen wurde erregt.

Kahlan empfand Erleichterung, als es schließlich vorüber war, doch jetzt, zurück im Lager des Kaisers und kurz vor seinem Zelt, fraß die Angst sie förmlich auf. Jagang befand sich in einer Stimmung, die von Gewalt und Blut hervorgerufen war. Kahlan sah es an seinem Blick, dass man ihm nichts verwehren durfte.

Und was heute Nacht noch fehlte, war sie.

Während die Hilfswachen vor dem Zelt darüber instruiert wurden, welche Posten sie einnehmen sollten, entdeckte sie einen Mann, der durch das Lager rannte und dem eine kleine Gruppe folgte. Jagang unterbrach sich, als sich der Verteidigerring öffnete und den Mann sowie einige Offiziere durchließ. Atemlos kam der Läufer zum Halt und gab sich als Bote zu erkennen.

»Was gibt es denn?«, fragte Jagang und musterte das halbe Dutzend Männer höherer Ränge, die ihn begleiteten. Jagang ließ sich nicht gern stören, wenn er beschäftigt war.

Kahlan wusste, im Augenblick war er mit ihr beschäftigt und hing brütenden Gedanken über sie nach. Er wollte mit ihr ins Zelt, und zwar allein. Der Zeitpunkt war gekommen, und ungeduldig sah der Kaiser der Zweisamkeit entgegen.

Bislang hatte er sie nicht ein einziges Mal unsittlich berührt. Das sparte er sich auf. So wie jede Stadt, auf die seine Armee zumarschierte, in lähmender Angst auf den bevorstehenden Angriff harren musste, spürte sie den Würgegriff der übermächtigen Panik, während sie auf das Unausweichliche wartete. Sie versuchte, sich nicht auszumalen, was er mit ihr tun und wie es sich anfühlen würde, dennoch konnte sie an nichts anderes denken. Genauso wenig, wie sie ihr galoppierendes Herz bremsen konnte.

Der Bote überreichte eine Lederhülse. Mit einem hohlen Ploppen zog Jagang den Deckel ab und holte ein eingerolltes Stück Papier hervor, erbrach das Siegel, rollte den Brief auf und las im Licht der Fackeln, die den Eingang zum Zelt flankierten. Die Ringe an seinen Fingern glitzerten im Feuerschein.

Das Stirnrunzeln des Kaisers machte nach und nach einem Lächeln Platz. Schließlich lachte er laut und sah seine Offiziere an. »Die Armee des D’Haranischen Reiches ist aus dem Felde geflohen. Kundschafter und Schwestern melden das Gleiche: Die D’Haraner waren so erschrocken über die Aussicht, Jagang dem Gerechten und der Armee der Ordnung gegenübertreten zu müssen, dass sie von den Fahnen geflohen sind und sich in alle Richtungen verteilt haben. Dadurch haben sie bewiesen, was für ungläubige Feiglinge sie sind. Die Streitkräfte des D’Haranischen Reiches gibt es nicht mehr. Der Weg zum Palast des Volkes ist frei.«

Die Offiziere jubelten ihrem Kaiser zu. Alle hatten plötzlich hervorragende Laune. Jagang lobte seine Soldaten, weil sie geholfen hatten, den Feind in die Flucht zu schlagen.

Kahlan stand an der Seite, hörte zu, beobachtete Jagang, der das Papier schwenkte und vom bevorstehenden Ende des langen Krieges sprach. Langsam und vorsichtig hob sie ein Bein und langte nach dem Messer, das sie in ihrem rechten Stiefel versteckt hatte. Sie bewegte sich so wenig wie möglich, um nicht Jagangs Aufmerksamkeit oder die der fünf Männer, die sie sehen konnten, auf sich zu lenken, und zog die Waffe aus dem Stiefel. Sobald sie das eine Messer herausgeholt hatte, wiederholte sie das Gleiche mit dem im anderen Stiefel.

Die Messer erfüllten sie mit neuer Entschlossenheit und verbannten die hilflose Angst vor dem, was die Nacht für sie bereithalten mochte. Jetzt verfügte sie über eine Möglichkeit, sich zu wehren. Zwar würde sie Jagang nicht aufhalten können, aber er würde sie nicht ohne Kampf bekommen.

Den Kopf bewegte sie nicht, nur die Augen, während sie sich einen Überblick darüber verschaffte, welcher Mann wo stand. Jagang war unglücklicherweise nicht in ihrer unmittelbaren Nähe. Er stand bei dem Boten und den Offizieren. Der Kaiser war beileibe kein Dummkopf. Wenn sie zu ihm träte, würde er sofort misstrauisch werden. Denn dazu wäre sie niemals freiwillig bereit. Außerdem wusste sie, dass er im Kampf sehr erfahren war. Er würde schon reagieren, ehe sie sich auf ihn werfen konnte. Allerdings hätte es ihr vermutlich nicht viel geholfen, dicht bei ihm zu sein. Es gab bessere Ziele, bessere Erfolgsaussichten für einen Überraschungsangriff. Die fünf Hilfswachen warteten links neben ihr, die Offiziere ein wenig weiter rechts. Die Offiziere konnten sie nicht sehen. Dahinter lag das Lager voller Männer, die sie ebenfalls nicht sehen konnten. Aber es würde nur einen Moment dauern, bis die fünf reagierten.

Kahlan könnte viel Blut vergießen, doch vermutlich kaum entkommen.

Doch wenn sie nichts tat, würde sie sich widerstandslos der bevorstehenden Vergewaltigung fügen müssen.

Sie sammelte ihre Wut. Sie packte die Messer fester. Das war ihre Chance, gegen ihre Häscher zurückzuschlagen.

Mit einem geraden Stoß stach sie der Hilfswache, der sie als Erstes zu sterben versprochen hatte, das lange Messer mitten in die Brust. In einem trüben Winkel ihres Verstandes nahm sie seine Überraschung wahr, als er steif wurde.

Neben ihm riss der Mann mit der gebrochenen Nase die Augen auf und erstarrte ebenfalls schockiert. Kahlan nutzte das Messer in der Brust des ersten als Halt. Dann drehte sie sich um den Erstochenen. Aus dieser Bewegung heraus zog sie das Messer in der rechten Hand im Bogen hoch. Die Klinge schlitzte der gebrochenen Nase die Kehle auf. Binnen zwei Herzschlägen hatte sie beide getötet. Der Erste ging zu Boden, und Kahlan stützte sich mit dem Stiefel bei ihm ab, um das Messer herauszuziehen und rückwärts zu springen auf die Offiziere zu. Beim dritten Schlag ihres Herzens erwischte sie einen der ranghöheren Soldaten wie bei einem Ja’La-Angriff. Während sie auf ihn zuflog, versenkte sie das Messer in ihrer Rechten tief in seinen Unterleib und schlitzte ihm die Bauchdecke auf.

Im selben Moment stach sie dem Mann daneben das andere Messer in die Kehle. Auf ihn hatte sie es eigentlich abgesehen. Sie traf ihn mit solcher Wucht, dass die Klinge nicht nur die Kehle durchbohrte, sondern auch die Wirbelsäule und so durch den ganzen Hals ging. Der Kerl sank so unvermittelt in sich zusammen, dass Kahlan das Gleichgewicht verlor und mitgerissen wurde.

Ehe sie sich fangen oder das Messer herausziehen konnte, traf sie die Kraft des Halsrings wie ein Blitz.

Sofort warfen sich die drei anderen Hilfswachen auf sie und drückten sie mit dem Gesicht voran in den weichen Boden. Da der Ring ihre Arme betäubte und ihre Beine nicht mehr auf ihre Befehle reagierten, hatten die Männer keine Schwierigkeiten, sie zu entwaffnen.

Auf Jagangs Befehl hin zerrten sie Kahlan hoch. Sie keuchte, so anstrengend war der kurze Kampf gewesen. Ihr Herz klopfte heftig. Obwohl ihr die Flucht nicht gelungen war, fühlte sie sich nicht enttäuscht. Sie hatte von vornherein keine großen Aussichten gesehen. Sie hatte einige Offiziere töten wollen, und das hatte sie geschafft. Unzufrieden war sie allenfalls, weil sie gehofft hatte, ihre Wachen würden sie bei ihrer Ergreifung töten.

Jagang schickte die verwirrten Offiziere mit der Erklärung fort, hier habe sich Magie befreit. Er versicherte ihnen, alles fest im Griff zu haben. Diese Männer waren an Gewalt gewöhnt, und über den plötzlichen Tod zweier Kameraden, wenn auch durch unsichtbare Hand, setzten sie sich selbstbeherrscht hinweg, vor allem, weil auch das Benehmen des Kaisers keinen Anlass zur Beunruhigung gab. Während sie das Lager des Kaisers verließen, riefen sie ein paar Soldaten herbei, um die Leichen zu beseitigen. Die Wachen, die hinzueilten und nachschauen wollten, was es mit dem Aufruhr auf sich hatte, waren entsetzt, dass es mitten im Lager zu solchen Morden gekommen war. Sie sahen Jagang an, um seine Laune einzuschätzen, und da er sich ganz ruhig gebärdete, trugen sie die vier Toten rasch fort.

Nachdem sie gegangen waren, wandte sich Jagang endlich Kahlan zu. »Du hast also bei den Spielen gut aufgepasst. Und wohl mehr auf die Strategie als auf die Muskeln geschaut.«

Kahlan sah ihren drei Wachen in die Augen. »Ich wollte nur mein Versprechen einlösen.«

Jagang holte tief Luft, als müsse er sich beherrschen, nicht selbst zum Mörder zu werden. »Du bist eine recht bemerkenswerte Frau und eine ernst zu nehmende Gegnerin.«

»Ich bin die Bringerin des Todes«, erwiderte sie.

Er beobachtete, wie die vier Toten in die Nacht geschleppt wurden.

»Die bist du.«

Nun wandte er seine Aufmerksamkeit den drei Männern zu, die Kahlan festhielten. »Gibt es einen Grund, weshalb ich euch nicht foltern lassen sollte?«

Den Männern, die sie gepackt hatten, fiel das selbstgefällige Grinsen aus dem Gesicht. Nervös blickten sie sich an.

»Aber Exzellenz«, sagte der eine. »Die beiden, die versagt haben, mussten mit dem Leben bezahlen. Wir drei haben sie festgehalten und nicht entkommen lassen.«

»Ich habe sie festgehalten«, entgegnete er und konnte seinen Zorn kaum bändigen. »Ich habe sie mit dem Ring um ihren Hals zur Strecke gebracht.« Schweigend überlegte er einen Moment und ließ seine Wut ein wenig abkühlen. »Aber ich heiße aus gutem Grund Jagang der Gerechte. Für den Moment schenke ich euch das Leben, doch lasst euch dies eine Lehre sein. Ich habe euch davor gewarnt, wie gefährlich sie ist. Vielleicht begreift ihr jetzt, was ich damit gemeint habe.«

»Ja, Exzellenz«, kam es wie aus einem Mund.

Jagang verschränkte die Hände hinter dem Rücken. »Lasst sie los.«

Er warf jedem Mann einen vernichtenden Blick zu, ehe er Kahlan am Arm nahm und sie zum Zelteingang führte. Sie war noch benommen vom Schock des Halsrings. Ihre Gelenke schmerzten, ihre Arme und Beine brannten.

Sie hatte sich vorher gefragt, ob Jagang die Wahrheit sagte, als er behauptete, den Ring auch benutzen zu können, ohne dass sich die Schwestern in unmittelbarer Nähe aufhielten. Nun hatte sie die Bestätigung. Ohne den Ring hätte sie die Chance gehabt zu fliehen; mit dem Ring nicht. Von nun an würde sie Jagangs Fähigkeiten nicht mehr unterschätzen. Immerhin wusste sie jetzt Bescheid. Manchmal war es schlimmer, in Ungewissheit darüber zu leben, was möglich war und was nicht.

»Heute Nacht werdet ihr vor meinem Zelt Wache halten. Wenn sie ohne mich herauskommt, solltet ihr sie euch lieber schnappen.«

»Ja, Exzellenz!«

Selbstgefällig wirkten sie nicht mehr, sondern wie das, was sie waren: Männer, die gerade um Haaresbreite ihrem Todesurteil entgangen waren.

Während sie ihre Posten einnahmen, warf Jagang Kahlan einen grimmigen Blick zu. »Beim letzten Mal hast du nur einen Spaziergang zwischen meinen Männern gemacht. Einen kurzen noch dazu. Du hast nur einen kleinen Teil meiner Armee gesehen. Morgen sollst du viel, viel mehr Männer zu Gesicht bekommen. Und viele dieser Männer werden dich sehen können.

Ich habe keine Ahnung, worin diese Anomalie besteht, von der Ulicia gesprochen hat, aber es spielt auch keine Rolle. Wichtig ist nur, dass ich, wie bei allem, versuchen werde, diesen Fehler zu meinem Vorteil zu nutzen. Ab morgen wirst du sehr gut bewacht sein. Du wirst durch die Armee reiten, und zwar wieder nackt. Auf die Weise werden wir eine ganze Reihe neuer Hilfswachen finden. Sicherlich wird es ein aufregender Tag.«

Kahlan widersprach nicht, denn das hätte ihr nichts eingebracht. Da er ihr alles so genau erklärte, wollte er wohl Unbehagen bei ihr erregen. Das war gewiss erst der Anfang der Demütigung. Kaiser Jagang führte sie ins Zelt, als wäre sie von adligem Geblüt. Er verspottete sie nur, so viel war ihr klar. Während sie neben ihm ging, spürte sie, wie die Kraft des Rings sie langsam losließ. Immerhin konnte sie wieder Arme und Beine bewegen. Auch der Schmerz ließ nach.

Im Zelt war es dunkel, es brannten nur Kerzen. Der warme Schein verbreitete Heimeligkeit und Sicherheit, verlieh dem Raum fast eine heilige Atmosphäre. Was nun ganz und gar nicht zutraf. Kahlan fühlte sich, als würde sie zu ihrer Hinrichtung geführt.

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