44

Jagang nahm eine Handvoll Pekannüsse aus einem Silberschälchen und warf sie sich in den Mund. Er grinste triumphierend, während er Kahlan beim Ausziehen zuschaute. Angesichts seiner selbstzufriedenen Miene fühlte sie sich umso verzweifelter und machtloser.

Bestimmt war sie rot geworden. Sie verweigerte sich seinem Befehl nicht länger. Schließlich musste sie gut abwägen, auf welche Kämpfe sie sich einließ, und diesen konnte sie nicht gewinnen. Dabei fragte sie sich, ob sie überhaupt noch einen gewinnen konnte. Starke Zweifel beschlichen sie. Für sie gab es keine Erlösung. Dies war ihr Leben, ihre Zukunft, alles, was das Schicksal für sie bereithielt. Sie hatte nichts, auf das sie sich freuen konnte, keinen Grund, etwas Gutes zu erwarten.

So ungezwungen wie möglich warf sie ihre Kleidung nach und nach auf einen Haufen und machte sich nicht die Mühe, sie zusammenzufalten. Danach stand sie zusammengekauert in der Totenstille und blickte Jagang nicht an, weil sie seine Häme nicht ertragen wollte. Dabei versuchte sie, sich das Zittern nicht anmerken zu lassen.

»Steh gerade«, sagte Jagang.

Kahlan befolgte den Befehl. Plötzlich fühlte sie sich erschöpft. Nicht körperlich erschöpft, sondern aller Anstrengung müde. Worum kämpfte sie eigentlich? Welches Leben hatte sie vor sich? Freiheit würde sie niemals erlangen, niemals Liebe erfahren, sich niemals sicher fühlen. Welche Chance auf ein wenig Glück hatte sie schon? Keine.

In diesem Moment hätte sie sich am liebsten zusammengerollt und geweint - oder einfach zu atmen aufgehört. Alles war so hoffnungslos. Gegen seine Macht waren alle Bemühungen sinnlos. Die Verlegenheit hatte sich verflüchtigt. Kahlan machte sich nichts mehr daraus, ob er sie anstarrte. Gewiss war er bald mit dem Essen fertig, und dann würde es nicht bei ein wenig Anschauen bleiben. Auch in dieser Hinsicht hatte sie keine Wahl. Sie hatte überhaupt keine Wahl. Ihr blieb nur eine leere Hülle von Leben. Ohne die Möglichkeit, sich selbst zu bestimmen, musste sie jede Demütigung über sich ergehen lassen, und was war das schon für ein Leben? Sie atmete, sie konnte sehen, fühlen, hören, schmecken und sogar denken, aber allem fehlte der Sinn.

»Als wir durchs Lager ritten, sind wir an ein paar großen Felsen vorbeigekommen«, sagte Jagang und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Erinnerst du dich daran?«

Kahlan blickte ihn an, innerlich tot. Sie würde jede Aufgabe erfüllen wie eine gute Sklavin. Nun dachte sie über die Frage nach, die er ihr gestellt hatte; ja, die Felsen hatte sie bei ihrer Ankunft gesehen. Es war ein ziemliches Stück bis dorthin, aber sie erinnerte sich, wie der dunkle Fluss aus Männern diese Felsformation umspült hatte.

»Ja«, sagte sie teilnahmslos.

»Gut.« Er trank einen Schluck und stellte den Becher ab. »Du gehst zu diesen Felsen. Nicht in gerader Linie, sondern in einem Bogen.«

Er zog eine Augenbraue hoch. »Du brauchst nicht rot zu werden, Schätzchen. Die Männer können dich nicht sehen, schon vergessen?«

Kahlan starrte ihn an. »Warum soll ich es dann machen?«

Er zuckte die Schultern. »Also, du hast meine zwei Wachen getötet. Ich brauche neue.«

»Draußen gibt es jede Menge Männer.«

Er lächelte. »Ja, aber die können dich nicht sehen. Ich möchte Männer, die dich sehen können.«

Kahlan begriff und fühlte sich unvermittelt wieder sehr nackt.

»Na, wie ich es mir vorstelle, gibt es keine bessere Art und Weise, Männer zu finden, die dich sehen können, als dich an ihnen vorbeispazieren zu lassen und ihnen alles zu zeigen, was du zu bieten hast.« Er betrachtete sie von oben bis unten, ehe sein Blick wieder ihre Augen suchte. »Glaub mir, wenn sie dich sehen können, werden sie es ganz bestimmt nicht für sich behalten. Sobald sie dich so erblicken, werden sie alles stehen und liegen lassen und sich dir aufs Freundlichste vorstellen.«

Er lachte schallend über seinen Scherz. Niemand sonst im Zelt wagte auch nur ein Lächeln, aber das störte ihn nicht. Schließlich verebbte sein Gelächter.

»Wir haben hier so viele Männer, da sollten doch einige darunter sein, die dich sehen können. Weitere ›Anomalien‹, wie Ulicia es bezeichnet hat.« Er deutete mit dem Kopf auf sie. »Dann haben wir ein paar Wachen, an denen du nicht vorbeischleichen kannst wie bei den anderen.

Verstehst du, Schätzchen, du hast einen taktischen Fehler gemacht. Du hättest dir den Trick für eine bessere Fluchtgelegenheit aufheben sollen. Diese Chance hast du vergeudet.«

Nein, vergeudet hatte sie die Gelegenheit nicht. Sie hatte Julian das Leben gerettet. Kahlan wusste, für sie selbst bestand keine Aussicht, die Freiheit zurückzuerlangen, doch zumindest hatte sie dieses Geschenk Julian machen können. Es würde ihr nichts einbringen, ihm das zu erklären, denn sie wollte ihm nicht widersprechen, solange er glaubte, einen Vorteil im Spiel mit ihr errungen zu haben. Kahlan fiel kein Einwand ein, mit dem sie ihm diesen Plan ausreden könnte. Sie konnte nur hoffen, unsichtbar zu bleiben. Aber sie fühlte sich keineswegs unsichtbar. Im Gegenteil, sie fühlte sich, als könne sie jeder sehen, wenn sie nun das Zelt des Kaisers verließe. Sie spürte schon jetzt die lüsternen Blicke von Millionen Männern auf sich.

Jagang wies nach vorn. »Ulicia, Armina, ihr geht mit, aber haltet ein wenig Abstand. Falls einer der Männer sie sehen kann, soll er euch nicht bemerken, sonst würde er sich womöglich zurückhalten, und er würde uns vielleicht gar nicht auffallen. Jeder Mann, der sie sehen kann, soll unsere hübsche junge Dame ausgiebig bewundern können.«

Beide verneigten sich. »Jawohl, Exzellenz.«

Jagang legte sein freundliches Getue ab und zeigte sich bedrohlich.

»Und nun los. Schlagt einen weiten Bogen durch das Lager bis zu dieser Felsformation, dann geht ihr über die andere Seite wieder zurück.«

Kahlan tappte über die weichen Teppiche zu dem Vorhang am Eingang. Sie spürte seinen höhnischen Blick im Rücken. Dann schob sie den Vorhang zur Seite und schlüpfte durch die Öffnung. Draußen erstarrte sie vor Schreck, als sie das ausgedehnte Lager sah. Zitternd musste sie sich zu jedem Schritt zwingen und ging widerstrebend zwischen den muskelbepackten Rohlingen in der Umgebung des Kaisers hindurch. Tränen standen ihr in den Augen. Es war eine Demütigung, den Blicken der Männer vollkommen nackt ausgesetzt zu sein.

Am ersten Ring von Verteidigern blieb sie stehen und hatte zu viel Angst, um den Weg fortzusetzen. Am liebsten hätte sie vor Wut und Scham geschrien. Sie warf einen Blick über die Schulter. Kaiser Jagang stand vor seinem Zelt und hatte das Haar der Frau gepackt, die zu foltern er gedroht hatte. Die Sklavin weinte hilflos. Kahlan hatte Julian das Leben gerettet. Sie entschloss sich dazu, sich auch für diese Frau zu opfern. Denn die war ebenfalls nur eine Sklavin, die in ihrem Leben keine Entscheidung treffen durfte. Nur Kahlan konnte ihr die fürchterlichen Qualen ersparen. Sie wandte sich wieder dem Tumult des Lagers zu und ging weiter. Der Boden war rau, und sie musste aufpassen, wohin sie den Fuß setzte, nicht nur wegen Steinen und Bruchstücken von Ausrüstungsteilen, sondern ebenso wegen frischen Kots. Ständig redete sie sich ein, keiner dieser Männer könne sie sehen. Sie blieb an der nächsten Verteidigungslinie stehen, wo große Kerle Wache hielten. Verstohlen blickte sie den Mann neben sich an, doch der bemerkte sie nicht, sondern schaute an ihr vorbei. Bislang hatte keiner sie gesehen! Sie blickte sich um; die Schwestern warteten, dass sie weiterging. Jagang hielt die Frau noch immer am Haar gepackt. Kahlan verstand und ging ohne zu zögern weiter. In der Nähe entdeckte sie Pferde und überlegte einen Augenblick lang, zu ihnen hinzurennen. In Gedanken sah sie sich auf den Rücken eines der Tiere springen, davongaloppieren und dem Lager entkommen. Doch das war eine Wunschvorstellung. Die Schwestern würden sie mit Hilfe der Schmerzen, die sie ihr über den Halsring bereiten konnten, sofort niederstrecken. Darüber hinaus würde die Frau, die Jagang hielt, sterben. Er war nicht der Mann, der leere Drohungen aussprach. Nein, er würde die Folter schon allein deshalb anordnen, damit niemand glaubte, er stünde nicht zu seinem Wort. Eine Flucht war unmöglich, aber die Vorstellung lenkte Kahlan von den Männern um sie herum ab, von den schmutzigen Händen, von denen sie den Blick nicht lösen konnte. Sie fühlte sich so verwundbar und ohne Schutz. Aus diesem Lager stach sie heraus wie eine alabasterweiße Seerosenblüte auf einer stinkenden Schlammfläche.

Sie ging schnell, denn je rascher sie ihren Kreis vollendet hatte, desto eher durfte sie in den Schutz des Zeltes zurückkehren. Der Gedanke war entsetzlich: Jagangs Zelt ein Schutz, dieser schreckliche Mann der Garant ihrer Sicherheit. Zumindest würde niemand sie mehr sehen, und mehr wollte sie im Augenblick gar nicht. Sie konzentrierte sich darauf. Geh zu diesen Felsen und dann wieder zurück. Je eher, desto besser.

Es sei denn, es gäbe in dieser Masse von Soldaten einen, der sie sehen konnte, was durchaus nicht unmöglich erschien. Diese Armee bestand aus Millionen. Die Chancen standen also nicht eben schlecht.

Was würde sie dann tun? Wieder warf sie einen Blick über die Schulter. Die Schwestern schienen auf der anderen Seite eines Flusses aus Männern zu stehen. Wenn nun einer sie packte, niederwarf oder fortzerrte? Endlich folgten die Schwestern ihr, aber sie waren weit zurück. Kahlan beunruhigte der Gedanke, ein Mann könnte sie sehen und begrapschen. Wenn es nun eine ganze Gruppe wäre? Würden die Schwestern in der Lage sein, den Pöbel von ihr fernzuhalten?

Immerhin konnten die Schwestern Magie anwenden. Bestimmt würden sie niemandem gestatten, sich an ihr zu vergehen. Woher nahm sie diese Zuversicht?

Jagang. Er wollte sie für sich selbst. Ohne Frage war er nicht der Mann, der seinen Untergebenen seine Beute überließ. Er würde sie selbst nehmen wollen. Bei dem Gedanken, wie er auf ihr läge, durchlief es sie heiß und kalt.

Das unmittelbare Problem war allerdings nicht Jagang, sondern diese Männer. Mit einer geschickten Bewegung, aus dem Schwingen ihrer Arme heraus, damit die Schwestern nichts bemerkten, zog sie einem vorbeigehenden Soldaten ein Messer aus dem Gürtel. Der Mann schaute sich um, weil er etwas gespürt hatte. Obwohl er Kahlan kurz ansah, schweifte sein Blick weiter, und er setzte seine Unterhaltung fort.

Nun erreichte sie den Ring der gewöhnlicheren Soldaten. Sie tranken, lachten, spielten und erzählten sich am Feuer Geschichten. Pferde waren zwischen ihnen angepflockt. Überall standen Wagen. Manche Männer hatten einfache Zelte aufgebaut, andere kochten an den Feuern oder schliefen.

Auch sah sie Frauen, die in diese Zelte mitgenommen wurden. Keine wirkte fröhlich. Wenn eine wieder herauskam, schnappte sich der nächste Kerl sie und zog sie in ein anderes Zelt. Kahlan erinnerte sich daran, dass Jagang erwähnt hatte, er habe die Schwestern zur Strafe zu den Zelten geschickt. Mochte diese Behandlung noch so schrecklich sein, Kahlan verspürte kein Mitleid für sie. Wenn sich diese Männer hier mit ihnen vergnügten, war diese Bestrafung nach Kahlans Ansicht noch viel zu milde. Die Schwestern hatten weitaus Schlimmeres verdient.

Einer der Soldaten in der Nähe schaute zu ihr hoch. Kahlan bemerkte, dass sein Blick an ihr hängen blieb. Er sah sie. Sein Mund stand offen, und er konnte sein Glück gar nicht fassen, dass gerade ihm eine solche Frau gewissermaßen in die Arme gelaufen war. Er erhob sich, doch ehe er ganz aufgestanden war, hatte Kahlan ihm bereits den Bauch aufgeschlitzt und bewegte sich weiter, als wäre nichts geschehen. Auf dem Gesicht des Mannes zeigte sich der Schock, und er versuchte, seine Gedärme zu halten, die aus dem Bauch glitten. Er sackte zusammen und grunzte panisch, was jedoch in dem allgemeinen Tumult niemand wahrnahm.

Kahlan verlangsamte nicht den Schritt, schaute nicht zurück. Sie ging weiter, ließ sich nicht aufhalten und rief sich ihre Aufgabe in Erinnerung: zu den Felsen gehen und wieder zurück zum Zelt. Einen Kreis drehen. Tu, was man dir gesagt hat.

Aus der Menge tauchte ein Mann auf und stürzte auf sie zu. Sie spannte die Muskeln an und nutzte seine Bewegung aus, um ihm das Messer unter die Rippen zu stoßen und seine lebenswichtigen Organe aufzuschlitzen. Er brach zusammen, und durch sein Gewicht wurde ihre Faust in die Wunde und in sein warmes Inneres gedrückt. Wie ein Sack Sand ging er zu Boden, ohne ein Wort, und Kahlan war sicher, sein Herz getroffen zu haben. Als Erinnerung an diese kurze Begegnung war ihre Hand nun von Blut überzogen wie von einem Handschuh.

Wo hatte sie diese Dinge nur gelernt? Sie schien ganz instinktiv zu handeln, wie aus einem Gefühl heraus, ohne die Notwendigkeit, darüber nachzudenken. Über sich selbst wusste sie nichts, aber sie konnte mit einer Waffe umgehen. Eigentlich sollte sie sich darüber freuen.

Auf dem Weg durch das Meer von Männern erreichte sie eine offene Insel inmitten des hektischen Treibens. Hier hatte man ein freies Feld gelassen, wo Mannschaften Ja’La spielten. Zu Hunderten hatten sich Soldaten darum versammelt und feuerten die eine oder die andere Mannschaft an. Das Spiel war eine gewalttätige Angelegenheit, in der die Sturmspitze der jeweiligen Mannschaft die härtesten Schläge vom Gegner auf sich nehmen musste. Als der eine blutüberströmt niederging, brach die Hälfte der Männer in Jubel aus.

»Na wunderbar«, meinte ein Mann zu ihrer Linken. »Scheint mir, eine hübsche Hure macht mir ihre Aufwartung.«

Während sie sich zu ihm umdrehte, packte ein anderer Mann sie von rechts am Handgelenk und entwand ihr das Messer. Sofort stürzten sich die beiden auf sie, begrapschten sie und zerrten sie von der Zuschauermenge des Ja’La-Spiels fort.

Kahlan wehrte sich, doch sie waren wesentlich stärker und hatten sie in einem unachtsamen Moment überrascht. Im Stillen verfluchte sie sich, weil sie nicht besser aufgepasst hatte. Niemand in der Umgebung bemerkte etwas. Die anderen konnten sie nicht sehen; für die war sie unsichtbar, doch nicht für diese zwei, die sie dicht an sich drängten und sie vor ihren Kameraden verbargen, damit sie nicht um ihre Beute kämpfen mussten. Genauso gut hätte sie mit den beiden allein sein können.

Einer schob ihr die Hand zwischen die Beine. Das raubte Kahlan den Atem. Während er sich vorbeugte, um sie weiter zu betatschen, bekam sie ihre Hand frei. Einen Moment später hatte sie den Arm herumgerissen und ihm mit dem Ellbogen die Nase gebrochen. Schreiend wich er zurück. Blut floss über Wangen und Augen. Der andere Mann lachte und hielt seine Gelegenheit für gekommen, sie für sich allein zu haben. Er zog sie in eine andere Richtung, packte ihre beiden Hände fest mit einer seiner kräftigen Pranken und erkundete mit der anderen seine Kriegsbeute.

Kahlan wehrte sich, doch er war zu groß und zu stark. Sie konnte sich nicht aus seinem Griff befreien.

»Na, du bist ja vielleicht ein Schätzchen«, raunte er ihr mit heiserer Stimme ins Ohr. »Was glaubst du denn - dass du deinen heiligen Pflichten gegenüber den Soldaten des Ordens entgehen kannst? Hältst du dich für etwas Besseres und willst nicht in den Zelten dienen? Nun, da irrst du dich aber. Hier ist mein Zelt, und es ist Zeit, deine Pflicht zu erfüllen.«

Kahlan wand sich hin und her und wollte ihn beißen, während er sie zu einem Zelt in der Nähe zerrte. Er versetzte ihr eine Ohrfeige. Der Hieb betäubte sie fast. Der Lärm des Lagers rückte in weite Ferne. Sie konnte ihren Muskeln nicht mehr befehlen, was sie tun sollten, sie konnte keinen Widerstand mehr gegen diesen schmierigen Soldaten leisten.

Plötzlich sah Kahlan das Gesicht von Schwester Ulicia. Nie zuvor hatte sie sich so über eine der Schwestern gefreut. Die Schwester lenkte den Mann kurz von Kahlan ab, dann drückte sie ihm die Finger an die Schläfe. Endlich frei, sprang Kahlan zur Seite. Der Soldat ging auf die Knie, umklammerte seinen Kopf und schrie vor Schmerzen.

»Steh auf«, befahl Schwester Ulicia ihm. »Oder es wird dir noch schlimmer ergehen.« Er erhob sich auf wackligen Beinen. »Du wirst dich sofort beim Zelt des Kaisers melden. Er braucht dich zum Dienst als Hilfswache.«

Der Mann war verblüfft. »Hilfswache?«

»Richtig. Du wirst für Seine Exzellenz diese lästige junge Dame beaufsichtigen.«

Der Mann warf Kahlan einen gefährlichen Blick zu. »Wird mir ein Vergnügen sein.«

»Vergnügen oder nicht, setz dich in Bewegung. Das ist ein Befehl von Kaiser Jagang persönlich.« Sie zeigte nach hinten. »Dort entlang.«

Der Soldat neigte den Kopf, da er offensichtlich Angst vor ihren magischen Fähigkeiten hatte. Er betrachtete die Schwester wachsam und mit unausgesprochener Abscheu. Bei diesen Männer stand die Gabe anscheinend nicht in hohem Ansehen.

»Dich sehe ich bald wieder«, versprach der Mann Kahlan, ehe er wie befohlen davontrabte.

Kahlan beobachtete Schwester Armina, die dem mit der gebrochenen Nase die gleichen Anweisungen gab. Sie sprach zu leise, als dass Kahlan sie durch das anfeuernde Gebrüll der Zuschauer hätte verstehen können, doch der Mann hörte sie offensichtlich recht gut, da er vor Furcht erstarrte, sich verneigte und dem anderen Soldaten nachlief.

Nun wandte sich Schwester Ulicia wieder Kahlan zu. »Tränen helfen dir auch nicht. Los, weiter.«

Kahlan widersprach nicht. Je eher die Sache vorüber war, desto besser. Sie schätzte sich glücklich, zwei der vier, die sie sehen konnten, getötet zu haben. Das Ja’La-Spiel hatte den Höhepunkt erreicht, und sie musste die aufgeregte Menge umgehen. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und hielt nach dem Felsen Ausschau; dann setzte sie ihren Weg fort.

Bei ihrer Rückkehr zu Jagangs Zelt hatten sie fünf Männer eingesammelt. Diese - darunter auch der mit der gebrochenen Nase standen vor dem Zelt und erwarteten Befehle des Kaisers. Der Verwundete starrte sie böse an, als sie an ihm vorbeiging und von den beiden Schwestern ins Zelt geführt wurde.

Kahlan hatte sich bald, nachdem Schwester Ulicia sie gerettet hatte, wieder bewaffnet. Diesmal hatte sich Kahlan zwei Messer besorgt, für jede Hand eines. Sie hielt die Griffe in der Faust und die Klingen gegen die Unterarme gepresst, damit die Schwestern, die ihr in einigem Abstand folgten, nichts bemerkten.

Sechs Männer, die sie sehen konnten, hatte sie umgebracht, ohne dass es den Schwestern aufgefallen wäre. Das war nicht schwierig gewesen; die Soldaten betrachteten eine nackte Frau nicht als Gefahr. Womit sie einen tödlichen Irrtum begingen. Da sie keine Anstalten zu ihrer Verteidigung machten, hatte Kahlan sie problemlos abstechen können. In dem Lärm, dem Durcheinander, den Trinkgelagen und den Kämpfen im Lager bekamen die Schwestern nichts davon mit.

Der anderen hatte sie sich leider nicht entledigen können, weil entweder Schwester Ulicia oder Schwester Armina zu nah waren oder weil sie genau aufpassten und zu Kahlans Rettung herbeieilten, um dann den Soldaten ihre Abordnung als Hilfswachen mitzuteilen. Kahlan ließ die Messer zu Boden gleiten, damit die Schwestern keinen Verdacht schöpften. Wenn man unsichtbar war, stellte es keine Schwierigkeit dar, sich auf dem langen nervenaufreibenden Gang stets neue Waffen zu suchen.

Im Zelt warf Jagang Kahlan ihre Kleidung zu. »Zieh dich an.«

Sie hütete sich, diesen unerwarteten Befehl in Frage zu stellen, sondern verschwendete keine Zeit und gehorchte. Unter seinen unentwegten, düsteren Blicken war es eine Erleichterung, endlich wieder bekleidet zu sein. Allerdings schien das seinem Interesse an dem, was er gesehen hatte, keinen Abbruch zu tun.

Schließlich wandte er sich den beiden Schwestern zu. »Ich habe unsere neuen Wachen in ihre Pflichten eingeführt.« Er lächelte auf eine Weise, die Armina und Ulicia vor Schreck erbleichen ließ.

»Und da die nun einen Teil der Last von eurem Rücken nehmen, habt ihr den Rücken wieder frei, um euch in den Zelten auf ebenjenen zu legen und ganz andere Pflichten zu erfüllen.«

»Aber Exzellenz ...«, erwiderte Schwester Armina mit zitternder Stimme, »wir haben Eure Befehle befolgt. Wir haben die Männer ...«

»Glaubst du, nur weil ihr einmal getan habt, was ich euch sage, vergesse ich all die Jahre, in denen ihr Ränke gegen mich geschmiedet habt? Glaubst du, ich würde so rasch vergessen, wie ihr eure Pflichten anderen gegenüber vernachlässigt habt, euren Dienst für die Sache des Ordens, eure moralische Verantwortung, weltliches Verlangen zum Wohle anderer zu opfern?«

»So war es doch gar nicht, Exzellenz.« Schwester Armina rieb sich die Hände, als würde sie diese in Unschuld waschen, während sie nach rettenden Worten suchte. »Ja, wir waren selbstsüchtig, zugegeben, aber wir hatten niemals die Absicht, Euch direkt zu schaden.«

Er schnaubte lachend. »Meinst du, den Hüter der Unterwelt zu befreien würde mir nicht direkt schaden? Denkst du, es wäre nicht gegen mich, gegen den Orden, gegen den Schöpfer gerichtet, die Menschheit dem Hüter der Toten zu übergeben?«

Schwester Armina verstummte. Was sollte sie dagegen einwenden? Kahlan hatte die Schwestern stets als Schlangen betrachtet. Und nun wanden sie sich vor jemandem, dessen Haut zu dick war, um sie mit den Giftzähnen zu durchbohren.

Schwester Ulicia und Schwester Armina waren anziehende Frauen. Kahlan beschlich das Gefühl, dass ihr Aussehen es ihnen unter den Bestien der Armee nicht leichter machen würde.

»Ich habe die Kontrolle über die ...«, Jagang unterbrach sich, denn beinahe hätte er ihren Titel ausgesprochen, »... über Kahlan, durch den Halsring und über eure Fähigkeiten. Ihr braucht nicht anwesend zu sein, damit ich die Kraft rufen kann, wenn ich sie brauche - ihr müsst nur leben. Ich werde den Männern sagen, sie dürften euch auf keinen Fall töten, während sie eure weiblichen Reize genießen.«

»Danke, Exzellenz«, brachte Schwester Ulicia kleinlaut hervor. Sie hatte die Hände in ihr Kleid gekrallt.

»So, draußen warten zwei Männer, die darüber Bescheid wissen, was mit euch zu geschehen hat. Geht mit ihnen.« Er grinste sie an wie der Tod selbst. »Ich wünsche eine angenehme Nacht, meine Damen. Das habt ihr verdient - und noch einiges mehr.«

Während sie das Zelt verließen, stand Kahlan in der Mitte und erwartete ein ähnliches Schicksal.

Jagang trat zu ihr heran. Kahlan dachte, sie müsse entweder vor Angst in Ohnmacht fallen oder sich vor Übelkeit übergeben bei dem Gedanken an das, was ihr nun bevorstand.

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