24

Ein Lächeln auf den Lippen, schritt Richard zwischen den versammelten Soldaten hindurch und quittierte nickend ihre Grüße. Auch wenn ihm nicht nach Lächeln zumute war, so befürchtete er, die Männer könnten es womöglich missverstehen, wenn er darauf verzichtete. In ihren Augen stand hoffnungsfrohe Erwartung, während sie ihm zusahen, wie er sich einen Weg durch ihre Mitte bahnte. Nicht wenige standen schweigend, eine Faust auf dem Herz, und das war nicht nur ein militärischer Gruß, sondern auch ein Zeichen ihres Stolzes. Richard brachte es nicht über sich, diesen Männern auch nur ansatzweise die grauenhaften Dinge zu erklären, die Shota ihm gezeigt hatte, also lächelte er so freundlich wie nur irgend möglich. Jenseits des Feldlagers zuckten Blitze über den Horizont. Trotz der Geräusche des Lagerlebens, des Lärms der Tausende von Männern und Pferden, des Klingens der Schmiedehämmer, der Rufe beim Abladen der Vorräte und der Ausgabe der Lebensmittel und der mit lauter Stimme erteilten Befehle, war das unheilvolle Donnergrollen nicht zu überhören, das unmittelbar nach den Blitzen über die Azrith-Ebene heranrollte. Düstere Schatten am Unterrand der bedrohlich aussehenden Gewitterwolken kündeten von der sich noch immer anwachsenden Last, die sich dort angesammelt hatte. Ab und zu rissen auffrischende Böen die stehende, feuchte Luft aus ihrer Regungslosigkeit und ließen Flaggen und Wimpel flatternd Haltung annehmen. Doch ebenso schnell, wie er aufgekommen war, legte sich der Wind auch wieder, beinahe wie eine Vorhut, die zurückprescht, um dem heraufziehenden Sturm Meldung zu erstatten.

Trotz allem schien niemand sich für das bedrohliche Geschehen am Himmel zu interessieren. Alle wollten sie nur einen Blick auf Richard erhaschen, wie er sich einen Weg durch das Feldlager bahnte. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, da war genau diese Armee absolut entschlossen gewesen, ihn zu beseitigen oder doch wenigstens aus dem Verkehr zu ziehen. Doch das war, bevor Richard zum Lord Rahl geworden war.

Kaum hatte er dieses verantwortungsvolle Amt übernommen, hatte er diesen Männern die Chance gegeben, zum Symbol einer lohnenden Sache zu werden, statt ihre Waffen im Dienste der Tyrannei zu präsentieren. Nicht wenige waren diesem Angebot mit offener Ablehnung begegnet, hatten sich stattdessen zu den Zielen der Imperialen Ordnung bekannt und waren in der erklärten Absicht, die bloße Idee auszumerzen, ein jeder habe das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben, mit wahlloser Brutalität über das Land hinweggefegt.

Die Übrigen aber, tatsächlich sogar die meisten, hatten Richards Aufforderung nicht nur aufgegriffen, sondern mit offenen Armen und jener Art überschäumender Begeisterung willkommen geheißen - wie dies nur Männer können, die unter Tyrannei gelebt haben. Diese Männer, die ersten seit Generationen, denen eine echte Chance auf Freiheit geboten wurde, hatten wahrhaftig begriffen, was dies für ihr Leben bedeutete, und nun klammerten sie sich hartnäckig an diese Chance auf ein Leben in einer Welt, die Richard ihnen als möglich aufgezeigt hatte. Es gab kein größeres, kein bedeutsameres Geschenk, das diese Männer im Gegenzug ihren Familien und Verwandten machen konnten, als diese Chance auf ein freies, selbstbestimmtes Leben. Nicht wenige hatten für dieses noble Ziel bereits ihr Leben gelassen.

Wie auch die Mord-Sith, folgten diese Männer ihm jetzt aus freien Stücken, nicht weil man sie dazu gezwungen hatte. Der Titel »Lord Rahl« hatte für sie eine völlig neue, früher nie gekannte Bedeutung gewonnen.

Augenblicklich aber sahen sich diese Männer dem geschärften Stahl gegenüber, mit dessen Hilfe ein Glauben erzwungen werden sollte, der ihren Angehörigen ebendieses Recht auf ein selbstbestimmtes Leben verweigerte. Auch wenn Richard die Tapferkeit dieser Männer nicht bezweifelte, so wusste er doch, dass sie sich in einer offenen Feldschlacht gegen diese gewaltige Übermacht der Invasoren von der Imperialen Ordnung niemals würden behaupten können. An diesem Tag der Tage musste er seine Rolle als Lord Rahl ausfüllen. Wenn es eine Chance auf eine lebenswerte Zukunft geben sollte, musste Richard ein Lord Rahl im reinsten Sinne sein, ein Lord Rahl, dem vor allem das Schicksal seiner Untertanen am Herzen lag. Er musste sie dazu bringen, dass sie zu der gleichen Einsicht gelangten wie er.

Verna, die mit hastigen Schritten neben ihm herlief, verstärkte den Druck auf seinen Arm und beugte sich ein Stück zu ihm hinüber.

»Du kannst dir gar nicht vorstellen, welch erhebendes Gefühl es für diese Männer ist, dich vor der Schlacht zu sehen, die ihnen jetzt bevorsteht, jene Schlacht, die schon seit Tausenden von Jahren in den Prophezeiungen geweissagt wurde. Du kannst es dir nicht vorstellen.«

Richard bezweifelte eher, dass die Männer sich vorstellen konnten, was er in wenigen Augenblicken von ihnen verlangen würde. Er blickte kurz in Vernas lächelndes Gesicht. »Ich weiß, Prälatin.«

Die Truppen waren zur Abwehr der Bedrohung durch die Imperiale Ordnung ständig weiter nach Süden vorgerückt, deshalb hatte der Ritt vom Palast des Volkes bis hierher, wo sie sie endlich eingeholt hatten, diesmal um einiges länger gedauert als bei seinem letzten Besuch bei den Streitkräften. War die Imperiale Ordnung erst einmal nach Norden abgeschwenkt, um in D’Hara einzumarschieren, war diese Armee das allerletzte Bollwerk gegen sie. Diese Männer waren die letzte Hoffnung des D’Haranischen Reiches; das war ihre Bestimmung, ihre Pflicht.

Und Richard wusste jenseits allen Zweifels, dass sie diese Schlacht verlieren würden.

Daher war es jetzt seine Aufgabe, sie von der Gewissheit ihrer bevorstehenden Niederlage und ihres sicheren Todes zu überzeugen. Cara und Nicci gingen so dicht hinter ihm, dass sie ihm fast in die Fersen traten, was nach seinem Empfinden für seine Sicherheit nicht unbedingt vonnöten war, gleichwohl war ihm klar, dass die beiden wahrscheinlich nicht bereit waren, ihm in diesem Punkt zu vertrauen. Als er über die Schulter sah, blickte er in Niccis angespanntes Lächeln.

Er fragte sich, wie sie wohl reagieren würde, wenn sie erfuhr, was er den Soldaten in wenigen Augenblicken sagen würde. Wahrscheinlich mit Verständnis; von allen, die gleich hören würden, was er zu sagen hatte, war sie vermutlich der einzige Mensch, der ihn verstehen würde; tatsächlich zählte er sogar darauf. Ihr Verständnis, ihre Unterstützung, war mitunter das Einzige, was ihn noch aufrechterhielt. Es hatte Zeiten gegeben, da war er kurz davor gewesen, alles hinzuschmeißen, und einzig Nicci hatte ihm die Kraft zum Weitermachen gegeben.

Cara hingegen würde das, was er zu sagen hatte, geradezu mit Begeisterung aufnehmen, wenn auch aus ganz anderen Gründen. Trotz ihrer wie üblich grimmig entschlossenen Miene, so als müsste sie die ganze Armee eigenhändig niedermachen, falls diese Richard plötzlich die Treue kündigte und sich auf ihn stürzte, sagte ihm ihr nervöses Nesteln am Saum ihres roten Lederanzugs, dass sie es kaum erwarten konnte, endlich General Meiffert - Benjamin wiederzusehen. Seit ihrem letzten Besuch bei den Truppen hatte sie ihre Zurückhaltung, was das Zeigen ihrer Gefühle für den gutaussehenden D’Haranischen General betraf, teilweise abgelegt. Er hatte den Verdacht, dass Nicci daran nicht ganz schuldlos war. Plötzlich ließ ein Donnerschlag den Boden erzittern, und Richard beugte sich leicht zu Verna hinüber. »Eure Schwestern werden ebenfalls zugegen sein?«

Verna nickte. »Ja. Ich habe Botenläufer ausgesandt, um ihnen auszurichten, dass du sie zusammen mit all den Offizieren hier sehen möchtest. Einige befinden sich auf längeren Erkundungsgängen, aber die Übrigen werden anwesend sein.«

»Lord Rahl.« General Meiffert schlug sich mit der Faust aufs Herz. Richard deutete eine Verbeugung an. »General. Freut mich, Euch wohlauf zu sehen. Eure Männer sind wie stets in hervorragender Verfassung.«

»Danke, Lord Rahl.« Schon jetzt konnte er seine blauen Augen kaum von Cara lassen. Er verneigte sich von der Hüfte an aufwärts.

»Herrin Cara.«

Cara schaffte es tatsächlich zu lächeln. »Welch ein freudiger Anblick für meine Augen, Benjamin.«

Wäre Richard wegen der Umstände, die ihn hergeführt hatten, nicht so besorgt gewesen, hätte er seine helle Freude daran gehabt, die beiden einander so in die Augen schauen zu sehen. Genau so, erinnerte er sich, hatte er Kahlan angesehen, mit dem gleichen Glücksgefühl.

Hauptmann Zimmer, dessen ausgeformte Lederrüstung seinen stattlichen Körperbau noch betonte, stand nicht weit hinter dem General. Einige der anderen Offiziere, in ähnlichen, wenn auch weniger schlichten Uniformen, warteten unweit in einer Gruppe, während die meisten sich unter den Zeltplanen versammelt hatten. Die in ernste Gespräche vertieften, in Gruppen zusammenstehenden Soldaten verstummten und wandten sich um, um den Lord Rahl zu sehen, den Führer des D’Haranischen Reiches. Richard hatte keine Zeit für Nettigkeiten und kam sofort zur Sache. Schließlich verstummten auch die gewöhnlichen Soldaten, die sich überall ringsum versammelt hatten, und verfolgten schweigend das Geschehen.

»Sind sämtliche Offiziere und höheren Dienstgrade anwesend, General?«, erkundigte er sich.

Der Offizier nickte. »Jawohl, Lord Rahl. Zumindest alle, die sich derzeit im Lager aufhalten. Einige von ihnen befinden sich auf längeren Patrouillengängen. Wären wir früher über Euer Eintreffen und Eure Wünsche unterrichtet worden, hätte ich sie zurückbeordert, aber so wie die Dinge derzeit liegen, wird es einige Zeit dauern, sie zurückzuholen. Wenn Ihr es wünscht, werde ich sie sofort davon in Kenntnis setzen, dass sie sich hierher zurückbegeben sollen.«

Richard kam dem mit einer Handbewegung zuvor. »Nein, das wird nicht nötig sein. Es genügt, wenn die meisten hier versammelt sind. Alle anderen können später informiert werden.«

Im Feldlager befanden sich bei weitem zu viele Soldaten, als dass alle Richard hätten hören und verstehen können. Er beabsichtigte, in aller Ausführlichkeit zu den Offizieren und höheren Dienstgraden zu sprechen, und seine Erklärung dann von diesen an ihre Untergebenen weitergeben zu lassen. Für diesen Zweck war eine ausreichende Anzahl Offiziere anwesend.

Mit einer beiläufigen, aber erkennbar gebieterischen Geste machte der General den Soldaten, die den Kommandobereich umringten, um dem großen Ereignis beizuwohnen, ein Zeichen, woraufhin diese sich augenblicklich wieder an ihre Arbeit zurückbegaben, während ihre Kommandeure über ihr Schicksal unterrichtet wurden. Dann lud General Meiffert Richard und seine Begleiterinnen mit einer Armbewegung ein, unter das Schutzdach zu treten. Richard warf noch einen kurzen Blick in den Himmel und befand, die Chancen waren gut, dass es bald ernsthaft zu regnen anfangen würde. Mittlerweile drängten sich Hunderte von Männern unter die Persenning. In Erwiderung ihres vereinten, gedämpften zackigen Saluts, tippte Richard selber mit der Faust auf sein Herz.

»Ich stehe heute hier«, begann er, während er seinen Blick über die ihm entgegenblickenden Gesichter schweifen ließ, »um eine überaus ernste Angelegenheit zu besprechen - die bevorstehende letzte Schlacht gegen die vorrückende Armee der Imperialen Ordnung. Über das, was ich hier zu sagen habe, darf nicht die geringste Unklarheit bestehen. Jeder von euch muss begreifen, was auf dem Spiel steht, was ich von euch verlange und aus welchem Grund. Es geht um unser aller Überleben; ich werde euch nichts vorenthalten und ehrlich und nach bestem Vermögen auf alles antworten, was ihr wissen wollt. Bitte zögert nicht, Fragen zu stellen, Einwände vorzubringen oder auch, in bestimmten Punkten, dem zu widersprechen, was ich euch nun als meinen Entschluss darlegen werde. Ich weiß euer gesammeltes Wissen und eure Fähigkeiten sehr zu schätzen und habe größtes Vertrauen in euer Können und eure Erfahrung. Gleichwohl bin ich gezwungen, Dinge abzuwägen und in Betracht zu ziehen, die außerhalb eurer Kenntnis liegen, und habe nach sorgfältigem Abwägen aller Einzelheiten einen Entschluss gefasst. Ich kann durchaus verstehen, wenn ihr meine Argumentation, in Ermangelung dieser Informationen, möglicherweise nicht in vollem Umfang nachvollziehen könnt, also werde ich mich bemühen, sie so gut wie möglich zu erläutern - trotzdem: Meine Entscheidung steht nicht zur Diskussion.«

Richards Stimme bekam einen Unterton absoluter Entschlossenheit.

»Ihr werdet meinen Befehlen Folge leisten.«

Die Männer wechselten Blicke untereinander. Einen derart strikten Befehl hatte Richard ihnen noch nie erteilt.

Seine Worte mit Bedacht wählend, begann Richard in der Stille des Nachmittags langsam auf und ab zu gehen. Schließlich erfasste er die Menge der vor ihm Versammelten mit einer Armbewegung.

»Was beschäftigt euch als Soldaten, als kommandoführende Offiziere, am meisten?«

Nach einem Augenblick verwirrten Schweigens ergriff ein etwas seitlich stehender Offizier das Wort. »Nun, ich nehme an, am meisten denken wir alle darüber nach, wovon Ihr gerade eben gesprochen habt, Lord Rahl: die letzte, alles entscheidende Schlacht.«

»Richtig, die letzte Schlacht«, wiederholte Richard. Er blieb stehen und wandte sich zu den Männern herum. »So stellen wir es uns alle normalerweise vor: dass alles auf diesen einen alles entscheidenden Augenblick zuläuft, den Gipfel aller Mühen, und dass es zu einer letzten großen Schlacht kommen wird, in der alles entschieden wird wer gewinnt und wer verliert, wer herrscht und wer dient, wer überlebt und wer stirbt. Genauso denkt auch Jagang.«

»Wenn nicht, wäre er wohl kaum ihr Anführer«, warf ein älterer Offizier ein.

Vereinzeltes Gelächter ging durch die Reihen der versammelten Männer.

»Wohl wahr«, rief Richard mit ernster Stimme. »Und besonders im Falle Kaiser Jagangs. Es ist sein erklärtes Ziel, seine Sache bis zu dieser letzten Schlacht voranzutreiben und uns in der darauf folgenden Auseinandersetzung ein für alle Mal zu vernichten. Er ist ein überaus intelligenter Gegner, der uns dazu gebracht hat, uns ganz auf diese letzte Schlacht zu konzentrieren. Seine Strategie scheint aufzugehen.«

Das Gelächter war erstorben. Eine gewisse Beklemmung hatte sich unter den Männern breitgemacht, weil Richard diesem Mann so viel Anerkennung zollte. Offiziere ihres Schlages mochten es nicht, wenn man ihrem Gegner ein zu hohes Maß an Überlegenheit zubilligte, da es ihren eigenen Männern dann womöglich im Kampf gegen ihn an Mut gebrach.

Doch Richard hatte nicht die Absicht, Jagangs Gefährlichkeit kleinzureden, sie als geringer darzustellen, als sie tatsächlich war. Im Gegenteil: Er wollte diesen Männern einen unverfälschten Blick auf die Schwierigkeit der Aufgabe, auf das wahre Ausmaß der Bedrohung, ermöglichen, die sie erwartete.

»Jagang ist ein fanatischer Anhänger eines Spiels, das Ja’La dh Jin genannt wird.« Als er einige Männer nicken sah, wusste Richard, dass sie zumindest ein wenig mit diesem Spiel vertraut waren. »Er besitzt seine eigene Ja’La-Mannschaft; ganz so, wie die Glaubensgemeinschaft der Ordnung ihre eigene Armee besitzt. Wenn er seine Mannschaft in ein Spiel schickt, ist es sein vorrangiges und einziges Ziel, dieses eine Spiel zu gewinnen. Zu diesem Zweck hat er die körperlich größten, eindrucksvollsten Spieler für seine Mannschaft rekrutieren lassen. Im Gegensatz zu manchen anderen, betrachtet er es nicht bloß als Spiel, als Wettkampf, ist es nicht nur seine Absicht, jedes Ja’La-Spiel zu gewinnen, vielmehr will er seinem Gegner eine vernichtende Niederlage beibringen.

Einmal ergab es sich, dass Jagangs Mannschaft verlor. Seine Reaktion bestand nicht etwa darin, es beim nächsten Mal mit größerem Einsatz zu versuchen, seine Spieler besser vorzubereiten und einzustimmen, damit sie es beim nächsten Mal besser machten. Nein, er besorgte sich kurzerhand andere Spieler und stellte eine Mannschaft aus den größten, kräftigsten und schnellsten Männern zusammen. Übersetzt bedeutet Ja’La dh Jin übrigens ›Spiel des Lebens‹.

Ganz zu Anfang, als er noch damit befasst war, all die verschiedenen Königreiche und Länder der Alten Welt zu einer einzigen Nation zu vereinen, kam es gelegentlich vor, dass Jagang eine Schlacht verlor. Mittlerweile jedoch hat er diese Lektionen des Lebens gelernt. Er legte sich die größte, niederträchtigste Armee zu, die er bekommen konnte, und vereinigte die gesamte Alte Welt unter dem Banner des Ordens der Imperialen Ordnung. Als Jagang auf Geheiß der Glaubensgemeinschaft der Ordnung in den Krieg zog, sorgte er dafür, dass ihm die nötigen Mittel bereitgestellt wurden, wodurch gewährleistet war, dass ihm eine Armee von ausreichender Größe für diese Aufgabe zur Verfügung stand. Nicht anders würdet auch ihr vorgehen.

Doch noch immer passierte es gelegentlich, dass Jagang Schlachten verlor. Und wieder lernte er dazu. Er reagierte, indem er auf seine Mittel zurückgriff und dafür sorgte, dass ihm noch mehr Männer zur Verfügung standen. Auf diese Weise kam er dem Ziel, den Krieg im Namen der Imperialen Ordnung zu gewinnen, ganz allmählich immer näher - mit dem Ergebnis, dass er heute über eine überwältigende Streitmacht verfügt, die jeden Widerstand zu brechen vermag. Er kann sich seines Sieges absolut gewiss sein. Demzufolge sieht er der letzten Schlacht mit Freuden entgegen. Zudem ist Jagang ein Traumwandler, ein Mann mit Fähigkeiten, die ihm kraft einer uralten Magie vererbt worden sind. Eines dieser Talente machte er sich zunutze, um in den Verstand anderer einzudringen, nicht nur, um Wissen zu erlangen, sondern auch, um die Betreffenden zu beherrschen. Wie euch bekannt sein wird, kontrolliert er heute eine ganze Reihe mit der Gabe Gesegneter, darunter auch Schwestern des Lichts und der Finsternis, was ihm die Herrschaft über beide Kräfte, die des Stahls und die der Magie, verleiht.«

»Lord Rahl«, unterbrach einer der älteren Offiziere Richards Rede.

»Ihr tut unsere Soldaten ein wenig vorschnell ab. Der größte Teil unserer Armee besteht aus D’Haranischen Truppen, und die Übrigen wurden von uns sorgfältig ausgebildet. Diese Männer wissen, was auf dem Spiel steht, es sind keine unfertigen Rekruten, sondern erfahrene Soldaten, die wissen, wie man kämpft. Außerdem haben wir Verna und ihre Schwestern auf unserer Seite, die ihr Können längst unter Beweis gestellt haben. Mit diesen kampferprobten Soldaten und den Schwestern des Lichts haben wir das Recht auf unserer Seite.«

»Die Imperiale Ordnung ist nicht schon allein deshalb dazu bestimmt, zu verlieren, weil sie böse ist. Gewiss, letztendlich wird das Böse an sich selbst zugrunde gehen, für unser Leben aber und das Leben derer, die wir beschützen, ist das nur ein schwacher Trost. Das Böse vermag die Menschheit trotzdem tausend Jahre zu beherrschen, ja sogar zweitausend oder mehr, ehe es schließlich an seinem eigenen Gift eingeht.«

Richard nahm sein Hin- und Herwandern wieder auf und sprach mit großer Leidenschaft. »Zugegeben, es gibt Augenblicke in der Geschichte, da sich die Dinge ohne die tapferen Bemühungen einiger Weniger so oder so hätten entwickeln können. Genau darauf zähle ich. Der Zeitpunkt ist gekommen, an dem darüber entschieden wird, wie unsere Zukunft aussehen wird. Dies ist der Zeitpunkt, da wir tun müssen, was getan werden muss, wenn wir und unsere Kinder eine Zukunft haben wollen - so schmerzlich es auch sein mag. Unsere Zukunft, die Zukunft der Freiheit, hängt von uns selbst und unserem Handeln ab, und davon, ob uns dabei Erfolg beschieden ist oder nicht.«

»Lord Rahl«, beteuerte der ältere Offizier im Tonfall ruhiger Selbstgewissheit, »die Männer sind sich darüber im Klaren, dass wir mit dem Rücken zur Wand stehen. Sie werden ihr Bestes geben, falls Ihr das meint.«

Richard merkte, dass die Männer nicht recht verstanden, worauf er hinauswollte. Er unterbrach sich, wandte den Männern das Gesicht zu und verschränkte die Hände hinter dem Rücken. In einem entlegenen Winkel seines Verstandes konnte er bereits das gespenstische Bild jenes blutigen Endes sehen, das Shota ihm vor Augen geführt hatte. Es war wie ein Gewicht, das ihn in die Tiefe hinabzuziehen versuchte.

Schließlich fuhr er fort. »Ich habe immer davon gesprochen, dass ich uns nicht in eine letzte, alles entscheidende Schlacht gegen die Imperiale Ordnung führen kann, da wir in diesem Fall verlieren würden. Seit ich das letzte Mal bei euch Männern war, sind Dinge geschehen, die mich in dieser Überzeugung noch bestärkt haben.«

Das unzufriedene Murren stand dem Donnergrollen in der düsteren nachmittäglichen Luft in nichts nach. Doch ehe sie ihre Einwände vorbringen oder ihn dazu bringen konnten, vom Thema abzuschweifen, sprach Richard weiter.

»Sehr bald schon wird die Armee der Imperialen Ordnung auf ihrem Vormarsch gegen den Palast des Volkes von Süden her nach D’Hara einmarschieren. Ihr werdet nach Süden marschieren, um ihr die Stirn zu bieten. Das wissen sie, und nichts anderes erwarten sie, denn genau das ist ihr Plan. Wir marschieren sozusagen auf Geheiß Jagangs, der unsere Taktik bestimmt und uns in eine Schlacht hineinlockt, die wir, wie er sehr wohl weiß, nicht gewinnen können, und die er nicht verlieren kann.«

Stimmen des Protests wurden laut, die lautstark anführten, die Zukunft sei schließlich nicht vorherbestimmt, und sie hätten durchaus eine Chance, sich zu behaupten.

Richard hob eine Hand, um die Stimmen zum Schweigen zu bringen.

»Mag sein, dass die Zukunft nicht vorherbestimmt ist, dennoch ist die Wirklichkeit, wie sie nun mal ist. Als Soldaten plant ihr eure Taktik nicht aufgrund irgendwelcher Wunschvorstellungen, sondern aufgrund dessen, was ihr sicher wisst.

Selbst wenn es uns wie durch ein Wunder gelingen sollte, diese sich so bedrohlich abzeichnende Schlacht zu gewinnen, würde dieser Sieg sich letztendlich als nicht ausschlaggebend erweisen. Letztendlich wäre es nichts weiter als eine Schlacht, in der wir uns den Sieg teuer erkauft hätten, während die Imperiale Ordnung uns einfach in kürzester Zeit erneut mit einer noch größeren Streitmacht angreifen würde. Selbst wenn wir die bevorstehende Schlacht gewinnen würden - was, das könnt ihr mir glauben, völlig ausgeschlossen ist -, würden wir schon wenig später gezwungen sein, eine weitere Schlacht gegen eine noch größere Armee zu schlagen, und kurz darauf die nächste.

Und warum? Weil wir in jedem Kampf gegen sie ungeheure Verluste erleiden und immer mehr geschwächt würden. Wir verfügen kaum über Reserven, auf die wir zurückgreifen können, während Jagang, sobald er einen entsprechenden Bedarf anmeldet, mit einem niemals abreißenden Strom nahezu unbegrenzter Verstärkungen versorgt wird, der ihn letztendlich immer stärker werden lässt. Letztendlich würden wir aus einem sehr einfachen Grund verlieren: Kein Krieg wurde je aus der Verteidigung gewonnen. Es ist möglich, eine Verteidigungsschlacht zu gewinnen, nicht aber einen Verteidigungskrieg.«

Ein Offizier wollte wissen: »Was schlagt Ihr also vor? Dass wir um Frieden betteln sollen?«

Richard tat den Gedanken mit einer beiläufigen, wenn auch gereizten Handbewegung ab. »Irgendwelchen Friedensbedingungen würde der Orden niemals zustimmen. Vor langer Zeit, ganz zu Anfang, hätten sie unsere Kapitulation vielleicht angenommen, uns erlaubt, uns zu unterwerfen und ihnen die Stiefel zu küssen, uns gestattet, die Ketten der Sklaverei anzulegen, aber jetzt nicht mehr. Jetzt haben sie nur noch ein Ziel: den Sieg, und dafür wollen sie uns kräftig bluten lassen. Aber was wäre auch der Unterschied? Das Endergebnis wäre in beiden Fällen gleich: die Ermordung und Unterwerfung von uns allen und unserem Volk. Auf welche Weise wir verlieren, ist weitgehend unerheblich. Im Endeffekt sind Kapitulation und Niederlage dasselbe. So oder so wäre alles verloren.«

»Was ... also dann?«, stammelte der Offizier mit erregter Stimme.

»Weiterkämpfen, bis wir am Ende entweder getötet werden oder in Gefangenschaft geraten?«

Die Soldaten starrten den rotgesichtigen Offizier an, der gesprochen hatte. Diese Männer kämpften schon seit geraumer Zeit gegen die Imperiale Ordnung; was sie jetzt hörten, war alles andere als neu für sie. Trotzdem blieb ihnen keine andere Wahl, als gegen die Invasoren zu kämpfen. Es war ihre Pflicht. Es war die einzige Möglichkeit, die sie kannten.

Richard wandte sich um und betrachtete Cara. Wie sie dort stand, in ihrem roten Lederanzug, die Füße leicht gespreizt, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, erweckte sie den Eindruck, als könnte sie es ganz allein mit dem Orden aufnehmen.

Richard wies auf die Frau neben Cara. »Nicci hier stand einst in ihren Diensten.« Als er die Männer untereinander tuscheln hörte, mitten unter ihnen befinde sich eine Feindin, setzte er hinzu: »So, wie ihr alle einst in den Diensten der Tyrannei standet, als ihr noch unter Darken Rahl dientet, und einige von euch sogar noch unter dessen Vater, Panis Rahl. Ihr hattet gar keine andere Wahl. Darken Rahl war es vollkommen gleichgültig, welche Pläne ihr für euer Leben hattet, das Einzige, was ihn interessierte, war, dass ihr seine Befehle befolgt. Vor die Wahl gestellt, habt ihr euch jetzt für unsere Sache entschieden. Und das Gleiche gilt für Nicci.

Mit den Soldaten der Imperialen Ordnung dagegen verhält es sich anders. Ihr habt gekämpft, weil man euch unter Androhung von Gewalt oder gar Tod dazu gezwungen hatte. Sie dagegen kämpfen, weil sie an etwas glauben. Sie gieren nach Krieg. Sie wollen Teil dieser kriegerischen Anstrengungen sein.

Da sie selbst bei Jagang war, verfügt Nicci über ein Wissen aus allererster Hand. Sie hat Dinge gesehen, die möglicherweise dazu beitragen werden, das Ganze für euch ins richtige Licht zu rücken.«

Er wandte sich um zu Nicci. Mit ihrer glatten, hellen Haut und dem über ihre Schultern fallenden blonden Haar glich sie ein wenig einer Statue. Da war nichts an ihrem Gesicht oder ihrer Figur, das er verändert hätte, hätte er eine Statue von ihr anfertigen sollen. Sie war ein Sinnbild der Schönheit, und doch hatte sie Gräuel gesehen, die jedes Vorstellungsvermögen sprengten.

»Nicci, würdet Ihr jetzt bitte diesen Männern erklären, was sie im Falle einer Gefangennahme durch die Imperiale Ordnung erwartet.«

Richard hatte keine Ahnung, was sie sagen würde oder was sie überhaupt wusste, aber vor allem dank Jebras Bericht wusste er, dass man in der Imperialen Ordnung für das Leben nur Verachtung übrig hatte.

»Die Truppen der Imperialen Ordnung töten ihre Gefangenen nicht auf der Stelle.« Mit tödlicher Ruhe glitt Nicci einen Schritt näher an die ihr entgegenstarrenden Männer heran, wo sie an Richards Seite abwartete, bis die Stille beinahe unerträglich wurde und sie sich der ungeteilten Aufmerksamkeit jedes einzelnen der vor ihr stehenden Soldaten gewiss sein konnte. »Zunächst«, erklärte sie, »wird jeder Gefangene kastriert.«

Ein kollektives Stöhnen erhob sich unter den versammelten Soldaten.

»Anschließend, nachdem sie unerträgliche Qualen und Demütigungen erlitten haben, werden die noch Lebenden der Folter unterzogen. Wer auch diese überlebt, wird schließlich auf die eine oder andere Art brutal hingerichtet.

Wer sich dagegen dem Orden ohne Kampf ergibt, dem bleibt diese Behandlung erspart. Das ist die Absicht, die sich hinter der Grausamkeit gegenüber den Gefangenen verbirgt - ein möglicher Gegner soll mit Angst und Schrecken erfüllt werden, damit er sich kampflos ergibt. Die Behandlung der Zivilisten in den eroberten Städten ist nicht minder grausam und erfolgt mit demselben Hintergedanken. Mit dem Erfolg, dass zahllose Städte kampflos an den Orden gefallen sind.

Ihr Männer liefert diesen Leuten bereits seit langem einen harten Kampf; euch bliebe nichts von alledem erspart. Sobald ihr von Jagangs Truppen gefangen genommen werdet, gibt es für euch keine Hoffnung mehr. Man wird alles daransetzen, dass ihr euch von ganzem Herzen wünscht, niemals geboren worden zu sein. Der Tod wird eure einzige Erlösung sein.

Nicht, dass es eine Rolle spielte. Das Leben unter der Imperialen Ordnung unterscheidet sich nur unwesentlich vom Warten auf den Tod durch die Hand der Ordenstruppen. Das Leben unter der Herrschaft des Ordens ist selbst ein langsamer, zermürbender Tod; nur währt er länger, denn das Elend zieht sich über viele Jahre hin. Gut geht es nur denen, denen das Leben und alles Gute verhasst ist. Tatsächlich begünstigt und ermutigt der Orden all jene, die die guten Dinge im Leben hassen. Schließlich gründen sich ihre Lehren auf einen erbitterten Hass auf alles Gute. Das Umfeld, das solche Glaubensüberzeugungen schaffen, ist geprägt von allumfassendem Elend. Die Hasser ergötzen sich am Elend anderer, denn das Gute erregt ihren Zorn. Würdet ihr gefangen genommen, wären diese Hasser eure Herren.«

Wie betäubt standen die Männer da, schweigend. Und in dieser Stille vernahm Richard das sachte Trommeln des Regens auf der über ihren Köpfen gespannten Zeltplane. Das Unwetter kam näher und würde sie bald erreicht haben.

Beiläufig sprach Nicci in die Stille hinein. »Die gerösteten Hoden ihrer Feinde gelten bei den Soldaten der Imperialen Ordnung als überaus begehrte Leckerbissen. Nach einer Schlacht durchstreifen Schlachtengänger das Schlachtfeld auf der Suche nach Beute und jedem noch lebenden Gegner, um ihn kastrieren zu können. Diese kostbaren, blutigen, von lebenden Feinden eingesammelten Kostbarkeiten sind bei den berauschten Feiern nach einem Sieg überaus gefragt, glauben die Soldaten doch, dass diese Köstlichkeiten ihnen Kraft und Männlichkeit verleihen. Anschließend widmen sie sich den weiblichen Gefangenen.«

Richard kniff sich mit Daumen und Zeigefinger in den Nasenrücken.

»Und weiter?«

Nicci warf ihm einen erstaunten Blick zu. »Ist das noch nicht genug?«

Richard seufzte schwer und ließ seine Hände fallen. »Schätze ja.«

Er wandte sich wieder um zu den Soldaten. »Die schlichte Wahrheit ist: Es besteht nicht die geringste Aussicht, dass ihr die bevorstehende Schlacht gewinnen könnt.«

Richard holte tief Luft, ehe er sich überwand, das Unaussprechliche zu sagen, das, weshalb er hergekommen war.

»Und aus diesem Grund wird es keine letzte Schlacht geben. Wir werden nicht gegen Kaiser Jagang und seine Armee der Imperialen Ordnung kämpfen. Als Lord Rahl und Anführer des D’Haranischen Reiches weigere ich mich, diesen Akt sinnloser Selbstvernichtung zuzulassen. Vielmehr bin ich hier, um die Auflösung unserer Armee zu veranlassen. Es wird keine letzte, alles entscheidende Schlacht geben. Die Neue Welt wird Jagang kampflos in die Hände fallen.«

Richard konnte sehen, wie manch einem der Offiziere die Tränen in die Augen traten.

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