7

Als der an den Wagen vorbeigehende Soldat ihnen die hartgekochten Eier zuwarf, versuchte Richard, so viele wie möglich aufzufangen. Nachdem er etliche vom Boden aufgeklaubt und in seiner Armbeuge verstaut hatte, krabbelte er wieder unter den Wagen, um sich vor dem Regen in Sicherheit zu bringen. Als Unterschlupf war es nur ein kalter, jämmerlicher Notbehelf, aber immer noch besser, als im Regen zu hocken.

Kaum hatte er seine Beute an Eiern eingesammelt, huschte auch Johnrock, die Kette hinter sich herschleppend, wieder unter das andere Wagenende.

»Schon wieder Eier«, beschwerte er sich angewidert. »Das ist alles, was sie uns zu essen geben. Eier!«

»Könnte schlimmer sein«, bemerkte Richard.

»Wie denn?« Johnrock schien alles andere als glücklich über seine Kost. Richard wischte die Eier an seiner Hose ab und versuchte, die Schalen so gut es ging vom Schlamm zu befreien. »Sie könnten York an uns verfüttern.«

Johnrock musterte ihn stirnrunzelnd. »York?«

»Deinen Mannschaftskameraden, der sich das Bein gebrochen hat«, setzte Richard erklärend hinzu, während er daranging, eines seiner Eier zu pellen. »Den Schlangengesicht umgebracht hat.«

»Ach, diesen York.« Johnrock überlegte einen Moment. »Glaubst du wirklich, diese Typen essen Menschen?«

Richard sah ihn an. »Wenn ihnen die Lebensmittel ausgehen, werden sie dazu übergehen, die Toten zu verspeisen. Und wenn ihnen die ebenfalls ausgehen und sie hungrig genug sind, werden sie eben eine neue Ernte einfahren.«

»Glaubst du denn, dass ihnen die Lebensmittel ausgehen werden?«

Richard war sich dessen sogar sicher, mochte es aber nicht offen aussprechen. Er hatte den D’Haranischen Truppen Anweisung gegeben, nicht nur sämtliche Nachschubkonvois aus der Alten Welt zu zerstören, sondern diese auch ihrer Fähigkeit zu berauben, ihre gewaltige, in den Norden einfallende Invasionsstreitmacht mit Nachschub zu versorgen.

»Ich meinte lediglich, dass es schlimmer sein könnte als diese Eier.«

Johnrock betrachtete seine Eier in neuem Licht und gab ihm schließlich grummelnd recht. Er machte sich daran, eines seiner Eier zu pellen, und wechselte das Thema. »Glaubst du, sie werden uns zwingen, bei Regen zum Ja’La anzutreten?«

Richard schluckte einen Mundvoll Ei hinunter, bevor er antwortete.

»Schon möglich. Lieber spiele ich eine Partie und werde dabei warm, als den ganzen Tag hier frierend rumzusitzen.«

»Vermutlich.«

»Außerdem«, fuhr Richard fort, »je eher wir damit beginnen können, die wegen des Turniers hergekommenen Mannschaften zu besiegen, desto eher erhalten wir eine Chance, gegen die Mannschaft des Kaisers anzutreten.«

Die Aussicht lockte ein Schmunzeln auf Johnrocks Gesicht. Richard war völlig ausgehungert, trotzdem zwang er sich, es langsam anzugehen und das Mahl so gut es ging zu genießen. Während sie die Schalen abpellten und schweigend aßen, hielt er ein Auge auf die Aktivitäten in der Ferne. Selbst in diesem Regen waren die Männer mit allen möglichen Arbeiten beschäftigt. Der Lärm der Hämmer auf den Essen übertönte das monotone Geräusch des Regens und den Hintergrundlärm aus Gesprächen, Gebrüll, Streitereien, Gelächter und mit lauter Stimme erteilten Befehlen.

Das riesige Feldlager erstreckte sich über die Azrith-Ebene bis hin zu dem für Richard sichtbaren Teil des Horizonts. Wenn man auf dem Boden kauerte, war es schwierig, viel von dem dahinterliegenden Teil des Lagers zu sehen. Er konnte einige Wagen ausmachen, sowie etwas weiter dahinter in der mittleren Distanz die größeren Zelte. Pferde ritten vorüber, während von Maultieren gezogene Wagen sich einen Weg durch die in ständiger Bewegung befindlichen Menschenmassen bahnten. Vor den Kochzelten hatten sich lange Schlangen wartender Fußsoldaten gebildet, die im Regen einen erbärmlichen Anblick boten. Über alldem thronte der Palast des Volkes auf seinem Hochplateau. Selbst im trüben Licht dieses grauen Tages hoben sich sein kunstvolles Mauerwerk, seine prachtvollen Türme und ziegelgedeckten Dächer vom Schmutz ebenjener Armee ab, die aufmarschiert war, um ihn zu zerstören. Angesichts des rauchgeschwängerten Dunstes, der über dem Feldlager der Imperialen Ordnung aufstieg, des Regens und des verhangenen Himmels wirkten die Hochebene und der auf ihr stehende Palast wie eine entrückte noble Erscheinung. Mitunter verdichtete sich für Momente der Dunst, und der gesamte Palast verschwand im grauen Dämmer wie hinter einem Vorhang, als hätte er sich an den wimmelnden Horden sattgesehen, die gekommen waren, ihn zu entweihen. Für einen feindlichen Angriff gegen den hoch auf dem Plateau gelegenen Palast existierte kein ohne Weiteres benutzbarer Zugang. Die seitlich an der Felsenklippe hinaufführende Straße war für einen wirkungsvollen Angriff viel zu schmal, außerdem gab es eine Zugbrücke, die man, da war sich Richard sicher, bestimmt längst hochgezogen hatte. Und selbst wenn nicht: Ganz oben gab es massive Mauern, die schon für sich genommen unüberwindbar waren und vor denen es kaum Platz gab, um eine Angriffsformation von angemessener Stärke in Stellung zu bringen.

Herrschte nicht gerade Krieg, zog der Palast des Volkes Handelsverkehr aus ganz D’Hara an; unablässig trafen Versorgungsgüter für die dort lebenden Menschen ein. Wegen seiner Funktion als Handelszentrum strömten Menschen in Scharen in den Palast, um dort einzukaufen und ihre Waren feilzubieten. Für sie alle führte der Weg in den Stadtpalast durch das Innere des eigentlichen Hochplateaus. Treppen und Promenaden nahmen die gewaltigen Mengen von Besuchern und Händlern auf, zudem gab es breite Rampen für Pferde und Wagen. Wegen der großen Zahl von Menschen, die im Innern des Plateaus emporstiegen, waren sie auf ihrer gesamten Länge von Ladengeschäften und Ständen gesäumt. Viele Besucher kamen nur wegen dieser Marktstände, ohne die weiter oben gelegene Stadt jemals zu betreten. Im Innern war die gesamte Hochebene mit Räumlichkeiten jeder Art durchzogen, manche davon der Öffentlichkeit zugänglich, andere nicht. Dort war auch eine große Zahl Soldaten der Ersten Rotte - die Palastwache - kaserniert.

Aus Sicht der Imperialen Ordnung bestand das Problem darin, dass die großen, in die inneren Bereiche führenden Tore verschlossen waren – Tore, so konstruiert, dass sie jedem Angriff standzuhalten vermochten. Zudem hatte man ausreichende Vorräte für eine sehr lange Belagerung eingelagert.

Die Azrith-Ebene draußen hingegen war für eine belagernde Armee eine alles andere als wirtliche Umgebung. Während drinnen tiefe Brunnen die Bewohner mit Wasser versorgten, gab es draußen, von gelegentlichem Regen abgesehen, in unmittelbarer Nähe weder eine ständige Wasserversorgung noch genügend Feuerholz. Zudem herrschten dort harsche Witterungsbedingungen.

Die Imperiale Ordnung hatte jede Menge mit der Gabe Gesegnete in ihren Reihen, die jedoch beim Durchbrechen der Verteidigungsanlagen des Palasts keine große Hilfe sein konnten, da der eigentliche Palast in Gestalt eines Schutzbanns konstruiert war, der die magischen Kräfte des herrschenden Lord Rahl mehrte, während er die aller anderen minderte. Im Innern der Hochebene, wie auch in der darauf gelegenen Stadt, waren die Fähigkeiten aller mit der Gabe Gesegneten durch diesen Bann entscheidend geschwächt. Unter normalen Umständen wäre ein solcher Bann für Richard vorteilhaft gewesen, denn er war selbst ein Rahl, allerdings hatte man ihm irgendwie den Zugriff auf seine Gabe genommen. Er war sich einigermaßen sicher, wie es dazu gekommen war, doch angekettet an einen Wagen, inmitten einer Millionen zählenden feindlichen Streitmacht, konnte er in dieser Angelegenheit nicht viel unternehmen. Abgesehen von der Hochebene selbst und dem darauf stehenden Palast, war die höchste Erhebung in der Azrith-Ebene eben-jene Rampe, welche die Imperiale Ordnung im Begriff war zu errichten. Mithilfe dieser Rampe wollte Jagang den Sitz der Macht des D’Haranischen Reiches erobern, das letzte Hindernis auf dem Weg zur totalen Herrschaft über die Neue Welt. Er plante nicht nur eine mögliche Belagerung des Palasts des Volkes, nein, er war zum Angriff fest entschlossen. Hatte Richard ein solches Ansinnen anfangs noch für unmöglich gehalten, musste er, nachdem er das Vorgehen der Armee Jagangs eine Weile beobachtet hatte, zu seiner wachsenden Entmutigung feststellen, dass es sogar klappen könnte. Zwar war die Ebene von beeindruckender Höhe, doch die sie umlagernde Armee der Imperialen Ordnung verfügte über Millionen von Soldaten, die sich dieser Arbeit widmen konnten. Aus Jagangs Sicht war dies das letzte Kriegsziel, der letzte Ort, den es für die Errichtung der uneingeschränkten Herrschaft der Imperialen Ordnung zu unterwerfen galt. Die Stadt hoch oben auf dem Plateau war das letzte Hindernis auf seinem Weg.

Die Imperiale Ordnung - jene Rohlinge, die dem von der Bruderschaft der Ordnung eingeforderten Glauben mit Gewalt Geltung zu verschaffen versuchten - durfte nicht zulassen, dass die Bewohner der Neuen Welt außerhalb des Herrschaftsbereiches der Ordensbruderschaft lebten, denn das hätte die Lehren ihrer geistigen Führer Lügen gestraft. Nach ihren Lehren galt die Freiheit individueller Entscheidung als unmoralisch, weil sie die Menschen verdarb. Die bloße Existenz wohlhabender, unabhängiger und freier Menschen stand in krassem Widerspruch zu den Ordenslehren. Die Imperiale Ordnung hatte die Bewohner der Neuen Welt als eigensüchtig und böse gebrandmarkt und stellte sie nun vor die Wahl, sich entweder zu den Überzeugungen der Imperialen Ordnung zu bekennen oder in den Tod zu gehen.

Ein Millionenheer von Soldaten untätig darauf warten zu lassen, den Überzeugungen des Ordens endlich gewaltsam Geltung zu verschaffen, war zweifellos ein Problem. Jagang hatte es gelöst, indem er sie beschäftigte, ihnen ein Opfer für ihre Sache abverlangte. Und nun schufteten sie in wechselnden Schichten Tag und Nacht für die Errichtung dieser Rampe.

Auch wenn Richard die Männer weiter unten nicht sehen konnte, wusste er, dass sie Erde und Gestein aushoben. Während sich diese Gruben immer weiter ausbreiteten, schleppten andere das Erdreich bis zur Rampenbaustelle. Dank ihrer ungeheuren Zahl und ihrer unermüdlichen Schufterei waren sie selbst einem derart kühnen Unterfangen gewachsen. Richard war noch nicht lange im Lager, dennoch stellte er sich jeden Tag vor, die steil aufsteigende Rampe schon bald unaufhaltsam bis zum Rand der Hochebene emporwachsen zu sehen.

»Wie willst du sterben?«, fragte Johnrock.

Zwar war Richard es leid, dem Wachsen der Rampe zuzusehen und über die finstere und barbarische Zukunft nachzugrübeln, die die Imperiale Ordnung ihnen allen aufzwingen würde, doch Johnrocks Frage war auch nicht gerade ein Lichtblick. Er ließ sich auf der anderen Seite gegen die Innenseite des Wagenrades sacken und widmete sich weiter dem Verspeisen seiner Eier.

»Glaubst du, ich habe eine Wahl?«, antwortete er nach einer Weile.

»Dass ich ein Wörtchen dabei mitzureden habe?« Den Unterarm auf sein Knie gestützt, gestikulierte er mit einem halb verspeisten Ei. »Wir treffen Entscheidungen über unsere Lebensweise, Johnrock. Auf unsere Art des Sterbens haben wir längst nicht so viel Einfluss.«

Seine Antwort schien Johnrock zu überraschen. »Du glaubst, wir können selbst entscheiden, wie wir leben wollen? Wir haben nicht die geringste Wahl, Rüben.«

»Doch, die haben wir«, erwiderte Richard ohne sich näher zu erklären, und warf sich das halbe Ei in den Mund.

Johnrock packte die an seinem Halsring befestigte Kette. »Wie kann ich mit diesem Ding um den Hals Entscheidungen treffen?« Er wies zum Feldlager hinüber. »Das sind unsere Herren.«

»Herren? Sie haben sich entschieden, nicht selbst zu denken und stattdessen nach den Lehren der Imperialen Ordnung zu leben. Das macht sie nicht einmal zu Herren über ihr eigenes Leben.«

Johnrock schüttelte erstaunt den Kopf. »Manchmal sagst du die merkwürdigsten Sachen, Rüben. Ich bin es, der keine Wahl hat, nicht sie.«

»Es gibt Ketten, die stärker sind als die Ketten am Ring um deinen Hals, Johnrock. Mein Leben bedeutet mir sehr viel, trotzdem würde ich es opfern, um das Leben eines geliebten Menschen zu retten, eines Menschen, an dem mir sehr viel liegt.

Die Männer da draußen haben sich entschieden, ihr Leben einer geistlosen Sache zu opfern, die nichts als Leid hervorbringt - sie haben ihr Leben längst aufgegeben und keine Gegenleistung dafür bekommen. Ist das eine Entscheidung, wie man leben möchte? Wohl kaum. Sie haben sich selbst Ketten um den Hals gelegt, Ketten einer anderen Art, aber trotzdem Ketten.«

»Als sie mich holen kamen, habe ich mich gewehrt. Die Imperiale Ordnung hat gewonnen, und nun liege ich hier in Ketten. Diese Männer leben, versuchen wir uns aber zu befreien, ist das unser sicherer Tod.«

Richard befreite ein weiteres Ei von ein paar Schalenresten. »Wir müssen alle sterben, Johnrock - jeder Einzelne von uns. Was zählt, ist, wie wir unser Leben führen. Schließlich ist es das einzige, das uns je vergönnt sein wird, also ist die Art und Weise, wie wir es führen, von überragender Bedeutung.«

Kauend dachte Johnrock einen Moment lang darüber nach, schließlich schien er das Ganze mit einem Grinsen abzutun. »Also, wenn ich mich am Ende doch entscheiden muss, wie ich sterben möchte, dann unter dem Jubel der Menge, weil ich gut gespielt habe.« Er schaute zu Richard hinüber. »Und du, Rüben. Angenommen, du hättest die Wahl?«

Richard gingen ganz andere Dinge durch den Kopf - wichtige Dinge. »Ich hoffe, ich muss die Frage nicht noch heute klären.«

Johnrock seufzte schwer. Die Eier wirkten winzig in seiner kräftigen Hand. »Vielleicht nicht heute, aber ich denke, die Spiele werden hier, an diesem Ort, zu Ende gehen ... hier an diesem Ort werden wir unser Leben verlieren.«

Als Richard nicht darauf antwortete, sprach Johnrock erneut in das monotone Rauschen des Regens hinein. »Ich meine es ernst.« Er runzelte die Stirn. »Hörst du eigentlich zu, Rüben, oder träumst du noch immer von der Frau, die du gestern zu sehen geglaubt hast, als wir ins Lager kamen?«

In diesem Moment wurde Richard bewusst, dass es genau so war, und dass er ein Lächeln auf den Lippen hatte. So zutreffend Johnrocks Worte sein mochten - dass sie an diesem Ort durchaus sterben konnten -, er lächelte. Gleichwohl verspürte er nicht die geringste Lust, mit ihm über Kahlan zu diskutieren.

»Ich habe so einiges gesehen, als wir ins Lager gerollt sind.«

»Schon bald, nach den Spielen«, fuhr Johnrock fort, »wird es jede Menge Frauen geben - vorausgesetzt, wir schneiden gut ab. Das hat uns Schlangengesicht versprochen. Aber zur Zeit gibt es nur immer mehr Soldaten. Du hast gestern bestimmt Gespenster gesehen.«

Richard nickte, den Blick auf nichts Bestimmtes gerichtet. »Ich denke, du täuschst dich gewaltig, wenn du sie für eine Erscheinung hältst.«

Johnrock schob ein Stück Kette zur Seite und rutschte näher an Richard heran. »Sieh besser zu, dass du einen klaren Kopf bekommst, Rüben, wenn nämlich nicht, werden wir abgeschlachtet, ehe wir überhaupt eine Chance kriegen, gegen die Mannschaft des Kaisers anzutreten.«

Richard blickte auf. »Ich dachte, du wärst bereit zu sterben.«

»Ich will nicht sterben, jedenfalls noch nicht.«

»Siehst du, Johnrock, schon hast du eine Entscheidung getroffen. Selbst in Ketten hast du eine dein Leben betreffende Entscheidung getroffen.«

Er drohte Richard mit seinem massigen Finger. »Hör zu, Rüben, wenn ich beim Ja’La getötet werde, dann möchte ich nicht, dass es deswegen geschieht, weil du über den Wolken schwebst und von irgendwelchen Frauen träumst.«

»Nur von einer, Johnrock.«

Der Hüne ließ sich nach hinten sinken und schnippte Eierschalen von seinen Fingern. »Ja, ich erinnere mich. Angeblich hast du die Frau gesehen, die deine Ehefrau werden soll.«

Richard unterließ es, ihn zu verbessern. »Ich will nichts weiter, als dass wir gut spielen und alle Partien gewinnen, damit wir die Chance erhalten, gegen die Mannschaft des Kaisers anzutreten.«

Johnrocks Grinsen kehrte zurück. »Glaubst du wirklich, wir können sie schlagen? Glaubst du, wir können eine Partie gegen diese Barbaren überstehen?«

Richard schlug die nächste Eierschale an seinem Stiefelabsatz auf. »Du warst es doch, der eine gute Partie abliefern und unter dem Jubel der Massen sterben wollte.«

Johnrock warf ihm einen schrägen Seitenblick zu. »Vielleicht tue ich ja, was du sagst, und entscheide mich für ein Leben in Freiheit.«

Richard lächelte nur, ehe er in sein Ei biss.

Kaum hatten er und Johnrock ihre Mahlzeit beendet, nahte Kommandant Karg mit stapfenden Schritten durch den Morast. »Raus da! Alle miteinander!«

Richard und Johnrock krabbelten unter dem Wagen hervor in den Nieselregen. Andere Gefangene bei den Wagen rechts und links von ihnen erhoben sich und warteten darauf, dass der Kommandant ihnen erklärte, was er wollte. Die zur Mannschaft gehörenden Soldaten rückten näher zusammen.

»Wir erwarten Besuch«, verkündete Kommandant Karg.

»Was denn für Besuch?«, wollte einer der Soldaten wissen.

»Der Kaiser wird die für das Turnier eingetroffenen Mannschaften inspizieren. Kaiser Jagang und ich kennen uns schon sehr lange. Ich erwarte von euch, dass ihr ihm den Beweis liefert, dass ich eine würdige Mannschaft zusammengestellt habe. Wer kein gutes Licht auf mich wirft oder es am nötigen Respekt für unseren Kaiser fehlen lässt, ist für mich nutzlos.«

Ohne ein weiteres Wort eilte der Kommandant von dannen. Richard fühlte sich plötzlich unsicher auf den Beinen, und sein Herz schlug heftig. Würde Kahlan Jagang begleiten, wie schon tags zuvor? So sehr er sich wünschte, sie wiederzusehen, so zuwider war ihm die Vorstellung, dass sie sich in der Nähe dieses Mannes aufhielt -oder überhaupt in der Nähe eines dieser Kerle.

Als stellvertretende Befehlshaberin der D’Haranischen Streitkräfte hatte Kahlan Kaiser Jagang nicht nur den ansonsten längst gewissen Sieg verwehrt, sondern sich aufgrund der ihm zugefügten Verluste auch seinen ewigen Hass zugezogen. Wäre sie nicht gewesen, hätte die Imperiale Ordnung die D’Haranische Armee vermutlich längst aufgerieben.

Er versuchte gefasst zu wirken, lehnte sich mit verschränkten Armen gegen den Wagen und wartete. Kurz darauf erblickte er einen Umzug, der sich links von ihm in einiger Entfernung einen Weg durch das Feldlager bahnte. Die Personen schritten die Reihe der Mannschaften ab und machten in regelmäßigen Abständen kurz Halt, um sie genauer in Augenschein zu nehmen.

Nach dem Typ von Kriegern zu urteilen, konnte es sich um niemand anderen als den Kaiser und sein Gefolge handeln. Er erkannte die kaiserliche Leibgarde vom Vortag wieder, als sie bei ihrem Einzug in das Lager unmittelbar an Jagang vorübergekommen waren. Bei dieser Gelegenheit hatte er auch Kahlan kurz gesehen. Mit ihren Kettenhemden, der Lederkleidung und den hervorragend gearbeiteten Waffen wirkte die kaiserliche Garde beeindruckend, wirklich beängstigend jedoch waren ihre schiere Körpergröße und ihre hervortretenden, regennassen Muskeln.

Es waren Männer, die es schafften, sogar unter den brutalen regulären Truppen der Imperialen Ordnung Angst und Schrecken zu verbreiten. Die regulären Soldaten machten ihnen weiträumig Platz. Richard konnte sich nicht vorstellen, dass sie auch nur die geringste Kleinigkeit duldeten, die in ihren Augen eine mögliche Gefahr für den Kaiser darstellte. Johnrock stellte sich zu den übrigen Männern, die für die kaiserliche Inspektion in einer Linie angetreten waren.

Dann erblickte er inmitten seiner muskelbepackten Leibgarde den kahlrasierten Schädel Jagangs, und die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag.

Jagang würde ihn wiedererkennen.

Er hatte sich als Traumwandler im Verstand mehrerer Personen befunden und Richard mit deren Augen gesehen.

Welch unfassbare Nachlässigkeit, nicht daran gedacht zu haben, dass Jagang, wenn er gegen dessen Mannschaft spielte, um in Kahlans Nähe zu gelangen, ebenfalls zugegen sein und ihn wiedererkennen würde. In seiner Aufregung über die Vorstellung, sie endlich wiederzusehen, hatte er diese Möglichkeit nicht einmal in Betracht gezogen.

Dann bemerkte er noch jemanden - eine Schwester.

Dem Aussehen nach konnte es Schwester Ulicia sein, aber wenn es sich so verhielt, dann war sie seit ihrer letzten Begegnung schwer gealtert. Sie war etwas weiter entfernt, am hinteren Ende der Gruppe von Gardisten, die Jagang folgten, trotzdem konnte er ihre abgespannten Gesichtszüge erkennen. Bei ihrer letzten Begegnung war sie noch eine attraktive Frau gewesen, wenngleich er das Äußere einer Person nur schwer von ihrer Persönlichkeit zu trennen vermochte, und Schwester Ulicia war eine üble Person. Ein korrupter Charakter beeinflusste seine Bewertung eines Menschen so sehr, dass er dessen äußerliche Attraktivität nicht mehr von seinem üblen Wesen zu trennen vermochte.

Nicht zuletzt aus diesem Grund erschien Kahlan ihm so wunderschön – nicht nur wegen ihrer betörenden Attraktivität, sondern weil sie in jeder Hinsicht vorbildhaft war. Klugheit und Einsicht waren bei ihr ebenso ausgeprägt wie ihre leidenschaftliche Lebenslust. Ihr einnehmendes Äußeres schien das perfekte Spiegelbild all ihrer anderen Charakterzüge. Schwester Ulicia hingegen schien ihrer einstigen körperlichen Attraktivität zum Trotz nur noch ein Abbild ihres verdorbenen Innenlebens zu sein.

In diesem Moment dämmerte Richard, dass nicht nur sie und Jagang ihn wiedererkennen würden, sondern dass sich auch noch andere Schwestern im Feldlager befinden mussten, die ihn kannten.

Schlagartig fühlte er sich überaus verwundbar. Jederzeit konnte ihm eine von ihnen zufällig über den Weg laufen, ohne dass er eine Möglichkeit hätte, sich zu verstecken.

Eine Vision der Hexe Shota blitzte vor seinem inneren Auge auf, und ihm wurde speiübel. Es war die Vision einer Hinrichtung, und es hatte, genau wie jetzt, geregnet. Kahlan war ebenfalls dabei gewesen. Unter Tränen hatte sie voller Entsetzen mit ansehen müssen, wie man ihn zwang, mit auf den Rücken gebundenen Händen im Morast niederzuknien. Dann war von hinten ein hünenhafter Rohling gekommen, hatte mit den Worten, er werde Kahlan für sich selbst beanspruchen, ein langes Messer gezückt und ihm mit einem mächtigen Ruck die Kehle durchgeschnitten. Richard ertappte sich dabei, wie er sich an den Hals fasste, so als wollte er seine Hand schützend über die klaffende Wunde dort legen. Er schnaufte vor Panik.

Eine heiße Woge von Übelkeit stieg in ihm hoch. Würde Shotas Vision in diesem Moment in Erfüllung gehen? War es das, wovor sie ihn gewarnt hatte? War dies der Tag, an dem er sterben würde?

Es ging alles viel zu schnell. Er war nicht vorbereitet. Wie hätte er das auch anstellen sollen?

»Rüben! Hierher!«, brüllte Kommandant Karg.

Richard hatte Mühe, seine Empfindungen in den Griff zu bekommen. Er atmete einmal tief durch und versuchte sich zu beruhigen, während er sich in Bewegung setzte. Weigerte er sich, würde die Situation nur noch schneller unangenehm werden.

Nicht weit entfernt war eine Personengruppe vor der nächsten Mannschaft in der Reihe stehen geblieben. Wegen des rauschenden Regens konnte Richard nur das Gemurmel ihrer Stimmen hören. Sein Verstand raste, während er fieberhaft überlegte, wie er verhindern konnte, dass Jagang ihn wiedererkannte. Sich hinter den anderen zu verstecken? Kam nicht in Frage. Er war die Angriffsspitze, der Spieler, den Jagang würde kennenlernen wollen.

Und dann erhaschte er einen Blick auf Kahlan.

Er bewegte sich wie im Traum. Die ganze Gruppe rings um sie und den Kaiser machte Anstalten, sich ihm und seiner Mannschaft zuzuwenden. Er wusste, er musste nach oben zu den anderen Männern, und so schickte er sich an, über die an Johnrocks Halsring befestigte Kette hinwegzusteigen. In diesem Moment hatte er eine Eingebung. Er lief ein, zwei schnelle Schritte, verhakte sich absichtlich mit dem Fuß in der Kette und landete mit dem Gesicht voran im Morast.

Kommandant Karg schoss die Zornesröte ins Gesicht. »Rüben - du ungeschickter Tölpel! Auf die Beine mit dir!«

Richard rappelte sich im selben Moment auf, als Jagangs Leibgarde sich für den Kaiser zu teilen begann. Aufrecht stellte er sich neben Johnrock und wischte sich den Schlamm aus den Augen.

Er blinzelte, um etwas erkennen zu können, und in diesem Moment fiel sein Blick auf Kahlan. Sie ging unmittelbar hinter Jagang, das Gesicht teilweise verdeckt von der Kapuze ihres Umhangs, die sie als Schutz gegen den Regen hochgeschlagen hatte. Jede Bewegung ihres Körpers war ihm vertraut. Niemand sonst bewegte sich wie sie.

Als ihre Blicke sich begegneten, war ihm, als würde sein Herz aussetzen. Er musste an ihre erste Begegnung denken, als sie in ihrem weißen Kleid so nobel ausgesehen hatte. Ohne ein einziges Wort hatte sie ihm direkt in die Augen gesehen - mit einem Blick, der zugleich fragend und auf der Hut war, und der ihm sofort und unmissverständlich ihre Intelligenz bewiesen hatte. Nie zuvor hatte er eine so ... kühne Erscheinung gesehen. Wahrscheinlich hatte er sich gleich in diesem ersten Augenblick in sie verliebt, mit dem ersten Blick in ihre wunderschönen grünen Augen. Damals war er sicher gewesen, mit diesem ersten Blick bis auf den Grund ihrer Seele geschaut zu haben.

Dies alles war auch jetzt vorhanden, vermischt mit einem Anflug sorgenvoller Verwirrtheit. Seine Art, sie anzustarren, ihr mit dem Blick zu folgen, musste ihr verraten, dass er sie sehen konnte, doch als Opfer des Feuerkettenbanns konnte sie keine Erinnerung daran haben, wer er war, oder auch nur, wer sie selbst war. Niemand außer Richard und den Schwestern, die sie gefangen genommen und den Feuerkettenbann ausgelöst hatten, erinnerte sich an sie. Auf Jagang hatte der Bann offenbar keine Wirkung, was vermutlich mit seiner Verbindung zu den Schwestern zusammenhing. Für alle anderen hingegen war Kahlan praktisch unsichtbar.

Sie hatte jedoch bemerkt, dass er sie sehen konnte, was in der durch den Bann erzeugten Abgeschiedenheit ungeheuer wichtig und bedeutsam für sie sein musste. Ihr Gesichtsausdruck schien das zu bestätigen. Ehe Jagang auch nur annähernd nahe genug war, um die Mannschaft in Augenschein zu nehmen, kam ein Mann rufend auf die Gruppe zugerannt. Die Art und Weise des Kaisers, ihn zu sich zu winken, ließ darauf schließen, dass er bestens bekannt war. Die Gardisten teilten sich, als er sich einen Weg durch den inneren Schutzring bahnte. Wegen seiner bescheidenen, nur aus einigen Messern bestehenden Bewaffnung nahm Richard an, dass es sich um einen Boten handelte. Er war außer Atem, schien aber in großer Eile.

Als er sich bis zum Kaiser vorgearbeitet hatte, beugte er sich vor und redete mit aufgeregter, aber leiser Stimme auf ihn ein. Dann wies er über das Lager hinweg zu der Stelle, wo die Rampe errichtet wurde. Kahlan löste ihren Blick von Richard und sah zu dem auf Jagang einredenden Mann hinüber.

Richard musterte einen Trupp anderer, näher stehender Wachen, die sie umringten. Das waren keine Angehörigen der kaiserlichen Leibgarde, vielmehr schienen sie sehr darauf bedacht, diesen eindrucksvollen Männern nicht in die Quere zu kommen. Ihre Waffen waren minderwertig, sie trugen weder Kettenhemden noch Rüstung, und ihre Kleider schienen aus einem Sammelsurium gefundener, irgendwie an die übrige Armee erinnernder Fetzen zu bestehen. Trotz ihrer Größe, ihrer Jugend und Kraft, konnten sie sich nicht mit der kaiserlichen Garde messen. Eher erinnerten sie an gewöhnliche Schläger. In diesem Moment dämmerte es ihm, dass dies nur Kahlans Bewacher sein konnten.

Anders als die Leibwächter Jagangs, die ihrer Gegenwart keinerlei Beachtung zu schenken schienen, schauten diese oft zu Kahlan hin und behielten jede ihrer Bewegungen im Blick, was nur eins bedeuten konnte:

Diese Männer konnten sie sehen. Irgendwie war es Jagang gelungen, Männer aufzutreiben, die von dem Bann nicht betroffen waren. Zunächst verwirrt, wie so etwas möglich sein sollte, erkannte er schließlich, dass es durchaus einen Sinn ergab. Wie die Welt der Magie im Ganzen, war der Feuerkettenbann durch die Chimären verunreinigt worden. Dadurch hatte die Magie ihre Funktionsfähigkeit eingebüßt, denn der Zweck der Chimären bestand eben darin, sie zu vernichten. Aufgrund des Makels, den ihre Anwesenheit in der Welt hinterlassen hatte, war der Feuerkettenbann seinem Wesen nach selbst fehlerhaft. Richard hatte diesen Fehler in seiner Struktur bemerkt, als Zedd und Nicci das Prüfnetz ausführten.

Wegen dieser Verunreinigung funktionierte er nicht in der beabsichtigten Weise, was wiederum erklärte, warum einige Menschen von seinen Auswirkungen verschont blieben.

Als diese Sonderbewacher, durch den so eindringlich auf Jagang einredendenden Mann abgelenkt, sich umdrehten, um besser sehen zu können, was sich um den Kaiser tat, folgte Kahlan ihrer Bewegung ein kleines Stück mit dem Körper. Ihre Bewegung wirkte vollkommen natürlich, doch Richard wusste, dass dem keineswegs so war. Im Herumwenden zupfte Kahlan ihre Kapuze gegen den Regen zurecht und streifte, als sie ihre Hand wieder sinken ließ, einen ihrer Bewacher. Sofort bemerkte Richard die leere Messerhülle an seinem Gürtel. Als Kahlan ihre Hand wieder unter dem Umhang verschwinden ließ, sah er, wie sich das Licht kurz in der Klinge spiegelte. Am liebsten hätte er lauthals lachend frohlockt, wagte jedoch nicht, auch nur einen Muskel zu rühren. Kahlan ertappte ihn dabei, wie er sie anstarrte, und merkte, dass er ihre heimliche Aktion mitbekommen haben musste. Das Gesicht im Schutz ihrer Kapuze vor ihren Bewachern verborgen, betrachtete sie ihn einen Moment lang, um zu sehen, ob er sie verraten würde. Als er sich nicht rührte, wandte sie sich zusammen mit den Bewachern herum und schaute zu, was sich zwischen dem Boten und dem Kaiser abspielte. Unvermittelt machte Jagang kehrt und stapfte denselben Weg zurück, den er gekommen war, den Boten dicht auf den Fersen. Kahlan schaute kurz über ihre Schulter, um einen letzten Blick auf Richard zu erhaschen, ehe sich die Wachen um den Kaiser und seine Gefangene schlossen. Als sich die Kapuze ihres Umhangs dabei ein winziges Stück verschob, konnte Richard den dunklen Bluterguss auf ihrer linken Wange sehen. Regungslos und stumm ließ er den Sturm der Erbitterung über sich ergehen, ein Zorn, der dem des Schwertes der Wahrheit gleichkam, jenes Schwertes, das er preisgegeben hatte, um Kahlan zu finden. Kahlan, der Kaiser und sämtliche Gardisten verschwanden wieder im schmutzigen Gewimmel des Feldlagers. Es war, als schlösse sich ein Nebelvorhang hinter ihnen.

Vor bitterer Enttäuschung zitterte Richard so sehr, dass nicht einmal der kalte Regen seinen unterdrückten Zorn abzukühlen vermochte. Noch während sein Verstand sämtliche Handlungsmöglichkeiten durchging, dämmerte ihm, dass er nicht das Geringste tun konnte. Zumindest nicht jetzt.

Gleichzeitig verzehrte er sich vor Sehnsucht nach Kahlan, zog ihm die Behandlung, die ihr seitens eines solchen Mannes drohte, die Eingeweide zusammen. Die Knie wurden ihm weich vor Angst um sie. Er musste seine ganze Entschlossenheit aufbieten, um nicht weinend zusammenzubrechen.

Wenn er diesen Jagang nur in die Finger bekäme. Wenn nur ... Kommandant Karg kam und baute sich unmittelbar vor ihm auf. »Glück gehabt«, knurrte er. »Offenbar hatte der Kaiser Wichtigeres zu tun, als meine Mannschaft und ihre tölpelhafte Angriffsspitze zu begutachten.«

»Ich brauche Farbe«, sagte Richard.

Kommandant Karg blinzelte erstaunt. »Was?«

»Farbe. Ich benötige etwas Farbe.«

»Du erwartest, dass ich dir Farbe besorge?«

»Ja. Ich sagte doch, ich brauche sie.«

»Wofür?«

Er wies mit dem Finger fuchtelnd auf Kargs Gesicht und konnte nur mit größter Mühe den Drang unterdrücken, ihm ein Stück Kette um den Hals zu wickeln und ihn zu erwürgen. »Warum tragt Ihr diese Tätowierungen?«

Einen Moment lang zögerte der Kommandant verwirrt und dachte über die Frage nach, als enthalte sie jede Menge Fallstricke.

»Damit ich in den Augen des Feindes grimmiger aussehe«, antwortete er schließlich. »Dieses Aussehen verleiht mir Macht. Erblickt der Feind unsere Männer, sieht er unbarmherzige Kämpfer vor sich. Es erfüllt ihn mit Grauen. Und wenn er dann aus Angst einen Moment zögert, triumphieren wir.«

»Genau aus dem gleichen Grund benötige ich die Farbe«, erklärte Richard. »Ich möchte die Gesichter unserer Mannschaft bemalen, um unsere Gegner mit Grauen zu erfüllen. Es wird uns helfen, sie zu besiegen, und unserer Mannschaft zum Sieg verhelfen.«

Einen Moment lang blickte Kommandant Karg ihm prüfend in die Augen, so als versuchte er abzuschätzen, ob es ihm ernst war oder er etwas im Schilde führte.

»Ich hab eine bessere Idee«, sagte er. »Ich werde Tätowierer kommen und meine ganze Mannschaft tätowieren lassen.« Er tippte mit dem Finger auf die Schuppen seitlich in seinem Gesicht. »Ich werde euch allen Schuppen ins Gesicht tätowieren lassen, damit man sieht, dass ihr zu mir gehört. Jeder wird sofort wissen, dass ihr zu meiner Mannschaft gehört.«

Offenbar hatte der Kommandant Gefallen an seinem Einfall gefunden. Er bedachte Richard mit einem grimmigen Lächeln. »Außerdem werde ich euch stechen lassen. Ihr werdet alle Tätowierungen und Metallstifte im Gesicht haben, damit ihr ausseht wie unmenschliche Tiere.«

Richard wartete, bis er ausgeredet hatte, dann schüttelte er den Kopf.

»Nein, das genügt nicht. Es ist nicht gut genug.«

Kommandant Karg stemmte die Hände in die Hüften. »Was soll das heißen, nicht gut genug?«

»Na ja, diese Art Tätowierungen sind aus größerer Entfernung kaum zu erkennen. Ich bin sicher, dass sie in der Schlacht durchaus ihre Wirkung tun, wenn man dem Gegner Auge in Auge gegenübersteht, aber beim Ja’La verhält es sich anders. Tätowierungen wie diese würden zu leicht übersehen.«

»Auf dem Ja’La-Spielfeld kommt man sich oft genauso nahe wie in einer Schlacht«, widersprach Kommandant Karg.

»Mag sein«, räumte Richard ein, »aber ich möchte, dass wir uns nicht nur von unserem jeweiligen Gegner auf dem Spielfeld abheben, sondern auch von den anderen Mannschaften, die der Partie zuschauen - und zwar für jeden, der uns zusieht. Ich will, dass jeder, der unsere bemalten Gesichter sieht, uns auf der Stelle erkennt. Unser Anblick soll Angst in die Gehirne der anderen Mannschaften einpflanzen, damit sie sich an uns erinnern und ins Grübeln kommen.«

Der Kommandant verschränkte seine muskulösen Arme. »Und ich will, dass ihr euch tätowieren lasst, damit man euch als meine Mannschaft erkennt, als Mannschaft von Kommandant Karg.«

»Und wenn wir verlieren? Womöglich auf demütigende Weise?«

Mit einem wütenden Funkeln beugte sich der Kommandant zu ihm hin.

»Dann wirst du im günstigsten Fall ausgepeitscht, und im ungünstigsten bist du für mich nicht mehr von Nutzen. Ich denke, mittlerweile weißt du, was Gefangenen blüht, für die niemand mehr Verwendung hat.«

»In diesem Falle wird sich jeder daran erinnern, dass die Mannschaft, die Ihr wegen ihrer Unterlegenheit habt hinrichten lassen, ausgesehen hat wie Ihr selbst. Im Falle unseres Versagens wird sich jeder an Euer Schlangenmuster auf unseren Gesichtern erinnern, was uns mit Euch, aber auch Euch mit uns in Verbindung bringt. Die Tätowierung würde Euch brandmarken, und man würde Euch, jedes Mal, wenn man Euer tätowiertes Gesicht sähe, auslachen.

Farbe dagegen ließe sich im Falle einer Niederlage einfach vor dem Auspeitschen abwaschen.«

Nach und nach dämmerte ihm, was Richard meinte. Er wurde merklich ruhiger und kratzte sich am Kinn.

»Ich werde sehen, ob ich welche auftreiben kann.«

»Nehmt rote.«

»Rote? Warum das?«

»Rot hebt sich ab. Es bleibt im Gedächtnis haften, außerdem erinnert es an Blut. Ich möchte, dass man sich, wenn man uns sieht, sofort fragt, warum wir den Anschein erwecken wollen, wir wären mit Blut bemalt. Ich will, dass sich die anderen Mannschaften darüber in der Nacht vor dem Spiel den Kopf zerbrechen, ich will, dass ihnen der Schweiß ausbricht, der Gedanke ihnen den Schlaf raubt. Wenn sie schließlich gegen uns antreten, werden sie müde sein, und dann werden wir sie bluten lassen.«

Langsam zeigte sich ein Lächeln in Kommandant Kargs Gesicht. »Weißt du was, Rüben, wärst du in diesem Krieg auf der richtigen Seite geboren, so wie ich, ich wette, wir wären gute Freunde geworden.«

Richard bezweifelte, ob Karg den Begriff Freundschaft wirklich verstand, oder ob er überhaupt imstande war, ein solches Gut zu würdigen.

»Ich brauche eine ausreichende Menge Farbe für alle Spieler.«

Kommandant Karg nickte und machte Anstalten sich zu entfernen. »Die wirst du bekommen.«

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