Kahlan konnte sich über Julians Äußerung nur wundern. Zwar wusste sie jetzt, dass er imstande war, einen Krieg vom Zaun zu brechen, aber dass er in die Unterwelt hinabsteigen und zurückkehren konnte, mochte sie nun wirklich nicht glauben. Angesichts des gefährlichen, rings um sie her tobenden Tumults war ihr jedoch klar, dass dies weder der rechte Ort noch der Zeitpunkt war, darüber zu diskutieren.
Sie ließ den Blick auf der Suche nach einem Fluchtweg über den völlig außer Kontrolle geratenen Gewaltexzess schweifen. Wenn Jagang starb oder auch nur das Bewusstsein verlor, ließe sich die Gelegenheit vielleicht nutzen, um Jillian und Nicci von hier fortzuschaffen. Sie überlegte, inwieweit es wohl eine Rolle spielte, ob der Traumwandler Jagang bei Bewusstsein war oder nicht. Möglicherweise konnte er sie selbst noch in bewusstlosem Zustand über den Halsring kontrollieren. Doch selbst wenn nicht, bliebe noch immer das Problem der gewaltigen, sie von allen Seiten umschließenden Armee. Kahlan mochte für praktisch alle ringsumher unsichtbar sein, aber auf Nicci und Jillian traf das nicht zu. Eine Frau von Niccis Äußerem und ein verlockendes Opfer wie Jillian durch diese Massen zu manövrieren, würde sicher kein leichtes Unterfangen sein. Doch offenbar setzte Nicci große Hoffnung auf Richard.
»Glaubt Ihr wirklich, dass er uns hier herausbringen kann?«
Nicci nickte. »Mit meiner Hilfe, ja. Ich glaube, ich weiß auch schon wie.«
Kahlan hielt sie nicht für die Sorte Frau, die ihre ganze Zuversicht auf Hoffen und Gebete gründete. Während ihrer grauenhaften Gefangenschaft bei Jagang hatte sie nie versucht, sich etwas vorzumachen, sich nie an falsche Hoffnungen geklammert. Wenn sie behauptete, einen Weg zu wissen, war Kahlan geneigt zu glauben, dass etwas daran war. Weiter vorn erspähte sie durch eine Lücke im Gemenge plötzlich Richard, der soeben zu einem Schwertstoß ansetzte, um einen Mann zu durchbohren, ehe dieser seinen Hieb vollenden konnte. Über und über bemalt mit blutigroten Symbolen, riss Richard sein Schwert aus dem Leib des Mannes wieder heraus und nutzte diesen Schwung, um einem hinterrücks angreifenden Soldaten den Knauf ins Gesicht zu rammen.
»Es ist vielleicht unsere einzige Chance«, sagte Kahlan. Nicci streckte den Rücken und vergewisserte sich, wie Richard vorankam, ehe sie sich wieder dem hektischen Durcheinander rings um den Kaiser zuwandte. »Eine bessere werden wir wohl kaum bekommen. Jetzt oder nie. Aber mit den Ringen um den Hals ...«
»Solange Jagang abgelenkt ist, wird er sie vielleicht nicht benutzen, um uns aufzuhalten.«
Nicci warf ihr einen Blick zu, der deutlich machen sollte, für wie töricht sie diese Bemerkung hielt. »Jetzt hört mir mal zu«, sagte sie. »Sollte irgendetwas schiefgehen, werde ich alles in meinen Kräften Stehende dafür tun, dass Ihr, Jillian und Richard eine Gelegenheit zur Flucht bekommt.« Warnend hob sie einen Finger. »Und wenn es so weit ist, werdet Ihr sie ergreifen - habt Ihr verstanden? Kommt nur nicht auf die Idee, sie ungenutzt zu lassen. Habt Ihr das begriffen?«
Dass Nicci mit dem Gedanken spielte, ihr Leben zu opfern, um ihnen eine Fluchtchance zu ermöglichen, behagte Kahlan ganz und gar nicht. Außerdem irritierte es sie, dass Nicci ihr, Kahlans, Überleben offenbar für wichtiger hielt als ihr eigenes.
»Wenn Ihr mir versprecht, nicht einmal darüber nachzudenken, solange es noch eine andere Möglichkeit gibt. Viel lieber würde ich einen Weg finden, uns alle hier herauszubringen.«
»Ich habe nur das eine Leben. Und das würde ich gern behalten, falls das Eure Frage beantwortet.«
Das entlockte Kahlan ein Lächeln. Sie legte Jillian eine Hand auf die Schulter. »Bleib ganz dicht bei uns, aber sieh zu, dass du nicht im Weg bist, wenn ich mein Messer benutzen muss. Und zögere nicht, deins zu benutzen.«
Jillian nickte, als Kahlan sie auf das Ja’La-Feld schob, in die Richtung, in der sie Richard zuletzt gesehen hatte. Nicci blieb dicht hinter ihr. Kahlan war kaum ein Dutzend Schritte weit gekommen, als Kommandant Karg hinter ihnen durch eine Wand aus Kombattanten brach. Sein mächtiges Streitross bekundete sein Missfallen über die vielen ihm im Weg stehenden Soldaten mit einem lauten Schnauben.
Der Kommandant, der einen vielköpfigen Trupp aus kaiserlichen Gardisten anführte, blickte um sich, um sich einen Überblick über die Lage zu verschaffen. Wie die zum Schutz Jagangs abgestellten Männer, waren auch diese kampferprobte Elitetruppen. Sie waren ausnahmslos hochgewachsen, von kräftiger Statur und bis an die Zähne bewaffnet – und es schienen Tausende zu sein. Die Brutalität, mit der sie zu Werke gingen, war außergewöhnlich. Sie brachen auf einer Woge aus Blut durch die kämpfenden Soldaten.
Dann sah Kahlan plötzlich nicht allzu weit jenseits der kaiserlichen Gardetruppen Stichflammen gen Himmel schießen, deren greller, roter Widerschein die vor Anstrengung verzerrten Gesichter der um ihr Leben kämpfenden Männer beleuchtete. Gegen wen sie kämpften, schien jede Bedeutung verloren zu haben. Diese Soldaten schienen völlig außer sich – in einer außer sich geratenen Welt. Jeder kämpfte gegen jeden, mit Ausnahme der kaiserlichen Gardetruppen, die eine sehr klare Vorstellung davon besaßen, gegen wen sie vorzugehen hatten - nämlich gegen alle anderen.
»Da kommen Schwestern«, rief Nicci, als sie Flammen und Rauch in den nachtschwarzen Himmel steigen sah. »Uns bleibt nicht mehr viel Zeit, dann ist es zu spät. Versucht, Euch nicht blicken zu lassen und den Gardetruppen aus dem Weg zu gehen.«
Kahlan nickte und bahnte sich mit Jillian einen Weg fort von der Hauptstreitmacht, die sich zu ihnen durchzuschlagen versuchte. Offenbar hatte Nicci einen Plan. Richard würde nach ihnen suchen, weshalb sich Kahlan nicht zu weit von der Stelle entfernen wollte, wo er sie zuletzt gesehen hatte.
Sie plante, den Hauptzusammenstoß zwischen den regulären Truppen und der kaiserlichen Garde zu umgehen und sich dabei jener Stelle zu nähern, wo sie Richard zuletzt gesehen hatte - und hoffte darauf, sich durch ihre Seitwärtsbewegung nicht allzu weit von Richards Stoßrichtung zu entfernen. Vor allem aber wollte sie sich von dem neu entstandenen Zusammenprall fernhalten. Diese Elitegardisten waren ein ganz anderer Gegner als die einfachen Soldaten.
Inmitten seines Kontingents aus Originalelitegardisten sprang Kommandant Karg von seinem Streitross. »Wo ist Kaiser Jagang?«, brüllte er in Richtung der Mauer aus den verwundeten Kaiser beschützenden Gardesoldaten.
»Er ist von einem Pfeil getroffen worden«, gab einer der Offiziere zurück, während er seinen Leuten signalisierte, dem Kommandanten einen Pfad freizuräumen.
In diesem Augenblick sah Kahlan den noch immer auf seinen Knien liegenden Jagang, gestützt von zwei kräftigen Gardisten, die zu beiden Seiten neben ihm kauerten. Er war blass, aber bei Bewusstsein. Das Atmen bereitete ihm sichtlich Mühe, und er hustete gelegentlich, was auf seinem Kinn und seiner Brust kleine dunkle Blutflecken hinterließ. Mit einer Hand hielt er den Pfeil umklammert, der aus seiner rechten Brustseite ragte.
»Ein Pfeil!«, ereiferte sich Karg. »Wie im Namen der Schöpfung konnte das passieren?«
Der Offizier packte Karg bei seinem Kettenhemd und riss ihn zu sich heran. »Euer eigener Mann hat auf ihn geschossen!«
Ein zorniges Funkeln in den Augen, bog er das Kinn des Offiziers mit seiner Messerspitze nach oben. »Nehmt Eure Finger weg.«
Der Mann ließ den Kommandanten los, nicht ohne ihn jetzt ebenfalls anzufunkeln.
»Uberhaupt, was soll das heißen, mein eigener Mann?«, wollte Karg wissen.
»Eure Angriffsspitze. Er hat den Kaiser mit einem Pfeil getroffen.«
Kargs Miene verfinsterte sich. »Wenn das stimmt, bringe ich ihn eigenhändig um.«
»Vorausgesetzt, wir erwischen ihn nicht zuerst.«
»Ausgezeichnet. Ich bitte darum. Es ist mir eigentlich egal, wer ihn beseitigt - Hauptsache, er ist tot. Der Mann ist eine Gefahr. Ich will nicht, dass er hier frei herumläuft und noch mehr Unheil anrichtet. Bringt mir einfach seinen Kopf zum Beweis, dass es erledigt ist.«
»Betrachtet es als erledigt.«
Karg überging die Prahlerei des Offiziers und ging daran, weitere Gardisten aus dem Weg zu drängen. »Stellt den Kaiser auf die Beine!«, brüllte er den Ring aus Bewachern um Jagang an. »Wir schaffen ihn zurück in den Kommandobereich. Hier können wir nichts für ihn tun.«
Niemand widersprach. Gardisten halfen Jagang auf die Beine. Zwei von ihnen, je einer rechts und links, nahmen seine Arme über die Schultern, um ihn zu stützen.
»Karg.« Jagangs Stimme klang sehr matt.
Der Kommandant trat näher. »Ja, Exzellenz?«
Ein Grinsen ging über Jagangs Gesicht. »Bin erfreut, Euch zu sehen. Schätze, Ihr habt sie Euch für eine Weile verdient.«
Der Kommandant wechselte ein kurzes, verschlagenes Lächeln mit dem Kaiser, drehte dann ab und brüllte die Gardisten an. »Gehen wir.«
Jillian klammerte sich auf der einen Seite fest an Kahlan, auf der anderen an Nicci, während sie sich immer weiter zur Seite hin entfernten und dabei unbemerkt zu bleiben versuchten.
Die Jagang stützenden Gardisten begannen, ihn aus dem Gewühl fortzuschaffen, wobei die von Karg mitgebrachten Männer sich hackend und schlagend einen Weg zurück durch das Schlachtgetümmel bahnten. Die Vorstellung, noch einmal in Jagangs Zelt zurückzukehren, erfüllte Kahlan mit Schrecken. Ein Auge auf die Gardisten haltend, blickte sie suchend über ihre Schulter, konnte Richard aber nirgendwo entdecken. Während rings um das Dreiergrüppchen aufgebrachte, betrunkene Soldaten kämpften, beobachtete Kahlan, wie die Leibgarde des Kaisers mit der Bildung einer Keilformation begann, um einen Weg frei zu räumen, der sie vom Ja’La-Feld zum Kommandobereich des Kaisers führen würde.
Längst waren in dem Getümmel nahezu sämtliche Fackeln erloschen. Zwar hatten die Gardisten selber welche mitgebracht, doch die befanden sich nicht in der Nähe, und wegen des wolkenverhangenen Himmels herrschte eine solche Dunkelheit, dass Kahlan nicht einmal mehr das Spielfeld ausmachen konnte. Selbst die sich über der Azrith-Ebene erhebende Hochebene schien von der Dunkelheit wie verschluckt, so dass sie sich anhand der fernen, vom Fackelschein erleuchteten Rampe orientieren musste.
Dann ließ ein gewaltiger, dumpfer Schlag den Boden erzittern, und Flammen schlugen gen Himmel, als die Schwestern, offenbar unter Zuhilfenahme ihrer Kraft, sich einen Weg durch die riesige Armee zu bahnen versuchten, um Jagang zu Hilfe zu eilen. Hunderttausende hatten der Ja’La-Partie beigewohnt, und nichts deutete darauf hin, dass sie sich auf dem Rückzug befanden. Nun galt es für die den Kaiser beschützenden Gardisten, diesem Mob zu entkommen.
Auch Kahlan, Jillian und Nicci mussten sich einen Weg durch diese Menschenmassen bahnen, allerdings ohne die Hilfe Tausender schwer bewaffneter Elitesoldaten. Stattdessen verließen sie sich darauf, so wenig Aufsehen wie möglich zu erregen. Den Kopf zwischen die Schultern gezogen, um harmlos auszusehen, vermieden sie jeglichen direkten Blickkontakt und schlichen mit hochgeschlagenen Kapuzen und gesenkten Hauptes durch die Nester relativer Ruhe inmitten dieses Chaos. Trotzdem war es ihnen noch immer nicht gelungen, den Bereich des Handgemenges zwischen den Gardisten und den gewöhnlichen Soldaten zu verlassen. Irgendwie mussten sie es schaffen, durch die Reihen der Leibwache zu gelangen, und anschließend durch die dahinter stehenden regulären Truppen.
Völlig unvermittelt tauchte Kommandant Karg, ein boshaftes Feixen im Gesicht, aus dem Dunkel auf und packte Niccis Oberarm. »Da steckst du!« Er schlug ihre Kapuze zurück, um sie besser betrachten zu können.
»Du kommst mit mir.« Er machte einem seiner Männer ein Zeichen.
»Nehmt das Mädchen ebenfalls mit. Wenn wir uns schon vergnügen, dann richtig, mit ein bisschen jungem Blut für meine Männer.«
Jillian kreischte, als der Mann sie Kahlan aus den Armen riss und sie hinter sich herschleifte, während er Kommandant Karg und Nicci folgte. Als Jillian ihn mit dem Messer zu stechen versuchte, wand er ihr die Klinge aus der Hand. Wäre Kahlan für diese Männer nicht unsichtbar gewesen, hätten sie sie ebenfalls gegriffen.
Kahlan war hinter den Soldaten getreten der Jillian festhielt, und wollte gerade ihr Messer heben, als eine kräftige Hand sie am Handgelenk festhielt. Sie gehörte dem sechsten ihrer Sonderbewacher, dem Mann, den sie aus den Augen verloren hatte und der jetzt bedrohlich hinter ihr aufragte. Sie erkannte ihn sofort. Er gehörte zu den Klügeren und war nicht ganz so arglos wie die anderen. Außerdem besaß er noch immer alle seine Waffen.
Während Nicci und die kreischende Jillian immer weiter von Kahlan fortgeschleift wurden, drehte ihr der Mann den Arm auf den Rücken, bis jedes Gefühl aus ihren Fingern wich. Sie schrie vor Schmerzen. Mit grimmiger Miene, die nicht die geringste Anteilnahme an ihren Qualen verriet, entwand er ihr das Messer. Sie trat ihm gegen das Schienenbein, um ihn so zum Loslassen zu bewegen, doch er ließ nicht etwa locker, sondern verdrehte ihren Arm noch mehr, bis die Schmerzen ihr jegliche Gegenwehr unmöglich machten. Dann drängte er sie in die Richtung, in die auch der Kaiser geführt wurde.
Nicci sah sich immer wieder nach Kahlan um, während Kommandant Karg sie durch das Gewirr aus Männern zerrte, doch im Ge-woge der Leiber konnte Kahlan nur gelegentlich ihr blondes Haar aufscheinen sehen.
Die Hand, die sie hielt, löste sich von ihrem Handgelenk, packte sie stattdessen am Oberarm und zerrte sie völlig unvermittelt zurück in das Gewühl aus miteinander kämpfenden Soldaten, zurück ins Dunkel. Kahlan wandte sich herum, bereit, sich gegen die offenkundige Absicht des Soldaten zur Wehr zu setzen.
Statt seiner stand dort Richard.
Die Welt schien plötzlich stillzustehen.
Mit seinen grauen Augen blickte er auf den Grund ihrer Seele. Aus dieser Nähe waren die seltsamen blutroten Zeichnungen, mit denen sein Gesicht bemalt war, furchterregend, sein lächelndes Gesicht jedoch ließ den sanftmütigsten, freundlichsten Mann vermuten, den man sich nur denken konnte.
Er schien sie nur anlächeln zu können, als er in ihre Augen starrte. Es dauerte einen Moment, bis Kahlan sich wieder erinnerte, wie man atmete.
Schließlich senkte sie den Blick und sah ihren Sonderbewacher, der sie am Handgelenk gehalten hatte. Er lag am Boden, den Kopf in unnatürlichem Winkel verdreht, und schien nicht mehr zu atmen. Wegen der überall umherliegenden Körper erregte einer mehr keinen Verdacht. Schließlich war er, wie all die anderen, die hier gegeneinander kämpften, nur ein ganz gewöhnlicher Soldat.
Mit der Ausnahme, dass er sie hatte sehen können!
Kahlans Gedanken stürmten wieder auf sie ein. Die Vorstellung, dass dieser andere Kerl Nicci und Jillian in seiner Gewalt hatte, er zeugte bei ihr ein Gefühl von Schwindel und Übelkeit. Sie machte eine fahrige Handbewegung.
»Wir müssen Nicci und Jillian helfen. Kommandant Karg hat sie in seiner Gewalt.«
Richard zögerte keinen Moment und richtete seine grauen Augen auf die Stelle, wo Nicci soeben verschwunden war. »Beeil dich. Bleib dicht bei mir.«
Ein Dutzend Schritte, und sie waren zurück im Gewühl der Schlacht, diesmal waren es jedoch keine regulären Truppen, mit denen sich Richard auseinandersetzen musste, sondern die kaiserliche Garde. Ihm schien es nichts auszumachen. Er bewegte sich durch sie hindurch, streckte, wenn nötig, Männer nieder, um ihr den Weg freizumachen, und wich ihnen, wann immer möglich, aus.
Als jemand mit dem Schwert in seine Richtung stieß, trat Richard einen Schritt zur Seite, trennte ihm den Arm ab und fing das Schwert auf, ehe es zu Boden fiel. Dann warf er es Kahlan zu, die es auffing und es auch sofort gebrauchen musste, um einen Soldaten abzuwehren, der sich auf Richard stürzen wollte.
Es war ein gutes Gefühl, ein Schwert in der Hand zu halten und sich endlich wieder verteidigen zu können. Die beiden schlugen sich weiter den Weg durch die kaiserliche Garde frei.
Dann schaute sich Kommandant Karg um und sah Richard nahen. Er ließ Nicci los und wandte sich kampfbereit herum zu seiner Angriffsspitze. Als die Gardisten in der Nähe sahen, dass ihr Kommandant diese Angelegenheit selbst in die Hand zu nehmen wünschte, wandten sie sich wieder ihren eigenen Problemen zu.
»Tja, Rüben, sieht ganz so aus, als o-«
Richard holte aus und enthauptete Schlangengesicht ohne viel Federlesens. Sein Interesse galt allein dem wirklich Nötigen, er war nicht darauf aus, dem Feind eine Lektion zu erteilen. Er wollte ihn nur vernichten.
Als einer, der die Szene beobachtet hatte, auf ihn losging, zog Nicci ihm mit einer schnellen Körperdrehung das Messer durch die Kehle. Ein Ausdruck vollkommener Überraschung stand ihm ins Gesicht geschrieben, als er, beide Hände auf die klaffende Wunde gepresst, auf ein Knie sackte und schließlich mit dem Gesicht voran zu Boden fiel. Im Nu befanden sie sich inmitten einer tobenden Schlacht. Angesichts der unzähligen kampferprobten Krieger, die sich auf ihn stürzten, legte Richard jegliche Zurückhaltung ab und drängte sich mit äußerster Entschlossenheit mitten zwischen sie.
Die Sorge, es könnten zu viele für ihn sein, bewog Kahlan, ihn nicht damit allein zu lassen, zumal sie jetzt den Vorteil der Unsichtbarkeit genoss. Sie konnte sich zwischen den Richard angreifenden Männern bewegen und ihren eigenen Blutzoll fordern. Gardisten, die gegen Richard zu kämpfen erwarteten, fielen durch ihre scheinbar aus dem Nichts kommende Klinge. Gemeinsam richteten sie ein ziemliches Gemetzel unter den Gardisten an.
Auch Nicci warf sich augenblicklich in den Kampf. Alle drei hatten jetzt nur noch ein einziges Ziel: sich einen Weg aus der Mitte der kaiserlichen Gardisten freizukämpfen.
»Wir müssen zur Rampe hinüber!«, rief sie Richard zu. Sein Schwert aus einem vorüberstürzenden Körper reißend, sah er Nicci stirnrunzelnd an. »Zur Rampe? Seid Ihr sicher?«
»Ja!«
Er verzichtete darauf, zu widersprechen, wechselte die Richtung und kämpfte sich, stets Jillian deckend und darauf bedacht, dass ihr keiner zu nahe kam, durch die schier endlose Menge kräftiger Krieger. In diesem gewaltigen Hauen und Stechen war sich Kahlan bewusst, dass sie sich von ihm fernhalten musste, um ihm den nötigen Bewegungsraum zu lassen. Die meisten Gegner hatten es auf ihn abgesehen, also drängte sie Jillian ein gutes Stück von ihm fort, damit niemand ihm die Kleine entreißen und als Schild gegen ihn benutzen konnte. Kahlan konnte sie besser beschützen als Nicci, der sie obendrein den Rücken freihielt, während sie auf jeden losging, dessen Aufmerksamkeit für einen Moment erlahmte.
Als einer der Krieger hinter ihr das Schwert gegen Jillian erhob, durchbohrte ihn jemand von hinten.
Als der Sterbende zur Seite sank, blickte Kahlan plötzlich in das lächelnde Gesicht eines Mannes mit seltsam goldenen Augen.
»Ich bin gekommen, um Euch zu helfen, hübsche Dame.«
Obwohl es mittlerweile fast vollkommen dunkel war, verströmte sein Schwert ein sanftes Schimmern.
Gekleidet war er wie ein Ordenssoldat, und doch gehörte er nicht zu ihnen. Als Jillian sich, dem Schwertstich eines Kriegers ausweichend, mit dem Rücken gegen Kahlan presste, wirbelte der Mann mit den goldenen Augen herum und traf den Angreifer mit einem Rückhandschlag seitlich am Kopf. Beim Aufprall des schimmernden Schwertes zerplatzte dessen Schädel in einer Gischt aus Knochensplittern und Gehirn.
Kahlan kniff fassungslos die Augen zusammen.
Richard hatte den Vorfall beobachtet und stürzte herbei. Der Fremde, plötzlich sichtlich erzürnt, stieß das schimmernde Schwert in Richards Richtung.
Der tat etwas überaus Seltsames: Er blieb einfach stehen. Kahlan war absolut sicher, dass er diesmal durchbohrt werden würde, doch die Klinge, die eben noch den Kopf eines Mannes zertrümmert hatte, verhielt sich überaus verblüffend: Kurz bevor sie Richard durchstieß, schwenkte sie zur Seite weg, ganz so, als wäre er durch einen unsichtbaren Schild geschützt.
Der Mann stieß erneut zu, jetzt noch wütender, und wieder wich das Schwert zur Seite aus und verfehlte Richard knapp. Die Überraschung im Gesicht des Fremden wich Besorgnis, und unter diese mischte sich ein Unterton von kalter Wut.
»Es gehört mir!«
Kahlan hatte nicht die leiseste Ahnung, wovon der Fremde sprach, doch ehe sie Gelegenheit hatte, sich darüber zu wundern, sah sie Nicci, sich die Kehle haltend, zusammenbrechen.
Dann stürmte eine weitere Abteilung kaiserlicher Gardisten herbei, so zahlreich und schnell, dass Richard herumwirbeln und sich ihnen stellen musste, wenn er nicht getötet werden wollte. Plötzlich war eine neue Schlacht voll entbrannt. Schwerter schwingende Krieger, einen Schlachtruf auf den Lippen, kamen herbeigelaufen. Obwohl Richard mit unbändigem Einsatz kämpfte, war er gezwungen zurückzuweichen. Mit dem Eintreffen der neuen Welle von Kriegern begann sich der Abstand zwischen Richard und Kahlan zu vergrößern.
Als diese Anstalten machte, ihrerseits die Richard bedrängenden Krieger anzugreifen, packte der Fremde sie am Oberarm und zog sie ein Stück zurück. »Wir müssen fort. Er wird mit diesen Kriegern schon zurechtkommen. Er will uns eine Chance zur Flucht verschaffen, die müssen wir ergreifen.«
»Ich werde ihn auf keinen Fall hie-«
Plötzlich sog sie keuchend den Atem ein, als der Schmerz sie mit voller Wucht traf. Das Schwert entglitt ihren Fingern. Ihre beiden Hände gingen zum Hals und zerrten an dem Ring. Wider ihren Willen entfuhr ihr ein lauter Schrei. Der sengende Schmerz war von solcher Schärfe und Heftigkeit, dass der Aufschrei sich unmöglich unterdrücken ließ. Wie Nicci, sank auch sie auf die Knie. Tränen der Qualen strömten ihr aus den Augen.
»Komm schon!«, schrie sie der Fremde an. »Wir müssen fort-beeil dich!«
Kahlan war außerstande, auch nur einen einzigen Finger für ihre Flucht zu rühren. Schon das Atmen verlangte ihr angesichts dieser sie zerreißenden Qualen das Äußerste ab.
Mit tränenverschmiertem Blick konnte sie das Grauen, den Zorn auf Richards Gesicht erkennen, als dieser vergeblich zu ihr durchzukommen versuchte.
Immer mehr Elitegardisten strömten herbei, fest entschlossen, die Angriffsspitze auszuschalten, die ihren Kaiser gedemütigt und diesen Aufstand ausgelöst hatte. Und obwohl jeder seiner Stöße ein Treffer war, und die Männer rings um ihn her in Scharen zu Boden sanken, wurde Richard von der immer weiter anwachsenden Zahl der nachrückenden Gardisten zurückgedrängt.
Kahlan schlug mit dem Gesicht voran auf den harten Boden. Der sengende Schmerz kroch über ihren Rücken in die Beine, bis diese in wilde Zuckungen verfielen. Sie hatte jegliche Kontrolle über ihre Muskulatur verloren.
Der Fremde packte sie am Arm. »Komm schon! Wir müssen fort -jetzt gleich!«
Als sie ihm nicht mehr antworten konnte, begann er sie fortzuzerren.