28

Kahlan, die Hände im Schoß, saß schweigend im Schatten an der Seite des Vorraums in einem Ledersessel, neben sich Julian, die mit übereinandergeschlagenen Beinen auf dem Boden hockte. Ab und zu blickte sie hinüber zu den Schwestern Ulicia und Armina, die mit der ihnen übertragenen Aufgabe befasst waren, die Schlüsselbücher zum Offnen der Kästchen der Ordnung miteinander zu vergleichen. Auf der Suche nach Abweichungen gingen sie jeden einzelnen Band Wort für Wort durch.

Einige der anderen Schwestern in Jagangs Gewalt hatten unten, in den Katakomben des Palasts der Propheten, noch ein drittes Exemplar gefunden, so dass die beiden nun über eine zusätzliche Kopie verfügten, die sie mit den beiden bereits vorhandenen abgleichen konnten - mit einer, die ebenfalls aus dem Palast der Propheten stammte und sich schon seit längerem in Jagangs Besitz befand, sowie einer zweiten aus den Katakomben von Caska, wo er die Schwestern Ulicia, Armina und Cecilia zusammen mit Kahlan gefangen genommen hatte. Alle drei galten angeblich als Das Buch der gezählten Schatten, allerdings war auf den Buchrücken der beiden Letzteren nicht der Schatten,

sondern des Schattens zu lesen. Die Schwestern waren sich uneins, ob dies von Bedeutung sei oder nicht.

Nach allem, was Kahlan sich aus Bruchstücken belauschter Gespräche zusammengereimt hatte, existierte ein Original des Buches der gezählten Schatten, also ein korrektes Exemplar, sowie vier fehlerhafte Abschriften. Derzeit besaß Jagang drei dieser fünf Exemplare. Sie alle in ihren Besitz zu bringen hatte oberste Priorität. Soweit Kahlan es beurteilen konnte, hatten einige Personen dieser Aufgabe ihr Leben gewidmet.

Das Rätsel war noch mysteriöser geworden, als sich herausstellte, dass die in den jüngst entdeckten Katakomben gefundene Ausgabe im Titel auf dem Rücken, so wie es sein sollte, der Schatten stehen hatte. Was bedeutete, dass, wenn man es allein nach den Titeln beurteilte, die beiden Ersteren - wie Kahlan behauptet hatte - fehlerhafte Kopien waren, und die jüngste die korrekte. Bislang ließ sich das alles aber nicht beweisen. Kahlan sorgte sich, wie sie sich verhalten sollte, wenn Jagang von ihr verlangte zu entscheiden, ob der jüngste Fund nun ein korrektes Exemplar war oder nicht.

Angeblich stand in den Büchern selbst, dass man für besagte Verifizierung eine Konfessorin benötigte. Sie hatte aufgeschnappt, dass sie angeblich diese Person sei, nur wusste sie weder, was eine Konfessorin war, noch hatte sie den leisesten Schimmer, woran sie das korrekte Exemplar erkennen sollte. Jagang war das alles egal, er erwartete schlicht, dass sie es tat.

Die Unstimmigkeiten im Titel der ersten beiden Abschriften hatten ihr einen nachvollziehbaren Grund gegeben, sie als fehlerhaft einzustufen, aber im Falle des jüngsten Exemplars fehlten ihr jegliche Anhaltspunkte, da der Titel selbst korrekt und der eigentliche Text aufgrund von Magie für sie nicht lesbar war. Da Jagangs Interesse vor allem Nicci galt, hatte er sie erst gar nicht nach ihrer Meinung zu dem jüngsten Exemplar gefragt.

Tat er es aber doch, und konnte sie ihm keine zufriedenstellende Antwort geben, würde Jillian den Preis dafür bezahlen müssen. Bislang hatten die Schwestern noch keine Abweichungen in den drei Exemplaren finden können, obschon solche Abweichungen, wie sie gegenüber Jagang zögernd herausgestrichen hatten, letztendlich gar nichts bewiesen, da alle drei Exemplare unterschiedlich und dennoch fehlerhafte Kopien sein konnten. Das Gleiche galt auch für das jüngst gefundene Exemplar. Abweichungen untereinander bewiesen noch gar nichts.

In Kahlans Augen gab es nur eine erfolgversprechende Möglichkeit, das eine echte Exemplar zu identifizieren: wenn man das Original sowie die fünf existierenden Abschriften besaß. Das musste auch Jagang klar sein, weswegen er zweifellos Personen mit dem Auffinden der restlichen Kopien beauftragt hatte.

Wie auch immer, Jagang wollte, dass sämtliche Exemplare auf Abweichungen untersucht wurden, und so taten die Schwestern genau das – Wort für Wort.

Jagang hatte ihnen reichlich Zeit dafür gegeben. So sehr ihn das Ergebnis interessierte, sein Hauptinteresse galt derzeit Nicci. Seit ihrer Gefangennahme war er geradezu von ihr besessen. Er hatte keine andere Frau mehr mit in sein Bett genommen und sogar auf den Besuch der Ja’La-Spiele verzichtet. Fast hatte Kahlan den Eindruck, er glaubte, wenn er Nicci nur überzeugend bewies, wie sehr es ihn nach ihr verlangte, sie von der Echtheit seiner Gefühle überzeugen zu können, und schon werde ihr Widerstand dahinschmelzen.

Doch stattdessen hatte sich Nicci nur noch mehr zurückgezogen. Ihre leidenschaftslose, abweisende Haltung hatte eine seltsam anziehende Wirkung auf ihn, ihr Trotz dagegen reizte ihn zu Gewaltausbrüchen, was ihre Tortur nur noch verschlimmerte. Andererseits konnte sich Kahlan nicht vorstellen, dass sie selbst sich, wäre sie an der Reihe, anders verhalten würde.

Schon mehrfach war Jagangs wüster Zornesausbruch schlagartig abgeflaut, als ihm plötzlich aufging, dass er womöglich zu weit gegangen war. Dann waren hastig die Schwestern herbeigerufen worden, um sie wiederzubeleben. Während sie verzweifelt um ihr Leben rangen, war Jagang mit sorgenvoller, schuldbewusster Miene auf und ab gegangen, nur um nach ihrer erfolgreichen Heilung seiner Empörung abermals freien Lauf zu lassen und ihr vorzuwerfen, sie habe ihn überhaupt erst dazu getrieben.

Manchmal, wie am Abend zuvor, ließ er Kahlan und Julian im Vorraum zurück, während er Nicci mit nach drinnen nahm, um die Nacht mit ihr alleine zu verbringen. Kahlan vermutete, dass dies seiner Vorstellung von zärtlicher Romantik entsprach. Ehe Nicci ins Schlafgemach gezerrt wurde, hatte sie noch einen kurzen, verstohlenen Blick mit Kahlan wechseln können, einen Blick gegenseitigen Einverständnisses, dass die Welt völligem Wahnsinn anheimgefallen war.

So sehr Kahlan die Ja’La-Spiele verabscheute, sie wollte unbedingt den Mann wiedersehen, den alle Rüben nannten. Den täglichen Schilderungen, die unter den Gardisten die Runde machten, entnahm sie, dass die Mannschaft von Kommandant Karg bisher alle Partien gewonnen hatte, vor allem aber wollte sie die Angriffsspitze mit der seltsamen Bemalung sehen, den Mann mit den grauen Augen, der sie offenbar wiedererkannt hatte.

»Seht mal, hier.« Schwester Ulicia tippte auf eine Seite in einem der Bücher. »Diese Formel unterscheidet sich von den beiden hier.«

Kahlan betrachtete ihre Rückenpartien, während die beiden, über den Tisch gebeugt, die offen vor ihnen liegenden Abschriften miteinander verglichen. Die beiden hünenhaften Leibwächter Jagangs drüben auf der anderen Seite neben dem Zelteingang hielten ebenfalls ein Auge auf die Schwestern, im Gegensatz zu den beiden gewöhnlichen Soldaten – Kahlans Sonderbewacher -, die zu Kahlan herüberstarrten. Kahlan errötete, als sie es bemerkte, und verdeckte die durch einen fehlenden Knopf an ihrem Hemd entstandene Blöße mit einer dicken Strähne ihres Haars.

»Ja ...«, bestätigte Schwester Armina gedehnt. »Die Stellung der Sterne ist eine andere. Wenn das nicht seltsam ist.«

»Jedenfalls erschwert es das Erkennen der Unterschiede. Und nicht nur das, seht doch, hier. Die Winkel des Azimuthkreises sind unterschiedlich.« Schwester Ulicia zog eine der Öllampen näher zu sich heran.

»Und zwar in allen drei Exemplaren.«

Schwester Armina nickte, während ihr Blick zwischen den Büchern hin und her wechselte. »In den ersten beiden ist uns das gar nicht aufgefallen. Ich dachte immer, sie wären exakt gleich, aber dem ist nicht so.«

»Bei einer solchen Kleinigkeit ist es nur zu verständlich, wieso es uns entgangen ist.« Schwester Ulicia wies auf die Bücher. »Mit anderen Worten, alle drei sind unterschiedlich.«

»Was bedeutet das deiner Meinung nach?«

Schwester Ulicia verschränkte die Arme. »Eigentlich kann es nur bedeuten, dass zumindest zwei von ihnen unkorrekte Abschriften sind, aber nach allem, was wir wissen, könnten auch alle drei fehlerhaft sein.«

Schwester Armina ließ ein unglückliches Seufzen vernehmen. »Damit hätten wir einen weiteren Hinweis, der uns aber leider nichts Brauchbares verrät.«

Schwester Ulicia warf der anderen Frau einen Seitenblick zu. Seine Exzellenz hat eine Art, mit Dingen aufzuwarten, die ich ihm iemals zugetraut hätte. Vielleicht findet er ja auch noch die anderen .bschriften, dann hätten wir endlich etwas, anhand dessen wir eine eindeutige Aussage treffen könnten.«

Unvermittelt wurde der Vorhang vor der Türöffnung zur Seite geschlagen, und Jagang stieß Nicci durch die Öffnung. Sie stolperte und landete vor Kahlans Füßen. Dort blickte sie kurz auf, tat aber, als sehe sie Kahlan nicht - ein Täuschungsmanöver, das sie seit ihrer Gefangennahme durch Jagang unverändert beibehalten hatte.

Kahlan konnte die Wut in ihren Augen sehen, die Wut und auch die Schmerzen. Und die verzweifelte Hoffnungslosigkeit. Am liebsten hätte sie sie in die Arme genommen und getröstet, ihr gesagt, alles werde wieder gut, aber das stand völlig außer Frage. Außerdem wäre es eine glatte Lüge gewesen.

»Was habt ihr herausgefunden?« Jagang trat hinter die beiden Schwestern.

Schwester Ulicia tippte auf eines der Bücher. Er beugte sich über ihre Schulter und blickte auf die angezeigte Stelle.

»Genau hier, Exzellenz. An dieser Stelle unterschieden sich alle drei.«

»Und welches ist das echte?«

Die beiden Schwestern wichen ein kleines Stück zurück.

»Um das zu beurteilen«, sagte Schwester Ulicia mit zögerlicher Stimme, »ist es noch zu früh.«

»Um es mit Sicherheit sagen zu können, brauchten wir die beiden anderen Abschriften«, platzte Schwester Armina heraus. Einen Moment lang maß er sie mit seinem Blick, ehe er, ganz gegen seine Art, nur ein teilnahmsloses Grunzen hören ließ. Er blickte hinter sich, um zu sehen, ob Kahlan noch immer, seiner Anordnung entsprechend, in dem Sessel saß. Dabei sah er auch Julian auf dem Fußboden, sowie die Gardisten, die sie alle bewachten.

»Geht weiter die Bücher durch«, befahl er den beiden Schwestern. »Ich gehe jetzt zum Ja’La. Und haltet ein Auge auf das Mädchen.«

Er stieß Nicci vor sich her nach draußen und gab Kahlan mit einem Fingerschnippen zu verstehen, dass er erwarte, dass sie ebenfalls mitkam und dabei in seiner Nähe blieb. Kahlan schnappte sich ihren Umhang und folgte ihm nach draußen, froh, dass zumindest Julian nicht in die Nähe der Soldatenmeute oder Jagangs musste. Natürlich konnte er sie über die Schwestern kontrollieren und sie nach Gutdünken quälen, wann immer es ihm beliebte.

Nachdem sie sich den Umhang um die Schultern geworfen hatte, gab Kahlan der Kleinen per Handzeichen zu verstehen, sich ja nicht von der Stelle zu rühren. Jillian starrte sie mit ihren kupferfarbenen Augen an und antwortete mit einem Nicken. Sie hatte Angst, allein gelassen zu werden, wofür Kahlan durchaus Verständnis hatte, nur konnte sie Julians Sicherheit nicht einmal dann gewährleisten, wenn sie bei ihr war. Draußen vor dem Zelt nahmen mehrere Hundert Soldaten hastig in Reih und Glied Aufstellung, bereit, den Kaiser zu begleiten - hünenhafte Burschen, die in ihren Kettenpanzern und mit blinkenden Waffen einen überaus einschüchternden Anblick boten. Ein halbes Dutzend von Kahlans Sonderbewachern, die etwas weniger einschüchternd, aber nicht minder brutal aussahen, nahmen sie in ihre Mitte. Mit seiner fleischigen Hand packte Jagang Niccis schlanken Arm und steuerte sie durch die Lücken, die sich in den einander überlappenden Soldatenreihen auftaten. Die meisten von ihnen ließen es sich nicht nehmen, sie ausgiebig anzustarren. Auch wenn sie Jagangs Frau sein mochte, auf diesen Blick wollten sie nicht verzichten. Allerdings waren sie sorgfältig darauf bedacht, dass der Kaiser ihr lüsternes Stieren nicht mitbekam. Angesichts dieser Blicke war Kahlan froh, dass die meisten dieser Männer sie nicht wahrnehmen konnten.

Trotz des bedeckten Himmels schienen die Wolken nicht schwer genug, um Regen zu verheißen. Der blieb schon seit einer ganzen Weile aus, so dass sich der Boden in eine staubige Kruste verwandelt hatte. In dem kontrastarmen, grauen Licht wirkte das Feldlager noch düsterer und schmuddeliger. Rauch von den Kochfeuern hing in der Luft und überdeckte zumindest ein wenig den Gestank.

Auf ihrem Marsch durch die endlosen Trauben aus Soldaten und Gerät erkundigte sich Jagang bei einem seiner vertrauteren Leibwächter nach den Ja’La-Spielen, worauf dieser ihn über die verschiedenen Partien unterrichtete, die seit der letzten Meldung ausgetragen worden waren, und ihm, auf seine Anfrage, einen Überblick über alle Mannschaften gab.

»Und die Mannschaft Kargs? Haben seine Spieler sich gut geschlagen?«

Der Leibwächter nickte. »Bislang sind sie noch unbesiegt. Allerdings aben sie gestern nicht ganz so deutlich gewonnen wie bisher.«

Jagangs stählernes Lächeln war kalt wie der Himmel. »Ich hoffe, sie gewinnen auch heute. Ich wünsche mir sehr, dass meine Mannschaft die Gelegenheit erhält, diese Truppe zu vernichten.«

Der Leibgardist wies nach links hinüber. »Heute spielen sie dort drüben. Es ist ihr letztes Spiel. Nach dem Verlauf der bisherigen Partien werden sie sich nach einem Sieg heute an die Spitze aller Mannschaften setzen. Damit würde sich Euer Wünsch erfüllen, Exzellenz. Wenn nicht, wird man Ausscheidungsspiele ansetzen müssen. Aber wenn sie die Partie heute gewinnen, wird Eure Mannschaft gegen sie antreten.«

Während sie weitergingen und Jagang sich mit seinem Leibwächter unterhielt, warf Nicci einen kurzen Blick über ihre Schulter zu Kahlan. Kahlan wusste, dass Nicci an den Mann dachte, von dem sie ihr erzählt hatte, und spürte ein Flattern angespannter Erregung. Als sie sich einen Weg durch das Gewirr des Lagers in die von dem Leibwächter angegebene Richtung bahnten, sich, je näher sie dem Spielfeld kamen, durch immer dichtere Gruppen von Soldaten zwängten, konnte Kahlan Soldaten in der Ferne jubeln und ihre Lieblingsmannschaft anfeuern hören. Selbst hier, weit abseits, ohne Chance, das Geschehen unmittelbar zu verfolgen, lauerten Soldaten ungeduldig auf Nachrichten über den jüngsten Spielstand, die man ihnen bis hierher übermitteln würde.

Die Zuschauer waren weitaus zahlreicher als bei den früheren Partien. Offenbar handelte es sich um ein wichtiges Spiel, denn die Erregung der Menge war unverkennbar. Als sich plötzlich ein ohrenbetäubendes Tosen erhob, wusste sie, dass eine der Mannschaften einen Treffer erzielt hatte. Männer drängten näher heran, schubsten sich gegenseitig aus dem Weg, voller Ungeduld zu erfahren, welche Mannschaft gepunktet hatte. Auf die schroffen Kommandos oder einen Stoß der Gardisten hin, blickten die dicht gedrängt stehenden Soldaten über ihre Schulter, ehe sie widerstrebend Platz machten, um die kaiserliche Gesellschaft durchzulassen. Da jetzt eine keilförmige Vorhut aus hochgewach senen Gardisten einen Weg freiräumte, gelangten sie schließlich zu einem für den Kaiser mit Tauen abgesperrten Bereich unmittelbar am Spielfeldrand. Einige Gardesoldaten waren vorausgegangen und hatten bereits auf drei Seiten einen Schutzwall gebildet, um die Männer zurückzuhalten.

Durch die Wand aus Zuschauern konnte Kahlan immer wieder flüchtige Blicke auf die über das Spielfeld rennenden Spieler erhaschen. Das Geschrei und die Rufe der Menge machten es fast unmöglich, seine eigenen Gedanken zu verstehen. Immer wieder sah sie kurz etwas Rotes aufblitzen. Wegen des Geschiebes der Soldaten, der Wand aus kaiserlichen Leibwächtern, ganz zu schweigen von dem bulligen Kaiser selbst, der, flankiert von seiner hünenhaften Leibgarde, genau vor ihr stand, war es schwer, mehr als nur flüchtige Ausschnitte des Geschehens auf dem Spielfeld mitzubekommen.

Erneut erhob sich ein wilder Aufschrei, als eine der Mannschaften punktete. Das Gebrüll ließ den Boden unter ihren Füßen erzittern. Dann erblickte sie durch die winzigen Lücken zwischen den Leibwächtern etwas, das diese Partie von allen anderen unterschied. Rings um den Spielfeldrand hatten noch vor den Zuschauern Männer mit hinter dem Rücken verschränkten Händen in gleichmäßigen Abständen Posten bezogen, allesamt mit nacktem Oberkörper, offenbar, um ihren kräftigen Körperbau zur Schau zu stellen.

Selten hatte Kahlan Männer wie diese zu Gesicht bekommen. Jeder einzelne war riesengroß. Sie wirkten wie Statuen, wie aus ein und demselben Erz gegossen, aus demselben Klumpen weiß glühenden Stahls.

Als Jagang allen voran an den Spielfeldrand trat, um zu sehen, was sich tat, beugte sich Nicci, die bemerkt hatte, dass Kahlan die grimmig dreinblickenden Männer anstarrte, ein wenig vor und sagte mit leiser Stimme: »Die Mannschaft Jagangs.«

Jetzt begriff Kahlan, weshalb sie dort standen. Der Gewinner dieser Partie würde gegen die kaiserliche Mannschaft antreten. Diese Hünen waren nicht nur hier, um sich die Taktik der Mannschaft, mit der sie es zu tun bekommen würden, anzuschauen, sie waren hier, um die Spieler einzuschüchtern, Männer, die die Chance erhalten würden, gegen sie zu spielen. Es war die unverhohlene Androhung bevorstehender Gewalt. Kommandant Karg erblickte den soeben eingetroffenen Kaiser und zwängte sich durch die Wand aus Leibwächtern hindurch. Mittlerweile erkannte ihn Kahlan an seinen einzigartigen Schlangenschuppentätowierungen. Er und Jagang tauschten ein paar Höflichkeiten aus, während Anfeuerungsrufe für die nächste Angriffsphase laut wurden.

»Eure Mannschaft scheint sich ganz tapfer zu schlagen«, bemerkte Jagang, als sich das Gegröle ein wenig legte.

Kommandant Karg sah kurz über seine Schulter zu Nicci. Es war, als betrachtete eine Schlange ihr Opfer. Ihr wütender Blick hatte ihn bereits gefunden. Mit kennerhaftem Gehabe maß er sie von Kopf bis Fuß, ehe er seine Aufmerksamkeit wieder Jagang zuwandte.

»Nun, Exzellenz, bei allen Qualitäten meiner Mannschaft bin ich mir durchaus bewusst, dass die Eure nicht nur hervorragend spielt, sondern bislang unbesiegt ist. Sie ist natürlich die beste.«

Am kahlrasierten Hinterkopf und Stiernacken Jagangs bildeten sich Falten, als er nickte. »Eure ist auch nicht schlecht, allerdings musste sie sich noch nicht gegen einen hochkarätigen Gegner behaupten. Es wird für meine Männer ein Leichtes sein, sie zu schlagen. Daran habe ich nicht den geringsten Zweifel.«

Kommandant Karg verschränkte die Arme und verfolgte eine Weile das Spielgeschehen. Die Menge kreischte vor Erregung, als eine Gruppe von Spielern vorüberrannte, nur um enttäuscht aufzuheulen, als es ihr offenbar nicht gelang, den angestrebten Treffer zu erzielen. Karg wandte sich erneut dem Kaiser zu.

»Gewinnen sie aber doch gegen Eure Mannschaf-«

»Falls sie es tun«, fiel Jagang ihm ins Wort.

Lächelnd senkte Karg den Kopf. »Falls sie es tun, wäre das für einen bescheidenen Herausforderer wie mich ein beachtlicher Erfolg.«

Jagang betrachtete seinen Kommandanten mit gut gelauntem Argwohn.

»Ein beachtlicher Erfolg, der eine ebensolche Belohnung verdient hätte?«

Karg wies auf die Spieler auf dem Feld. »Nun, Exzellenz, sollte meine Mannschaft gewinnen, bekäme jeder von ihnen eine Belohnung - eine Frau seiner Wahl.« Er verschränkte die Hände hinter dem Rücken und zuckte die Achseln. »Da scheint es nur gerecht, wenn ich, als derjenige, der sie alle handverlesen und zu einer solch starken Mannschaft geformt hat, eine ähnliche Belohnung erhielte.«

Jagangs tiefes, amüsiertes Lachen war so von Lüsternheit erfüllt, dass Kahlan ein eiskalter Schauder überlief.

»Vermutlich habt Ihr recht. Nennt sie mir, und Ihr werdet sie im Falle eines Sieges bekommen.«

Karg wippte einen Moment lang auf seinen Fersen, als müsste er über seine Wahl nachdenken.

»Falls meine Mannschaft gewinnt, Exzellenz« - er warf ein verschlagenes Lächeln über seine Schulter - »hätte ich gern Schwester Nicci für mein Bett.«

Niccis kalter Blick hätte Stahl zu schneiden vermocht. Jagangs Amüsiertheit erlosch, als er über seine Schulter zu eben-jener Frau hinüberschaute, der jüngst seine ungeteilte Aufmerksamkeit gegolten hatte.

»Nicci steht nicht zur Verfügung.«

Nickend wandte sich der Kommandant wieder dem Spielgeschehen zu. Nachdem sich der Jubel für den nächsten Spielabschnitt gelegt hatte, bedachte er Jagang mit einem Seitenblick.

»Da Ihr Euch Eures Sieges so gewiss seid, Exzellenz, wäre es tatsächlich nur das mehr oder weniger bedeutungslose Versprechen einer Belohnung, eine im Grunde müßige Wette. Angesichts Eurer Siegesgewissheit werde ich sehr wahrscheinlich gar nicht in ihren Genuss kommen.«

»Dann ist eine solche Wette sinnlos.«

Karg wies auf das Ja’La-Feld. »Ihr seid Euch des Sieges Eurer Mannschaft gewiss, habe ich recht, Exzellenz? Oder zweifelt Ihr?«

»Also schön, Karg«, gab sich Jagang schließlich geschlagen. »Wenn Ihr gewinnt, gehört sie für eine Weile Euch. Aber nur für eine Weile.«

Kommandant Karg verneigte abermals sein Haupt. »Natürlich, Exzellenz. Aber wie wir alle wissen, müsst Ihr eine Niederlage Eurer Mannschaft nicht wirklich fürchten.«

»Nein, das muss ich nicht.« Er richtete seine tiefschwarzen Augen auf Nicci. »Du hast doch nichts gegen meine kleine Wette, Schätzchen, oder?« Sein Grinsen kehrte zurück. »Schließlich ist sie rein hypothetischer Natur, da meine Mannschaft nicht verlieren wird.«

Nicci hob eine Braue. »Wie ich Euch schon bei meiner Ankunft sagte, was ich will, zählt ja wohl nicht wirklich, oder?«

Das Lächeln noch immer auf den Lippen, betrachtete er sie einen Moment. Es sah aus, als könne er seine Mordlust angesichts ihrer öffentlichen Unbotmäßigkeit nur mühsam überspielen.

Als das Spiel auf dem Platz an Verbissenheit zunahm, begann die Menge ringsum vorwärtszudrängen, um bessere Sicht zu haben. Jagangs Leibwächter reagierten, indem sie die Männer zurückdrängten, um dem Kaiser mehr Raum zu geben und so sicherzustellen, dass sie ihn auch tatsächlich beschützen konnten. Angesichts des humorlosen Vorgehens der Leibwächter zog sich die Menge widerstrebend zurück. Als Jagang und Kommandant Karg vom Geschehen auf dem Feld in Anspruch genommen waren, sah Kahlan sich nach ihren Sonderbewachern um und stellte fest, dass das Spiel auch sie in seinen Bann gezogen hatte. Zoll für Zoll rückten sie vor und reckten die Hälse, um besser sehen zu können. Kahlan schob sich ein Stück näher an Nicci heran. Als die kaiserliche Leibgarde die Menge schließlich unter Aufbietung ihrer vereinten Körperkraft zurückschob, verschaffte dies Kahlan und Nicci einen günstigeren Blickwinkel, der ihnen einen besseren Blick auf Feld und Spieler ermöglichte.

»Die rot bemalte Mannschaft wird von dem Mann angeführt, von dem ich Euch erzählt habe«, tuschelte Kahlan. »Ich glaube, er hat sich und seine Männer angemalt, um unerkannt zu bleiben.«

Dann rannten einige Spieler unmittelbar vor ihr vorüber, und zum ersten Mal konnte sie die wilden Zeichnungen in den Gesichtern der Männer deutlich erkennen.

Als Nicci ihren Blick erwiderte, wirkte sie bestürzt. »Bei den Gütigen Seelen ...«

Sie trat einen Schritt vor, um besser sehen zu können. Besorgt wegen Niccis abrupten Stimmungswechsels und ihrer offenkundigen Bestürzung, folgte Kahlan ihr.

In diesem Moment erblickte sie den Mann, den alle Rüben nannten. Er kam, den Broc fest vor die Brust geklemmt, während er den ihm entgegenstürzenden Gegenspielern auswich, von der linken Spielfeldseite angerannt.

Kahlan beugte sich näher zu Nicci und lenkte deren Aufmerksamkeit mit einer Handbewegung nach links hinüber auf ihn.

»Das ist er.«

Nicci beugte sich ein wenig in die angegebene Richtung vor. Als sie ihn erblickte, wich alles Blut aus ihrem Gesicht. Noch nie hatte Kahlan jemanden so schnell erbleichen sehen. »Richard ...«

Im selben Moment, da sie den Namen hörte, wusste sie, dass er stimmte, er passte einfach. Sie wusste nicht, weshalb, aber der Name passte. Sie hatte nicht den geringsten Zweifel, dass Nicci recht hatte. Sein Name war nicht Rüben, sondern Richard. Ein seltsames Gefühl der Erleichterung überkam sie, einfach nur, weil sie seinen Namen kannte, seinen richtigen Namen.

Aus Angst, Nicci könnte in Ohnmacht fallen, legte Kahlan ihr stützend eine Hand ins Kreuz. Sie konnte fühlen, dass sie am ganzen Körper zitterte.

Immer wieder Gegenspielern ausweichend, während er, auf beiden Seiten flankiert von seinen Flügelstürmern, ungestüm über den Platz stürmte, erblickte der Mann, der, wie sie nun wusste, Richard hieß, aus den Augenwinkeln Jagang. Dann schwenkte sein Blick hinter den Kaiser und begegnete dem Kahlans. Der Blickkontakt, das Wiedererkennen in seinen Augen, ließ ihr Herz höher schlagen.

Als Richard Nicci neben ihr stehen sah, geriet er für einen winzigen Augenblick ins Stocken.

Dieses Zögern gab den ihn verfolgenden Spielern ihre Chance. Sie warfen sich auf ihn und rissen ihn zu Boden. Der Aufprall war so wuchtig, dass der Broc in hohem Bogen davonflog.

Richards rechter Flügelmann wühlte sich mit gesenkter Schulter mitten zwischen die Gegner und schickte sie zu Boden.

Richard lag mit dem Gesicht am Boden und rührte sich nicht mehr. Kahlan spürte ihr Herz bis in den Hals schlagen.

Keinen Augenblick zu früh rammte der zweite Flügelstürmer dem Mann, der im Begriff war, sich mit seinem ganzen Gewicht auf Richard zu werfen, den Ellbogen krachend gegen den Schädel. Als der zur Seite wegtorkelte, rührte sich auch Richard endlich wieder. Er sah die Gegenspieler über sich hinwegfliegen, wälzte sich zur Seite, aus dem Gewühl heraus, und kam wieder zu Atem.

Einen Augenblick darauf war er wieder auf den Beinen, wenn auch zunächst noch ein wenig wackelig.

Es war der erste Fehler, den Kahlan ihn hatte machen sehen. Mit bebender Unterlippe stand Nicci wie erstarrt und starrte ihn an, Tränen in ihren blauen Augen.

Plötzlich fragte sich Kahlan, ob es sein konnte, tat die Möglichkeit dann aber wieder ab.

Es war einfach ausgeschlossen.

Загрузка...