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Kahlan hatte den Arm schützend um Julian gelegt, als sie Jagang dicht auf den Fersen folgten. Unter den stumm staunenden Blicken einiger und dem Jubel vieler bahnte sich das kaiserliche Gefolge einen Weg durch das weitläufige Armeelager. Nicht wenige feierten ihn mit rhythmischem Rufen seines Namens und ermunterten ihn zur Führerschaft in ihrem Kampf zur Vernichtung jedweden Widerstandes gegen die Imperiale Ordnung, andere rühmten ihn als »Jagang, den Gerechten«. Und stets sank unfehlbar ihr Mut, dass so viele ihn oder die Bruderschaft der Imperialen Ordnung für die Wahrer der Gerechtigkeit halten konnten. Dankbar für die schützende Geste blickte Julian von Zeit zu Zeit mit ihren vertrauensvollen, kupferfarbenen Augen zu ihr hoch. Was Kahlan ein wenig beschämte, wusste sie doch, dass sie dem Mädchen in Wahrheit kaum Schutz zu bieten vermochte. Eher konnte sie am Ende gar selbst der Anlass dafür sein, dass man ihr ein Leid antat. Es brach ihr schier das Herz, dass die völlig verängstigte Julian ein weiteres Mal Gefangene dieser Rohlinge war. Diese Eindringlinge aus der Alten Welt, die Unschuldigen im Namen eines höheren Zieles größtes Leid zufügten, waren Verräter an der Idee des Guten. Sie waren zu aufrichtigem Mitgefühl gar nicht fähig, da sie das Gute nicht zu würdigen wussten, sich vielmehr darüber lustig machten. Ihr Tun war nicht vom Streben nach Werten, sondern von quälender Missgunst bestimmt. Kahlans einzige echte Genugtuung seit ihrer Gefangennahme durch Jagang war, dass sie für Julian eine Fluchtmöglichkeit hatte bieten können, doch die war nun ebenfalls dahin.

Auf dem Marsch durch das Lager schlang Julian ihren Arm fest um Kahlans Hüfte und krallte ihre Hand fest in deren Hemd. Es war nicht zu übersehen, dass ihre Furcht, trotz des üblen Wesens der Soldaten ringsumher, eher Jagangs Leibwache galt. Männer wie diese hatten sie verfolgt und schließlich aufgespürt. Eine Zeitlang hatte sie ihnen entwischen können, doch obwohl sie in den verlassenen Ruinen der alten Stadt Caska über hervorragende Ortskenntnisse verfügte, war sie immer noch ein Kind und einer von solch erfahrenen und zu allem entschlossenen Soldaten durchgeführten Hetzjagd nicht gewachsen. Nun war sie abermals eine Gefangene in diesem schier endlosen Armeelager, und es bestand so gut wie keine Hoffnung, sie noch einmal aus der Gewalt der Imperialen Ordnung zu befreien.

Während sie auf ihrem verschlungenen Pfad durch das chaotische Durcheinander aus Zelten, Wagen und Bergen von Ausrüstungsgegenständen und Vorräten durch Morast und Abfall stapften, bog Kahlan Julians Gesicht nach oben und sah, dass wenigstens ihre grobe Risswunde zu bluten aufgehört hatte, die ihr Jagang mit einem seiner auf seinen Raubzügen erbeuteten Ringe zugefügt hatte. Wenn das nur ihre größte Sorge wäre. Als Reaktion auf ihr tapferes Lächeln strich Kahlan ihr beruhigend mit der Hand über den Kopf.

Einen Moment lang hatte sich Jagang einigermaßen erfreut gezeigt, die Kleine wiederzuhaben, die es gewagt hatte, ihm zu entwischen -gab es ihm doch ein weiteres Mittel in die Hand, Kahlan zu quälen und zu unterdrücken; weit mehr aber interessierte ihn die Entdeckung unten in der Grube. Kahlan wurde das Gefühl nicht los, dass er über das, was dort verschüttet lag, mehr wusste, als er sich nach außen hin anmerken ließ. Nicht zuletzt, weil er weit weniger überrascht gewesen war, als man hätte erwarten können, und den Fund wie selbstverständlich hingenommen hatte.

Er ließ den Bereich absperren und von regulären Truppen säubern, dann erteilte er den Offizieren strikte Anweisung, ihn augenblicklich aufzusuchen, sobald das Mauerwerk durchbrochen und man ins Innere dieses so tief unter der Azrith-Ebene eingegrabenen Gebildes vorgedrungen wäre. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass jedem unmissverständlich klar war, wie er den Fund behandelt wissen wollte, und alle vor Ort mit größtmöglichem Einsatz auf dieses Ziel hinzuarbeiten hatten, hatte sich sein Interesse rasch wieder auf das Turnier gerichtet, dessen Eröffnungspartien er wenigstens teilweise verfolgen wollte. Er konnte es kaum erwarten, einige der mit seiner Mannschaft konkurrierenden Teams in Augenschein zu nehmen. Es war nicht das erste Mal, dass er Kahlan zwang, ihn zum Ja’La zu begleiten, und auch diesmal war sie alles andere als begeistert, nicht zuletzt, weil die Aufregung und Brutalität der Spiele ihn in eine überschäumende, von fleischlichen Gelüsten geprägte Stimmung versetzte. War er schon unter normalen Umständen beängstigend genug und zu spontanen und brutalen Gewaltausbrüchen fähig, so wurde sein Verhalten nach einem Tag beim Ja’La, wenn er sich in aufgewühlter und erregter Stimmung befand, noch exzentrischer und despotischer. Gleich nach ihrem ersten gemeinsamen Besuch der Spiele war Kahlan zum Opfer seiner perversen Lust geworden. Sie hatte gegen ihre Panik angekämpft und schließlich akzeptiert, dass er nach Belieben mit ihr umspringen würde und sie ihn nicht würde daran hindern können. Zu guter Letzt hatte das Grauen, unter ihm zu liegen, sie abgestumpft. Sie hatte sich in das Unvermeidliche gefügt, ihre Augen von seinem lüsternen Blick abgewandt und sich in ihren befreiten Gedanken an einen anderen Ort begeben und sich vorgenommen, sich ihren glühenden Zorn für den passenden Moment aufzusparen, einen Moment, da er einen Zweck erfüllte.

Doch dann hatte er plötzlich innegehalten.

»Ich will, dass du weißt, wer du bist, wenn ich dies tue«, hatte er ihr erklärt. »Ich will, dass du weißt, welche Bedeutung ich für dich habe, wenn ich dies tue. Ich will, dass du dies mehr hasst, als irgendetwas sonst in deinem bisherigen Leben.

»Du musst dich erinnern, wer du bist, musst alles wissen, wenn dies eine richtige Vergewaltigung sein soll... und es ist meine Absicht, dies zum schlimmstmöglichen Übergriff zu machen, den du dir vorstellen kannst, eine Vergewaltigung, die dich schwängern wird mit einem Kind, das eine stete Erinnerung für ihn sein wird, ein Ungeheuer.«

Kahlan hatte nicht gewusst, wer mit diesem »ihn« gemeint war.

»Denn damit es all das sein kann«, hatte er hinzugefügt, »musst du dir voll und ganz bewusst sein, wer du bist, was dies für dich bedeutet, was dies alles berührt und was es für alle Zeiten mit einem Makel behaften wird.«

Die Vorstellung, wie viel furchtbarer ein solcher Übergriff für sie in diesem Moment wäre, war ihm wichtiger als die Befriedigung seiner unmittelbaren Gelüste. Das allein sprach Bände über seine Rachgier und welchen Anteil sie an ihrem Entstehen hatte.

Seine Geduld war eine Eigenschaft, die ihn nur noch gefährlicher machte. Er hatte nicht die geringste Mühe, impulsiv zu reagieren, doch war es ein Fehler zu glauben, er ließe sich zu leichtfertigem Handeln verleiten. Aus dem Bedürfnis, ihr zu einem Verständnis seiner höheren Ziele zu verhelfen, hatte er ihr erklärt, dies entspreche weitgehend seiner Art, Menschen zu bestrafen, die seinen Zorn erregten. Tötete er solche Menschen, so seine Erklärung, waren sie tot und nicht länger leidensfähig, ließe er sie jedoch fürchterliche Schmerzen erleiden, sehnten sie ihren Tod herbei - den er ihnen daraufhin verweigern könne. Nur als Zeuge ihrer endlosen Qualen könne er sich ihrer Reue für ihre Verbrechen gewiss sein, ihres unerträglichen Kummers über alles, was für sie verloren war.

Das, so hatte er ihr erklärt, war es, was er für sie bereithalte: die Qualen der Reue und des unwiderruflichen Verlusts. Ihr Gedächtnisverlust hätte sie gegen diese Dinge unempfindlich gemacht, weshalb er den richtigen Moment abwarten würde. Nachdem sein unmittelbares Verlangen zugunsten ehrgeizigerer Ziele gezügelt war, hatte er sein Bett zu guter Letzt mit einer Reihe anderer weiblicher Gefangener bevölkert. Kahlan hoffte nur, dass Julian zu jung für seinen Geschmack war. Was ganz sicher nicht der Fall sein würde, wenn sie ihm nur den geringsten Anlass bot...

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Auf ihrem Weg durch die Soldatenmassen, die eine bereits begonnene Partie bejubelten, stießen die kaiserlichen Gardisten jeden aus dem Weg, der dem Kaiser ihrer Meinung nach zu nahe kam. Als sie am Rand des Ja’La-Spielfeldes ankamen, stellte Kahlan sich auf die Zehenspitzen und versuchte, die Gesichter der bereits mitten im Kampfgetümmel befindlichen Männer zu erkennen. Doch dann merkte sie, dass sie sich reckte, um das Spiel zu verfolgen, und ließ sich sofort wieder hinunter. Das Letzte, was sie wollte, war, sich von Jagang die Frage anhören zu müssen, wieso sie plötzlich ein solches Interesse an Ja’La zeigte. Dabei galt ihr Interesse nicht dem Spiel selbst, sondern vielmehr der Frage, ob sie den Mann mit den grauen Augen erspähen konnte, der sich absichtlich hatte in den Morast fallen lassen, um sein Gesicht vor Jagang - oder auch Schwester Ulicia - zu verbergen.

Ob es nun regnete oder nicht, ein Mann, der unablässig mit einem schlammverschmierten Gesicht herumlief, würde vermutlich nur Jagangs Verdacht erregen, und was dann geschehen würde, erfüllte sie zutiefst mit Sorge.

Als es der Angriffsspitze einer der Mannschaften gelang, bis in die gegnerische Hälfte vorzudringen, brachen die zuschauenden Soldaten in Jubel und anfeuernde Rufe aus. Sofort stürzten Blocker herbei, um zu verhindern, dass er weiteren Boden gutmachte. Unter dem tosenden Gebrüll des Publikums rissen sich die Spieler gegenseitig von den Beinen, während ihre Mitspieler ausschwärmten, um ihre Zone zu verteidigen. Ja’La war ein Laufspiel, bei dem man ständig abtauchte, den Gegner zu passieren oder zu blocken versuchte, oder den Mann mit dem Broc jagte – einem schweren, lederüberzogenen Ball, ein wenig kleiner als ein Menschenkopf - und dabei versuchte, diesen in seinen Besitz zu bringen, selbst anzugreifen und letztendlich zu punkten. Nicht selten kamen die Spieler zu Fall oder wurden von den Füßen gerissen. Wälzten sie sich dann mit nacktem Oberkörper am Boden, waren sie schon bald nicht nur mit einer Schweißschicht, sondern auch mit Blut bedeckt. Das quadratische Ja’La-Feld war in ein Raster unterteilt, und in jeder Ecke gab es ein Tor, zwei für jede Mannschaft. Der Einzige, der punkten durfte, war die Angriffsspitze, und zwar nur während des zeitlich genau festgelegten Ballbesitzes seiner Mannschaft, und selbst dann nur von einem speziellen Rasterfeld in der gegnerischen Spielfeldhälfte aus. Aus dieser Wurfzone, einem sich über die gesamte Spielfeldbreite erstreckenden Bereich, konnte er den Broc in eines der gegnerischen Netze schleudern.

Das Punkten war alles andere als einfach. Der Wurf musste über eine ziemliche Entfernung erfolgen, und die Netze waren nicht eben groß. Als zusätzliche Erschwernis war es den gegnerischen Spielern erlaubt, den Wurf des schweren Broc abzublocken, die Angriffsspitze beim Versuch, einen Punkt zu erzielen, aus der Wurfzone zu drängen oder anzugreifen. Auch durfte der Broc als Waffe eingesetzt werden, um sich dazwischen werfende Spieler aus dem Weg zu räumen. Die Mannschaft der Angriffsspitze konnte versuchen, die gegnerischen Spieler vor den Netzen zu vertreiben oder den eigenen Mann vor den Blockern zu schützen, damit er eine Lücke fand, um einen Wurf abzugeben, oder aber sie konnten sich aufteilen und eine geteilte Strategie verfolgen. Jede Taktik hatte ihre Vor- und Nachteile - für beide Seiten. Darüber hinaus gab es eine Linie weit hinter der regulären Wurfzone, von der aus die Angriffsspitze einen Versuch riskieren konnte. Ein von dort erzielter Treffer zählte doppelt, dennoch vergeudete man nur selten eine Möglichkeit für einen solchen Distanzwurf, da die Abwehrchancen sehr viel besser waren, und die Chance, einen Treffer zu erzielen, gleichzeitig verschwindend gering. Gewöhnlich waren dies Verzweiflungstaten in allerletzter Sekunde einer zurückliegenden Mannschaft. Warf die gegnerische Mannschaft die Angriffsspitze zu Boden, dann und nur dann durften dessen Flügelstürmer den Broc aufnehmen und zu punkten versuchen. Schlug dieser Versuch fehl und ging der Broc ins Aus, erhielt die angreifende Mannschaft den Broc zurück, allerdings in ihrer eigenen Hälfte, von wo aus sie den nächsten Angriffszug starten konnte. Während dieser ganzen Zeit lief ihr Angriffsrecht ab. Auf einigen wenigen Feldquadraten war die Angriffsspitze vor zu einem Ballverlust führenden Attacken sicher. Diese Quadrate konnten sich jedoch leicht als tückische Fallen erweisen, wo sie, außer91

Stande, weiter vorzurücken, festgesetzt werden konnte. Allerdings konnte sie den Broc zu einem Flügelstürmer passen und von diesem zurückerhalten, sobald sie sich wieder im Angriff befand. Auf den übrigen Quadraten und in der regulären Wurfzone konnte die verteidigende Mannschaft den Broc in ihren Besitz bringen und die Angreifer auf diese Weise am Erzielen eines Treffers hindern. Gelang ihr dies, konnte sie allerdings trotzdem erst nach Ablaufen des Stundenglases punkten, wenn das Angriffsrecht auf sie überging. Allerdings konnte sie versuchen, ihn in ihrem Besitz zu halten, um der Mannschaft mit Angriffsrecht die Möglichkeit zum Punkten zu nehmen, da diese ihn fürs Punkten erst zurückgewinnen musste. Nicht selten verlief dieses Ringen um den Ballbesitz blutig.

Das Angriffsrecht der Mannschaften wurde mithilfe eines Stundenglases gemessen. War keins zur Hand, kamen andere Zeitmesser, wie etwa ein Wassereimer mit einem Loch darin, zum Einsatz. In bestimmten Fällen konnten die Spielregeln recht kompliziert sein, im Allgemeinen aber wurden sie recht salopp gehandhabt. Oft konnte sich Kahlan des Eindrucks nicht erwehren, dass es - abgesehen von der Hauptregel, dass eine Mannschaft nur während ihres zeitlich genau begrenzten Angriffsrechts Punkte erzielen konnte - gar keine Regeln gab. Die Zeitregel verhinderte, dass eine Mannschaft fast ausschließlich im Besitz des Broc blieb, und sorgte für ein reges Auf und Ab. Das Spiel war schnell und kräftezehrend. Ruhepausen gab es kaum.

Weil das Erzielen von Treffern so schwierig war, punkteten die Mannschaften selten mehr als drei- bis viermal in einer Partie, so dass der Abstand im Endergebnis auf diesem Niveau gewöhnlich bestenfalls ein oder zwei Punkte betrug.

Die offizielle Spielzeit einer Partie ergab sich aus der vorgeschriebenen Anzahl von Drehungen des Stundenglases. Stand es dann unentschieden, wurde das Spiel fortgesetzt, bis eine Mannschaft einen weiteren Punkt erzielte. Danach hatte die nun zurückliegende Mannschaft eine weitere Drehung des Stundenglases Zeit, diesen Treffer abermals auszugleichen. Gelang dies nicht, war das Spiel verloren. Erzielten sie den Punkt jedoch, erhielt nun wieder die gegnerische Mannschaft das Angriffsrecht. Auf diese Weise wurde die Verlängerung fortgesetzt, bis der Treffer einer Mannschaft nicht mehr innerhalb der nachfolgenden Ausgleichszeit egalisiert werden konnte. Ein Unentschieden war demnach ausgeschlossen. Es gab stets einen Gewinner und einen Verlierer.

Ob mit oder ohne diese zusätzliche Entscheidungsphase - nach Beendigung der Partie wurde die unterlegene Mannschaft auf das Spielfeld geführt und jeder Spieler dort ausgepeitscht, eine Bestrafung, bei der man sich einer grausigen Peitsche aus verknoteten, am Griff zusammengebundenen Lederriemen bediente. Jeder dieser Riemen war mit schweren Metallgewichten versehen. Die Spieler erhielten einen Peitschenhieb für jeden Punkt Differenz, mit der sie unterlegen waren, Hiebe, die von der begeisterten Menge für jeden einzelnen der in der Spielfeldmitte knienden Spieler abgezählt wurden. Während die Unterlegenen ihre Auspeitschung gesenkten Hauptes über sich ergehen ließen, sprangen die Sieger am Spielfeldrand umher und zeigten sich der Menge.

Angesichts der erbitterten Rivalität unter den Mannschaften geriet das Auspeitschen stets zu einem grausigen Schauspiel. Schließlich waren die Spieler vor allem aufgrund ihrer brutalen Angriffslust und weniger wegen ihres Geschicks im Spiel ausgewählt worden.

Die Zuschauer bei den Ja’La-Partien erwarteten blutige Auseinandersetzungen, und nicht einmal die weiblichen Schlachtengänger, die von den Seitenlinien aus zuschauten, ließen sich von dem blutigen Spektakel abschrecken. Wenn überhaupt, so steigerte es noch ihr Verlangen, die Aufmerksamkeit ihrer Lieblingsspieler zu erregen. Für die Bewohner der Alten Welt waren Blut und Sex unentwirrbar miteinander verknüpft - ob in einem Ja’La-Spiel oder bei der Plünderung einer Stadt. Floss während eines Spiels zu wenig Blut, konnte es durchaus zu aufgebrachten Reaktionen in der Menge kommen, da unterstellt wurde, die Mannschaften legten sich nicht hart genug ins Zeug. Kahlan hatte Jagang einmal eine ganze Mannschaft wegen ihres angeblich mangelhaften Kampfeswillens hinrichten sehen. Danach hatten sich die nächsten Mannschaften, die auf dem blutgetränkten Spielfeld gegeneinander antraten, mit ungestümem Eifer in die Partie gestürzt. Vom Standpunkt der Zuschauer aus galt: je größer die zur Schau gestellte Brutalität, desto besser. Nicht selten kam es zu Arm- oder Beinbrüchen, sogar Schädel gingen bisweilen zu Bruch. Wer bereits einmal einen Gegenspieler in einer Ja’La-Partie getötet hatte, war bekannt und wurde allenthalben mit Begeisterung empfangen. Solche Spieler wurden abgöttisch verehrt und betraten das Spielfeld unter dem stürmischen Jubel der Zuschauer. Suchten Frauen nach einer Partie die Nähe der Spieler, galt ihr Interesse bevorzugt diesen dominanten Männern.

Für die Imperiale Ordnung war das Spiel des Lebens ein blutiger Kampfsport.

Kahlan schob sich dicht hinter Jagang, der unmittelbar am Spielfeldrand in der Nähe der Mittellinie stand. Die Partie hatte bereits begonnen, als sie noch auf der Baustelle gewesen waren.

Die kaiserliche Garde sicherte Jagang nach beiden Seiten ab und hielt ihm den Rücken frei. Kahlans Sonderbewacher hatten einen dichten Ring um sie gebildet, um jeden Versuch ihrerseits, sich davonzustehlen, im Keim zu ersticken. Sie vermutete, dass die aufgeheizte Stimmung der Zuschauer, gepaart mit ihrem Alkoholgenuss, die Gefahr von mehr als nur ein wenig Ärger barg.

Aber trotz dieser Demonstration der Macht seiner Leibgarde war Jagang kein Mann, der Ärger fürchtete. Er hatte seine Herrschaft mithilfe brutaler Gewalt erzwungen und hielt mit uneingeschränkter Rücksichtslosigkeit an ihr fest. Selbst unter den größten seiner Gardisten gab es kaum einen, der es an schierer Muskelkraft, ganz zu schweigen von seinem Geschick und seiner Erfahrung als Krieger, mit ihm aufzunehmen vermochte. Es hätte Kahlan nicht verwundert, wenn er imstande gewesen wäre, einem Mann mit bloßer Hand den Schädel zu zerquetschen. Zudem war er ein Traumwandler und konnte sich, ohne das Geringste befürchten zu müssen, selbst unter die übelsten Trunkenbolde mischen.

Draußen auf dem Feld prallten die Mannschaften in einer gewaltigen Karambolage aus Knochen und Muskeln zusammen. Kahlan sah, wie die Angriffsspitze, von zwei Seiten gleichzeitig attackiert, den Broc verlor. Keuchend kauerte der Spieler auf einem Knie und versuchte, sich die Rippen haltend, wieder zu Atem zu kommen. Er war nicht der von ihr gesuchte Mann.

Das Horn erschallte und verkündete das Ende dieses Spielabschnitts. Die Fans der gegnerischen Mannschaft bejubelten frenetisch das Scheitern des Versuchs zu punkten. Als der Schiedsrichter den Broc zum anderen Spielfeldende hinübertrug und ihn der Angriffsspitze der anderen Mannschaft aushändigte, entfuhr Kahlan ein Seufzer. Auch er war nicht der Gesuchte. Als schließlich das Stundenglas umgedreht wurde und das Horn erneut erschallte, begannen die Angriffsspitze und ihre Mannschaft ihren Sturmlauf quer über das Feld, während die gegnerische Mannschaft ihnen zur Verteidigung ihrer Tore entgegen stürmte.

Das Geräusch aufeinanderprallender Körper war schauerlich. Einer der Spieler schrie vor Schmerzen. Obwohl Julian hinter der Mauer aus Gardisten stand und von den Geschehnissen auf dem Spielfeld kaum etwas mitbekam, ließ das Geräusch der Schreie sie zusammenzucken und sich noch enger an Kahlan schmiegen. Noch während die zu Boden gegangenen Spieler von den Gehilfen des Schiedsrichters vom Platz gezerrt wurden, wurde die Partie wieder aufgenommen. Jagang hatte offenbar genug gesehen. Er wandte sich ab und begab sich hinüber zum nächsten Ja’La-Feld. Die Menge aus schiebenden und drängelnden Männern, die alle das Spiel zu verfolgen versuchten, teilte sich, um dem Kaiser Platz zu machen. Obwohl die Zuschauermenge gewaltig war, stellte sie nur einen winzigen Bruchteil aller Männer in diesem Armeelager dar.

Trotz des Turniers wurden die Arbeiten an der Rampe fortgeführt. Die meisten der dort arbeitenden Soldaten würden nach Beendigung ihrer Schicht noch reichlich Gelegenheit erhalten, die anderen für diesen Tag und Abend angesetzten Partien zu verfolgen. Ab und an schnappte Kahlan Gesprächsfetzen auf, denen zufolge zahlreiche Mannschaften um das Recht wetteiferten, am Schluss gegen die Mannschaft des Kaisers antreten zu dürfen. Das Turnier bot eine willkommene Abwechslung für diese Männer, die nichts anderes kannten als den immer gleichen Tagesablauf aus Plackerei und der langwierigen Belagerung des Palasts des Volkes.

Es war ein langer Marsch durch die johlende, grölende und buhende Menge rings um die Partie, die der Kaiser jetzt verließ. Sie bahnten sich einen Weg durch das morastige, schmutzstarrende und stinkende Lager und gelangten schließlich zum nächsten Ja’La-Feld, wo man für den Kaiser und seine Gruppe von Leibwächtern einen Bereich abgesperrt hatte. Eine Gruppe von Offizieren gesellte sich dort zu ihm, die sich mit ihm ausgiebig über die in Kürze antretenden Mannschaften unterhielt. Allem Anschein nach waren in der Partie, die sie eben verlassen hatten, rangniedrigere Mannschaften gegeneinander angetreten, hier dagegen würden Spieler auflaufen, von denen man, aus welchem Grund auch immer, eine bessere Vorstellung erwartete. Soeben hatten sich die beiden Angriffsspitzen in der Spielfeldmitte eingefunden, um auszulosen, welche Mannschaft als Erstes das Angriffsrecht erhalten würde. Die beiden zogen einen Strohhalm aus einem Bündel, das ihnen der Schiedsrichter anbot, hielten die Halme dann in die Höhe. Der Spieler, der den kürzeren gezogen hatte, fluchte, sein siegreicher Widersacher dagegen reckte den Strohhalm mit einem triumphierenden Aufschrei in den Himmel. Seine Mitspieler und der seine Mannschaft unterstützende Teil des Publikums brachen in brausenden Beifall aus.

Der lange Strohhalm stellte ihn vor die Wahl: Entweder nahm er den Broc zum ersten Angriffsrecht entgegen oder er überließ ihn seinem unterlegenen Gegner. Selbstverständlich verzichtete keine Mannschaft jemals auf die erste Chance, zu punkten, nicht zuletzt, weil dies als gutes Omen für ihre Siegesaussichten galt.

Nach allem, was Kahlan von den Soldaten und Bewachern in ihrer Umgebung aufschnappte, waren die meisten der Überzeugung, das Spiel des Lebens werde schon mit dem Ziehen dieses Strohhalms entschieden, ein Vorgang, in dem sich ihrer Meinung nach die Fügung des Schicksals offenbarte.

Keine der Angriffsspitzen war die von Kahlan gesuchte. Gleich mit Spielbeginn wurde offenkundig, dass diese Männer erheblich fähiger waren als die der vorherigen Partie. Die Attacken auf den ballführenden Spieler wurden mit wilder Entschlossenheit geführt. Männer warfen sich durch die Luft bei ihren ungestümen Versuchen, Körperkontakt herzustellen - sei es, um die gegnerische Angriffsspitze auszuschalten oder die eigene zu schützen. Diese wiederum trug nicht nur den Broc übers Feld, sondern warf sich mit ihrem ganzen Gewicht in ihre Gegenspieler. Als sich ihr jemand näherte, schleuderte sie den Broc mit voller Wucht aus kürzester Distanz. Der Blocker ächzte unter der Wucht des Aufpralls und ging zu Boden. Das Publikum applaudierte johlend. Einer der Flügelstürmer schnappte sich den Broc und warf ihn in vollem Lauf zur Angriffsspitze zurück.

»Tut mir leid«, meinte Julian leise zu Kahlan, während die Gardesoldaten, Offiziere und Jagang das Spiel verfolgten, und einige von ihnen Kommentare zu den Spielern abgaben.

»Du kannst ja nichts dafür. Du hast getan, was du konntest.«

»Aber du hast so viel für mich getan. Ich wünschte, ich wäre so gut wie du, dann könnte ich mi-«

»Still jetzt. Ich bin auch eine Gefangene. Wir beide können gegen diese Männer nichts ausrichten.«

Da ging ein zaghaftes Lächeln über Julians Lippen. »Wenigstens bin ich froh, dass ich bei dir sein kann.«

Kahlan erwiderte das Lächeln, dann blickte sie auf zu ihren Bewachern, die wie gebannt die nervenaufreibende Partie verfolgten.

»Ich werde versuchen, mir zu überlegen, wie ich uns von hier fortbringen kann«, gab sie leise zurück.

Ab und zu riskierte Jillian einen Blick zwischen den Hünen hindurch und versuchte zu erkennen, was sich auf dem Spielfeld tat. Als Kahlan bemerkte, dass sie sich die nackten Ärmchen rieb und vor Kälte zu zittern begann, legte sie beschützend ihren Umhang um sie, damit sie etwas von ihrer Wärme mitbekam.

Die Partie zog sich hin. Mittlerweile hatte jede Mannschaft einen Treffer erzielt, doch da das Spiel kurz vor Ende noch immer unentschieden stand und sich keine der Mannschaften einen entscheidenden Vorteil zu verschaffen vermochte, ahnte Kahlan, dass es in der Nachspielzeit noch eine ganze Weile dauern konnte, bis der Sieger gefunden wäre. Doch dann überschlugen sich die Ereignisse. Die Angriffsspitze der einen Mannschaft wurde von hinten an den Beinen attackiert, während sich gleichzeitig ein Blocker von vorne mit gesenkter Schulter gegen ihn warf. Das Ganze war offenkundig abgesprochen, und die Angriffsspitze erschlaffte und schlug hart zu Boden. Alles deutete darauf hin, dass er sich bei dem Angriff das Genick gebrochen hatte. Die Menge raste. Kahlan bog Julians Gesicht fort und drückte es stattdessen fester an sich.

»Schau nicht hin.«

Jillian, den Tränen nahe, nickte. »Ich weiß wirklich nicht, wieso sie diese grausamen Spiele mögen.«

»Weil es grausame Menschen sind«, murmelte Kahlan.

Ein anderer Spieler wurde zur Angriffsspitze ernannt, während ihr Spielführer unter ohrenbetäubendem, zufriedenem Grölen auf der einen und wüsten Beschimpfungen auf der anderen Seite vom Spielfeld geschleift wurde. Die beiden Hälften des Publikums schienen kurz davor, handgreiflich zu werden, doch dann nahm das Spiel rasch seinen Fortgang, und sie wurden wieder in den Bann des rastlosen Geschehens gezogen.

Die Mannschaft, die ihre Angriffsspitze verloren hatte, lieferte einen aufopferungsvollen Kampf, dennoch wurde rasch deutlich, dass sie auf verlorenem Posten kämpfte. Der neue Mann war dem Verlust nicht ebenbürtig, und nach Beendigung der letzten regulären Spielzeit des Stundenglases hatten sie mit zwei Punkten Differenz verloren -ein glänzender Sieg für die gegnerische Mannschaft. Diese Punkteverteilung und das brutale Ausschalten der gegnerischen Angriffsspitze würde massiv zum Ruhm der siegreichen Mannschaft beitragen. Jagang und seine Offiziere schienen mit dem Ausgang der Partie zufrieden. Wie erwartet, hatte sie alle Elemente an Brutalität, Blut und rücksichtslosem Triumph geboten, die ihrer Meinung nach zum Ja’La gehörten. Die Gardesoldaten, noch ganz berauscht von der mörderischen Grausamkeit des Spiels, tauschten sich untereinander tuschelnd darüber aus, was ihnen an einigen der wüstesten Karambolagen am besten gefallen hatte. Die Erregung der ohnehin schon aufgewühlten Menge wurde durch die sich daran anschließende Auspeitschung zusätzlich aufgestachelt. Die Männer hatten Blut geleckt und konnten den Beginn der nächsten Partie kaum noch erwarten.

Während der Unterbrechung stimmten sie einen rhythmischen Sprechgesang an, mit dem sie die nächsten Mannschaften voller Ungeduld auf den Platz zu brüllen versuchten, und klatschten dazu im Rhythmus ihrer monotonen Forderungen nach Spektakel in die Hände. Schließlich löste sich am fernen rechten Spielfeldende eine der Mannschaften aus der Menge. Nach dem Jubel zu urteilen, der plötzlich aufbrauste, war diese Mannschaft beim Publikum überaus beliebt. Eine Faust in den Himmel gereckt, trabten sie einmal um das ganze Feld, um sich ihren Anhängern zu zeigen. Soldaten in der Menge sowie weibliche Schlachtengänger beklatschten die ihnen offenbar bekannte und von ihnen unterstützte Mannschaft.

Einer der nicht weit vor Kahlan stehenden Leibwächter Jagangs bemerkte zu dem neben ihm stehenden Soldaten, dass diese Mannschaft weit mehr sei als bloß gut, und er davon ausgehe, dass sie ihren Gegnern eine üble Abreibung verpassen würde. Nach dem Gejohle der Menge schienen die meisten Zuschauer der gleichen Auffassung zu sein. Offenbar war diese überaus beliebte Mannschaft von ebenjener rabiaten Gesinnung, die man in der Imperialen Ordnung schätzte und derer man sich gern erinnerte. Nach der vorangegangenen Partie befand sich der Soldatenmob im Zustand höchster Erregung, und es verlangte ihn nach Blut.

Die gewaltige, dicht gedrängt stehende Masse stellte sich auf die Zehenspitzen und reckte den Hals, als sich schließlich auch die gegnerische Mannschaft einen Weg durch die Menge linker Hand bis hinunter auf das Spielfeld bahnte.

Sie tat dies ruhig hintereinander gehend, ohne dass ein Einziger seine Faust erhoben hätte, und ganz ohne prahlerisches Gehabe. Kahlan betrachtete sie ebenso erstaunt wie alle anderen. Schweigen legte sich über die Menge. Niemand jubelte.

Dafür waren alle viel zu überrascht.

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