38

Trotz seiner Qualen, seines Unvermögens, sich vom Boden zu erheben, konnte Richard nicht anders: Er freute sich, dass Kahlan endlich nicht mehr diesen entsetzlichen Ring um den Hals trug. Sie war von Jagang befreit!

Selbst wenn Samuel sich ergreifen lassen oder getötet würde, ehe sie aus dem Lager fliehen konnten - aufgrund ihrer Unsichtbarkeit würde sich Kahlan auch allein durchschlagen können. Wie er sie kannte, würde sie diesen Vorteil auf dem Weg nach draußen ausnutzen und das halbe Lager dem Erdboden gleichmachen. Was immer ihm jetzt noch zustoßen mochte, am meisten zählte für ihn die Erleichterung über Kahlans gelungene Flucht.

Zwar wusste Kahlan nicht, wo sie sich befand, auch nicht, wohin sie sich wenden sollte, aber sie lebte und war nicht mehr unmittelbar in Gefahr. Richard hatte sich in das Ordenslager bringen lassen, um sie zu befreien, und zumindest das war ihm gelungen. Auch wenn ihn das in eine überaus gefährliche Lage gebracht hatte - ihr die Flucht zu ermöglichen, war es ihm wert gewesen.

Sein Blick wanderte vorbei an der über ihm stehenden Schwester zu Nicci. Es stand sehr schlecht um sie. Er hatte selbst schon einen dieser Ringe um den Hals getragen und kannte die einsamen Qualen nur zu gut, die sie derzeit durchlitt. Gern hätte er auch ihr geholfen oder ihr zumindest zu verstehen gegeben, dass sie nicht allein war, doch ihm waren die Hände gebunden.

Jillian erging es gewiss keinen Deut besser, trotzdem ermahnte er sich, nicht ständig solche grauenhaften Gedanken zu denken. Immer eins nach dem anderen. Er musste einen Weg finden, den beiden zu helfen.

Völlig unvermittelt ebbte der Schmerz in seinen Armen und Beinen ab, wenngleich sein übriger Körper noch immer lichterloh in Flammen zu stehen schien. Obschon er endlich wieder die ersten Bewegungsversuche machen konnte, plagten ihn noch immer solch entsetzliche Kopfschmerzen, dass er alles nur verschwommen und verzerrt sah.

»Auf mit dir«, kommandierte die Schwester.

Sie klang, als wäre sie übelster Laune. Trotz ihrer angeblichen Freude über Richards Ergreifung, die ihr eine Belohnung von Jagang eintragen würde, wirkte sie über ihr unerwartetes Glück alles andere als begeistert. Sie konnte nur eine Schwester der Finsternis sein, entschied er, aber genau genommen spielte das vermutlich keine Rolle.

»Ich wette, du bist nicht eben glücklich, mein Gesicht zu sehen«, bemerkte sie im Tonfall selbstgefälliger Zufriedenheit. Vermutlich hielt sie sich für bemerkenswert, dabei waren ihr überheblicher Blick, ihre herablassende Art und ihre spitze Zunge für alle Welt offensichtlich. Offenbar glaubten manche Menschen, diese aufgeblasene Arroganz würde ihnen zu Ruhm und Ansehen verhelfen, doch verwechselten sie Angst mit Respekt. Richard konnte sich tatsächlich nicht an sie erinnern und sah keinen Sinn darin, ihr zu gehorchen.

»Ich kann nicht behaupten, dass ich mich an Euch erinnere. Gibt es einen Grund, weshalb ich es sollte?« »Du lügst! Jeder kannte mich im Palast!«

»Wie schön.« Richard versuchte Zeit zu gewinnen, um wenigstens wieder halbwegs zu Kräften zu kommen. »Auf mit dir!«

Richard gab sich größte Mühe, zu gehorchen. Leicht war es nicht. Seine Glieder gehorchten ihm nicht so, wie es ihm lieb gewesen wäre. Als er sich endlich bis auf Hände und Knie hochgestemmt hatte, trat sie ihn in die Rippen. Der Tritt ließ Richard zusammenzucken. Glücklicherweise verfügte sie weder über das Gewicht noch die Kraft, damit größeren Schaden anzurichten, schmerzhaft war es trotzdem. Das Gefährliche an ihr war ihre Gabe.

»Sofort!«, kreischte sie.

Wankend kam Richard auf die Beine. Seine Gliedmaßen begannen, den sengenden Schmerz abzuschütteln, nicht aber sein Kopf. Als das Getöse der Schlacht weiter entfernt in der Dunkelheit für einen kurzen Moment anschwoll, zuckte der Blick der Schwester kurz in diese Richtung. Richard nutzte die Gelegenheit, sich rasch umzusehen und die auf dem Boden herumliegenden Waffen in Augenschein zu nehmen. Sobald sie ihm den Rücken zukehrte, musste er die Gelegenheit beim Schopf ergreifen, denn hatte Jagang ihn erst in den Folterzelten festgeschnallt, würde er nie wieder das Tageslicht erblicken.

»Du hast ja keine Ahnung, wie lange ich auf diese Gelegenheit gewartet habe, auf etwas, das mir die Gunst des Kaisers eintragen würde. Endlich hat der Schöpfer meine Gebete erhört und dich mir in die Hände gespielt.«

»Demnach ist es die Gewohnheit Eures Schöpfers, Gebete dadurch zu beantworten, dass er Opfer in die Hände ihrer Häscher spielt? Die schleimigen Schmeicheleien, die Ihr von Euch gebt, wenn Ihr vor ihm demütig die Hände aneinanderlegt, machen ihn so trunken vor Glück, dass er es gar nicht erwarten kann, Euch beim Bevölkern der Folterzelte zu helfen?«

Sie bedachte ihn mit einem zögerlichen, verschlagenen Grinsen. »Man wird dir noch deine vorlaute Zunge rausschneiden, damit die demütigen Diener des Schöpfers sich nicht deine Ketzereien anhören müssen.«

»Ich hab schon häufiger gehört, meine vorlaute Zunge sei einer meiner schlimmsten Fehler. Mit dem Herausschneiden würdet Ihr mir also nur einen Gefallen tun.«

Ihr verschlagenes Grinsen wurde gallig. Sie drehte sich um und wies mit ausholender Geste auf das Lager. »Du glaubst, du könntest-«

Unter Aufbietung aller ihm zur Verfügung stehender Kräfte trat Richard ihr seitlich gegen das Gesicht, ein gewaltiger Tritt, der sie völlig überraschte und sie beim Zusammenprall ein Stück abheben ließ. Zähne und Blut spritzten in die Dunkelheit, ehe sie hart auf den Boden schlug. Offenbar hatte er sie mit seinem Stiefeltritt betäubt und ihr den Kiefer zertrümmert.

Hastig bückte sich Richard nach irgendeinem Schwert. Diese Frau war auf keinen Fall zu unterschätzen. Solange sie noch lebte, hatte sie auch die Möglichkeit, ihn umzubringen oder konnte ihn den Wunsch verspüren zu lassen, er wäre bereits tot. Seine Finger schlossen sich um das Heft einer Klinge. Er wirbelte herum, um sie ihr in den Leib zu stoßen.

Ein Lichtblitz erhellte schlagartig die Luft. Richard schlug so hart auf den Rücken, dass ihm die Luft aus den Lungen gepresst wurde. Die Frau war wieder auf den Beinen, Blut schoss ihr aus der unteren Gesichtshälfte, in langen Fäden, die um sie peitschten, als sie beide Hände hochriss. Ihm war völlig unbegreiflich, wie sie sich schon wieder auf den Beinen halten konnte, schließlich sah sie aus, als wäre sie soeben von den Toten wiederauferstanden. Lange würde sie unmöglich durchhalten können, womöglich aber lange genug, um ihn umzubringen. Offenbar hatte sein gewaltiger Tritt entsetzliche Verletzungen hervorgerufen. In der Hitze des Gefechts verhinderte der urplötzliche Schock jedoch, dass sie die Schmerzen sofort spürte. Auch wenn er sie vermutlich jeden Moment übermannen und sie vor Schmerzen schreiend am Boden zusammenbrechen lassen würde, in diesem Moment spürte sie ihn nicht, und das war alles, was sie brauchte.

Mordlust stand in ihren Augen.

Richard versuchte sich aufzurappeln, um ihr den Rest zu geben, doch es war, als hätte sich ein Bulle auf seine Brust gesetzt. Die Luft wurde ihm aus den Lungen gepresst.

Sie machte einen Schritt auf ihn zu, zögerte dann, scheinbar verwirrt. Ihr Blick brach, und plötzlich fasste sie sich an die Brust. Mit überraschtem Blinzeln beobachtete er, wie sie wankend einen Schritt vorwärtstorkelte und schließlich, mit dem Gesicht voran, hart auf den Boden schlug, ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, ihren Sturz noch abzufangen. Unsicher, ob dies vielleicht eine Art Täuschungsmanöver sei, starrte er sie einen Augenblick lang an. Sie rührte sich nicht, und auch das Gewicht war von seiner Brust genommen. Nicht gewillt, die Gelegenheit ungenutzt verstreichen zu lassen, schnappte er sich das Schwert, das er hatte fallen lassen, als etwas seine Aufmerksamkeit erregte. Er blickte auf und konnte gar nicht glauben, wen er dort im Dunkeln, ein Stück jenseits der Stelle, wo eben noch die Schwester gestanden hatte, stehen sah.

»Adie?«

Ein Lächeln ging über das Gesicht der alten Frau. »Adie, was bin ich froh, Euch zu sehen.« Mühsam kam Richard wieder auf die Beine.

»Wohl wahr«, erwiderte sie nickend. »Was in aller Welt tut Ihr hier?«

»Ich war unterwegs zur Burg der Zauberer, als ich Zeugin einer höchst seltsamen Ja’La-Partie wurde, in der die Spieler mit überaus bedrohlichen Symbolen bemalt waren. In dem Moment wusste ich, dass nur du das sein konntest. Seither habe ich versucht, mich zu dir durchzuschlagen. Was nicht gerade einfach war.«

Das konnte er sich gut vorstellen.

Aber er hatte keine Zeit, lange darüber nachzudenken oder die alte Hexenmeisterin auszufragen, sondern lief hinüber zu der Stelle, wo Nicci sich vor Schmerzen windend am Boden lag. Aus angstvoll geweiteten Augen blickte sie zu ihm hoch. Sie war ganz in ihrer Welt aus Qualen gefangen, Qualen, die ihr der Halsring bereitete, wie ihm sofort klar wurde. Er war ratlos, was er tun sollte.

»Könnt Ihr ihr helfen?«, fragte er über seine Schulter. Adie ließ sich neben ihm auf die Knie und schüttelte den Kopf. »Es ist der Rada’Han, und den vermag ich ihr nicht abzunehmen.«

»Habt Ihr eine Idee, wer es könnte?« »Nathan vielleicht.«

»Lord Rahl, wir müssen uns beeilen«, rief eine näher kommende Stimme. »Die Soldaten kommen wieder zu sich.«

Stirnrunzelnd betrachtete er den Mann, der sich, in der Hand ein Schwert, aus der Dunkelheit schälte. Es war Benjamin Meiffert, gekleidet wie einer der vertrauteren Gardisten Kaiser Jagangs.

»Was in aller Welt habt Ihr hier verloren, General?« Dann kam ihm der jüngste Nachschubkonvoi in den Sinn. »Ihr solltet doch unten in der Alten Welt sein und den Orden seiner Fähigkeit berauben, diese Armee zu unterstützen.«

Er nickte. »Ich weiß. Ich musste hierher zurück, um Euch Bericht zu erstatten. Wir sind auf Schwierigkeiten gestoßen, gewaltige Schwierigkeiten.«

Richard kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass die aufgetretenen Probleme mehr als ernst gewesen sein mussten, wenn er seine Mission im Stich ließ, um ihn darüber zu unterrichten, was schiefgelaufen war. Dies war jedoch kaum der rechte Ort für derartige Diskussionen.

»Ich war mir nicht sicher, wo ich Euch finden konnte, aber da ich Euch das letzte Mal unweit von hier gesehen hatte, nahm ich an, dass ich hier die besten Chancen haben würde.

Vor Kurzem dann sind Adie und ich uns über den Weg gelaufen. Von ihr weiß ich, dass Ihr Euch hier mitten in diesem Chaos befindet. Erst wollte ich ihr nicht glauben, doch dann stellte sich heraus, sie hatte recht.«

Richard war zu sehr in Eile, um ihn zu fragen, wie er es geschafft hatte, sich die Uniform eines kaiserlichen Gardisten zu besorgen, aber offenbar hatte er es ihr zu verdanken, dass er sich, ohne aufgegriffen oder umgebracht zu werden, durch das Lager bewegen konnte.

»Wie seid Ihr nach hier unten gelangt?«, wollte der General von Adie wissen. »Vielleicht können wir auf demselben Weg zurück in den Palast.«

Adie schüttelte den Kopf. »Ich habe einfach die Straße genommen. Ich war allein, außerdem war es stockfinster. Meine Talente haben mir geholfen, meine Anwesenheit zu verschleiern, als ich bei den Armeeposten unten am Ende der Straße anlangte.

Auf diesem Weg können wir jedenfalls nicht zurück, er wird viel zu streng bewacht. Es gibt dort mit der Gabe Gesegnete, die Netze eingerichtet haben, um jeden aufzuspüren, der durchzuschlüpfen versucht. Sie sind nicht eben stark, reichen aber, um uns abzufangen.«

»Aber mit Eurer Kraf-«

»Nein«, schnitt sie dem General das Wort ab. »Im Palast ist meine Kraft geschwächt, und selbst in der Nähe des Hochplateaus erreicht sie nicht ihre gewohnte Stärke. Alle mit der Gabe Gesegneten sind hier geschwächt, allerdings haben sie ihre Talente gebündelt, um sie zu stärken. Ich dagegen habe niemanden, der mich unterstützen könnte, und allein bin ich nicht stark genug, uns alle durch die Schilde zu bringen. Schon gar nicht jetzt, da Niccis ernster Zustand eine zusätzliche Belastung für uns wäre. Es auf diesem Weg zu versuchen, das wäre unser sicherer Tod.«

»Die großen Innentore sind verschlossen«, dachte der General laut nach.

»Zudem werden sie schwer bewacht. Selbst wenn es uns gelänge, uns bis dorthin durchzuschlagen, wäre es uns sicher unmöglich, sie zu öffnen.«

»Nicci meinte, sie kenne einen Weg in den Palast«, mischte sich Richard ein. »Sie sagte, wir müssten zur Rampe. Was genau sie damit meinte, weiß ich nicht, aber auf jeden Fall müssen wir dieses Lager auf dem schnellsten Weg verlassen, wenn wir nicht aufgegriffen werden wollen. Nicci bleibt vermutlich ebenfalls nicht mehr viel Zeit.«

Adie beugte sich vor und legte Nicci ihre dürren Finger an die Stirn.

»Stimmt.«

Richard nahm Nicci mit beiden Armen auf. »Gehen wir.«

General Meiffert trat vor. »Ich kann sie doch tragen, Lord Rahl.«

»Ich hab sie schon.« Richard wies mit dem Kopf. »Übernehmt Ihr Jillian.«

Er beeilte sich, das völlig erschöpfte Mädchen mit beiden Armen aufzunehmen.

Um sie ein wenig zu trösten, strich Adie Nicci sachte mit der Hand über die Stirn. »Was ich nicht verstehe, ist, wie sie überhaupt in Gefangenschaft geraten konnte. Als wir sie zuletzt gesehen haben, war sie noch oben im Palast.«

Plötzlich wurde Richard das ungeheure Gewicht seiner Verantwortung bewusst. »Wie ich Nicci kenne, hat sie vermutlich versucht mich zu finden.«

»Ann ist ebenfalls verschollen«, bemerkte Adie, während sie die beiden ersten Finger ihrer rechten Hand an die Unterseite von Niccis Kiefer legte.

»Ich habe sie nirgendwo gesehen«, erwiderte Richard. Adies Bemühungen um Nicci schienen keinerlei Wirkung zu zeigen. Richard hatte nicht den Eindruck, dass sie, fanden sie keine Möglichkeit, ihr den Halsring abzunehmen, noch sehr viel länger durchhalten würde. Ihre naheliegendste Hoffnung war Nathan.

Richard wies mit dem Kinn nach hinten auf die Stelle, wo er gelegen hatte, als die Schwester aufgetaucht war. »Der Mann dort drüben, mit der roten Farbe im Gesicht. Könnt Ihr ihm helfen, Adie?«

Adie spähte hinüber zu dem am Boden liegenden Mann. »Vielleicht.«

Mit hastigen Schritten lief sie hinüber zu Bruce und ließ sich neben ihm auf die Knie. Wie alle anderen, die von der Explosion der Schwestern zu Boden gerissen worden waren, war er nur halb bei Bewusstsein. Das Gesicht verborgen hinter ihrem glatten, grau-schwarzen Haar, beugte sie sich vor und legte ihre Finger auf die an seinen Schläfen aufgemalten roten Symbole. Nach kurzem Stöhnen riss Bruce die Augen auf. Nachdem er ein paar Mal tief durchgeatmet hatte, löste sie auf der einen Seite ihre Hand.

Augenblicke später richtete Bruce sich auf und verdrehte den Kopf, um seine offenbar schmerzenden, verkrampften Nackenmuskeln zu strecken.

»Was ist passiert?«

»Beeil dich, Bruce«, sagte Richard. »Wir müssen von hier fort.«

Richards linker Flügelstürmer ließ den Blick über die am Boden liegenden Männer schweifen. Dann ging sein Blick zu Benjamin, der, gekleidet wie einer der kaiserlichen Gardisten Jagangs, Jillian in den Armen hielt, wanderte zu Adie und zu guter Letzt zu Richard, der mit der erschlafften Nicci in den Armen ein paar Schritte entfernt stand. Bruce griff nach seinem Schwert. »Rüben, was geht hier vor?«

»Das ist eine lange Geschichte. Du wolltest mir helfen und hast mir das Leben gerettet. Jetzt ist der Augenblick gekommen, dich zu entscheiden, auf wessen Seite du stehst.«

Bruce schien die Frage nicht zu verstehen. »Ich bin dein Flügelstürmer, also stehe ich auf deiner Seite. Weißt du das nicht?«

Richard sah ihm fest in die Augen. »Mein Name ist Richard.« »Na, dass es nicht Rüben war, war mir schon klar. Was für ein alberner Name für eine Angriffsspitze.« »Richard Rahl«, setzte Richard hinzu.

»Lord Rahl«, verbesserte General Meiffert, der selbst mit Jillian in den Armen nicht gewillt schien, Ärger aus dem Weg zu gehen. Bruce blickte von einem Gesicht zum anderen. »Also, wenn ihr alle krepieren wollt, könnt ihr weiter hier herumstehen, bis diese Burschen wieder zu sich kommen. In diesem Fall bin ich nicht auf eurer Seite. Seid ihr euch aber einig, dass ihr überleben wollt, dann schon.«

»Zur Rampe«, stöhnte Nicci.

Richard drückte sie ein wenig fester an sich. »Seid Ihr wirklich sicher? Wir könnten versuchen, uns bis zur Straße zur Hochebene hinauf durchzuschlagen.« Es widerstrebte ihm, einen vertrauten Weg gegen die vage Möglichkeit einer ungewissen Alternative einzutauschen. »Ich weiß, sie wird schwer bewacht, aber vielleicht können wir uns den Weg freikämpfen. Adie könnte uns dabei helfen. Vielleicht könnten wir es schaffen.«

Nicci klammerte sich an seinen Hals und zog seinen Kopf zu sich herab. Dann sah sie ihn mit ihren blauen Augen durchdringend an. »Rampe«, wiederholte sie leise mit letzter Kraft.

Der Blick in ihren Augen war alles, was er brauchte.

»Gehen wir«, wandte er sich an die anderen. »Wir müssen zur Rampe.«

»Wie sollen wir zwischen all den noch immer kämpfenden Männern durchkommen?«, wollte Bruce wissen, als sie in die dunkle Nacht aufbrachen. »Bis zur Rampe ist es weit.«

Solange sämtliche Gardisten niedergestreckt am Boden lagen, war es in dem Bereich, in dem sie sich befanden, verhältnismäßig ruhig. Weiter draußen dagegen regierte nach wie vor das Chaos.

Der General verlagerte leicht Julians Gewicht und zeigte mit dem Schwert. »Gleich dort drüben steht ein kleiner Vorratswagen, in dem wir Jillian und Nicci verstecken können. Mit der Farbe auf euren Gesichtern werdet ihr beide nicht weit kommen, ehe ein paar Hunderttausend dieser Kerle beschließen, euch niederzustrecken. Ich will Euch ja nicht vor den Kopf stoßen, Lord Rahl, aber die Chancen stehen ziemlich schlecht. Deshalb möchte ich, dass Ihr Euch beide mit Nicci und Jillian im Innern versteckt. Adie und ich werden vor dem Wagen gehen, dann wird mich jeder für einen kaiserlichen Gardisten halten und Adie für eine Schwester. Wir können ja behaupten, wir wären im dringenden Auftrag des Kaisers unterwegs.« Richard nickte. »Gut. Beeilen wir uns.«

»Wer ist dieser Bursche überhaupt?«, wollte Bruce, zu Richard hinübergebeugt, wissen.

»Mein oberster General«, beschied ihn Richard knapp.

»Benjamin Meiffert«, setzte dieser mit einem flüchtigen Lächeln hinzu, während sie alle zum Wagen aufbrachen. »Für deinen Mut, dich in den Schlund des Todes zu wagen, um an Lord Rahls Seite zu kämpfen, hast du dir den Dank einer Menge guter Leute verdient.«

»Einen General hab ich noch nie kennengelernt«, murmelte Bruce, während er den anderen hinterhereilte.

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