Kahlan war bereits mehr als eine Stunde gegangen, als sie das ferne Poltern galoppierender Hufe vernahm. Als sie Pferde aus einer Baumreihe vor ihr hervorkommen sah, blieb sie zögernd stehen; sie hielten direkt auf sie zu.
Sie blickte sich in der Senke um, die sie soeben durchquerte. Langsam ließ sie die Satteltaschen zu Boden gleiten. Eine sachte Brise hob ihr Haar von den Schultern, als sie mit ihrer Linken das Heft des Schwertes packte. Ihre einzige Chance bestand darin, stehen zu bleiben und zu kämpfen.
In diesem Augenblick fiel ihr ein, dass sie ja für nahezu jeden unsichtbar war. Fast hätte sie vor Erleichterung lauthals gelacht. Es war einer jener seltenen Momente, in denen sie froh war über ihre Unsichtbarkeit. Sie blieb stehen, wo sie war, und verhielt sich ruhig, in der Hoffnung, die Reiter würden sie nicht bemerken und einfach vorüberreiten. In diesem Augenblick bemerkte sie, dass es zwar drei Pferde waren, aber nur eines einen Reiter trug. Das waren gute Neuigkeiten, denn damit standen ihre Chancen ausgeglichen.
Als die galoppierenden Pferde näher kamen, erkannte sie zu ihrem Erstaunen den Reiter. »Richard!«
Das Pferd war noch nicht ganz zum Stillstand gekommen, da sprang er bereits aus dem Sattel. Das Tier warf schnaubend den Kopf. Alle drei Pferde waren überhitzt und mit einer Schweißschicht bedeckt.
»Bist du wohlauf?«, rief er ihr zu, als er auf sie zugelaufen kam.
»Ja.«
»Du hast deine Kraft benutzt.«
Außerstande, den Blick von seinen grauen Augen zu lösen, nickte sie nur.
»Wie hast du das bemerkt?«
»Ich meinte, es gespürt zu haben.« Er wirkte übermütig vor Freude. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie froh ich bin, dich zu sehen.«
Wie sie ihn so betrachtete, wünschte sie, sie könnte sich an ihre gemeinsame Vergangenheit erinnern, an das, was sie füreinander bedeuteten.
»Ich hatte schon befürchtet, du wärst tot. Ich wollte dich dort nicht zurücklassen. Ich hatte solche Angst, du wärst tot.«
Offenbar außerstande, ein Wort hervorzubringen, stand er nur da und betrachtete sie. Sein Aussehen entsprach ihrem Gefühlszustand, so als steckten tausend Dinge in seinem Innern, die alle zuerst herauswollten. Kahlan musste an seinen Kampfstil denken, als er den Tumult ausgelöst hatte, an die fließenden Bewegungen, mit denen er sich erst unter seinen Gegenspielern beim Ja’La und anschließend unter den schwerfälligen Rohlingen bewegt hatte, als diese wie von Sinnen mit ihren Schwertern und Streitäxten auf ihn einhackten, ihn zu töten versuchten. Es schien, als wäre die Klinge ein Teil von ihm gewesen, beinahe wie eine Verlängerung nicht seines Körpers, sondern seines Geistes. Wie gebannt hatte sie ihn an jenem Tag sich einen Weg zu ihr freikämpfen sehen. Es war, als wäre sie Zeugin eines Tanzes mit dem Tod geworden, nur dass der Tod ihn nicht hatte berühren können.
Sie streckte ihm das Schwert entgegen. »Jede Waffe braucht ihren Meister.«
Sein warmes Lächeln brach durch, wie die Sonne an einem kalten, wolkenverhangenen Tag. Ihr wurde warm ums Herz. Immer noch außerstande, den Blick von ihr zu lösen, betrachtete er sie einen Moment, dann nahm er ihr die Waffe behutsam aus der Hand.
Er schob seinen Kopf durch den Waffengurt und legte ihn über seine rechte Schulter, so dass das Schwert auf seiner linken Hüfte zu liegen kam. Es sah vollkommen natürlich an ihm aus, ganz anders als bei Samuel.
»Samuel ist tot.«
»Das dachte ich mir schon, als ich dich deine Kraft benutzen spürte.« Er legte seine linke Hand auf das Heft. »Dem Schöpfer sei Dank, hat er dir nichts angetan.«
»Er hat es versucht. Das ist auch der Grund, weshalb er jetzt nicht mehr lebt.«
Richard nickte. »Kahlan, ich kann dir im Augenblick nicht alles erklären, aber es geschehen ungeheuer viele Dinge, die ...« »Das Wichtigste hast du verpasst.« »Das Wichtigste?«
»Ja. Samuel hat gestanden. Er hat mir erzählt, dass wir verheiratet sind.«
Richard wurde starr wie ein Fels, und ein blankem Entsetzen nicht unähnlicher Ausdruck huschte über seine Züge.
Eigentlich, überlegte sie, hätte er sie in die Arme nehmen und ihr sagen können, wie froh er sei, sie wiederzuhaben, doch er stand einfach da und sah aus, als hätte er Angst zu atmen.
»Dann waren wir also ineinander verliebt?«, versuchte sie ihn aus der Reserve zu locken.
Ein Teil der Farbe wich aus seinem Gesicht. »Kahlan, dies ist nicht der rechte Augenblick, um über diese Dinge zu sprechen. Wir stecken in größeren Schwierigkeiten, als du dir vorstellen kannst. Für Erklärungen habe ich jetzt keine Zeit, abe-«
»Mit anderen Worten, wir waren es nicht?«
Das hatte sie nicht erwartet, diese Möglichkeit hatte sie nicht einmal in Betracht gezogen. Plötzlich hatte sie das Gefühl, ihre Stimme versage ihr den Dienst.
Ihr war unbegreiflich, wieso er einfach nur dastand und kein Wort über die Lippen brachte. Offenbar wusste er nichts zu sagen.
»Dann war es also so etwas wie eine arrangierte Ehe?« Sie schluckte den Kloß hinunter, der ihr die Kehle zu verschließen drohte. »Die Mutter Konfessor ehelicht den Lord Rahl zum beiderseitigen Wohl ihrer jeweiligen Völker. Eine Verbindung zum beiderseitigen Vorteil, etwa so?«
Er wirkte verängstigter als Samuel, als sie ihn ausgefragt hatte, und biss sich auf die Unterlippe, als müsse er überlegen, wie er darauf antworten sollte.
»Ist schon in Ordnung«, meinte sie. »Du wirst meine Gefühle nicht verletzen, ich erinnere mich ja an nichts. Also, was war es dann? Einfach eine Vernunftehe?«
»Kahlan ...«
»Wir lieben einander also nicht? Bitte, beantworte mir meine Frage, Richard.«
»Schau, Kahlan, es ist etwas komplizierter. Ich habe Verpflichtungen.«
Mit denselben Worten hatte auch Nicci auf ihre Frage nach ihrer Liebe zu Richard geantwortet. Es sei komplizierter. Sie habe Verpflichtungen. Wie hatte sie nur so blind sein können. Es war Nicci, die er liebte.
»Du musst mir vertrauen«, sagte er, während sie ihn nur anstarren konnte. »Wichtige Dinge stehen auf dem Spiel.«
Sie nickte, unterdrückte ihre Tränen und setzte eine leere Miene auf, hinter deren Maske sie sich verbarg. Im Augenblick mochte sie sich nicht auf ihre Stimme verlassen.
Warum nur, fragte sie sich, hatte sie zugelassen, dass ihr Herz die Oberhand über ihren Verstand gewann? Sie war unsicher, ob ihre Beine sie noch länger tragen würden.
Richard fasste sich mit Daumen und Zeigefinger an die Schläfen, blickte einen Moment zum Boden. »Kahlan ... hör zu. Ich werde es dir erklären ... alles - versprochen, aber im Augenblick ist das unmöglich. Bitte vertrau mir einfach.«
Sie wollte schon fragen, warum sie einem Mann vertrauen sollte, der sie geheiratet hatte, ohne sie zu lieben, war im Augenblick aber nicht sicher, ob sie überhaupt ein Wort über die Lippen bringen würde.
»Bitte«, wiederholte er. »Sobald ich kann, werde ich dir alles erklären, versprochen, aber zunächst einmal müssen wir nach Tamarang.«
Sie räusperte sich, und fand endlich ihre Stimme wieder. »Da können wir nicht hin. Samuel meinte, Sechs sei dort.«
Sie hatte noch nicht zu Ende gesprochen, da nickte er bereits. »Ich weiß. Ich muss trotzdem dorthin.«
»Aber ich nicht.«
Er zögerte und starrte sie an.
»Ich will nicht, dass dir noch mehr zustößt«, sagte er schließlich. »Bitte, du musst mich begleiten. Ich erkläre es dir später. Versprochen.«
»Wieso ist später besser als jetzt gleich?«
»Weil wir tot sein werden, wenn wir uns nicht beeilen. Jagang ist kurz davor, die Kästchen der Ordnung zu öffnen. Ich muss versuchen, ihn daran zu hindern.«
Die Ausrede nahm sie ihm nicht ab. Hätte er gewollt, hätte er ihr längst antworten können.
»Ich werde dich begleiten, vorausgesetzt du beantwortest mir eine Frage. Hast du mich bei unserer Hochzeit geliebt?«
Er betrachtete sie einen Moment lang aus seinen grauen Augen, ehe er antwortete.
»Du warst die Richtige für mich.«
Kahlan unterdrückte den Schmerz, den Aufschrei, der aus ihrem Innersten herausdrängte. Zu guter Letzt wandte sie sich ab, weil sie nicht wollte, dass er ihre Tränen sah, und begab sich hinüber zu der Stelle, wo Samuel sie zu vergewaltigen versucht hatte.
Es war bereits lange nach Einbruch der Nacht, als sie gezwungen waren anzuhalten. Richard wäre gerne weitergeritten, doch das Gelände - dicht bewaldet, felsig und zunehmend uneben, während sich rings um sie her Gebirgskämme erhoben - war einfach zu tückisch, um es bei Dunkelheit zu durchqueren. Bei Sonnenuntergang war der fast neue Mond aufgegangen, dessen schmale Sichel jedoch nicht annähernd genügend Licht spendete, um die tiefschwarze Wolkendecke zu durchdringen. Selbst die Helligkeit des spärlichen Sternenhimmels war hinter dichten Wolken verborgen. Es herrschte eine so vollständige Finsternis, dass ein Weiterreiten schlicht unmöglich war.
Hundemüde war Kahlan, doch als Richard mit dem Flaum der Teichkolben, die er als Zunder aufgebrochen hatte, ein Feuer anzün dete, konnte sie sehen, dass sein Zustand weitaus besorgniserregender war. Sie fragte sich, ob er in den letzten Tagen überhaupt geschlafen hatte. Nachdem er das Feuer in Gang gebracht hatte, legte er Angelschnüre aus und machte sich anschließend daran, genügend Feuerholz für die kalte Nacht zu sammeln. Unmittelbar vor einer felsigen Anhöhe hatten sie wenigstens ein wenig Schutz vor dem schneidenden Wind. Kahlan versorgte die Pferde so gut es ging und holte ihnen mit dem Leineneimer aus Richards Ausrüstung Wasser. Nachdem er das Feuerholz zusammengetragen hatte, sah er nach seinen Angelschnüren und stellte fest, dass ein paar Bachforellen angebissen hatten. Sie schaute ihm beim Putzen der Fische zu, sah, wie er die Innereien ins Feuer warf, um keine Tiere anzulocken, und beschloss, ihn nicht weiter mit Fragen über ihrer beider Vergangenheit zu bedrängen. Die Antworten wären zu schmerzlich für sie gewesen. Außerdem hatte er ihre Frage bereits beantwortet: Sie war einfach die Richtige für ihn gewesen. Sie fragte sich, ob er sie vor seiner Einwilligung in die Hochzeit überhaupt gesehen hatte. Es musste Nicci das Herz gebrochen haben, den geliebten Mann aus unromantischen, praktischen Erwägungen eine andere heiraten zu sehen.
Kahlan verbannte all diese Überlegungen aus ihren Gedanken und fragte stattdessen: »Warum reiten wir nach Tamarang?«
Richard sah von seiner Arbeit beim Säubern der Fische auf. »Nun, vor langer Zeit, damals, während des Großen Krieges vor dreitausend Jahren, kämpften die Menschen den gleichen Kampf wie wir jetzt, einen Verteidigungskrieg gegen jene, die die Magie und alle anderen Formen der Freiheit ausmerzen wollten.
Die Verteidiger gegen diese Aggressoren versteckten eine große Zahl magischer Gegenstände - Dinge, die sie im Laufe vieler Jahrhunderte erschaffen hatten - im Tempel der Winde, den sie anschließend in die Unterwelt beförderten, um zu verhindern, dass alles in Feindeshand fiel.«
»Sie haben ihn ins Totenreich befördert?«
Er nickte, während er einige große Blätter ausbreitete. »Im Laufe des Krieges hatten Zauberer auf beiden Seiten fürchterliche Waffen hervorgebracht - entworfene Banne und dergleichen mehr. Nun waren einige dieser Waffen jedoch aus Menschen gemacht worden, was zur Entstehung der Traumwandler führte. Sie wurden aus den Menschen erschaffen, die man in Caska gefangen genommen hatte -Julians Vorfahren.«
»Und etwa um diese Zeit entwickelten sie auch die Feuerkettenreaktion? Während dieses Großen Krieges?«
»Richtig.« Er verteilte eine Schicht aus Schlamm über die Blätter.
»Andere Zauberer waren unablässig mit der Entwicklung von Gegenmitteln gegen ihre Magie befasst. So wurden zum Beispiel die Kästchen der Ordnung während des Großen Krieges als Gegenmittel gegen den Feuerkettenbann geschaffen.«
»Ich erinnere mich, dass sich die Schwestern mit Jagang darüber unterhielten.«
»Also, das Ganze ist einigermaßen kompliziert, aber im Wesentlichen war es so: Einst suchte ein Verräter namens Lothain den Tempel der Winde in seinem Versteck in der Unterwelt auf, wo er gewisse Dinge in Gang brachte, die eines Tages, als der Krieg von neuem entflammte, die Ziele der Imperialen Ordnung unterstützen würden.«
»In der Imperialen Ordnung war man der Ansicht, der Krieg würde erneut ausbrechen?«
»Diese Leute waren stets und werden stets diejenigen sein, die, getrieben von ihrem Hass, alle glücklichen, kreativen und produktiven Menschen für ihr Elend verantwortlich machen.«
»Was genau hat dieser Lothain denn getan?«
Richard blickte auf. »Unter anderem stellte er sicher, dass eines Tages wieder ein Traumwandler in die Welt des Lebens hineingeboren werden würde. Dieser Traumwandler ist Jagang.«
Richard hatte die Fische mit einer Hülle aus Blättern und Schlamm umwickelt und legte die kleinen Päckchen nun am Rand des Feuers in die noch glühende Asche.
»Anschließend entsandten die Menschen auf unserer Seite den Obersten Zauberer in besagten Tempel. Sein Name war Baraccus. Er war ein Kriegszauberer und stellte sicher, dass ein weiterer Kriegszauberer geboren würde, der den Kräften, die die Menschheit in ein dunkles Zeitalter zu führen versuchten, Einhalt gebieten würde.«
Während sie der Geschichte lauschte, zog Kahlan die Knie an den Körper und hüllte sich in eine Decke, um sich zu wärmen. »Mit an deren Worten, bis zu diesem Zeitpunkt gab es gar keine Kriegszauberer?«
Richard schüttelte den Kopf. »Ich bin seit dreitausend Jahren der erste, geboren aufgrund dessen, was Baraccus damals im Tempel tat. Da er wusste, dass der Betreffende keinerlei Kenntnis über seine Talente haben würde, kehrte er noch einmal dorthin zurück und verfasste ein Buch mit dem Titel Geheimnisse der Kraft eines Kriegszauberers, das er von seiner Frau, Magda Searus, die er sehr liebte, fortschaffen und für mich verstecken ließ. Er war sehr darauf bedacht, dass dieses Buch niemandem außer mir in die Hände fiel.
Noch während Magda Searus auf dem Weg dorthin war, um das Buch zu verstecken, nahm sich Baraccus das Leben.«
Diese Neuigkeit überraschte Kahlan. »Aber warum sollte er so etwas tun? Warum sollte er diese Magda Searus alleine lassen, wenn er sie wirklich liebte?«
Richard blickte sie über den flackernden Feuerschein hinweg an. »Ich glaube, er hatte in diesem Krieg so viel Schmerz und Leid gesehen, so viel Verrat und Täuschung, ganz zu schweigen von seinen Erfahrungen auf der Reise durch die Unterwelt, dass er es einfach nicht länger ertrug.«
Sein Blick bekam etwas Beklemmendes. »Ich bin selbst durch den Schleier getreten, ich kann verstehen, warum er es getan hat.«
Kahlan stützte ihr Kinn auf die Knie. »Nach meiner Zeit im Feldlager der Imperialen Ordnung kann ich wahrscheinlich ermessen, welch ungeheures Ausmaß an Mutlosigkeit einen Menschen überkommen kann«. Sie sah zu ihm. »Demnach benötigst du dieses Buch also, um dabei zu helfen, der Imperialen Ordnung Einhalt zu gebieten?«
»So ist es. Gefunden habe ich es bereits, allerdings musste ich es wieder verstecken, als man mich ins Ordenslager brachte.«
Wo er sie retten wollte. »Jetzt sag bloß, das Buch befindet sich in Tamarang.«
Ein Lächeln ging über sein Gesicht. »Warum sollten wir sonst dorthin reiten?«
Kahlan seufzte. Jetzt verstand sie, warum es so wichtig war. Sie starrte in die Flammen, in Gedanken bei Baraccus. »Weißt du, was aus Magda Searus wurde?«
Mit einem Stock zog Richard einen der umwickelten Fische aus der Glut. Er öffnete die Hülle und stieß probeweise mit dem Messer hinein. Als er sah, dass er zerfiel und gar war, legte er ihn neben sie.
»Vorsicht, er ist heiß.« Er zog das andere garende Päckchen heraus.
»Nun, es brach Magda Searus das Herz. Nach dem Krieg mussten sie die Wahrheit aus diesem Lothain herausbekommen, dem Abtrünnigen, der sie verraten hatte. Ein damaliger Zauberer, Merritt, fand einen Weg, wie sich das bewerkstelligen ließe.«
Er starrte einen Moment lang in die Flammen, ehe er fortfuhr. »Zu diesem Zweck schuf er eine Konfessorin.«
Kahlan, die gerade an ihrem Fisch nagte, hielt inne. »Tatsächlich? Daher stammen also die Konfessorinnen?« Auf sein Nicken fragte sie: »Kennst du ihren Namen?«
»Magda Searus. Sie war so untröstlich über den Tod ihres Gemahls, dass sie sich für das Experiment freiwillig zur Verfügung stellte. Die Sache war extrem gefährlich, funktionierte aber. Die Konfessorinnen wurden geschaffen, und sie war die erste. Mit der Zeit verliebte sie sich in diesen Merritt, und die beiden heirateten.«
Ihr Dasein als Konfessorin war der einzige Teil ihrer Vergangenheit, mit dem sich Kahlan irgendwie verbunden fühlte. Jetzt wusste sie, woher diese Frauen rührten - von einer Frau, die ihren geliebten Mann verloren hatte.
Richard schnappte sich einen dicken Holzscheit und wollte ihn gerade in die Flammen werfen, zögerte dann aber und behielt ihn in der Hand, drehte ihn um und starrte darauf. Schließlich legte er ihn wieder fort und warf ein anderes Stück ins Feuer.
»Du solltest jetzt besser etwas schlafen«, sagte er, als sie zu Ende gegessen hatten. »Ich möchte aufbrechen, sobald es hell genug ist, um etwas zu erkennen.«
Kahlan konnte sehen, dass er erschöpfter war als sie, aber auch, dass ihn etwas zutiefst bedrückte, also verzichtete sie darauf zu widersprechen. Nahe genug beim Feuer, um warm zu bleiben, hüllte sie sich in ihre Decke.
Als sie aufblickte, sah sie Richard noch immer vor dem Feuer hocken und auf das Stück Feuerholz starren, das er zuvor zur Seite gelegt hatte. Sie hätte gedacht, dass er sich eher für sein Schwert interessieren würde, jetzt, da er es endlich wiederhatte.
Kahlan erwachte sanft. Es tat gut, nicht noch einmal so aufzuwachen wie am Tag zuvor, als Samuel unmittelbar über ihr gekauert hatte. Sie rieb sich die Augen und gewahrte, dass Richard noch immer am Feuer saß. Er sah fürchterlich aus. Sie konnte sich nicht vorstellen, was ihm angesichts der auf seinen Schultern lastenden Verantwortung, angesichts all der auf ihn angewiesenen Menschen, durch den Kopf gehen musste.
»Ich habe hier etwas, das ich dir schenken möchte«, sagte er mit ruhiger Stimme, die ihr so kurz nach dem Aufwachen begütigend in den Ohren klang.
Kahlan richtete sich auf und räkelte sich einen Moment. Am Himmel war ein erster Hauch von Helligkeit zu sehen, sie würden also sehr bald aufbrechen müssen.
»Du musst es nicht annehmen, wenn aber doch, würde es mir sehr viel bedeuten.«
Schließlich löste er seinen Blick von den Flammen und sah ihr in die Augen. »Ich bin mir bewusst, dass du nicht weißt, was gespielt wird, noch wer du überhaupt bist, und schon gar nicht, was du hier bei mir verloren hast. Mehr als alles auf der Welt wünsche ich mir, ich könnte dir alles erklären. Du hast einen Albtraum hinter dir und hättest es verdient, alles zu erfahren, aber im Augenblick kann ich es dir einfach nicht erklären. Ich bitte dich, mir zu vertrauen.«
Sie wich seinem Blick aus. Sie konnte es nicht ertragen, ihm in die Augen zu sehen.
»In der Zwischenzeit möchte ich dir ein Geschenk machen.«
Kahlan schluckte. »Was ist es denn?«
Richard langte zu seiner anderen Seite hinüber, holte etwas hervor und hielt es ihr im trüben Schein des Feuers hin.
Es war ihre kleine Statuette, die sie im Garten des Lebens hatte zurücklassen müssen, als sie die Kästchen für die Schwestern holen sollte.
Es war die Schnitzerei einer Frau mit stolz durchgedrücktem Rücken, in den Nacken geworfenem Kopf und an den Seiten zu Fäusten geballten Händen - eine Verkörperung des Widerstandes gegen Kräfte, die sie zu unterdrücken versuchten, eine Schnitzerei, die Edelmut und Kraft verströmte.
Die gleiche Statue hatte sie schon einmal besessen, es war ihr wert vollster Besitz gewesen. Es war nicht dasselbe Exemplar, und doch war es das. Sie erinnerte sich an jeden Bogen, jeden Schwung. Diese glich ihr aufs Haar, nur war sie ein Stückchen kleiner.
Dann sah sie die Holzspäne überall auf dem Boden. Er hatte die Nacht damit zugebracht, sie ihr zu schnitzen.
»Ich habe sie Seele getauft«, sagte er mit vor Gefühl brechender Stimme.
»Würdest du sie von mir annehmen?«
Fast ehrfürchtig nahm sie sie aus seinen Händen entgegen und drückte sie an ihr Herz. Dann brach sie in Tränen aus.