»Des sterilen Feldes?« Zedds buschige, weiße Brauen zogen sich zusammen. »Wovon redet Ihr?«
Die Fingerspitzen an die Stirn gepresst, versuchte Nicci sich alles zurechtzulegen. Sie konnte kaum glauben, dass sie nicht schon früher darauf gekommen war. Sie blickte auf und sah den Zauberer an.
»Damit die Macht der Ordnung funktionieren kann, ist ein komplexes Zusammenspiel von Ereignissen vonnöten. Wie Ihr gesagt habt, müssen auf Primärgrundlagen fußende Verbindungen hergestellt sein - wie bei jeder Magie. Schließlich ist sie von Zauberern erschaffen worden, und die hätten sich bei allem, was sie tun, auf ihre Kenntnisse von den Dingen stützen müssen, die sie manipulierten.
Im Kern ist die Macht der Ordnung nichts anderes als ein komplex aufgebauter Bann. Wie jeder entworfene Bann wird sie, die entsprechenden Bedingungen vorausgesetzt, durch eine spezielle Abfolge von Ereignissen ausgelöst. Anschließend funktioniert sie dann entsprechend ihrer vorab festgelegten Formeln. Doch so komplex sie auch sein mag, hat sie einmal begonnen, funktioniert sie gemäß grundlegender Prinzipien.«
»Und die Sonne geht immer im Osten auf«, bemerkte Zedd brummig.
»Worauf wollt Ihr hinaus?«
»Alles passt zusammen«, murmelte sie bei sich, den Blick einen Moment lang ins Leere gerichtet.
Unvermittelt richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Zauberer.
»Im Buch des Lebens wird beschrieben, wie man die Macht der Ordnung ins Spiel bringt, dort werden besagte Formeln dargelegt. Im Grunde ist es eine Art Gebrauchsanweisung. Über die Theorie hinter der Macht der Ordnung sagt es nichts aus, dafür ist es nicht gedacht. Will man das Ganze verstehen, muss man woanders suchen.
Da diese Macht, wie alle anderen auch, in falsche Hände geraten und zu Machtzwecken missbraucht werden kann, ist sie einzig für einen ganz besonderen Zweck geschaffen worden: als Gegenmittel gegen den Feuerkettenbann. Zentrale Bestandteile der Ordnung sind ein entworfener Bann, der, einmal ausgelöst, zuvor festgelegten Abläufen folgt. Diese Abläufe wiederum erfordern gewisse Vorausset zungen - zum Beispiel den richtigen Gebrauch des Schlüssels, nämlich Des Buches der gezählten Schatten.«
Ihre Gedanken gingen noch immer rasend schnell all die neuen Konstellationen durch, während sie gleichzeitig Dinge aus unterschiedlichsten Quellen zusammenfügte, die sie noch nie miteinander in Verbindung gebracht hatte.
»Ja, schon gut.« Zedd machte eine ungeduldige Handbewegung. »Die Kästchen der Ordnung wurden eigens als Gegenmittel gegen den Feuerkettenbann geschaffen. Das wissen wir bereits. Außerdem versteht es sich von selbst, dass gewisse Bedingungen erfüllt sein müssen, und dass die Macht anschließend auf eine vorher festgelegte Weise funktionieren wird. Das ist doch alles so offensichtlich, wie es nur sein kann.«
Nicci warf die Bettdecke zur Seite und erhob sich schwungvoll. Im Bett fühlte sie sich fehl am Platz. Dann blickte sie an sich herab und musste zu ihrem Entsetzen feststellen, dass sie ein rosafarbenes Nachthemd trug. Sie konnte Rosa nicht ausstehen! Wieso steckten diese Leute sie ständig in rosafarbene Nachtgewänder? Nun, vermutlich war gerade nichts anderes zur Hand gewesen.
Fast ohne darüber nachzudenken, löste sie einen rasiermesserfeinen Strom subtraktiver Magie aus und schickte ihn nach unten durch den Stoff des Nachtgewandes, wo er sich nur der Faser selbst annahm und diese von den Bestandteilen des Färbemittels reinigte, so dass die Farbe des Nachthemds, beginnend am Halsansatz, in einer sich durch das gesamte Kleidungsstück ziehenden Welle verblasste, bis nur noch die schlichte, schmutzig weiße Farbe des Stoffes selbst zu sehen war. Zedd starrte ungläubig. »Habt Ihr etwa eben subtraktive Magie benutzt, die Macht der Unterwelt und des Todes höchstselbst, nur um diesem albernen Fetzen seine Farbe zu nehmen?«
»Ja, sieht schon viel besser aus, findet Ihr nicht?« Sie hatte der Frage kaum Beachtung geschenkt, denn sie war in Gedanken bereits ganz woanders.
Protestierend hob Zedd seine Hand. »Also, ich halte es für keine gute Idee ...«
»Was ist nun der allem zugrunde liegende Zweck?«, würgte Nicci seinen Einwand ab, den sie ohnehin kaum mitbekommen hatte, und der sie noch viel weniger kümmerte.
Zedds Hand hielt inne. Seine Miene war kurz davor, in Verzweiflung umzuschlagen. »Eben das. Dem Feuerkettenbann entgegenzuwirken.«
»Nein, nein. Was ich meinte, war, worin genau besteht die Funktion dieses Gegenmittels gegen den Bann?«
Seine Ungeduld gegenüber Dingen, die nur allzu offensichtlich schienen, drohte in Gereiztheit umzuschlagen. »Uns allen das Objekt des Banns in Erinnerung zu rufen.« Ein erregtes Funkeln trat in seine Augen. »In diesem Fall also Kahlan.«
»Ja, in gewissem Sinn. Nur wäre das eine unzulässige Vereinfachung des Prozesses, eine Beschreibung des letztendlichen Ziels.« Mittlerweile selbst Lehrerin und nicht mehr Schülerin, hob sie einen Finger. »Um den von Euch soeben beschriebenen Vorgang zu bewirken, muss er wiederherstellen, was in uns zerstört worden ist -unsere Erinnerung. Es geht nicht darum, dass die Macht der Ordnung unsere Erinnerung an Vergessenes zurückholt, sondern dass sie etwas nicht mehr Vorhandenes neu erschafft.
In unserem Verstand existiert nichts mehr, an das wir uns erinnern könnten, denn diese Erinnerungen sind nicht einfach nur der Vergessenheit anheimgefallen, sie sind nicht mehr existent, vernichtet durch die Feuerkettenreaktion. Dieser Teil unseres Erinnerungsvermögens ist zerstört.
Es neu zu erschaffen, ist etwas völlig anderes, als unserer Erinnerung auf die Sprünge zu helfen. Der Unterschied entspricht etwa dem zwischen einem Schlafenden und einem Toten. Sosehr sie sich bei oberflächlicher Betrachtung gleichen mögen, ist ihnen doch kaum mehr gemein als die geschlossenen Augen.
Das letztendliche Ziel mag in beiden Fällen das gleiche sein, aber das Problem und das Mittel zu seiner Lösung haben nichts miteinander gemein. Um der Feuerkettenreaktion entgegenzuwirken und uns wieder in den ursprünglichen Zustand zu versetzen, muss die Macht der Ordnung ein Wissen, ein Bewusstsein vergangener Geschehnisse wiederentstehen lassen und dadurch neue Erinnerungen schaffen, die an die Stelle der vernichteten treten. Sie muss unsere Erinnerung gewissermaßen wieder zum Leben erwecken.«
Während er über ihre Worte nachdachte, trat anstelle seiner ur sprünglichen Ungeduld eine Angespanntheit auf Zedds Stirn. Er folgte ihr beim Aufundabgehen mit dem Blick. »Nun ja, irgendwie muss es zu einer Wiederherstellung tatsächlicher Ereignisse aus der Vergangenheit kommen.« Er kratzte sich an der Schläfe und warf ihr einen schiefen Blick zu. »Wollt Ihr etwa sagen, Ihr glaubt jetzt zu wissen, wie so etwas funktionieren könnte?«
Niccis nackte Füße tappten über die Teppiche. »Soweit ich es mir aus dem Gelesenen zusammenreimen konnte, waren die Erschaffer der Kästchen der Ordnung selbst nicht davon überzeugt, dass so etwas möglich wäre.«
Sie blieb stehen und sah ihn an. »Könnt Ihr Euch überhaupt vorstellen, wie ungeheuer komplex dieser Vorgang sein müsste? Wie ungeheuer kompliziert es wäre, die ganz eigenen Erinnerungen jedes Einzelnen neu zu erschaffen?
Die Zauberer damals müssen bei dem Versuch, zu entschlüsseln, wie auf diese Weise etwas neu entstehen könnte, für das keine Vorlage mehr existierte, doch fast den Verstand verloren haben. Woher sollte die Macht der Ordnung wissen, woran man sich erinnern soll? Schlimmer noch, die meisten Menschen sind von der Richtigkeit ihrer Erinnerung überzeugt, obwohl sie durchaus fehlerhaft ist. Wie will die Macht der Ordnung diese Erinnerungen neu erschaffen, wo sie doch schon zu Zeiten ihres Vorhandenseins nicht immer stimmig oder gar korrekt waren? Aus den Schriften über die Theorie der Ordnung geht hervor, dass selbst die Zauberer, die die Macht der Ordnung schufen, nicht sicher waren, ob es funktionieren würde.«
Sie nahm ihr Aufundabgehen wieder auf und fuhr fort. »Vergesst nicht, dass es ihnen nicht möglich war, es anhand einer tatsächlichen Feuerkettenreaktion zu überprüfen. Und auch der Feuerkettenbann selbst ist nie ausprobiert worden, weil das niemand wagte. So waren sie zwar von ihrer Schlussfolgerung überzeugt, konnten der Funktionsweise der Macht der Ordnung in der realen Welt aber nie wirklich gewiss sein. Sie konnten niemals wissen, ob all die miteinander verknüpften Einzelbestandteile perfekt und plangemäß funktionierten -zumal sie, was das betrifft, durchaus Grund zu Zweifeln hatten.
Und bezüglich der von ihnen festgelegten Formeln gibt es einen noch wichtigeren Gesichtspunkt, und zwar die Voraussetzung, dass dem Feuerkettenbann in der Zielperson selbst entgegengewirkt werden muss - in diesem Falle Kahlan. Alles dreht sich um die Zielperson. Sie ist das Zentrum der Feuerkettenreaktion, der Mittelpunkt einer unglaublich komplexen Gleichung.
Deshalb muss das Gegenmittel dort ansetzen. Das Element entworfener Magie innerhalb des kunstvollen Systems der Ordnung muss in ihr ausgelöst werden.«
»Sie ist die Basisbindung ...«, murmelte Zedd halb zu sich selbst, während er, den Blick ins Leere gerichtet, Niccis Argumentation zu folgen versuchte.
»Ganz genau. Und damit das möglich ist, damit die Macht der Ordnung den Schaden, beginnend im Zentrum dieses Sturms, wiedergutmachen kann, muss diese Basisbindung ein steriles Feld sein.«
»Ein steriles Feld?«, fragte Zedd, der noch immer aufmerksam zuhörte.
»Davon habt Ihr doch schon gesprochen.«
Nicci nickte. »Dabei handelt es sich um ein recht vages Element, mit dem die Zauberer während dieses gesamten Prozesses zu kämpfen hatten. Anfangs war mir seine Bedeutung nicht recht klar, ich verstand nicht, warum sie deswegen so besorgt waren, aber Eure Erklärungen über die Talente der Hexe haben mir schließlich die Augen über diese zentrale Idee der Ordnungstheorie geöffnet.«
Zedd stemmte seine Hände in die knochigen Hüften. »Obwohl Euch Teile der Ordnungstheorie nicht klar waren, habt Ihr sie ins Spiel gebracht – noch dazu in Richards Namen? Obwohl Ihr sie nicht verstanden hattet?«
Auf den gereizten Ton seiner Frage ging Nicci gar nicht erst ein. »Das bezog sich nur auf den das sterile Feld betreffenden Teil. Jetzt ist mir klar, dass es in etwa das Gleiche ist wie die Bedingung, dass ich eine Verbindung benötigte, als ich einen Bann gegen Sechs wirken wollte, die sie mir jedoch verwehrte - und damit den Ansatzpunkt des Banns. Offenbar löst die Macht der Ordnung Magie auf ganz ähnliche Weise aus. Wie alle Magie benötigt sie eine Verbindung, und diese Verbindung ist Kahlan. Dafür jedoch muss das Objekt der Verbindung ein unbeschriebenes Blatt sein.«
»Ein unbeschriebenes Blatt?« Zedd neigte den Kopf in ihre Richtung.
»Muss ich Euch daran erinnern, dass die Zielperson ein unbeschriebenes Blatt ist? Der Feuerkettenbann löscht ihre gesamte Ver gangenheit aus, hinterlässt sie sozusagen unbeschrieben. Und schon hat die Macht der Ordnung alles, was sie braucht.«
Nicci schüttelte beharrlich den Kopf. »Nein. Ihr müsst dies alles im Zusammenhang mit dem Feuerketten-Buch sehen, mit dem Buch des Lebens, sowie der anderen obskuren Schriften, die Ihr für mich über die Ordnungstheorie ausgegraben habt. Ihr müsst Euch das Gesamtbild vor Augen halten, um es zu erkennen.«
»Aber was?«, stieß Zedd aufgebracht hervor.
»Die Zielperson muss emotional unvorbelastet sein, oder das Ganze ist mit einem Makel behaftet.«
»Emotional unvorbelastet?«, fragte Cara, während Zedd dazu überging, sich leise vor sich hin murmelnd mit der Hand durchs Gesicht zu wischen. »Was soll denn das nun wieder heißen?«
»Es bedeutet, dass das Wissen um ihren einstigen gefühlsmäßigen Zustand den Versuch der Wiederherstellung ihres Innenlebens verunreinigen würde. Damit die Macht der Ordnung wirksam werden kann, muss sie emotional unvorbelastet bleiben. Die Zielperson muss unvorbelastet bleiben, und es muss darauf geachtet werden, dass keine emotionalen Bindungen entstehen.«
»Ihr seid eine gescheite Frau, Nicci«, sagte Zedd, bemüht, ruhig zu bleiben, »aber diesmal habt Ihr den Karren von der Brücke in den Fluss gefahren.«
Er begann selbst auf und ab zu gehen. »Was Ihr da sagt, ergibt keinen Sinn. Wie könnte man die Zielperson daran hindern, etwas über ihre Vergangenheit in Erfahrung zu bringen? Den Zauberern, die die Kästchen der Ordnung schufen, muss klar gewesen sein, dass sie jede Menge über ihre Vergangenheit herausfinden würde, ehe die Macht der Ordnung wirksam wird. Sie konnten schließlich nicht davon ausgehen, dass die Zielperson bis dahin in einem dunklen Zimmer eingesperrt sein würde.«
»Das meinte ich nicht. Ihr überseht den entscheidenden Punkt. Einzelheiten spielen dabei keine Rolle. Tatsächlich können sie sogar hilfreich sein, weil sie als Ankerpunkte benutzt werden können, an denen sich die Schablone für den Wiederherstellungsprozess der Ordnung festmachen lässt. Anders verhält es sich mit bedeutenden emotionalen Erlebnissen der Zielperson. Emotionen sind die Summe einzelner Details, ob diese nun wahr sind oder nicht.«
Cara, vollauf konzentriert, schien zu begreifen, was Nicci da soeben sagte.
»Wie können Gefühle von falschen Einzelheiten ausgelöst werden?«
»Nun, nehmt zum Beispiel mich. Was mir von der Bruderschaft der Imperialen Ordnung beigebracht wurde, bewirkte in mir, dass ich Hass auf jeden empfand, der sich diesen Lehren widersetzte und etwas zu leisten versuchte. Ich glaubte, was man mir beigebracht hatte, nämlich dass solche Menschen nichts als eigensüchtige Heiden seien, die sich nicht um ihre Mitmenschen scherten.
Man impfte mir die emotionale Reaktion ein, jeden zu hassen, der nicht den gleichen Glauben hatte wie ich - und zwar unabhängig davon, ob ich irgendetwas über diese Menschen wusste. Ich empfand einen abgrundtiefen Hass gegen das Gut des Lebens als solches, eine emotionale Einstellung, aufgrund derer ich Richard ohne weiteres getötet hätte. Meine Gefühle waren auf Lügen und unsinnige Lehren gegründet, nicht auf Tatsachen.«
Cara seufzte. »Jetzt verstehe ich, was Ihr meint. Man hat Euch und mir die gleichen Dinge beigebracht, uns die gleichen Gefühle eingetrichtert, aber diese Gefühle waren von Grund auf falsch.«
»Beruhen Gefühle dagegen auf triftigen Dingen, können sie durchaus eine zuverlässige und folgerichtige Summe von Wahrheiten sein.«
»Auf triftigen Dingen?«, fragte Cara.
»Aber ja. So etwas wie lohnende Werte zum Beispiel. Liebe -wahre, aufrichtige Liebe - ist eine Reaktion auf das, was wir an anderen schätzen, eine emotionale Reaktion auf die lebensbejahende Haltung eines anderen. Wir schätzen das gute Wesen dieser Person. In solchen Fällen ist dieses Gefühl ein zentraler, mächtiger Aspekt unserer Menschlichkeit.«
Zedd, der immer noch auf und ab ging, blieb unvermittelt stehen. »Und was hat das mit allem anderen zu tun?«
Nicci breitete die Hände aus. »Bedenkt, dass die Ordnungstheorie nichts weiter ist als eine Theorie. Ich kann also nicht behaupten, dass ich mir vollkommen sicher wäre, schließlich galt das nicht einmal für die, die sie schufen, aber es passt alles zusammen. Sie waren überzeugt, richtig zu liegen, obwohl sie ihre Theorie, dass Vorwissen Magie beeinträchtigt, auf keinerlei Erfahrungen gründen konnten. Aber ich denke, sie hatten recht.«
Zedd beugte sich vor und linste sie mit einem Auge an. »Recht, in Bezug auf was genau?«
»Dass Gefühle, die der Zielperson ohne die ihnen zugrunde liegenden Ursachen vermittelt werden, das Entgegenwirken gegen den Feuerkettenbann beeinträchtigen können.«
Cara runzelte die Stirn, »jetzt komme ich nicht mehr mit.«
»Sie waren überzeugt, dass ein gewisses emotionales Vorwissen die von ihnen benutzte Magie, die Macht der Ordnung, verfälschen würde.« Nicci sah von Zedds besorgten haselnussbraunen Augen zu Cara. »Was ich damit sagen will, ist: Sollte Kahlan die Wahrheit über ihre Gefühle - ihrer vorherrschenden Gefühle - erfahren, ehe das richtige Kästchen der Ordnung geöffnet wird, wird es der Macht der Ordnung unmöglich sein, diese Gefühle wiederherzustellen. Das Feld, auf dem die Macht der Ordnung ausgelöst werden muss, wäre durch dieses Vorwissen verunreinigt, und Kahlan würde sich im Geflecht des Banns verlieren.«
Cara stemmte ihre Hände in die Hüften. »Wovon redet Ihr da eigentlich?«
»Also gut, nehmen wir einmal an, Richard findet Kahlan und erzählt ihr von ihrer emotionalen Bindung, von ihrer gegenseitigen Liebe. In diesem Falle könnte die Macht der Ordnung nicht mehr funktionieren.«
Das Gesicht des Zauberers war zu einer unentzifferbaren Maske geworden. »Wieso?« Sein Tonfall jagte ihr einen Schauder über den Rücken.
»Nun, ungefähr aus dem gleichen Grund waren meine Banne gegen Sechs wirkungslos, da meine Kraft erst Ankerpunkte herstellen musste, um in der gewünschten Weise zu funktionieren.«
»Mit anderen Worten, sollte Richard jemals die Gelegenheit haben, tatsächlich eines der Kästchen der Ordnung zu öffnen, müsste er dies tun, solange die Zielperson sich ihrer Bindungen zu ihm nicht bewusst wäre?«
Nicci nickte. »Jedenfalls nicht ihrer tiefempfundenen emotionalen Bindungen. Wir müssen sicherstellen, dass Richard sich darüber im Klaren ist, dass er Kahlan, wenn wir sie finden, ehe er die Chance hat, das richtige Kästchen der Ordnung zu öffnen, keine unbegründeten Gefühle vermitteln darf, da ansonsten das Feld verunreinigt werden würde.«
»Unbegründete Gefühle?« Cara rümpfte die Nase. »Wollt Ihr damit etwa sagen, Lord Rahl darf Kahlan nicht sagen, dass sie ihn liebt?«
»So ist es«, sagte Nicci.
»Aber warum nicht?«
»Weil sie es im Augenblick nicht tut«, antwortete Nicci. »Was immer einst ihre Liebe für ihn bewirkt haben mag, steckt nicht mehr in ihr. Die Voraussetzungen ihrer Liebe, die Erinnerung an bereits Geschehenes, an Dinge, die sie mit ihm unternommen hat, die Gründe, weshalb sie sich in ihn verliebt hat, all das ist nicht mehr vorhanden, denn der Feuerkettenbann hat es zerstört. Im Augenblick ist es so, als ob sie ihm noch nie begegnet wäre. Sie liebt ihn nicht, sie hätte auch gar keinen Grund dazu. Sie ist ein unbeschriebenes Blatt.«
Zedd bohrte einen langen, dünnen Finger durch ein Büschel seines welligen Haars und kratzte sich am Kopf. »Das Fieber hat womöglich größeren Schaden angerichtet, Nicci, als ich dachte. Was Ihr da sagt, ergibt keinen Sinn. Kahlans Problem ist, dass der Feuerkettenbann sie ihre Vergangenheit hat vergessen lassen. Die Macht der Ordnung wurde geschaffen, um dem Feuerkettenbann entgegenzuwirken. Es gibt keine mächtigere Kraft, denn sie ist die Macht des Lebens selbst. Kahlan etwas so Simples wie ihre Liebe für Richard zu offenbaren, wird die Wiederherstellung ihrer Erinnerung wohl kaum durcheinanderbringen.«
»O doch, wird es.« Nicci ging ein paar Schritte, machte dann kehrt und baute sich vor ihm auf. »Wieso habt Ihr, Zedd, mit all Eurer Kraft als Oberster Zauberer, eine einfache Hexe nicht aufhalten können?«
»Weil sie ihre Kraft gegen einen kehrt.«
»Das also ist der Schlüssel«, sinnierte Nicci. »Genau das war der Teil, den ich hinzufügen musste, damit all das, was ich in den Büchern gelesen hatte, endlich zusammenpasste. Dadurch habe ich endlich verstanden, was die Zauberer, die die Macht der Ordnung schufen, mit dem sterilen Feld meinten. Die Macht der Gefühle würde die auf die Zielperson angewandte Macht gegen ihren Verursacher kehren.
In etwa ist es so wie der Versuch, die Anhänger der Lehren der Imperialen Ordnung von ihrem Irrglauben zu überzeugen, sie in ihrem Widerwillen, diesen falschen Überzeugungen abzuschwören, nur noch bestärken würde. Erklärt man ihnen, dass die Imperiale Ordnung von Übel ist, hassen sie einen dafür nur umso mehr. Ihr Glaube an die Imperiale Ordnung würde gestärkt und nicht etwa gebrochen.«
»Na und?«, meinte Cara. »Für Kahlan wäre das doch kein Widerspruch. Wenn Lord Rahl ihr erzählt, dass sie ihn liebt, wäre das doch dasselbe, was die Magie der Ordnung ohnehin tun würde. Also dürfte es eigentlich kein Problem sein.«
»Doch, ist es aber.« Nicci fuchtelte mit dem Finger. »Sogar ein sehr großes. Das Ganze wäre sozusagen auf den Kopf gestellt, es gäbe eine Wirkung ohne Ursache. Gefühle sind das Ergebnis erlebter Erfahrungen. Setzt man sie jedoch an die erste Stelle, wäre das, als würde man bei der Errichtung eines zweistöckigen Hauses mit dem Dach beginnen und sich dann allmählich bis zum Fundament vorarbeiten. Oder, wie in meinem Fall, eine Hexe mit einem mächtigen Bann bedrohen.
Die Gefühle, die die Macht der Ordnung wieder dahin zurückschicken würden, wo sie hingehört, würden durch die von dem Vorherwissen dort bereits hinterlassenen Gefühlen abgelenkt. Das Vorherwissen geriete in Widerspruch zu den Ergebnissen.«
»Genau das meinte ich doch«, beharrte Cara. »Kahlan wüsste bereits, dass sie Lord Rahl liebt, also kann es unmöglich eine Rolle spielen.«
»Und doch tut es das. Seht doch, das Vorherwissen wäre sozusagen unbeschrieben. Die vorzeitig offenbarten Gefühle sind bedeutungslos. Sie sind nicht real. Würde sie von ihrer Liebe zu Lord Rahl erfahren, könnte die Macht der Ordnung ihre wahren Gefühle nicht mehr wiederherstellen.«
Cara sah aus, als wollte sie sich jeden Augenblick vor Verzweiflung die Haare ausraufen. »Aber Lord Rahl hätte es ihr doch bereits gesagt, der Unterschied bliebe also der gleiche. Sie wüsste davon, sie wüsste, dass sie ihn liebt.«
»Eben nicht. Im einen Fall wäre es wahr, im anderen nicht. Vergesst nicht, dass sie ihn zurzeit nicht liebt. Die wahren Gefühle, die die Macht der Ordnung wiederherzustellen versuchte, wären bereits durch etwas ersetzt worden, das nicht wirklich ist - von unbegründeten Gefühlen, Gefühlen, die unwahr und nichtig wären. Was fehlt, wäre ihr Grund, weshalb sie ihn liebt. Das Vorherwissen um ihre Liebe wäre zwar gegeben, nur wäre es eben nichtig. Es wäre eine nichtige Liebe, gegründet auf nichts. Und eine auf nichts fußende Liebe wäre sinnlos.«
Cara hob die Arme, ließ sie dann wieder fallen. »Das begreife ich einfach nicht.«
Nicci hielt in ihrem Aufundabgehen inne und wandte sich zu Cara herum.
»Stellt Euch vor, ich geleitete einen Mann, den Ihr noch nie zuvor gesehen habt, in dieses Zimmer und behauptete, Ihr würdet ihn lieben. Würdet Ihr es allein deswegen schon tun? Nein, denn solche Gefühle kann man niemandem einreden, ohne dass sie durch etwas gestützt würden.
Eben das aber bewirkt die Macht der Ordnung. Sie unterstützt die wahren Gefühle durch das Wissen um vergangene Ereignisse, die sie wiederherstellt. Sie legt die Ursachen fest. Setzt man die Gefühle allerdings an die erste Stelle, würde dies den Vorgang stören. Und den Zauberern zufolge, welche die Macht der Ordnung geschaffen haben, würde ihr Vorherwissen um ihre Liebe zu ihm das Feld verunreinigen und ihre Gedanken stören, so dass die Wiederherstellung der wahren Ereignisse - die Ursachen ihrer Liebe zu ihm - in ihr gar nicht erst hervorgerufen werden könnten. Sie würden ebenso abgeblockt, wie die Hexe meine Banne abgeblockt hat. Ihr bliebe nichts weiter als die sinnleere Information. Ihre Vergangenheit wäre für sie unrettbar verloren.«
Zedd kratzte sich am Kinn. Dann blickte er auf. »Aber wie Ihr schon sagtet, ist das nur eine Theorie.«
»Nun, immerhin waren die alten Zauberer von ihrer Richtigkeit überzeugt. Und ich denke auch, dass sie die richtigen Schlüsse gezogen haben.«
»Was würde denn passieren, wenn ... wenn, ich weiß nicht, wenn Lord Rahl Kahlan erst einmal erzählen würde, dass sie ihn liebe und seine Gemahlin sei - und er erst danach die Kästchen der Ordnung fände, seine Gabe zurückgewänne und erführe, was er tun müsse, um schließlich das richtige Kästchen zu öffnen und so das Gegenmittel zur Feuerkettenreaktion zu erzeugen? Würde es dann immer noch funktionieren?«
»Ja, würde es.«
Jetzt schien Cara endgültig verwirrt. »Wo ist also das Problem?«
»Es ist ein entworfener Bann. Die Ereignisse würden also ebenso ihren Lauf nehmen. Ist die Theorie stimmig - und ich glaube, das ist sie -, würden alle anderen Bestandteile der Ordnung nach wie vor funktionieren. Dem Feuerkettenbann würde entgegengewirkt und das Gedächtnis aller würde wiederhergestellt, mit einer einzigen Ausnahme – Kahlans Gedächtnis. Dieses Element des Banns wäre blockiert, und die Person im Zentrum dieses Vorgangs wäre für ihn verloren. Während unser Gedächtnis wiederhergestellt würde und wir uns wieder an Kahlan erinnerten, müsste sie für immer auf ihre Vergangenheit verzichten - etwa vergleichbar mit einem in der Schlacht verwundeten Soldaten, der aufgrund seiner Kopfverletzung nicht mehr weiß, wer er ist. Sie könnte nur auf das Leben nach dem Identitätsraub durch den Feuerkettenbann zurückgreifen, wäre sich nur solcher Ereignisse bewusst, die nach diesem Zeitpunkt geschehen wären. Sie wäre ein anderer Mensch, ein Mensch, der sich ein vollkommen neues Leben aufbauen müsste.
Und die ganze Zeit wüsste sie, dass sie diese Person, die sie weder kennt, noch für die sie wirklich etwas empfindet, angeblich liebt.«
»Demnach wäre sie also das einzige Opfer«, stellte Cara fest. »Wir anderen würden wiederhergestellt.«
Nicci seufzte. »Nun, das ist zumindest die Schlussfolgerung, zu der ich aufgrund meines Verständnisses der Dinge gelangt bin.«
Zedds Blick hatte erneut einen argwöhnischen Zug bekommen. »Nun, ääh ... eine andere Möglichkeit wäre ebenfalls denkbar?«
Nicci nickte. »Aber die möchte ich eigentlich nicht in Betracht ziehen. In den Schriften zur Ordnungstheorie wird an einer Stelle angemerkt, dass die Folgen des Gegenmittels, vorausgesetzt der Ankerpunkt im sterilen Feld fehlt, nicht ihren Lauf nehmen können, und es dadurch in sich zusammenfällt. Das Gegenmittel würde unter diesen Voraussetzungen versagen und die Feuerkettenreaktion außer Kontrolle geraten. Das Leben, wie wir es kennen, würde vernichtet, und unsere Fähigkeit zu vernunftbegabtem Denken im Inferno des Feuerkettenbanns untergehen, bis unser Verstand nicht mehr imstande wäre, unser Überleben zu sichern. Ein paar wenige könnten aufgrund brutaler Barbarei noch eine Weile überdauern, aber das Ende der Menschheit wäre unabwendbar. Ich denke, jetzt seht Ihr ein, warum die Zauberer damals so großen Wert auf den Erhalt des sterilen Feldes gelegt haben.«
Zedd zog seine Stirn nachdenklich in Falten. »Aber die vorherrschende Theorie besagt, dass sie, falls etwas schiefgeht und sie dieses Vorwissen erlangt, ehe die Macht der Ordnung ins Spiel gebracht werden kann, für immer ein Opfer des Feuerkettenbanns bliebe, ohne dass dies einen Einfluss auf die Aufhebung des Feuerkettenbanns bei allen anderen hätte.«
»Richtig. Angesichts ihrer Bedeutung für Richard fürchte ich, dass sie in diesem Fall für die Feuerkettenreaktion zweitrangig würde. Mit ihr mag es angefangen haben, aber mittlerweile sind alle infiziert, und wenn die Reaktion nicht unterbrochen wird, ist alles verloren. Dem Feuerkettenbann entgegenzuwirken ist also mittlerweile wichtiger als die Liebe, die Richard und Kahlan füreinander empfinden. Es wäre günstig, wenn sie wiederhergestellt werden könnte, aber um dem Bann entgegenzuwirken, ist es nicht mehr unbedingt erforderlich. Was immer es für diese eine Person oder für Richard persönlich bedeuten mag, die Macht der Ordnung muss heraufbeschworen werden, um dem Feuerkettenbann entgegenzuwirken und alle anderen von diesem Infekt zu befreien.
Es gibt aber noch eine andere Theorie. Einige wenige Zauberer waren der Ansicht, dass es in der Ordnungstheorie Hinweise darauf gibt, dass die Anwendung einer solchen Energiemenge bei dem Zielobjekt der Feuerkettenreaktion, so sie in einem anderen als einem sterilen Feld erfolgt - also in einem bereits durch Vorherwissen verunreinigten -, zum Tod besagter Person führen könnte.«
»Was würde bei einem solchen Unfall mit allen anderen Menschen geschehen?«, fragte Zedd.
»Sie würde noch nicht tot am Boden liegen, da würde der Auslöser für den entworfenen Teil der Macht der Ordnung gezündet, und die Folgen für den Rest des Bannes nähmen ihren Lauf. Die Macht der Ordnung würde sich von ihrem Kern ausbreiten.
Wenn es dazu käme, und Kahlan ginge dabei verloren, wäre das für Richard ein entsetzlicher persönlicher Verlust, für uns andere dagegen wäre es nicht weiter von Bedeutung. Mit der Einführung der Macht der Ordnung würde die Verunreinigung durch den Feuerkettenbann aufgehoben, und alle anderen würden wiederhergestellt.«
Zedd musterte sie durchdringend. »Auch wenn wir uns nicht an sie erinnern, so zweifelt doch keiner von uns daran, wie viel sie Richard bedeutet. Immerhin hat er uns schon bewiesen, dass er sogar bereit wäre, in die Unterwelt hinabzusteigen, wenn er der Meinung wäre, sie dadurch retten zu können. Wenn er wüsste, dass er sie mit dem Offnen eines der Kästchen umbringen könnte ...«
Nicci schien weder sein Blick noch die Bedeutung dahinter zu erschrecken. »Richard hat gar keine Wahl. Er muss das richtige Kästchen öffnen, um so den entworfenen Bann auszulösen, der dem Feuerkettenbann entgegenwirken wird ... selbst wenn das bedeuten sollte, dass Kahlan dabei ihr Leben verliert. So einfach ist das.«
Einen Moment lang legte sich Schweigen über den Raum. Zedd rieb sich das Kinn und starrte in die Schatten. »Angesichts dieser tatsächlichen oder eingebildeten Gefahren scheint es mir das Klügste, Kahlan - sollte sie gefunden werden - über ihre früheren Gefühle für Richard im Dunkeln zu lassen. Am besten, man überlässt es der Macht der Ordnung, ihre Gefühle wiederherzustellen.«
»Das scheint mir auch das Sinnvollste. Sobald wir Richard gefunden haben, müssen wir ihm klarmachen, dass er Kahlan nicht die Wahrheit sagen darf.«
Zedd verschränkte die Hände hinter seinem Rücken und schüttelte den Kopf. »Ich gebe zu, angesichts der Risiken scheint das klug. Nur mag ich eigentlich nicht glauben, dass simples Vorherwissen eine solche persönliche Tragödie auslösen und einen solchen Schaden bewirken kann.«
»Wenn es Euch ein Trost ist, einige der Zauberer damals waren genau der gleichen Ansicht. Aber auch ich hielt es für ausgeschlossen, dass mir die Anwendung meiner Kraft gegen eine Hexe derart schaden könnte.«
Zedd, den Blick gedankenverloren in die Ferne gerichtet, dachte nach.
»Da ist etwas dran. Manchmal bewirkt man gerade mit den besten Absichten den größten Schaden.
»Wenn wir den Jungen erst gefunden haben, können wir ihm alles erklären. Nur sind wir verdammt weit davon entfernt. Wir haben ja nicht einmal mehr eines der Kästchen.«
Nicci seufzte. »Wohl wahr. Meine größte Sorge ist allerdings, wie wir Richard überzeugen sollen.« Sie räusperte sich. »Ich denke, am besten übernehmt Ihr das, Zedd. Auf Euch hört er noch am ehesten.«
Zedd sah kurz in ihre Richtung und ging dann weiter auf und ab.
»Verstehe.« Er blieb stehen und wandte sich zu ihr herum. »Trotzdem, ich weiß noch immer nicht so recht, ob ich diese Theorie, dass emotionales Vorherwissen diesen Vorgang stören kann, wirklich glauben soll...«
Mitten im Satz schloss er, einen bestürzten Ausdruck im Gesicht, plötzlich den Mund.
»Was ist?«, erkundigte sich Nicci. »Ist Euch etwas eingefallen?«
Zedd ließ sich auf die Bettkante sinken. »Allerdings.«
Alle Energie, alles Feuer war aus ihm gewichen.
»Bei den Gütigen Seelen«, sagte er leise, und es klang, als hätte sich das ganze Gewicht seines Alters soeben auf seine eingefallenen Schultern gelegt.
Nicci beugte sich vor und berührte ihn sachte am Arm. »Zedd, was ist mit Euch?«
Er blickte zu ihr auf, einen unheimlichen Ausdruck in den Augen.
»Vorherwissen kann die Wirkung von Magie beeinflussen. Das ist keine Theorie. Es stimmt.«
»Seid Ihr sicher? Woher wisst Ihr das?«
»Ich kann mich weder an Kahlan noch an irgendwelche sie betreffenden Einzelheiten erinnern. Aber als Richard hier war, hat er mir von ihr erzählt. Er hat meine fehlende Erinnerung aufgefrischt, wie es dazu kam, dass die beiden sich ineinander verliebt haben.
Kahlan ist eine Konfessorin. Deren Gabe zerstört den Verstand desjenigen, den sie mit ihrer Kraft berührt. Um diese zu entfesseln, gibt sie ihre diesbezügliche Zurückhaltung auf, die sie ansonsten unter strengster Kontrolle halten muss.«
»Ich weiß, davon habe ich auch schon gehört. Aber was hat das mit ihrer Liebe zu tun?«
»Eine Konfessorin wählt ihre Gefährten stets unter Männern aus, aus denen sie sich nicht viel macht. Denn würde sie mit einem Mann intim, den sie liebt, würde sie unabsichtlich die Kontrolle über diese Kraft verlieren, woraufhin diese den Betreffenden überwältigen würde. Er hätte nicht die geringste Chance - und wäre nicht mehr derselbe wie zuvor. Er wäre verloren, sein Verstand zerstört. Er selbst wäre nichts weiter als eine leere Hülle, der nur noch die blinde, gedankenlose Hingabe an die Konfessorin bliebe. Sie wäre seiner Person, seiner Liebe und Hingabe gewiss, nur wäre diese Liebe nichtig und bedeutungslos.
Deswegen wählen Konfessorinnen ihre Gefährten allein nach ihrer Befähigung als Vater und als Erzeuger ihrer Töchter aus. Den Mann, den sie lieben, erwählen sie nie. Männer fürchten Konfessorinnen auf Gefährtensuche, denn sie haben Angst, erwählt zu werden und durch ihre Kraft, ihre Identität zu verlieren.«
»Aber offenbar gibt es doch einen Weg, wie es funktioniert«, wandte Nicci ein. »Wie hat es Richard denn geschafft?«
Zedd sah auf. »Es gibt eine Möglichkeit, aber die kann ich Euch unmöglich verraten, nicht einmal Richard. Ich durfte ihm nicht einmal sagen, dass eine solche Möglichkeit überhaupt existiert.«
»Und warum nicht?«
»Weil dieses Vorherwissen ihn und ihre Magie beeinträchtigt hätte, als sie sie zum ersten Mal unabsichtlich gegen ihn entfesselte. Sie hätte ihn überwältigt. Er durfte die Lösung auf keinen Fall kennen, durfte nicht einmal wissen, dass es sie gab, denn dann hätte sie nicht funktioniert.«
Zedd starrte auf den Fußboden. »Es ist keine Theorie. Vorherwissen vermag ein steriles Feld, wie Ihr es nennt, zu stören. Damit hat Richard selbst die Antwort auf die zentrale Frage der Ordnungstheorie gegeben:
Vorherwissen kann die Wirkungsweise von Magie beeinflussen.«
Barfuß tappte Nicci über den Teppich bis zu ihm hin, baute sich vor ihm auf und betrachtete ihn mit düsterer Miene. »All das wusstet Ihr schon, ehe Richard und Kahlan heirateten. Ihr wusstet, dass das Vorherwissen um die Lösung bewirken würde, sie bei Richard versagen zu lassen?«
»Ja. Aber ich habe mich nicht getraut, ihm zu erzählen, dass es eine Lösung gab, die ihm das Zusammensein mit seiner Liebe ermöglichen würde. Denn schon das hätte seine Chance, dass sie wirkt, zunichte gemacht. «
»Wie habt Ihr das herausgefunden?«
Zedd hob seine Hand, ließ sie aber dann in seinen Schoß zurückfallen.
»Genau dasselbe ist auch der allerersten Konfessorin, Magda Saerus, und dem Mann, der sie liebte, Merritt, widerfahren. Auch sie haben sich ineinander verliebt, haben geheiratet. Seitdem ist Richard der Erste, der dieses Dilemma gelöst hat. In Magdas Fall wusste niemand, dass es eine Lösung gab, schließlich war sie die erste Konfessorin. Es existierte also noch kein Vorherwissen, das ihren Mann hätte beeinträchtigen können. Ohne dieses Vorherwissen konnte er das Paradoxon also lösen, dass er eine Konfessorin liebte, ohne von ihrer Kraft vernichtet zu werden.«
Nachdenklich zupfte Nicci an einer blonden Haarsträhne. »Dann stimmt es also.« Die Stirn gerunzelt, betrachtete sie Zedd. »Aber die Zauberer, die die Kraft der Ordnung schufen, hatten doch kein Modell dafür. Für sie war es nur eine Theorie.«
Zedd zuckte die Achseln. »Was vermutlich bedeutet, dass die Konfessorinnen nach der Macht der Ordnung erschaffen wurden - wofür der Oberste Zauberer Merritt den Beweis lieferte.«
Nicci seufzte. »Das könnte vermutlich die Antwort sein.«
Mit einer vagen Geste wechselte sie das Thema. »Cara erwähnte vorhin etwas von einem Problem, einem Problem, die Burg betreffend.«
Endlich löste sich Zedd von seinen geheimen Gedanken, blickte auf und erhob sich. Sein tief zerfurchtes Gesicht verzog sich zu einer mehr als ernsten Miene.
»Ja, es gibt tatsächlich Ärger.«
»Was für Ärger?«
Er war bereits auf dem Weg zur Tür. »Kommt mit, dann zeige ich es Euch.«