17

Cara steckte ihren Kopf gerade weit genug zur Tür hinaus, dass der an den Mauern des Palasts aufsteigende Wind ihren blonden Zopf erfasste.

»Soll das heißen, wenn Richard uns die eine dieser Abzweigungen entlangführt, werden wir überleben, und wenn nicht, und wir geraten auf die andere ...«

»Erwartet uns dort nur die große Leere«, beendete Nathan den Satz für sie. Er wandte sich wieder herum zu Nicci und legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Begreift Ihr die Bedeutung dessen, was ich Euch sage?«

»Auch wenn mir die Prophezeiungen nicht in allen Einzelheiten bekannt sein mögen, Nathan, so weiß ich doch, was auf dem Spiel steht. Immerhin haben die Schwestern der Finsternis die Kästchen der Ordnung ins Spiel gebracht. Im Falle ihres Sieges sehe ich also kaum ein anderes Ergebnis als das Ende alles Guten. So weit ich es zu überblicken vermag, ist Richard der Einzige, der das noch verhindern kann.«

»So ist es.« Nathan seufzte. »Deswegen haben Ann und ich fünfhundert Jahre auf Richards Erscheinen gewartet. Ihm war es bestimmt, jene Gabelungen zu überwinden, die uns durch ein gefährliches Geflecht aus verborgenen Knoten innerhalb der Prophezeiungen tragen würden. Gelingt ihm das, und bis jetzt ist das der Fall, dann muss er uns in diese entscheidende Schlacht führen. Das alles ist uns seit geraumer Zeit bekannt.«

Nathan rieb sich die Schläfen. »Uns war immer schon klar, dass die Kästchen der Ordnung der abschließende Knoten waren, auf dem dieser Kardinalspross abzweigt.«

Nicci ließ seine Worte mit gerunzelter Stirn auf sich einwirken. Plötzlich verstand sie.

»Deshalb ist Euch zuvor dieser Fehler unterlaufen«, sagte sie, halb zu sich selbst.

Ann beugte sich durch die Türöffnung. Ihre Augen wurden zu schmalen Schlitzen. »Was?«

»Ihr seid dem falschen Spross in den Prophezeiungen gefolgt«, sagte Nicci, während sich die Teile des Puzzles in ihren Gedanken zu einem Bild fügten. »Ihr wart Euch der Bedeutung der Kästchen der Ordnung bewusst, nur war Euch die zeitliche Abfolge durcheinandergeraten, weshalb Ihr schließlich der falschen Gabelung gefolgt seid. Fälschlicherweise hattet Ihr angenommen, Darken Rahl habe durch den Einsatz der Kästchen diesen abschließenden Knoten geschaffen, und es wäre er, der uns in die große Leere führen würde.«

Jetzt, da ihr die Bedeutung dieses Fehlers aufging, wandte Nicci sich mit starrem Blick herum zu der einstigen Prälatin. »Ihr wart im Glauben, Richard auf die Bewältigung dieser Bedrohung vorbereiten zu müssen, also habt Ihr Das Buch der gezählten Schatten entwendet und es Georg Cypher überlassen, der es, sobald Richard älter wäre, an diesen weitergeben sollte. Ihr dachtet, in der abschließenden Schlacht ginge es gegen Darken Rahl. Ihr wolltet, dass Richard ihn bekämpft, und wart überzeugt, ihm das nötige Hilfsmittel in die Hand zu geben, um in dieser Schlacht zu bestehen.

Stattdessen hattet Ihr versehentlich eine falsche Abzweigung gewählt – und endetet, ohne es zu merken, auf einem unfruchtbaren Zweig. Statt ihm zu helfen, habt Ihr ihn durch Eure Fehleinschätzung dazu gebracht, die große Barriere einzureißen, so dass Jagang zu ebenjener Bedrohung wurde, vor denen die Prophezeiungen ursprünglich gewarnt hatten. Euretwegen konnten die Schwestern der Finsternis die Kästchen der Ordnung in ihren Besitz bringen, konnte ihnen der Hüter der Unterwelt seinen Willen aufzwingen. Ohne Euer Eingreifen wäre nichts von alledem möglich gewesen.«

Nicci musterte die einstige Prälatin fassungslos, während ihr die Ungeheuerlichkeit ihres Tuns bewusst wurde. Die Erkenntnis bereitete ihr eine Gänsehaut.

»Ihr selbst habt das alles verschuldet - unwissentlich. Mithilfe der Prophezeiungen wolltet Ihr eine Katastrophe abwenden und habt Euch stattdessen zu ihrem Erfüllungsgehilfen gemacht. Euer Entschluss einzugreifen hat die Katastrophe überhaupt erst möglich gemacht.«

Ann verzog das Gesicht zu einer säuerlichen Miene. »Auch wenn es so aussehen mag, als hätten wir ...«

»All die Arbeit, die Pläne, das jahrhundertelange Warten, und Ihr habt es verdorben.« Nicci strich sich das windgepeitschte Haar aus dem Gesicht.

»Und nun stellt sich heraus, dass ich diejenige bin, auf die die Prophezeiungen angewiesen sind - weil Ihr Euch eingemischt habt.«

Nathan räusperte sich. »Nun, das ist eine ziemlich starke - und leicht irreführende - Vereinfachung, aber ich muss zugeben, es ist etwas dran.«

Plötzlich sah Nicci die Prälatin, die sie stets für nahezu unfehlbar gehalten hatte, eine Frau, die jederzeit bereit war, anderen den winzigsten Fehler anzukreiden, in völlig neuem Licht. »Euch ist ein Fehler unterlaufen. Ihr habt alles falsch verstanden. Während Ihr darauf hingearbeitet habt, dass Richard seine Rolle als Dreh- und Angelpunkt spielen konnte, der uns womöglich retten würde, wurdet Ihr selbst zum zentralen Faktor, der möglicherweise unser aller Untergang bedeuten könnte.« »Hätten wir nicht...«

»Ja, wir haben einige Fehler gemacht«, fiel Nathan Ann ins Wort, ehe sie richtig ansetzen konnte. »Aber mir scheint, das trifft auf uns alle zu. Betrachtet Euch doch selbst, eine Frau, die ihr ganzes Leben für die Überzeugungen der Imperialen Ordnung gekämpft hat, nur um sich schließlich ganz einem Leben als Schwester der Finsternis zu verschreiben. Soll ich aufgrund Eurer in der Vergangenheit gemachten Fehler etwa alles für nichtig erklären, was Ihr jetzt sagt und tut? Wollt Ihr alle unsere Erkenntnisse und Errungenschaften für gegenstandslos erklären, nur weil uns vor langer Zeit ein Fehler unterlaufen ist? Vielleicht waren unsere Fehler in Wirklichkeit gar keine Fehler, sondern lediglich ein Mittel der Prophezeiungen, Teile eines größeren Plans. Immerhin war es Euch von Anfang an bestimmt, Richard so nahe zu sein, dass Ihr ihm helfen konntet. Vielleicht haben wir es Euch durch unser Handeln ermöglicht, ihm so nahe zu kommen und eine entscheidende Rolle zu spielen, eine Rolle, die nur Ihr übernehmen konntet.«

»In den Prophezeiungen ist der freie Wille eine Variable«, sagte Ann.

»Wo wärt Ihr ohne Richard und all die Geschehnisse, die sich dank seiner so gefügt haben? Was wärt Ihr, hätten wir nicht zu gegebener Zeit gehandelt? Wo wärt Ihr jetzt, wenn Ihr Richard nie begegnet wärt?«

Über diese Möglichkeit mochte Nicci nicht einmal nachdenken.

»Wie viele mehr könnten am Ende, so wie Ihr, gerettet werden, weil sich die Dinge genau so ereignet haben«, fügte die Prälatin hinzu.

»Gut möglich«, sagte Nathan, »dass die Prophezeiungen ganz einfach einen anderen Weg gefunden hätten, zu den gleichen Ergebnissen zu gelangen, wenn wir, sei es aus den richtigen oder falschen Gründen, nicht so gehandelt hätten. So wie diese Sprossen ineinander verschlungen sind, waren die jetzigen Ereignisse auf die eine oder andere Art vielleicht unvermeidlich.«

»So wie Wasser stets einen Weg nach unten findet?«, fragte Cara.

»Ganz genau«, sagte Nathan, erfreut über ihre Auffassungsgabe.

»Bis zu einem gewissen Grad sind die Prophezeiungen selbstheilend. Auch wenn wir die Einzelheiten zu verstehen glauben, kann es gut sein, dass uns das größere Gesamtbild verborgen bleibt, so dass sich die Prophezeiungen, sofern wir es auf uns nehmen, einzugreifen, andere Sprossen suchen müssen, um den Baum zu nähren, damit er nicht abstirbt.

Was in gewissem Sinn jeden Versuch, in das Geschehen einzugreifen, sinnlos macht. Und doch liegt der Zweck der Prophezeiungen gerade darin, dass man sich ihrer bedient, sich durch sie zum Handeln anregen lässt. Nichtsdestotrotz bleibt ein solches Eingreifen stets gefährlich. Das Kunststück besteht darin, genau zu wissen, wann und wo man handeln muss. Selbst für einen Propheten ist das ein nicht sonderlich präzises Wissensgebiet.«

»Vielleicht weil wir uns unserer in bester Absicht gemachten Fehler so schmerzlich bewusst sind«, sagte Ann, »könnt Ihr nun auch verstehen, warum es uns so bestürzt, dass Ihr es auf Euch nehmen wollt, eine solche Entscheidung in Richards Namen zu treffen und ihn als Spieler für die Macht der Ordnung zu benennen. Wir wissen, welch ungeheuren Schaden schon die Einmischung in vergleichsweise mindere Fragen der Prophezeiungen zur Folge haben kann. Und die Kästchen der Ordnung sind ein entscheidender Knoten, der so ziemlich alles andere zu einer Frage minderer Bedeutung macht.«

So hatte Nicci es gar nicht gemeint, sie hatte sich nie für untadelig gehalten, im Gegenteil. Zeit ihres Lebens hatte sie sich als minderwertig, wenn nicht geradewegs als böse gesehen. Ihre Mutter, Bruder Narev und später Kaiser Jagang hatten ihr dies eingeredet, indem sie ihr immer wieder ihre Unzulänglichkeit vorhielten. Allerdings war sie überrascht, dass ausgerechnet die Prälatin solch ... menschliche Züge zeigte. Nicci wandte den Blick ab. »So meinte ich das alles gar nicht. Ich dachte nur, Euch würden niemals Fehler unterlaufen.«

»Auch wenn ich mit Eurer Darstellung der Ereignisse, die sich über fünf Jahrhunderte und zahllose Jahre voller Mühen und Anstrengungen erstrecken, nicht einverstanden bin«, sagte Ann, »so fürchte ich, wir alle machen Fehler. Und geben wir dies nicht zu, können sie nicht korrigiert werden und greifen um sich. Gäben wir andererseits aber einfach auf, weil wir einen Fehler, selbst einen schwerwiegenden, begangen haben, würde keiner von uns es im Leben weit bringen.

Und was Eure Sicht unserer Wechselwirkung mit den Prophezeiungen anbetrifft, so habt Ihr dabei einige Faktoren außer Acht gelassen - ganz zu schweigen von den Dingen, von denen Ihr nichts wisst. Ihr verbindet die Dinge auf vereinfachende, wenn auch nicht völlig unzutreffende Weise miteinander. Und die aufgrund dieser Verbindung getroffenen Annahmen lassen alle plötzlich eintretenden Umstände weitgehend außer Acht.«

Auf Nathans Räuspern setzte Ann hinzu: »Was aber nichts anderes heißt, als dass unsere Einschätzung nicht völlig falsch gewesen ist. Wir haben Fehler gemacht, und einige davon haben zu den von Euch gerade hervorgehobenen Ereignissen geführt. Aber wir sind auf dem besten Weg, sie zu korrigieren.«

»Also«, warf Cara, leicht ungeduldig geworden, ein, »was ist nun mit dieser Prophezeiung einer Nicht-Prophezeiung, der großen Leere? Nach Euren Worten müssen wir sicherstellen, dass Lord Rahl die abschließende Schlacht kämpft, weil es in den Prophezeiungen so vorgesehen ist. Und gleichzeitig behauptet ein Teil derselben Prophezeiung, dass die Prophezeiung selbst inhaltslos ist? Das ergibt keinen Sinn.«

Ann schürzte die Lippen. »Sind Mord-Sith jetzt auch schon Experten für Prophezeiungen?«

Nathan blickte über seine Schulter zu Cara. »Die Verknüpfung von Ereignissen im Verhältnis zu ihren Prophezeiungen erschließt sich nicht so einfach. Prophezeiungen und freier Wille, müsst Ihr wissen, stehen in einem Spannungsverhältnis zueinander, es sind Gegensätze. Und doch beeinflussen sie einander. Prophezeiungen sind Magie, und alle Magie bedarf der Ausgewogenheit. Der Ausgleich für die Prophezeiungen, der ihre Existenz erst ermöglicht, ist der freie Wille.«

»O ja, das ergibt jede Menge Sinn«, meinte Cara aus dem Hinterhalt der Türöffnung. »Wenn das stimmt, was Ihr da sagt, bedeutet das doch, dass sie sich gegenseitig aufheben.«

Der Prophet hob einen Finger. »Keineswegs. Sie sind voneinander abhängig, und doch antithetisch. So wie additive und subtraktive Magie gegensätzliche Kräfte sind und dennoch beide als Ausgleich für die jeweils andere existieren. Schöpfung und Zerstörung, Leben und Tod. Magie braucht Ausgewogenheit, um zu funktionieren, und das Gleiche gilt für die Magie der Prophezeiungen. Sie funktioniert dank der Existenz ihres Gegenparts, des freien Willens. Das war eine der größeren Schwierigkeiten, die wir in diesem Zusammenhang zu überwinden hatten - das Verständnis des Wechselspiels zwischen Prophezeiungen und freiem Willen.«

Cara rümpfte die Nase. »Ihr seid Prophet und glaubt an den freien Willen? Also, das ergibt nun wirklich keinen Sinn.«

»Setzt der Tod das Leben außer Kraft? Nein, er definiert es und schafft dadurch seinen Wert.«

Cara schien nicht vollends überzeugt. »Ich verstehe nicht, wie es in den Prophezeiungen überhaupt so etwas wie freien Willen geben kann.«

Nathan zuckte die Achseln. »Das beste Beispiel ist Richard selbst. Er ignoriert die Prophezeiungen und bildet gleichzeitig ihr Gegengewicht.«

»Mich ignoriert er auch, und wenn er das tut, gerät er jedes Mal in Schwierigkeiten.«

»Da haben wir etwas gemeinsam«, bemerkte Ann.

Cara seufzte. »Nicci hat es jedenfalls ganz richtig gemacht. Und ich glaube, nicht die Prophezeiungen, sondern ihr freier Wille hat sie dazu gebracht, das Vernünftige zu tun. Deswegen vertraut Lord Rahl ihr auch.«

»Da mag ich nicht widersprechen«, meinte Nathan achselzuckend. »So nervös es mich macht: Manchmal müssen wir Richard nach eigenem Gutdünken handeln lassen. Vielleicht hat Nicci letztendlich genau das getan - ihm das Werkzeug in die Hand gegeben, seinem freien Willen zu folgen.«

Nicci hörte kaum noch zu, sie war in Gedanken bereits ganz woanders. Unvermittelt wandte sie sich herum zu Nathan.

»Ich muss zum Grab von Panis Rahl. Ich glaube zu wissen, warum es schmilzt.«

Während allmählich die Dämmerung heraufzog, rollte aus der Ferne ein Tosen heran, das ihre Aufmerksamkeit erregte.

Cara reckte den Hals, um etwas zu erkennen. »Was ist denn da los?«

Nicci ließ den Blick über das Meer der Soldaten schweifen. »Der Jubel gilt einer Ja’La-Partie. Jagang bedient sich ihrer als Mittel der Zerstreuung, sowohl für die Menschen in der Alten Welt als auch für seine Truppen. Allerdings sind die in der Armee verwendeten Regeln ein gutes Stück brutaler. Das Spiel stillt den Blutdurst seiner Männer.«

Nicci war Jagangs Leidenschaft für dieses Spiel noch bestens in Erinnerung. Der Mann verstand es, die Gefühle seiner Untergebenen zu kontrollieren und zu steuern. Indem er die Schuld für jedes noch so alltägliche Problem denen zuschanzte, die sich weigerten, sich zum Glauben an die Imperiale Ordnung zu bekennen - in jüngster Zeit eben den Heiden aus dem Norden -, lenkte er die Menschen von ihrem alltäglichen Elend ab. Dieses Ablenkungsmanöver verhinderte, dass die Menschen die Ordenslehren hinterfragten, da dem Zweifler automatisch alle Schuld zugeschoben wurde.

Nicci kannte dies alles aus ihrer Zeit als Herrin des Todes - aus eigener Erfahrung. Für alles Leid wurden die Eigensüchtigen verantwortlich gemacht, und den Vorwurf der Eigensucht handelte sich ein, wer Fragen stellte. Auf diese Weise wurden die alltäglichen Probleme zu einer ständigen Erinnerung an den Feind, der sie nach landläufiger Meinung erst verursachte. Gleichzeitig galt es, in Freiheit und Wohlstand lebende Völker auszulöschen, da ihre bloße Existenz die Ordenslehren Lügen strafte.

Genau diesem Zweck diente auch Ja’La. Die etwas zivilisierte Spielart in den Städten richtete die emotionale Energie der Bevölkerung auf ein weitgehend bedeutungsloses Ereignis. Es bot ihr einen Anlass, sich zusammenzurotten und zu jubeln, und förderte so eine Geisteshaltung, die den Menschen mit dem Glauben durchtränkte, sich im Widerstand gegen andere zusammengeschlossen zu haben.

In der Armee hingegen diente es dazu, die Männer von der Drangsal des Armeedienstes abzulenken. Da sich das Publikum aus aggressiven jungen Männern zusammensetzte, wurden diese Spiele unter verschärften und brutaleren Regeln abgehalten. Jagang wusste nur zu gut, dass er ohne diese Spiele kaum in der Läge wäre, in einer derart gewaltigen und kaum handzuhabenden Streitmacht Disziplin und Herrschaft aufrechtzuerhalten. Ohne Ja’La würde sich ihre aus Müßiggang geborene Aggressivität nach innen kehren, gegen sie selbst.

Jagang besaß selbst auch eine Mannschaft, deren Zweck es war, die unerschütterliche Überlegenheit ihres Kaisers zu demonstrieren. Sie war der verlängerte Arm seiner Macht und Stärke, ein Objekt der Ehrerbietung, einer Ehrerbietung, die auf den Kaiser zurückfiel. Seine Ja’La-Mannschaft war die Verbindung zwischen ihm und seinen Männern, machte ihn zu einem der ihren, während sie gleichzeitig seine Überlegenheit unterstrich.

Bei aller Berechnung wusste Nicci, dass Jagang, wie seine Männer, längst diesem Spiel verfallen war. Kampf war für ihn das allerhöchste Spiel, und Ja’La dh Jin war jene Art Kampf, an der er sich ergötzen konnte, wenn er nicht selber kämpfte. Es hielt seine aggressiven Säfte im Fluss und gab ihm, dank seiner immer wieder aus unschlagbaren Männern neu zusammengestellten Mannschaft, das Gefühl, er höchstpersönlich sei der Meister dieses Spiels.

Es war für ihn längst mehr als das, es war eine Verlängerung seines Selbst.

Nicci wandte sich vom Anblick der unten versammelten Truppen der Imperialen Ordnung ab. Sie ertrug ihn nicht länger, ebenso wenig wie den Gedanken an die blutigen, ihr so verhassten Spiele. Die gedämpften Jubelschreie brandeten über sie hinweg, Ausdruck einer sich immer mehr steigernden Blutgier, die letztendlich gegen den Palast des Volkes entfesselt werden würde.

Wieder drinnen, wartete sie, bis Nathan die schwere Tür gegen die kalte Nacht, die sich über die Welt draußen herabsenkte, geschlossen hatte.

»Ich muss nach unten, um mir das Grab von Panis Rahl anzusehen.«

Er schaute über seine Schulter, als er den Schnäpper an seinen Platz drückte. »Das sagtet Ihr bereits. Also, gehen wir.«

Als sie Anstalten machten, zu gehen, zögerte Ann. »Ich weiß, wie ungern du in diese Grabstätte hinuntersteigst«, sagte sie und fasste ihn am Arm, so dass er stehen bleiben musste. »Verna und Adie warten bestimmt schon. Vielleicht könntest du dich um sie kümmern, während ich Nicci in das Grabmal hinunterbegleite.«

Nathan bedachte sie mit einem argwöhnischen Blick und wollte gerade etwas sagen, als Ann ihn ihrerseits anschaute. Dann schien er zu begreifen.

»Ja, ausgezeichnete Idee, Liebes. Cara und ich werden gehen und mit Verna und Adie sprechen.«

Caras Lederanzug knarzte, als sie die Arme vor der Brust ver schränkte. »Ich bleibe bei Nicci. In Lord Rahls Abwesenheit ist es meine Aufgabe, sie zu beschützen.«

»Ich bin ziemlich sicher, Berdine und Nyda möchten gern einige die Sicherheit im Palast betreffende Punkte mit Euch besprechen«, erwiderte Ann. Als Cara noch immer nicht geneigt schien, einzuwilligen, fügte sie rasch hinzu: »Für die Zeit nach Richards Rückkehr. Sie wollen sich vergewissern, dass alles getan wird, um bei seiner Rückkehr in den Palast seine Sicherheit zu gewährleisten.«

Es gab nur wenige Menschen, die so auf der Hut waren wie Mord-Sith. Ständig schienen sie Verdacht zu schöpfen, das Allerschlimmste anzunehmen. Nicci konnte sehen, dass Ann sie einfach nur alleine sprechen wollte, deshalb verstand sie nicht, warum sie das nicht einfach sagte. Vermutlich war Ann nicht überzeugt, dass ein solches Vorgehen von Erfolg gekrönt sein würde.

Sie legte Cara eine Hand ins Kreuz und beugte sich zu ihr. »Schon in Ordnung, Cara. Geht nur mit Nathan, ich werde in Kürze nachkommen.«

Cara sah von Niccis Augen zu Ann. »Und wohin?«

»Ihr kennt doch den Speisesaal zwischen den Wohnquartieren der MordSith und dem Andachtsplatz neben der kleinen Baumgruppe?«

»Selbstverständlich.«

»Dort haben sich Adie und Verna mit uns verabredet. Wir kommen nach, sobald Nicci einen Blick auf das Grabmal geworfen hat.« Sie willigte erst ein, als Nicci ihr bestärkend zunickte.

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