SOL 40 MITTAG

Jamie drehte an dem geriffelten Rädchen am Fernglas; die wellige Sandfläche wurde scharf.

»Es muß ein alter Krater sein, der sich mit Staub gefüllt hat«, sagte er ebenso zu sich selbst wie zu den anderen, die sich im Cockpit drängten.

»Warum weht der Wind den Staub nicht weg?« fragte Joanna.

Er stellte das Fernglas ab. Sie saß neben ihm auf dem rechten Sitz. Ihr Gesicht war blaß, ihr Haar verfilzt und matt. Ihr Atem stank. Genau wie meiner, sagte sich Jamie. Wie der von uns allen.

Connors, der abgerissener denn je aussah, hockte auf dem Boden zwischen den beiden Sitzen. Sein Overall war zerknittert und hatte dunkle Schweißflecken. Ilona stand hinter ihm und stützte sich müde auf die Lehnen der Sitze. Sie wirkte ebenfalls ungepflegt; wie Joanna hatte sie nicht mehr die Kraft, sich die Haare zu kämmen. So krank und erschöpft sie jedoch waren, sie konnten es alle kaum erwarten, den ersten Blick von Wosnesenskis Rover zu erhaschen.

»Ich glaube nicht, daß der Wind genug Kraft hat, den Krater freizuräumen. Die Luft ist zu dünn, selbst wenn er mit zweihundert Knoten bläst. Der Krater hat sicherlich steile Wände.

Wahrscheinlich stammt er von einem Meteoriten, der fast senkrecht heruntergekommen ist.«


»Der Wind kann den Krater allmählich mit Staub füllen«, mutmaßte Joanna, »aber wenn er einmal voll ist, dann bleibt er auch voll.«

»Genau«, sagte Jamie. Wir reden hier von Jahrmillionen, setzte er stumm hinzu. Nichts geht schnell auf dem Mars.

Wenn wir in einer Million Jahre zurückkommen, steht der Rover höchstwahrscheinlich immer noch hier.

Er hob das Fernglas wieder an die Augen. Wenn der merkwürdig gewellte Sand die Kraterfläche repräsentierte, dann hatte der Krater einen Durchmesser von über einem Kilometer. Jamie konnte seinen Rand deutlich sehen, einen großen Kreis, wo die kleinen Wellen aus rotem Sand endeten und der Boden stärker mit Steinen und Felsbrocken übersät war.

Er erinnerte sich, daß er mit Naguib über die Häufigkeit solcher mit Staub gefüllten Krater diskutiert hatte. Der Ägypter nannte sie ›Geisterkrater‹ und glaubte, daß die Landschaft selbst dort von ihnen gespickt war, wo der Boden relativ eben wirkte. Jamie war anderer Meinung gewesen. Aber Abdul hat recht gehabt; wir sind in einen Geisterkrater gestürzt. Ich hätte den Unterschied in der Bodenbeschaffenheit merken müssen, tadelte sich Jamie. Ich hätte dieses Gebiet umfahren müssen.

Wenn ich nur besser aufgepaßt hätte…

»Da sind sie!«

Joanna zeigte eifrig hin. Ihr blasses Gesicht verzog sich auf einmal zu einem Lächeln.

Jamie folgte ihrem ausgestreckten Arm und erblickte den Rover, der sich über den Kamm des Hangs schob. Er sah wie eine dicke, silberne Raupe mit einem großen, glänzenden, knolligen Kopf aus, die in ihre Richtung kroch.


»Seid mir gegrüßt, meine Reisegefährten!« kam Wosnesenskis Stimme rauh und krächzend aus dem Lautsprecher an der Kontrolltafel. Für die vier klang sie wie süßer Engelsgesang.

Jamie schaute auf den Kommunikationsbildschirm hinunter.

Der Kosmonaut wirkte schwach und angespannt. Er saß schwitzend an den Steuerelementen des zweiten Rovers und fuhr unerträglich bedächtig, geduldig und vorsichtig den Hang der alten Rutschung hinunter. Tony Reed stand geduckt hinter ihm. Sein Gesicht war verhärmt, bleich und nervös. Beide Männer trugen Overalls.

Jamie setzte das Fernglas wieder an die Augen und sah eine Gestalt in einem leuchtend roten Schutzanzug, die vor dem Rover her auf sie zustapfte. Sie prüfte den Boden mit einer langen Stange, wie ein Blinder sich durch unbekanntes Gelände tastet, wie ein Bergsteiger sich seinen Weg über eine schneegefüllte Spalte sucht.

Iwschenko war durch eine Leine am Handgelenk mit der Nase des Rovers verbunden, der in einem Abstand von mehr als zwanzig Metern hinter ihm herfuhr. Das Fahrzeug bewegte sich zentimeterweise vorwärts, kam jedoch unablässig näher.

Man kann sich darauf verlassen, daß Mikhail alle erdenklichen Sicherheitsvorkehrungen trifft, dachte Jamie. Glaubt er, Iwschenko könnte wegschwimmen? Einen absurden Moment lang sah es so aus, als würde der Kosmonaut den schwerfälligen Rover ziehen.

»Sie kommen«, sagte Ilona in einem erstickten Flüsterton.

»Sie kommen, um uns zu retten.«

»Ein dreifaches Hoch auf unsere Mannschaft«, sagte Connors schwach.


Jamie blieb im Cockpit und sah zu, wie ihre Retter näherkamen. Über eine Stunde verging, während der Rover quälend langsam auf sie zusteuerte und Iwschenko vor ihm den Boden prüfte. Ein Blinder, der einen Elefanten führt, dachte Jamie.

»Vorsichtig jetzt«, sagte er zu den Kosmonauten. »Seht ihr, wo der Boden in eine Reihe kleiner Sandwellen übergeht?«

Wosnesenskis Bild auf dem Monitor nickte, Iwschenko sagte in seinem Helm: »Ja, ungefähr fünfzig Meter vor mir.«

»Dort ist der Rand des Kraters, da bin ich ziemlich sicher«, sagte Jamie. »Er ist mit sehr lockerem Sand gefüllt; eigentlich ist es eher Staub. Ihr müßt ihn mit dem Rover umfahren. Sonst bleibt ihr auch stecken.«

Wosnesenski beäugte den Krater mißtrauisch. »Er scheint ziemlich groß zu sein.«

»Ich weiß. Aber ihr könnt euch doch einen Weg drum herum suchen, oder?«

»Abwärts vielleicht. Aber ich frage mich, wie es ist, wenn wir wieder hinauf wollen.«

Iwschenkos Stimme sagte: »Es wäre vielleicht am besten, wenn wir mit dem Rover am Rand des lockeren Erdreichs anhielten und ich zu Fuß hinüberginge. Dann können wir eine Sicherheitsleine an ihrem Fahrzeug befestigen und sie mit der Winde zu unserem Rover herüberziehen.«

»Könnt ihr alle vier eure Anzüge anlegen?« fragte Wosnesenski.

»Ja«, sagte Jamie. »Ich glaube schon.«

»Ich habe Bedenken, ob ich das Risiko eingehen soll, mit dem zweiten Rover ebenfalls steckenzubleiben.«


»Ich verstehe. Wir steigen in die Anzüge, und ihr zieht uns mit der Winde über das weiche Zeug – wenn es euch gelingt, unsere Fahrzeuge mit einer Leine zu verbinden.«

»Sehr gut. So machen wir es.«

Dr. Li Chengdu hatte noch nie in seinem Leben derart lange gezögert, einen Bericht einzureichen. Er wußte, daß dies alles ruinieren konnte. Es wird ein schlechtes Licht auf meine Führungseigenschaften werfen; es wird die Flugleitung umhauen.

Wenn die Politiker und die Medien es herausfinden, sind all unsere Chancen dahin, jemals weitere Missionen zum Mars schicken zu können.

Aber er mußte über den Skorbut und die Abfolge von Ereignissen, die zum Ausbruch der Krankheit geführt hatte, Bericht erstatten. Li blieb nichts anderes übrig, als den Männern und Frauen, die die Mission leiteten, die Tatsachen mitzuteilen. Es gibt keine Möglichkeit, die Sache zu vertuschen, erkannte Li.

Und es wäre auch nicht richtig, es zu tun. Allein schon der Gedanke ist kriminell. Ganz gleich, welche Auswirkungen es auf meine Karriere oder auch auf die Karriere anderer hat.

Skorbut. Das gesamte Bodenteam beinahe an Skorbut gestorben, weil sie übersehen hatten, daß reiner Sauerstoff ihren lebenswichtigen Vitamin-C-Vorrat deaktiviert hatte. Die Politiker werden zu dem vorschnellen Schluß kommen, das Exkursionsteam sei in seinem Rover steckengeblieben, weil der Skorbut ihnen die Kraft und die Urteilsfähigkeit geraubt habe. Und jetzt mißachtet ausgerechnet Wosnesenski Befehle und versucht, sie zu retten.


Wosnesenski. Wenn die Missionsoberen sich erst einmal daran festbeißen! Was für ein Schlamassel. Was für ein verfluchtes, verwickeltes Desaster.

Li wußte, daß er Kaliningrad die Fakten mitteilen mußte.

Trotzdem zögerte er. Er marschierte in seiner Privatkabine hin und her, drei lange Schritte in die eine, dann in die andere Richtung, immer wieder, ging ein dutzendmal an dem Computer auf seinem Schreibtisch vorbei, ohne auch nur daran zu denken, mit der Abfassung seines Berichts zu beginnen.

Selbst wenn ich die Tatsachen verheimlichen wollte, wäre das unmöglich. Sie werden bald genug erfahren, daß wir die Kuppel nicht wie befohlen evakuieren. Er zermarterte sich stundenlang den Kopf. Wie mache ich die beste Miene zu dieser Katastrophe? Wie bringe ich ihnen die Nachricht bei, ohne jede Chance auf künftige Missionen zum Mars zunichte zu machen? Wie gebe ich meine Unzulänglichkeit zu, ohne meine Zukunftsaussichten zu ruinieren?

Darauf kommt es an. Wie kann man diese schreckliche Nachricht so vermitteln, daß unsere Zukunftschancen nicht zunichte gemacht werden. Das ist der springende Punkt.

Praktisch alle Berichte des Bodenteams wurden mündlich erstattet und von den Computern im Raumschiff und in Kaliningrad automatisch transkribiert. Li war der einzige, der seine Berichte regelmäßig schriftlich verfaßte und in Schriftform abschickte. Aber was kann ich jetzt schreiben? Welche Worte können diese Nachricht abschwächen?

Wie ein Affe im Käfig marschierte er auf und ab, suchte nach einer Möglichkeit und fand keine. Schließlich setzte er sich äu

ßerst widerwillig an seinen kleinen Schreibtisch und begann, mit seinen langen, manikürten Fingern auf die Computertastatur einzuhämmern.

Dimitri Josifowitsch Iwschenko hatte das Aussehen und die Persönlichkeit eines typischen Kosmonauten. Kleiner Wuchs, blitzschnelle Reflexe und so jung, daß er als Kampf- und dann Testpilot noch nicht zu Tode gekommen war. Er hatte ganze Nächte durchgesoffen, sich am nächsten Morgen an der frischen Luft ausgenüchtert, eine Zigarette zum Frühstück geraucht und hinter den Hangar gekotzt, bevor er ins Cockpit irgendeines überschallschnellen Jets geklettert war. Doch sobald er im Cockpit saß, war er cool und präzise, konnte eine Situation innerhalb von Sekunden beurteilen und mit einer Mischung aus Instinkt, Training und unglaublich schnellen Denkprozessen genau im richtigen Moment das Richtige tun.

Er hielt sich nicht für einen kühnen Piloten; die Kühnen starben jung. Iwschenko war ein vorsichtiger Pilot, der gefährliche Flugzeuge flog. Als er zum Kosmonauten Corps wechselte, langweilte ihn die Newtonsche Vorhersagbarkeit jeder Raumfahrtmission beinahe.

Jetzt langweilte er sich jedoch nicht. Er war allerdings auch nicht sonderlich beunruhigt. Nur vorsichtig. Kein Grund zur Eile, ermahnte er sich, als er seine Stange behutsam in die Sandwellen einen Meter vor seinen Stiefeln stieß. Wir sind hier, um diese vier armen Teufel zu retten, nicht, um neben ihnen steckenzubleiben.

Staub wirbelte an den Stellen auf, wo die Stange auf den Boden traf. Sie sank ein paar Zentimeter tief ein und schien dann auf festen Grund zu stoßen. Iwschenko nickte in seinem Helm und machte einen Schritt nach vorn. Seine Sicherheitsleine zog er hinter sich her.

»Wie ist es?« krächzte Wosnesenskis Stimme in seinem Kopfhörer.

»Weich, wie Sand. Keine gute Bodenhaftung.«

»Sei vorsichtig.«

»Ich bin immer vorsichtig, Mikhail Andrejewitsch.«

»Dann sei doppelt so vorsichtig.«

»Ja, Sir«, Genosse Gruppenkommandant, schmunzelte Iwschenko in sich hinein und trat noch einen Schritt vor.

Sein Fuß rutschte unter ihm weg. Sein Körper machte eine halbe Drehung, als er die Stange mit beiden Händen packte, aber sie versank ebenfalls im Sand, der auf einmal die Konsistenz von Talk hatte. Wolken rosafarbenen Staubs wallten sanft auf, und Iwschenko merkte, wie er wegrutschte, nach vorn glitt – seine Stiefel fanden auf einmal keinen Halt mehr – und in einem Meer aus weichem rotem Sand versank.

Er stieß keinen Schrei aus. Noch während er in dem klebrigen Staub unterging, ließ er die nutzlose Stange los und versuchte, sich herumzuwerfen und am letzten Stück festen Bodens hinter sich festzuhalten. Aber in dem schwerfälligen Anzug konnte er sich kaum ein paar Grad drehen, während er mit den Armen herumfuchtelte und mit den Beinen strampelte. Es war, als sänke man in weichen Schlamm. Iwschenko stellte sich vor, wie er von Treibsand in die Tiefe gezogen wurde.

Mit seinen schnellen Reflexen und seiner Fähigkeit, eine Situation rasch zu beurteilen, hörte Iwschenko auf zu zappeln, noch während er Wosnesenski in seinem Kopfhörer brüllen hörte: »Was ist denn los? Was machst du?«


Er spürte etwas Festes unter dem Absatz seines linken Stiefels und versuchte, sein ganzes Gewicht darauf zu verlagern.

Aber der Stiefel rutschte ab, und er sank langsam und unaufhaltsam weiter in den feinen roten Staub, der ihm bis zur Brust, bis zu den Achselhöhlen, bis zum Rand seines Helms stieg.

»Ich versinke«, meldete er mißmutig. Das Visier seines Helms war mit rostfarbenem Staub gesprenkelt. Seine Arme lagen ausgebreitet auf dem Sand wie die eines Schwimmers, der an der Wasseroberfläche zu treiben versucht. Er hatte Angst, sie zu bewegen, weil er fürchtete, dann noch tiefer zu sinken.

Wosnesenski fluchte auf Russisch.

»Ich versinke!« wiederholte Iwschenko lauter. Seine Stimme wurde höher. Der talkartige Sand kroch ihm an der Sichtscheibe des Helms empor.

Wosnesenski zögerte nur einen Augenblick lang. Es würde gefährlich sein, an diesem Hang den Rückwärtsgang einzulegen, das wußte er, aber Iwschenkos Leine war an einem simplen Ringverschluß an der Nase des Fahrzeugs befestigt. Es gab keine Winde, mit der er ihn heraufziehen konnte.

»Hinsetzen«, fauchte er Reed an, während er auf die Tasten an der Kontrolltafel drückte, die sämtliche Radmotoren in den Rückwärtsgang schalteten.

Reed glitt auf den rechten Sitz und starrte mit weit aufgerissenen Augen auf die Szene vor ihnen. Iwschenkos Helm war fast ganz im Sand verschwunden. Er brüllte etwas auf Russisch, aber die Funkverbindung brach ab, und seine Worte wurden von atmosphärischen Störungen verstümmelt.


»Zieht mich rauf, verdammt!« rief Iwschenko in sein Helmmikrofon. Er war jetzt vollständig in dem roten Staub versunken. Und er sank immer weiter. Der Staub war bodenlos.

Dann merkte er, wie die Leine sich straffte. Als würde ein Fallschirm über ihm erblühen. Iwschenko verspürte die gleiche Aufwallung von Dankbarkeit und Freude.

»Gut! Gut! Zieht mich zurück.«

Er wußte, daß Wosnesenski mit dem Rover unendlich vorsichtig, unendlich behutsam zentimeterweise zurückfahren würde. Das ist in Ordnung, sagte sich Iwschenko. Ich habe Luft für zwölf Stunden, vielleicht sogar noch mehr. Laß dir Zeit, Mikhail Andrejewitsch. Laß dir Zeit, soviel du willst, aber zieh mich weiter rauf.

Sein Kopf kam aus dem Sand, und er hörte fast sofort ein wildes Durcheinander von Stimmen: Reed, Wosnesenski, die vier im anderen Rover. Sie redeten alle gleichzeitig.

»Es geht mir gut«, erklärte er ihnen allen. »Zieh nur weiter.«

Seine Schultern kamen aus dem Staub. Er konnte ihnen mit den Armen zuwinken. Dann schien sein linker Stiefel an demselben Felsvorsprung unter dem Sand hängenzubleiben, der ihn fast aufgehalten hätte, als er in die Tiefe gesunken war.

»Warte, ich hänge fest…«

Aber die Leine zog ihn weiter. Sein linkes Bein hatte sich irgendwie verhakt. Er versuchte es mit einer Drehung freizubekommen, während er Wosnesenski zurief, daß er für einen Moment anhalten sollte.

Die Leine bestand aus denselben leichten, hochfesten Karbonfaser-Verbundstoffen wie das Raumseil, mit dem die Raumschiffe verbunden waren. Der Felsen unter dem Sand war so hart und fest wie Granit. Der Rover fuhr Iwschenkos lauten Rufen zum Trotz weiterhin langsam rückwärts und zog ihn wie auf einer Streckbank auseinander.

Es dauerte nur ein paar Sekunden. Iwschenko spürte, wie sein Knie knackte, und ein sengender Schmerz fuhr durch sein ganzes Bein. Er schrie einen Fluch auf das Universum hinaus, als die Leine auf einmal schlaff wurde.

Wosnesenski brüllte in sein Funkgerät im Cockpit: »Was ist mit dir?«

»Du hast mir bloß gerade das Bein gebrochen, das ist alles«, antwortete Iwschenko. Seine Stimme war schrill vor Schmerzen.

»Wie…?«

»Egal! Zieh! Ich sinke schon wieder ein.«

Obwohl es ihm Höllenqualen bereitete, befreite Iwschenko sein Bein von dem Felsvorsprung, während er Wosnesneski anblaffte. Er merkte, wie die Leine sich wieder straffte. Sein Bein pochte fürchterlich, aber er biß die Zähne zusammen und gab keinen Ton von sich, während der Rover ihn aus der Sandgrube zog.

Dann lag er etliche Minuten keuchend auf dem festen Boden und kniff vor Schmerzen die tränenden Augen zusammen.

Im Cockpit starrte Tony Reed auf die ausgestreckt daliegende Gestalt im roten Anzug. Das Herz klopfte ihm in den Ohren. »Was ist mit ihm passiert?«

»Er hat gesagt, sein Bein sei irgendwo hängengeblieben«, antwortete Wosnesenski mürrisch. »Als wir ihn herausgezogen haben, ist es gebrochen.«

»Was wollen wir jetzt tun?«

»Wir müssen hinausgehen und ihn holen!«

»Hinausgehen? Das können Sie nicht!«


»Ich ziehe mich an«, sagte Wosnesenski.

»Sie sind nicht in der Verfassung, dort hinauszugehen«, beharrte Reed. »Sie haben nicht mehr als zwei Stunden geschlafen, seit wir von der Kuppel aufgebrochen sind.«

»Ich muß.« Aber sein erster Versuch, aus dem Cockpitsitz aufzustehen, mißlang. Seine Beine waren so schwach, daß sie ihn nicht trugen. Der Russe versuchte es erneut, schaffte es aber nur, einen Moment lang mit wackligen Beinen dazustehen, und brach dann wieder auf dem Sitz zusammen.

»Schauen Sie mich nicht an!« sagte Reed, einer Panik nahe.

»Ich kann nicht hinausgehen! Ich… ich habe keine EVA-Ausbildung.«

»Hört auf, zu diskutieren«, kam Iwschenkos Stimme matt und keuchend aus dem Lautsprecher. »Ich schaffe es bis zur Luke… glaube ich.«

Der Kosmonaut begann über den Boden zu kriechen. Er zog sich mit den Händen vorwärts und schleifte sein nutzloses linkes Bein nach.

»Wenn der Anzug kaputtgeht…« Wosnesenski führte den Gedanken nicht zu Ende. Er drehte sich mit schweißfeuchtem Gesicht zu Reed um und befahl: »Ziehen Sie Ihren Anzug an, Doktor. Sofort.«

»Aber ich…«

»Sie brauchen nicht hinauszugehen«, sagte Wosnesenski voller Abscheu. »Aber unser Kamerad wird jemanden brauchen, der ihm in die Luftschleuse hilft. Das werden Sie doch wohl schaffen, oder?«

Reeds Eingeweide flatterten. Seine Hände zitterten. »Ja, natürlich«, sagte er und versuchte verzweifelt, sich zu beruhigen.


»Natürlich. Ich kann ihm aus dem Anzug helfen und mich um sein Bein kümmern.«

»Ein Engel der Gnade«, fauchte Wosnesenski.

Im Cockpit des gestrandeten Rovers waren Jamie und die drei anderen Zeugen von Iwschenkos Martyrium geworden.

Mit wachsendem Entsetzen hatten sie gesehen, wie ihr nahender Retter hilflos im Sand versank, hatten seine Hilferufe gehört und beobachtet, wie der zweite Rover vorsichtig zurücksetzte und den Kosmonauten herauszog, waren bei seinem Schrei zusammengezuckt, als sein Bein brach.

Jetzt sah Jamie grimmig zu, wie Iwschenko von Schmerzen gepeinigt zur Luftschleuse des Rovers kroch. Und er wußte, nun war alles vorbei, es gab keine Hoffnung mehr, daß sie gerettet wurden. Wenn er es nicht selber tat.


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