ERDE

WASHINGTON: Edith stand neben Alberto Brumado, als der Anruf kam.

Sie waren nach dem Abendessen in Georgetown gerade in das rote Backsteinhaus zurückgekommen. Edith wußte instinktiv, daß der Mann es jetzt bei ihr versuchen würde. Wie sie darauf reagieren würde, wußte sie allerdings noch nicht.

Brumado war nett, intelligent, sanft und auf eine schüchterne, jungenhafte Weise sogar liebenswürdig.

Sie fragte sich, wie er wohl im Bett sein würde. Und sie ertappte sich auch bei der Überlegung, ob Jamie mit seiner Tochter schlief.

Aber das Telefon unterbrach Brumado, als er gerade Osborne Brandy in zwei Gläser einschenkte. Er durchquerte das von Bücherregalen gesäumte Wohnzimmer und nahm das Telefon auf.

»Ja, höchstpersönlich… Oh, hallo, Jeffrey, wie…?« Brumados Gesicht wurde weiß. »Was? Wirklich? Ist das sicher?« Er verfiel in brasilianisches Portugiesisch und ratterte ein paar Sätze herunter. Dann merkte er es und schaltete atemlos wieder auf Englisch um. »Ja, ja, ja. Ich bin gleich da. Sobald ich ein Taxi bekomme. Ja. Danke! Danke, daß Sie mich angerufen haben!

Ich komme auf jeden Fall!«

Wenn er nicht von einem Ohr zum anderen gegrinst hätte, wäre Edith überzeugt gewesen, daß die Marsforscher eine Katastrophe ereilt hatte.


Er schaute durchs Zimmer zu ihr herüber. »Sie haben lebende Organismen auf dem Mars gefunden. Meine Tochter hat die Entdeckung gemacht!«

Edith stieß ein texanisches Kriegsgeheul aus, lief zu ihm und fiel ihm um den Hals. Er legte ihr die Arme um die Taille, und sie küßten sich wie Fremde am Silvesterabend.

»Ich muß ein Taxi rufen«, sagte er dann. »Wir werden im NASA-Hauptquartier erwartet.«

»Ich muß meinem Boss Bescheid sagen!« rief Edith.

»Die Medien werden alle unterrichtet.« Brumado tippte mit einer zitternden Hand aufs Telefon ein. »Sie haben für Mitternacht eine Pressekonferenz anberaumt.«

Während er auf und ab marschierte und ungeduldig auf das Taxi wartete, rief Edith den Direktor des Networks in seinem Apartment in Manhattan an.

»Hier ist der automatische Anrufbeantworter…« meldete sich eine Maschine.

Edith war einen Moment lang frustriert, dann begann sie zu lachen. Als der Piepton erklang, rief sie ins Telefon: »Hier ist Edie Elgin. Ich bin mit Alberto Brumado in der Bundeshauptstadt, und sobald das Taxi hier ist, fahren wir zum NASA-Hauptquartier. Man hat Leben auf dem Mars gefunden, mein Lieber! Und Sie waren nicht zu Hause, um diesen wichtigen Anruf entgegenzunehmen!«

Dann rief Edith im Büro der Nachrichtenabteilung des Networks an. Der Chef vom Dienst war schon nach Hause gefahren, und die Frau, die um diese Zeit abends Dienst tat, hatte noch nie etwas von Edie Elgin gehört.

»Ich bin Beraterin im Direktionsbüro«, erklärte Edith.

»Und?«


»Ich habe eine Story. Ich muß aus dem Washingtoner Büro hier unbedingt auf Sendung gehen. Mit höchster Priorität.«

»Worum geht es?«

»Um die sensationellste Nachricht in der Geschichte der Branche, Schätzchen!«

»Wirklich?« Die Stimme der Frau troff vor Argwohn.

Edith zögerte auf einmal. Sie werden mir die Sache wegnehmen, erkannte sie. Ich gebe ihnen den Tip, sie holen den Chefredakteur und den Moderator der Abendnachrichten, diesen Mistkerl, und ich stehe dann im Regen.

»Können Sie mir die Privatnummer des Chefs vom Dienst geben?« fragte sie.

»Nein.« Klipp und klar.

»Es ist wichtig, Verdammt!«

»Wenn es so wichtig ist, dann sollten Sie mir lieber erzählen, worum es geht.«

Edith holte tief Luft. »Okay«, sagte sie zuckersüß. »Von morgen früh an werden Sie alle genügend Zeit haben über diesen Anruf nachzudenken, wenn Ihr alle gefeuert sein werdet.«

Sie legte auf und wandte sich an Brumado. »Ist das Taxi schon da? Habe ich noch eine Minute Zeit, um ins Bad zu gehen?«

In den anderthalb Stunden zwischen ihrer Ankunft im NASA-Hauptquartier und dem offiziellen Beginn den Pressekonferenz bespielte Edith vier Kassetten auf ihrem Mini-Recorder. Sie sprach mit den Männern, die sich versammelt hatten, um Champagner zu trinken und Zigarren zu rauchen. Sie war nicht die einzige Frau bei der improvisierten Feier, aber die einzige Vertreterin der Medien unter all den Leuten vom Marsprojekt.


Bei der Pressekonferenz war der größte Saal des Gebäudes bis auf den letzten Platz gefüllt, sogar um Mitternacht. Fernsehteams rammten sich gegenseitig die Ellbogen in die Rippen, um an die besten Plätze ganz vorn zu gelangen. Das Licht war blendend hell, aber es schien niemanden zu stören. Eine Phalanx von Mikrofonen und Kassettenrecordern war auf dem langen Tisch aufgebaut, an dem sich die grinsenden NASA-Vertreter versammelten, einander die Hände schüttelten und vor Selbstbestätigung glühten. Alberto Brumado durfte in ihrer Mitte Platz nehmen.

Edith setzte sich auf einen Klappstuhl, der an der Seitenwand in der Nähe eines Notausgangs aufgestellt worden war.

Sie lächelte in sich hinein. Sie hatte ihre Story, und sie würde weiterhin alle Details der menschlichen Seite dieser phantastischen Nacht sammeln. Selbst wenn sie den Job mit Brumado im Bett beenden mußte. Wäre vielleicht gar kein so schlechter Abschluß für eine solche Nacht, dachte sie.

Obwohl die Nachricht den staunenden Reportern offiziell von langweiligen, grauhaarigen NASA-Funktionären mitgeteilt wurde, war es Alberto Brumado, der schließlich am meisten redete. Die Seele des Marsprojekts hatte ihre Stunde im Scheinwerferlicht. Sein lächelndes, triumphierendes Gesicht und seine Stimme wurden in alle Welt übertragen.

Leben auf dem Mars!

Während Brumado die unzähligen Fragen der Reporter beantwortete und fröhlich mit ihnen plauderte, fiel niemandem das müde, grimmige Gesicht des für die medizinische Abteilung verantwortlichen Arztes auf, der ganz außen am Tisch der NASA-Funktionäre saß. Niemand stellte ihm eine Frage.

Niemand achtete auch nur auf ihn. Und das war ihm auch ganz recht so, denn er hatte beschlossen, absolutes Stillschweigen zu bewahren, egal, was passierte. Er war nicht der Mann, der beim Triumphzug seines Vereins für Regenwetter sorgen wollte.


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