»Sie liegt vor dir!«

Ollowain blickte die Schlachtlinie entlang. Alle waren sie gekommen, obwohl Alfadas ihnen freigestellt hatte zu gehen. Oder vielleicht gerade weil er es getan hatte?

Er sah nach rechts zu dem Hügel. Die Maurawan waren nicht erschienen! Nicht einmal Silwyna war zurückgekehrt. Aber die Trolle hatten sich eingefunden. Auch wenn es keine fünfhundert zu sein schienen, waren es allemal mehr als genug, um die Menschensöhne in Stücke zu schlagen.

Der Herzog saß mit versteinerter Miene auf dem grauen Hengst, den ihm Fürst Fenryl zum Abschied geschenkt hatte. Jetzt war es zu spät, um sich noch zurückzuziehen.

Die Trolle rückten in einem ungeordneten Pulk vor. Sie bewegten sich auf den rechten Flügel zu, dorthin, wo der Hügel lag, den niemand besetzt hielt. Wenn sie ihn erreichten, könnten sie die ganze Schlachtlinie der Menschenkinder aufrollen.

Alfadas zog sein Schwert. Mit einem gezwungenen Lächeln wandte er sich dem kleinen Häuflein Reiter zu. »Wie es scheint, werden wir unsere Elfenfreunde aus den Wäldern ersetzen müssen.«

Das metallische Klacken der Armbrüste erklang. Dutzende Bolzen schlugen in die Flanke der Trolle. Krieger strauchelten und schrien, doch der Vormarsch auf den Hügel verlangsamte sich nicht. So gering schätzten die Hünen die Kampfkraft der Menschen, dass sie nicht einmal jene riesigen Schilde trugen, die Ollowain aus den Kämpfen um Phylangan kannte.

Die Bogenschützen unter Veleifs Kommando schossen Salve auf Salve. Doch sie waren zu weit entfernt, um großen Schaden anzurichten.

Alfadas hob sein Schwert hoch über den Kopf. »Vorwärts, Männer! In Horsas letzter Schlacht seid ihr besiegt worden. Nun zeigt allen, dass ihr heute die Tapfersten der Tapferen seid!« Ohne sich noch einmal umzudrehen, um zu sehen, wer ihm in diesen aussichtslosen Kampf folgte, gab Alfadas seinem Grauen die Sporen. Ollowain brachte seinen Hengst an die Seite des Menschensohns. Keiner der anderen Krieger blieb zurück. Sie waren zwanzig gegen ein paar hundert. Der Elf lächelte dünn. Es gab keinen Zweifel, wie dieses Gefecht ausgehen würde.

Im tiefen Schnee kamen die Pferde nur langsam voran. Die Trolle würden zuerst den Hügel erreichen. Der Schwertmeister sah, wie Mag versuchte, eine Einheit aus Speerträgern schwenken zu lassen, um auf die veränderte Lage zu reagieren. Binnen Augenblicken geriet die Formation hoffnungslos durcheinander. Lambis Männer schwenkten ein, doch die Speerträger standen ihnen nun im Weg. Die Trolle hatten es geschafft, mit ihrem Angriff auf die Flanke die ganze Schlachtlinie durcheinander zu bringen.

Ollowain trieb seinen Hengst an. Fünfzig Schritt noch, dann erreichten die Trolle den Hügel. Eine zweite Salve Armbrustbolzen riss einige ihrer Krieger zu Boden. Die hünenhaften Kämpfer brüllten ihnen ihre Schlachtrufe entgegen. Sie verhießen Tod und Gemetzel.

Plötzlich lief eine Welle über den Hügelkamm. Der Schnee wölbte sich auf. Schlanke weiße Gestalten wuchsen aus dem Boden. Ollowain erkannte Silwyna zwischen ihnen. Die Maurawan! Auf kürzeste Distanz schossen sie ihre Pfeile ab. Fast alle Krieger in der Frontreihe der Trolle wurden zu Boden gerissen. Die nachdrängenden Kämpfer strauchelten über die Gestürzten. Eine weitere Salve Pfeile ließ den Angriff vollends zusammenbrechen.

Ollowain konnte kaum fassen, was er sah. Die Maurawan mussten schon in der Nacht ihre Stellung auf dem Hügel bezogen haben. Sie hatten Mulden in den Schnee gegraben und sie mit ihren weißen Umhängen und Pelzen abgedeckt, um sich einschneien zu lassen. Der Neuschnee hatte alle Spuren gelöscht, sodass es ausgesehen hatte, als habe niemand den Hügel betreten.

Langsam erholten sich die Trolle von ihrem Schock. Entschlossen, den Sieg noch nicht verloren zu geben, rannten sie gegen den Pfeilsturm an.

»Vorwärts!«, rief Alfadas voller Begeisterung. »Fallen wir ihnen in die Flanke! Unsere Waffenbrüder aus Albenmark sollen nicht allen Ruhm allein ernten.«

Ein helles Signalhorn erklang. Noch einmal liefen Wellen durch den Schnee. Reiter und Pferde erhoben sich aus eingeschneiten Verstecken. Die Elfen schwangen sich in die Sättel. Gewappnet in weiße Rüstungen aus Leinen und Leder, mit silbernen Helmen, von denen helle Rosshaarschweife flatterten, sahen sie aus wie verzauberte Kinder, die der Winter selbst geboren hatte. Beritten auf Schimmeln, mit wehenden, schneeverkrusteten Umhängen, stürmten sie den Hang hinab. Lange Lanzen schimmerten im Morgenlicht. Binnen weniger Herzschläge bildeten sie einen Angriffskeil, der auf die Mitte der feindlichen Schlachtlinie zielte.

Auch Alfadas und seine Krieger hatten die Trolle nun fast erreicht. Pfeile sirrten über ihre Köpfe hinweg, dann legten die Schützen auf dem Hügel die Bögen nieder und zogen ihre Langschwerter. Angeführt von Silwyna, stürmten sie den Hang hinab.

Ollowain drängte dichter an die Seite seines Ziehsohns. Lanzen splitterten, als sie auf die wankende Schlachtreihe der Feinde trafen. Die Mehrzahl der Trolle war immer noch wild entschlossen zu siegen. Pferde wieherten. Ollowain beugte sich tief in den Sattel, um einem Keulenhieb auszuweichen. Sein Speer traf einen Feind in den Hals, doch es war, als hätte er mit der Waffe auf einen Felsblock eingestochen. Der Ruck riss ihm den Speer aus der Hand. Ein Troll griff seinem Hengst in die Zügel und warf das Pferd zu Boden. Ollowains Stiefel verhedderten sich in den Steigbügeln. Verzweifelt versuchte er sich zu befreien. Der Schnee nahm seinem Sturz ein wenig von der Wucht und rettete sein Bein, als er unter dem Leib des Hengstes begraben wurde. Wild mit den Hufen auskeilend, rollte sich das Tier ab. Das Sattelhorn streifte Ollowains Oberschenkel. Brennender Schmerz zückte durch das Bein.

Der Hengst kam wieder hoch und stieg. Seine Vorderläufe trommelten dem Troll ins Gesicht, der nach den Zügeln gegriffen hatte. Halb ohnmächtig vor Schmerz, schaffte der Schwertmeister es, sich aufzurichten.

Der Schnee dampfte von frisch vergossenem Blut. Pferde, Menschen und Trolle waren ineinander verkeilt. Die Luft war erfüllt von wütenden Schreien, Waffengeklirr und den Flüchen und dem Wimmern der Sterbenden. Ollowains Hose war zerrissen. Sein Oberschenkel, vom Sattelhorn gequetscht, quälte ihn mit pochenden Schmerzen.

Ein rothaariger Menschensohn stürzte neben den Elf. Ein Axthieb hatte ihm den Rücken gespalten. Wie pulsierende rote Flügel drückten sich seine Lungen aus der grässlichen Wunde. Der Mann drehte den Kopf zur Seite. Sein Mund öffnete und schloss sich, ohne dass er einen Ton hervorbrachte.

Der Schwertmeister unterlief einen Keulenhieb. Mit einem Rückhandschlag traf er den Troll am Handgelenk. Keule und Hand wirbelten durch die Luft, doch Ollowain brach in die Knie. Sein verletztes Bein wollte ihn nicht tragen. Der schreiende Troll versuchte ihn in den Schnee zu stampfen. Ein Stich in sein Gemächt ließ ihn fluchend zurückspringen. Der nächste Hieb traf den Troll in die Kniekehle. Er strauchelte. Noch im Stürzen schlitzte Ollowain dem Hünen die Kehle auf und rollte sich zur Seite.

Alfadas war umringt von Gegnern. Wie ein Berserker stieß er mit dem Schwert um sich. Ein Axthieb durchtrennte beide Vorderläufe seines Grauen. Schrill wiehernd stürzte der große Hengst. Alfadas wurde über die Mähne hinweg nach vorn geschleudert. Fast augenblicklich war er wieder auf den Beinen und zog mit seinem Schwert einen silbern schillernden Kreis um sich. Die Trolle gingen auf Abstand. Jetzt waren auch die Maurawan heran. Wilder Hörnerklang begleitete ihre Schlachtrufe. Wie ein Sturmwind in trockenes Herbstlaub, so fuhren sie unter die Trolle.

Ollowain stemmte sich hoch. Hinter Alfadas‘ Rücken holte ein verwundeter Troll zu einem Keulenhieb aus, um dem Herzog die Beine zu zerschmettern. Ein Stich in die Schulter des Hünen setzte der Bewegung ein Ende. Brüllend fuhr der Troll herum. Sein rechter Arm hing schlaff herab. Stinkender Atem schlug dem Schwertmeister ins Gesicht. Die Waffe wurde ihm aus den Händen gerissen. Sein verletztes Bein knickte erneut unter ihm weg.

»Dich nehme ich mit ins Dunkel, Elflein«, fauchte der Troll. Er stützte sich auf die linke Hand, von deren Fingern nur noch Stummel übrig waren, und schob sich herum, um Ollowain unter seinem massigen Körper zu begraben.

Der Schwertmeister versuchte, rückwärts davonzukriechen, doch der Leib eines toten Pferdes versperrte ihm den Weg. Lachend warf sich der Troll nach vorn. Ollowain wollte ausweichen, aber sein lahmes Bein gehorchte ihm nicht mehr. So konnte er dem Gegner nicht ganz entgehen. Der Troll drückte ihn mit der verstümmelten Hand nieder. Gelbe Zähne bleckten in seinem Maul. »Noch hab ich nicht alle Waffen verloren«, keuchte er.

Ollowains Hand tastete nach dem Gürtel. Das klaffende Maul senkte sich. Im selben Augenblick schnellte der Dolch hoch. Zähne knirschten und splitterten, als der Silberstahl dem Troll ins Maul fuhr. Die Klinge verschwand tief im Rachen. Noch im Sterben versuchte der Hüne Ollowain in die Hand zu beißen.

»Was für grässliche Unfälle Schwertschlucker doch haben können«, grölte Lambi, den das Getümmel der Schlacht ausgespien hatte. Er streckte Ollowain die Hand entgegen und half ihm auf die Beine. »Danke«, murmelte der Schwertmeister benommen. Dann zog er dem toten Troll das Schwert aus der Schulter. »Du solltest jetzt lieber deine Haut retten, Kumpel. Ich kann nicht die ganze Zeit auf dich aufpassen, und so wie es aussieht, bist du nicht mehr sonderlich gut zu Fuß.«

Ollowain lächelte säuerlich. Er war Lambi dankbar, aber mit der Art, wie dieser Barbar redete, würde er sich niemals anfreunden können.

Der Jarl winkte einem Krieger, der ein herrenloses Pferd eingefangen hatte. »Bring das rüber. Der Schwertmeister braucht ein paar Ersatzbeine.«

»Ich danke dir, Jarl«, entgegnete Ollowain steif.

Lambi winkte ab. »Lass mal gut sein. Wenn du mir wirklich einen Gefallen tun willst, dann verrate mir, wie du es hinbekommst, in deinen weißen Gewändern immer so sauber auszusehen. Bei der Nase, die ich mit mir herumtrage, sollte ich darauf achten, dass es an mir sonst nichts auszusetzen gibt, wenn ich bei den Weibsbildern Eindruck machen will.«

Ollowain zog sich stöhnend in den Sattel. »Das ist leicht«, stieß er gepresst hervor. »Du musst nur den Schmutz meiden.«

Der weiße Hengst stieg auf die Hinterbeine und hätte den Schwertmeister fast abgeworfen. Ollowain griff in die Mähne. Aus dem Sattel hatte er einen guten Überblick über die Kämpfe. Die Trolle zogen sich zurück. Sie wurden jetzt von allen Seiten bedrängt. Obwohl sie noch immer Widerstand leisteten, stand ihre Niederlage außer Frage. Die eigentliche Schlacht war vorüber. Was nun folgen würde, war das Gemetzel. Mitten im Getümmel steckte Alfadas. Auch er hatte ein neues Pferd. Ollowain fragte sich, ob sein Ziehsohn den Tod suchte. Die Grenze zwischen Mut und selbstmörderischer Tollkühnheit hatte Alfadas längst überschritten. Der Elf gab seinem Hengst die Sporen und trieb ihn ins Gedränge der Schlacht.

Das große Pferd strauchelte. Dicht an dicht lagen Tote und Sterbende auf dem Eis. Es stank nach Blut und Exkrementen. Der Himmel hatte den Atem angehalten. Es regte sich nicht der leiseste Lufthauch.

Die Trolle schafften es noch einmal, die Umklammerung ihrer Feinde zu durchbrechen. Sie eilten der Palisade entgegen. Wenn sie sich im engen Passweg verschanzten, dann hätten Menschen und Elfen keinen Vorteil mehr von ihrer Übermacht.

Ollowain trieb seinen Hengst voran. Dumpfer, pochender Schmerz in seinem Bein quälte ihn. Er überließ es anderen, die Flüchtenden niederzustechen. Sein Ziel war der gedrungene Krieger, der in der Bresche des Walls stand. Er drückte eine zierliche, weiße Gestalt an sich. Der Schwertmeister fluchte. Sie hatten Emerelle! Dann war also die Palisade gefallen, und die Flüchtlinge waren besiegt. Sie kamen zu spät!

»Ich verlange freien Abzug!«, rief der Troll mit sich überschlagender Stimme. »Ich bin Dumgar, der Herzog vom Mordstein. König Branbart wird meinen Tod fürchterlich rächen, wenn ihr mir etwas zu Leide tut.« Der Troll hob die Rechte. Darin hielt er ein langes Knochenmesser. »Und ich werde der Tyrannin die Kehle ...« Ein Pfeil riss Dumgar die Waffe aus der Hand. Der Trollherzog schrie auf. Emerelle ließ sich nach vorn fallen und versuchte dem Herzog zu entkommen.

Ollowain riss an den Zügeln und glitt aus dem Sattel. Eine heiße Woge von Schmerz erfasste ihn, als er sein verletztes Bein belastete. Humpelnd eilte er der Königin entgegen. Dumgar versuchte Emerelle zu packen. Er griff nach ihrem langen Haar. In der Linken schwang er eine Keule.

Plötzlich stand ein schlanker Krieger vor ihm. Alfadas zog dem Troll sein Schwert mitten über den Bauch. Dann drehte er sich zur Seite, duckte sich und rammte Dumgar einen Dolch in die Kniekehle.

Ollowain erreichte Emerelle. Der Königin waren die Hände auf den Rücken gebunden. Man hatte ihr einen Knebel in den Mund gesteckt und eine Lederbinde über die Augen gelegt. Er schloss sie in die Arme. »Du bist in Sicherheit, Herrin.«

Der Trollfürst presste seine Hände auf den Leib. Blutige Gedärme rutschten aus dem klaffenden Schnitt. Alfadas stand dicht vor Dumgar. Er hielt ihm einen schlanken Dolch entgegen. »Kennst du diese Waffe, Mörder? Sie gehörte einem Kind. Ich werde dir damit deine Leber herausschneiden und sie dann an meinen Hund verfüttern. Und solltest du wiedergeboren werden, so schwöre ich dir, werde ich dich finden und noch einmal töten.«

»Du bist sicher der Elfenjarl«, stieß Dumgar hervor. »Du kommst zu spät!« Ein Hustenkrampf schüttelte ihn. Er ging in die Knie. Noch immer hielt er mit beiden Händen seinen Leib umklammert. »Du hast ein hübsches, blondes Weib, dem du einen dicken Bauch gemacht hast, nicht wahr. Meine Jäger haben sie letzte Nacht im Wald gefunden. Von ihrem Stolz ist da nicht mehr viel geblieben.«

Alfadas ließ den Dolch sinken. Alle Farbe war aus seinem Gesicht gewichen.

Der Troll zog seine Hände zurück. Bläuliche Darmschlingen quollen aus seinem feisten Leib und platschten in den Schnee.

»Es war köstlich, ihr begegnen zu dürfen.« Dumgar hustete. Weitere Darmschlingen quollen ihm aus dem Leib. »Sie liegt vor dir«, stieß er keuchend hervor. »Sie liegt vor dir!«

Hustend sank er vornüber in den Schnee.

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