Ein einmaliges Angebot

Alfadas blickte zum Himmel. Die Sonne stand als milchig blasse Scheibe hinter grauen Wolken. Nicht mehr lange, und es war Mittag. Und der König ließ sich immer noch nicht blicken! Der größte Teil des Hofstaats war längst auf den Beinen. Nur Horsa hatte sich noch nicht erhoben, und niemand wagte es, nach einem Zechgelage den Herrscher zu wecken. Allerdings waren schon mehr als ein Dutzend Boten abgeritten, um Horsas Schnapsidee in alle Winde zu tragen. Mit jeder Stunde, die verstrich, wurde es schwerer, das Unglück noch aufzuhalten. Den ganzen Morgen schon zermarterte sich Alfadas den Kopf darüber, wie man einen Rückzieher machen konnte, ohne dass der König sein Gesicht verlor.

Unruhig ging der Jarl vor den Ställen auf und ab. Es war zum Verrücktwerden! Wenn sie nicht bald aufbrachen, würden sie an diesem Tag auf keinen Fall mehr Firnstayn erreichen.

Ein stämmiger Mann mit eisgrauem Haar trat auf den Hof. Er trug einen bunt bestickten blauen Kittel. Der Fremde blickte Alfadas an, als habe er nach ihm gesucht; dabei war sich der Jarl sicher, den Mann noch nie gesehen zu haben.

»Alfadas Mandredson?« Seine Stimme klang entschuldigend.

»Der bin ich.«

Die grünen Augen des Mannes leuchteten auf. »Verzeih, ich kenne dich nur aus Geschichten ...«

»Ja, ja. Und ich sehe nicht aus wie der blonde Hüne mit dem Zauberschwert, zu dem mich die Skalden gerne machen.« Alfadas lächelte, um seinen Worten die Schärfe zu nehmen. »Was kann ich für dich tun?«

»Ich bin Sigvald.« Der Fremde streckte ihm fordernd die Hand entgegen. Er hatte einen festen Griff. Seine Hände waren von feinen weißen Narben überzogen. Sigvald roch nach Schmierfett und Holz. »Ich wollte dir ein gutes Geschäft vorschlagen, Jarl. Bei deinem Dorf gibt es doch einen großen Apfelhain. Und jeden Winter kommen Jäger aus Firnstayn und noch tiefer aus den Bergen, um hier in Honnigsvald ihr Fleisch und ihre Felle zu verkaufen, nicht wahr?«

»Um welches Geschäft geht es dir? Willst du mir meine Apfelernte abkaufen? Dann kommst du zu spät.« Der Jarl war nicht in der Stimmung, sich mit irgendeinem dahergelaufenen Händler herumzuschlagen.

»Alles, was ich möchte, ist, dir dein Leben zu erleichtern, Jarl. Ich möchte dir viele Stunden harter Knochenarbeit stehlen.« Sigvald blinzelte verschmitzt. »Deine Apfelhaine liegen doch sicher an den Flanken der Berge, wo sie viel Sonne bekommen und vor dem grimmigen Nordwind geschützt sind. Es heißt, du hättest dieses Frühjahr sogar zwei neue Apfelgärten angelegt.«

Alfadas sah den Mann mit neuem Interesse an. Sigvald hatte sich offensichtlich gut auf dieses Gespräch vorbereitet. »Du willst mich also bestehlen?«

Der Händler schüttelte den Kopf. »Nein, nein, Jarl. Entschuldige, das war ein etwas unglücklicher Scherz. Ich will dir viele schwere Arbeitsstunden abnehmen. Gewiss tragen du und deine Leute die Äpfel in Körben zum Dorf hinab. Das muss doch eine elende Schinderei sein. Und wenn du neue Haine anpflanzt, dann wird es in Firnstayn vielleicht bald mehr Äpfel geben, als das Dorf braucht. Die könnte man hier in Honnigsvald für gutes Geld verkaufen.«

»Und was willst du mir verkaufen? Tragekörbe?«

Sigvald winkte ab. »Davon habt ihr doch sicher schon reichlich. Nein, ich dachte an etwas, von dem jeder im Dorf Nutzen haben wird. Ein schweres Fuhrwerk.«

Alfadas sah den Mann fassungslos an. Das musste ein Scherz sein! Doch Sigvald blieb völlig ernst.

»Was soll ich mit einem Fuhrwerk? Nach Firnstayn führt nicht einmal ein Weg, der für Reiter unbeschwerlich ist. Wie sollte ich mit einem schweren Fuhrwerk durch die Wälder kommen?«

Sigvald hatte offensichtlich mit diesem Einwand gerechnet.

»Ich werde dir eine Straße für Fuhrwerke schenken. Zugegeben, sie wird nur vier oder fünf Monde im Jahr zu nutzen sein, aber dafür übernehme ich alle Kosten, um sie in Stand zu halten.«

Der Mann war verrückt! Auch wenn er auf den ersten Blick ganz normal wirkte.

»Du kannst also zaubern«, sagte Alfadas und bemühte sich, nicht allzu abfällig zu klingen.

»Mich einen Zauberer zu nennen, schmeichelt mir. Wenn du nur eine halbe Stunde mit mir kämst, würde ich dir zeigen, was es mit der Straße nach Firnstayn auf sich hat. Begleite mich in meine Werkstatt. Dort kannst du auch meine wunderschönen Fuhrwerke sehen. Wenn du möchtest, kann ich anspannen lassen, und wir machen eine kurze Ausfahrt.«

Alfadas blickte wieder zum Himmel. Der Tag war gelaufen. Sie würden es ohnehin nicht mehr bis zum Abend nach Hause schaffen. Und vom König war immer noch nichts zu sehen. Also konnte er diesem geschwätzigen Verrückten auch eine halbe Stunde seiner Zeit schenken. Von ihm fühlte er sich zumindest besser unterhalten als von den Saufkumpanen Horsas.

»Also gut, Sigvald. Dann zeig mir mal eine dieser Wunderkutschen, die du gleich mit der dazugehörigen Straße verkaufst.«

»Du wirst es nicht bereuen!«, versicherte der Kaufmann. Er führte ihn von der Festhalle in die kleine Stadt hinab. Die meisten Häuser in Honnigsvald waren einfache Holzhütten. Wind und Wetter hatten das Holz ausgeblichen, sodass sie grau und unansehnlich waren. Ihr häufigster Schmuck waren gekreuzte Giebelbalken, die in Pferdeköpfen endeten oder Drachen zeigten. Entlang der Häuserfassaden waren Planken verlegt. So konnte man halbwegs trockenen Fußes durch die Stadt kommen. An der Hauptstraße, der sie hinab bis zum Hafen folgten, gab es sogar einen kleinen Bach, dessen Ufer durch Holzverschalungen abgesichert waren. Die Anwohner schütteten allen erdenklichen Unrat in das Wasser, und obwohl das meiste davon schnell fortgespült wurde, hing ein übler Geruch nach Fäkalien und Verwesung über der Straße.

Einige Häuser entlang des Weges waren so eingerichtet, dass ihre Vorderfront ganz aus türgroßen Klappläden bestand, die auch bei diesem diesigen Wetter geöffnet waren. So konnte man in die Handwerksstuben hineinsehen. An einem der Läden hingen dutzende Messergriffe aus Rentierhorn oder Walbein auf einem Rahmen. Eine Kürschnerin stellte wunderbare Silberfuchsfelle aus. Alfadas verlangsamte seine Schritte. Asla würde das sicher gefallen. Es war lange her, dass sie beide zum letzten Mal hier gewesen waren. Damals war er zu arm gewesen, um ihr zu schenken, was ihr gefiel. Ein Händler bot alle erdenklichen Sorten von Perlen feil. Weiße mit bunten Mustern, die angeblich aus dem fernen Kandastan stammten, silbrig und rosa schimmernde Perlen aus Muscheln, Bernsteinperlen, die wie versteinertes Sommerlicht glänzten. Glasperlen aus Iskendria und Knochenperlen, bedeckt mit Zauberzeichen aus den undurchdringlichen Wäldern Drusnas. Alfadas ließ sich Zeit, sah einem Kupferflicker zu und einem Zahnausreißer, der ein regelrechtes Massaker anrichtete, während sein Opfer betrunken grinsend auf einen schweren Holzstuhl gebunden war. Endlich erreichten sie die Bootsschuppen am Ufer des Fjords. Sigvald brachte ihn zu einer Halle, deren Wände von handgroßen Pockennarben aus abgeplatzter Farbe übersät waren.

»Sei bereit, das Heim eines Zauberers zu betreten«, verkündete der Wagenbauer stolz und führte ihn um den Bau herum zu einem weit geöffneten Tor. Rauch und Wasserdampf kamen ihnen entgegen. Es roch nach glühendem Metall, frischem Hanf und Knochenleim. Rhythmisches Hämmern gab den Takt zu einem zotigen Lied, das gesungen wurde.

»Seht her, Männer! Hier kommt der Held des Königs, Alfadas, der Elfenjarl!« Das Lärmen verstummte.

Alfadas trat durch die Dampfschwaden. In der Halle standen acht Gefährte: Schlitten, Leiterwagen, kleinere und größere Fuhrwerke. An der Hälfte der Fahrzeuge wurde noch gebaut. In der Mitte der Halle stieg Wasserdampf aus einem großen, flachen Kessel. Zwei stämmige Gestalten mühten sich damit ab, über dem Dampf Planken zu biegen, die wohl für einen zerbrechlich aussehenden Reiseschlitten bestimmt waren.

Sigvald brachte den Jarl zu einer schweren Kutsche. Vier mannshohe Speichenräder mit dicken Eichenfelgen trugen das wuchtige Gefährt. Es war fast doppelt so groß wie das Fischerboot seines Schwiegervaters Erek.

Der Kutschbock war gepolstert und mit speckigem braunem Leder bespannt. Rechts und links des Sitzes gab es gleich zwei Bremsstangen. Über der Ladefläche spannte sich eine Plane aus gewachstem Leinen.

»Siehst du die Eisenbeschläge auf den Rädern und die soliden Achsen? Mit einem meiner Fuhrwerke muss dich schweres Gelände nicht schrecken. Die sind solide. Das meiste ist aus gut abgelagerter Eiche gezimmert.« Er klopfte gegen die niedrige Seitenwand der Ladefläche. »Du kannst beide Seitenwände herunterklappen und natürlich auch die Rückwand. Alle Eisenbeschläge sind hier in meiner Werkstatt hergestellt, auch das Zaumzeug. Es gibt nichts an einem Sigvald-Fuhrwerk, das nicht aus dieser Halle stammt. Ich bürge mit meinem Namen für jedes Einzelne dieser Schmuckstücke.«

»Und was ist mit den Straßen, die du zu deinen Kutschen verschenkst?« wollte Alfadas wissen. »Wer wird die bauen?« Aus den Augenwinkeln sah der Jarl, wie die Handwerker grinsten. Offenbar wussten sie, was kommen würde.

»Wenn du mir bitte folgen würdest.« Sigvald führte ihn zur Rückwand des Schuppens. Dort waren zwei lange, eisenverstärkte Kufen aufgehängt. »Alles, was du brauchst, sind ein paar starke Arme und etwa eine halbe Stunde Zeit. Man kann die Räder vom Fuhrwerk abnehmen und es auf diese Kufen setzen. Es fährt dann wie ein Schlitten. Wie du weißt, ist der Fjord mindestens vier Monde im Jahr von einer dicken Eisschicht bedeckt. Da hast du dann deine Straße. Die Kufen bekommst du geschenkt, wenn du den Wagen kaufst.«

Alfadas musste lauthals lachen. »Du verstehst dein Geschäft, Sigvald.« Der Herzog dachte daran, welche Bereicherung ein solches Gefährt für das Dorf sein könnte. Dann stellte er sich schmunzelnd vor, wie es wohl wäre, mit Asla und den Kindern im Winter eine Schlittenfahrt zu unternehmen. Kadlin würde jauchzen vor Vergnügen.

Und Ulric könnte man sicher für ein kurzes Stück die Zügel überlassen.

Alfadas ging zu einem Schlitten mit zwei Sitzbänken. Das Gefährt hatte einen schön geschnitzten Schwanenhals, und seine Seitenteile waren wie Flügel gestaltet. Wenn er mit so etwas ankam, würde das ganze Dorf über ihn lachen.

»Versucht der kluge Mann nicht stets das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden?« fragte der Wagenbauer.

»Du kannst wohl in die Köpfe der Menschen sehen!«

»Nein, Jarl. Ich bin ein aufrichtiger Geschäftsmann. Und mir ist es lieber, du verlässt diesen Schuppen, ohne etwas gekauft zu haben, als dass du etwas kaufst und es hinterher bereust. Dieser Schlitten hier ist für Weibsbilder und Kinder. Ein Mann wie du sollte sich nicht in ein solches Gefährt setzen.« Er deutete hinüber zu dem schweren Fuhrwagen. »Kauf diesen Wagen, und jeder wird seinen Nutzen anerkennen. Und wenn du einfach nur zum Spaß mit ihm herumfährst, machst du dich nicht zum Narren.«

»Nur dass der Fuhrwagen vermutlich drei- oder viermal so teuer ist wie der Schwanenschlitten.«

»Oh, es gibt viele Wege, handelseinig zu werden.« Sigvald strich seine Tunika glatt. »Es heißt, du hast großen Einfluss auf den König. Wenn ich vielleicht die königliche Stellmacherei ...«

»Schweig! Von solchen Geschäften will ich nichts hören! Im Übrigen hätte ich nicht einmal die Pferde oder Ochsen, um solch ein Fuhrwerk zu bespannen.« Sigvald hob beschwichtigend die Hände. »Bei den Göttern, Jarl, was denkst du von mir? Ich bin ein ehrbarer Mann, und ich weiß, dass du auch einer bist. Ich wollte mir keinesfalls in unlauterer Weise einen Vorteil erschleichen. Und was die Zugtiere angeht, ich hätte vier wunderbare Kaltblüter an der Hand. Allesamt Rote. Ein Gespann wie für einen König. Die Tiere sind von unermüdlicher Kraft. Und ihr Fell ist dicht genug, dass sie auch die härtesten Winter überstehen.«

Alfadas dachte daran, wie die Kutsche bei der Apfelernte von Nutzen sein konnte. Und wenn das Fuhrwerk erst einmal in Firnstayn war, würden sich sicherlich schon bald noch andere Verwendungsmöglichkeiten finden. Die Kaltblüter könnte man nutzen, um Baumstämme aus dem Wald hinab zum Dorf zu schaffen. Bisher war das immer eine elende Plackerei gewesen, denn die paar Ponys, die es im Dorf gab, waren zwar passable Reittiere, aber keinesfalls für solche Arbeiten geeignet. Und sein Grauer, ein Pferd aus den Ställen Emerelles, war viel zu kostbar, um ihn für grobe Arbeiten einzusetzen. Er hatte schon vier Stuten gedeckt, und Alfadas träumte davon, sich mit den Jahren ein Gestüt aufzubauen, das nirgends in der Welt der Menschen seinesgleichen fand.

»Weißt du was, Jarl? Ich mache dir ein rechtschaffenes Angebot. Ich erweise dir keine Gefälligkeit und erwarte auch keine. Wieg mir vier Hufeisen der Kaltblüter mit Gold auf und schick mir in den nächsten drei Wintern je eine Fuhre Äpfel, dann gehören die Kutsche und die Pferde dir. Ich mache keinen Gewinn bei diesem Geschäft.« Er lächelte verschlagen. »Ich würde dich allerdings darum bitten, mir zu gestatten, künftigen Käufern zu sagen, dass du bei mir eine Kutsche erworben hast.«

Alfadas schüttelte den Kopf. Dieser gerissene Gauner! »Dann wärst du also der Stellmacher des Herzogs.« Sigvald breitete die Arme aus. »So ist die Welt, Alfadas. Wer bei mir etwas kauft, wiegt mindestens genauso schwer wie die Güte meiner Arbeit. Ich bin mir sicher, du wirst es nie bereuen, dieses prächtige Fuhrwerk erworben zu haben.«

»Und wie willst du es zu mir nach Firnstayn schaffen? Es dauert noch Wochen, bis der Fjord zufriert.«

»Lass das meine Sorge sein, Herzog. Ich verspreche dir, in spätestens vier Tagen ist der Wagen in deinem Dorf. Mit Pferden, Zaumzeug, Kufen, kurz mit allem, was wir zu bieten haben.«

Alfadas ging zu dem schweren Wagen und strich über das sorgsam geglättete Holz. Er hatte nie zuvor davon geträumt, so eine riesige Kutsche zu besitzen. Aber jetzt beflügelte sie seine Vorstellungskraft. Er würde damit über das Eis jagen! Sie würde ihm viel Freude machen, wenn er es schaffte, dem König seinen Wahnsinnsplan auszureden. »Schick mir einen Kutscher, der mich und mein Weib lehrt, wie man dieses Ding fährt.«

»Selbstverständlich, Herzog. Du wirst sehen, es ist sehr leicht, denn die Kaltblüter sind gut abgerichtet.«

»Warst du gestern Nacht in der Festhalle, Sigvald?«

Der Wagenbauer nickte. »Ja.«

»Dann hast du ja gehört, dass der König einen Krieg plant. Wenn das Fuhrwerk nicht in Firnstayn ist, bevor ich nach Albenmark muss, dann ist unser Geschäft hinfällig.«

Sigvald streckte ihm die Hand entgegen. »Schlag ein, Herzog! So soll es sein.« Mit einem Händedruck besiegelten sie den Vertrag. Alfadas fühlte sich ein wenig mulmig. Noch nie hatte er etwas so Teures gekauft. Und er war sich darüber im Klaren, dass er die Kutsche nicht wirklich brauchte. Nach der ersten Fahrt wäre Asla sicher auch begeistert, bis dahin hatte er allerdings ein paar schwere Tage vor sich. Vielleicht sollte er ihr erst einmal nichts von seinem Einkauf sagen? Alfadas dachte an den Perlenladen auf dem Weg zur Festhalle. Er sollte dort etwas für sie besorgen, um sie versöhnlicher zu stimmen.

Nachdenklich verließ er die Werkstatt des Wagenbauers. Wieder brütete er darüber, wie er dem König sein Vorhaben ausreden konnte. Erst als er vor dem kleinen Perlenladen stand, wurde er sich bewusst, dass er gerade vier Pferde gekauft hatte, die er nicht einmal gesehen hatte! Was war er nur für ein Narr!

Alfadas ließ sich Zeit. Er schlenderte durch die Stadt, machte ein paar Einkäufe und zögerte es hinaus, zur Festhalle zurückzukehren. Schließlich ging er zu den Ställen, um nach seinem Grauen zu sehen. Dort erwartete ihn eine Überraschung.

König Horsa lehnte im Türrahmen des Stalltors und massierte sich die Stirn.

»Verfluchter Met! So oft habe ich mir schon geschworen, die Finger von dem Zeug zu lassen! Mein Kopf fühlt sich an wie ein Amboss, auf den ein Riese eindrischt.« Horsa rülpste. »Glotzt nicht so! Nehmt die Beine in die Hand! Ich habe euch gesagt, was zu tun ist!«

Seine Höflinge beeilten sich, dem König aus den Augen zu kommen. Nur Alfadas blieb. »Du solltest es dir noch einmal überlegen, Horsa. Albenmark ist nicht für Menschen geschaffen.«

»Was ist los mit dir?«, murrte der König. »Hast du Angst, nicht mehr der einzige Mann aus dem Fjordland zu sein, der bei den Albenkindern gewesen ist? Mein Entschluss steht fest! Und komm mir nicht wieder mit Geschichten über Höhlenbären und Trolle. Ein tapferer Krieger kann jeden Gegner überwinden.«

»Du kannst dir nicht vorstellen ...«

»O doch, Herzog. Das kann ich sehr gut. Jene, die zurückkommen, werden Krieger sein, denen nichts und niemand in dieser Welt trotzen kann. Mit ihnen werde ich den ganzen Norden besetzen. Und weil sie Helden sind, werden die Elfen ihnen Zauberwaffen schenken. Und da wir den Elfen in der Stunde ihrer höchsten Not geholfen haben, werden sie auf immer in unserer Schuld stehen. Ich werde das alles mit Emerelle besprechen.«

»Mein König, ich ...«

Horsa strich sich mit fahriger Geste über die Stirn. »Nein. Vom Reden platzt mir noch der Kopf. Komm mit runter zum Hafen. Sie sind schon dabei, das Schiff zu beladen. Ich fürchte, im Augenblick bin ich nicht ganz in der Verfassung, im Sattel zu sitzen. Wir werden die Fähre nehmen.«

»Welche Fähre?«

Horsa grunzte nur etwas Unverständliches. Dann drehte er sich noch einmal um. »Nimm deinen Gaul mit. Wir haben es eilig.«

Das also war es, dachte Alfadas wütend. Die Maske war gefallen. Horsa wollte ein nordisches Imperium gründen, und er war entschlossen, die Elfen als Verbündete zu gewinnen. Der viele Met hatte ihm wohl endgültig das Hirn vernebelt!

Der Jarl sattelte sein Pferd, und wieder ließ er sich Zeit. Er konnte den Alten nicht aufhalten. Horsa war beliebt unter den Kriegern. Er musste dem König mehr Zeit geben, sich selbst zu zerstören. Er würde nicht zusehen, wie Horsa zum Tyrannen wurde. Und er musste fort, weil dem greisen Herrscher das nur allzu bewusst war. Aber wenn eine Hand voll Männer die Schrecken überlebte, die sie in Albenmark erwarteten, dachte Alfadas, dann hätte er eine Truppe, mit der er den König stürzen konnte. Und vielleicht sah auch die Hilfe der Elfen ganz anders aus, als Horsa erwartete.

Mit verhängtem Zügel ritt Alfadas langsam zum Hafen hinunter. Es hatte wieder zu regnen begonnen. Die Berge auf der anderen Seite des Fjords waren hinter Wolkenschleiern verschwunden. Das offene Wasser erschien nun weit wie das Meer. Wenn Horsa über Bord stürzen würde ... Das schwere Kettenhemd, das er stets trug, würde ihm zu einem Ende wie König Osaberg verhelfen.

An der Anlegestelle herrschte einiger Tumult.

Der König schien eben erst eingetroffen zu sein. Und auf der Fähre, die am Ufer lag, hatte man ein schweres Fuhrwerk festgezurrt. Einen Augenblick lang musste der Jarl schmunzeln. Sigvald hatte wirklich keine Zeit verloren. Der große Planwagen und vier Rote standen bereits auf dem flachen Fährboot. Das also war der Weg, wie sie nach Firnstayn gelangen sollten. Wen der Wagenbauer wohl bestochen hatte, um sich die einzige Fähre von Honnigsvald ein paar Tage auszuleihen? »Natürlich war es nie meine Absicht, mich dem König in den Weg zu stellen«, hörte der Jarl die Stimme seines Handelspartners. Sigvald war von drei Kriegern umringt. Einer hatte ihm bedrohlich die Hand auf die Schulter gelegt.

»Was geht hier vor?«, rief Alfadas und drängte seinen Grauen in die Menge.

»Der Bastard will die Fähre des Königs rauben!«, rief einer von Horsas Leibwächtern. »Den sollte man an einen Mühlstein binden und in den Fjord werfen!«

»Dieser Bastard, wie du ihn nennst, handelt in meinem Auftrag. Damit machst du mich zum Verantwortlichen am Raub eines Schiffes, das vermeintlich dem König gehört.« Alfadas schwang sich aus dem Sattel. Er streifte seinen weiten Umhang über die linke Schulter, sodass sein Schwert zu sehen war. »Bist du dir sicher, dass du mich einen Räuber nennen willst? Damit zwingst du mich, meine Ehre mit deinem Blut von diesem Vorwurf reinzuwaschen. Aber wahrscheinlich war das ja nur ein Irrtum. Schließlich wissen wir beide, dass dem König nicht die Fähre der Stadt Honnigsvald gehört, Also kann man sie ihm auch nicht stehlen.«

Der Leibwächter wich einen Schritt zurück. »Du machst mir keine Angst, Elfenjarl«, sagte er trotzig. Er zog die breite Axt aus seinem Gürtel. Seine Knöchel wurden weiß, so fest umklammerte er die Waffe. »Von dir lass ich mich nicht zum Lügner reden.«

Ein kurzer Blick, und Alfadas wusste, dass die beiden anderen Leibwächter sich nicht einmischen würden. Er kannte einen der Männer. Ragni hatte ihn auf zweien seiner Kriegszüge begleitet. Der Mann hatte ihn kämpfen sehen.

»Das reicht!« Horsa trat aus dem Kreis der Schaulustigen.

»Ulf! Steck deine Axt weg und geh an Bord. Ich schätze es, dass du dich für deinen König schlagen wolltest. Bist ein guter Mann. Aber du hast dir den falschen Gegner ausgesucht. Meinen Herzog brauche ich noch.« Dann fuhr er leiser fort. »Was soll dieser Unfug mit der Kutsche? Lass das Fährboot räumen.«

»Die Kutsche ist ein Geschenk für mein Weib.«

Horsa sah ihn mit seinem verbliebenen Auge durchdringend an. Dann begann er plötzlich zu prusten. »Du schenkst deinem Weib ein schweres Fuhrwerk?«, platzte es aus ihm heraus. »Du bist ja noch verrückter, als ich dachte, mein Elfenjarl. Weiber lieben Tand. Schmuck, schöne Stoffe. Manche mögen auch gute Hausgeräte, einen Kupferkessel, eine Kelle oder einen eisernen Bratspieß. Aber ein Weib, das ein vierspänniges Fuhrwerk als Geschenk schätzt, davon habe ich noch nie gehört. Komm, lass das Ding von der Fähre räumen. Unsere Abreise hat sich lange genug verzögert. Wir passen nicht alle auf das Boot.«

»Hast du schon die praktischen Seiten erwogen, die sich aus der Fracht ergeben?«, fragte Alfadas ruhig. »Unter der Plane der Kutsche wirst du während der Reise im Trockenen sitzen, mein König.« Der Jarl blickte zum verhangenen Himmel hinauf. »Und es scheint ganz so, als könnten wir mit reichlich Regen rechnen. Wir werden heute nicht mehr bis Firnstayn kommen, und entlang der Ufer gibt es kein einziges trockenes Nachtquartier. Bist du nicht aus dem Alter heraus, in dem man mit Begeisterung im Schlamm schläft, mein König?« Um Horsa nicht zu brüskieren, sprach Alfadas so leise, dass ihn die Umstehenden nicht hören konnten. »Wozu brauchst du ein großes Gefolge? Auf dem Fjord wirst du keine Leibwächter benötigen. Ein paar Diener vielleicht und ein oder zwei Berater. Nicht einmal Pferde brauchst du. Vom Ufer bis hinauf zu meinem Haus sind es kaum dreihundert Schritt. Der Platz an Bord der Fähre würde ausreichen, wenn du für ein paar Tage auf einen Teil deines Gefolges verzichten kannst.«

Horsa strich sich nachdenklich über den Bart. »Ich brauche meinen Mundschenk und Dalla.« Er deutete auf ein hübsches, junges Mädchen, das etwas abseits der Männer stand und auf den Fjord hinausblickte. »Weißt du, was die schlimmste Krankheit des Alters ist, Herzog?« Er kratzte sich im Schritt. »Alle Glieder werden dir steif, nur dieses eine nicht mehr. Ich sage dir, Dalla ist eine großartige Heilerin! Sie wird sicher auch der Elfenkönigin gute Dienste leisten.«

Alfadas sah noch einmal zu dem rothaarigen Mädchen. Er bezweifelte, dass Emerelle die Hilfe einer Heilkundigen benötigte, die sich besonders auf steife Glieder verstand. Aber er unterließ es, dem König seine Meinung zu sagen.

»Lasst uns an Bord dieser verfluchten Fähre gehen«, befahl Horsa. »Wenn ich noch länger in diesem kalten Nebel herumstehe, kann ich heute Abend nicht einmal mehr aus eigener Kraft ein Methorn heben. Dalla, nimm dein Gepäck und such Schutz unter der Plane der Kutsche. Ich kümmere mich gleich um dich. Bringt ein paar Felle zum Fuhrwerk. In meinem Alter sitzt man nicht mehr mit dem nackten Arsch auf kalten Brettern.« Der König wählte noch drei Krieger aus, die den Fährleuten beim Rudern helfen sollten. Dann legte das Boot ab. Noch bevor sie außer Sichtweite von Honnigsvald waren, gesellte sich Horsa zur Heilerin.

Alfadas musste wiederum daran denken, dass sich wohl niemand wundern würde, wenn ein betrunkener alter Mann, der nachts aufstand, um sein Wasser abzuschlagen, über Bord fiele. Die Bordwand der Fähre war nicht einmal kniehoch. Und das lose gespannte Seil, das als Handlauf diente, würde den Alten kaum retten, wenn er das Gleichgewicht verlor ...

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