Der Rudelführer

»Lasst euch mehr Zeit mit dem Nachladen!« Der Troll musste schreien, um das Getöse an Deck zu übertönen. Orgrim wollte, dass die Donnerer die letzten Schüsse auf die verfluchten Elfen abgab. So mochte er wenigstens auf diese Weise dem König auffallen.

Der Geschützmeister unten wiederholte seinen Befehl, und die Arme der beiden großen Kriegsmaschinen verharrten.

»Wann dürfen wir endlich in die Stadt zum Töten?«, erklang eine Stimme vom Unterdeck. »Wir sollten die Elfen nicht verbrennen. Ich bin hier, um ihnen eigenhändig die Schädel einzuschlagen.«

»Und du wirst reichlich Gelegenheit dazu bekommen, Gran«, erwiderte Orgrim. »Es wird sicher eine große Erleichterung für dich sein, wenn wir das Meer verlassen und du dein Mahl nicht dauernd zu den Fischen speist. Ich mache mir schon Sorgen, dass du schwächlich wie ein Rehkitz sein wirst, wenn wir den Elfen begegnen.« Dröhnendes Lachen erscholl vom Geschützdeck. Eine riesige Gestalt trat aus den Schatten und blickte zu Orgrim empor. Gran war selbst unter Trollen ein Hüne. Auf dem ganzen Schiff gab es keinen Krieger, den er nicht mindestens um Haupteslänge überragte. »Du bist gut darin zu reden, aber den Wert eines Kämpfers misst man nicht an schönen Worten, sondern allein an der Zahl der erschlagenen Feinde, die zu seinen Füßen liegen.«

»Dann frag Boltan nach einem Rechenbrett, Gran, denn deine Finger werden nicht ausreichen, um abzuzählen, wie vielen Elfen ich das Genick breche.« Wieder hatte Orgrim die Lacher auf seiner Seite. Sein Widersacher zog sich grollend in die Finsternis zurück.

Orgrim hatte es weit gebracht. Die wenigsten Trolle waren mit dreißig Sommern Krieger. Viele schafften es nie und blieben ihr Leben lang Unfreie. Orgrim aber war bereits Rudelführer und hatte das Kommando über ein eigenes Schiff. Und die Neider saßen ihm im Nacken. Allen voran Gran. Er hatte gehofft, sein Rivale werde sich zu einer Beleidigung hinreißen lassen, die es erlaubte, ihn zum Duell zu fordern. Die lange Zeit auf See hatte Gran geschwächt. Wie die meisten Trolle ertrug er es nicht, sich auf einem Schiff aufzuhalten. Das Schwanken und der Geruch des Meeres machten sie krank. Orgrim wusste, dass Gran seit Tagen nichts gegessen hatte. Es wäre eine günstige Gelegenheit, gegen ihn anzutreten. Orgrim hatte ihn kämpfen sehen. Im Vollbesitz seiner Kräfte konnte Gran einem Höhlenbären mit bloßen Händen das Genick brechen.

Im Grunde mochte er den grobschlächtigen Hünen. Doch seit Orgrim Rudelführer geworden war, zerfraß Gran der Neid. Mit ihm war nicht mehr auszukommen. Ihm war nicht mehr zu trauen! Er musste Gran loswerden. Aber ein Zweikampf mit einem geschwächten Gegner wäre ehrlos. Vielleicht gab es ja eine Gelegenheit, ihn in ein anderes Rudel zu schicken?

Orgrim lehnte sich gegen das Schanzkleid des grob gezimmerten Achterkastells und blickte über die dunkle See. Selbst hier draußen regte sich kein Lüftchen. Über der Hafenstadt standen senkrechte Rauchsäulen, beleuchtet vom roten Schein der Flammen.

Mit dumpfem Knall krachte auf dem Vordeck ein Katapultarm auf das dicke Lederkissen am Querbalken der Schleuder. Die Wucht des Aufpralls ließ das große Schiff erzittern. Steil stieg eine Feuerkugel in die Nacht. Noch immer regneten dutzende Geschosse auf Stadt und Hafen, so als fielen die Sterne vom Nachthimmel. Orgrim fluchte leise. Er hatte gehofft, als Rudelführer und Befehlshaber einer Galeasse in diesem Krieg zu Ruhm zu gelangen. So sehr hatte er sich in den letzten beiden Jahren bemüht, das Schiff zu meistern, der trägen Masse aus Holz seinen Willen aufzuzwingen: auf Sturmfahrten durch die schwimmenden Inseln, von Nebel umschlossen in namenlosen Fjorden, während der Winterstürme und der langen Flauten im Sommer. Er war bei jedem Wetter auf See gewesen, obwohl er das Meer fürchtete. Er wollte, dass sein Schiff das beste in der Flotte war. Und nun war er um all seine Mühen betrogen. Den Ruhm würden andere Rudelführer ernten. Jene, die weit südlich von Vahan Calyd in die Baumsümpfe gestiegen waren. Sie würden der Stadt in den Rücken fallen und den letzten Widerstand der Elfen brechen. Und sie würden es sein, die der Tyrannin nachsetzten, jener seelenlosen Elfe, die mehr als alle anderen am Unglück der Trolle schuld war. Emerelle, die sie aus der Welt verbannt hatte, für die sie einst von den Alben erschaffen worden waren. Verbannt von den schwächlichen Letztgezeugten. In all den Jahrhunderten in der Fremde hatten die Trolle ihren Zorn gepflegt. Und nun wandten sie sich gegen das Elfengezücht und all die Würmer, die zu ihren Füßen krochen. Der Rudelführer, der als Erster seinen Fuß in den Palast der schändlichen Königin setzte, würde zum Herzog einer der Felsenburgen in der Snaiwamark werden. König Branbart hatte versprochen, zum Ruhme dieser Tat ein neues Herzogtum zu gründen. Alle anderen Herzogtümer konnten nur von Wiedergeborenen regiert werden.

So war es Gesetz in seinem Volk. Eine Seele regierte ein Herzogtum, bis sie auf immer verlosch. Diese Nacht war für Jahrhunderte die einzige Möglichkeit, kraft seiner Taten einen Herzogstitel zu erringen. Und er stand hier an Bord der Donnerer und sah zu, wie ein anderer Rudelführer mit seinen Kriegern den Ruhm erntete, während er beaufsichtigen musste, wie seine Katapulte Brandkugeln abfeuerten! Wütend schlug Orgrim mit der Faust auf das Schanzkleid.

Hundert Schritt links schoss eine Flamme empor. Schreie gellten durch die Nacht. Wieder hatte eine der großen Galeassen Feuer gefangen. Es war nicht klug, Flammen an Bord eines riesigen Holzhaufens anzuzünden. Die trandurchtränkten Strohkugeln zogen einen breiten Funkenschweif hinter sich her, wenn sie brennend in den Himmel stiegen. Manche zerbarsten schon in dem Augenblick, in dem man sie abfeuerte.

Orgrim stieg vom Achterkastell auf das Geschützdeck hinab.

»Streut mehr Sand aus«, rief er den Männern bei den Katapulten zu. Dann zählte er stumm die Sandeimer ab, die in langen Reihen entlang der Reling standen. Sein Schiff würde nicht brennen! Sein Leben mochte Jahrhunderte dauern, wenn er vorsichtig war. Es würde eine zweite Gelegenheit geben, nach einem Herzogstitel zu greifen. Jetzt galt es, diese Nacht zu überleben! Wenn die große Galeasse Flammen fing und das Feuer nicht binnen Augenblicken mit Sand erstickt wurde, dann war dies das Todesurteil für alle an Bord. Kein Troll konnte schwimmen. Ihre Leiber waren zu massig, um auf dem Wasser zu treiben, ganz gleich, wie sehr man mit Annen und Beinen ruderte. Wer ins Meer stürzte, war tot. Deshalb fürchteten sie die See so sehr.

Zwei Krieger rollten eine der großen Strohkugeln über Deck. Vorsichtig zerrte der Geschützmeister sie auf die große Lederschlaufe am Ende des Katapultarms. Geduldig prüfte er den Sitz. Dann hängte er das Ende der Schlaufe in einen Haken. Der Bogen des Geschützes war fast bis zum Zerbrechen gespannt. Boltan, der Geschützmeister, zog seine Fackel aus der Halterung an der Reling. Er blieb so weit von der Strohkugel entfernt wie möglich. Mit ausgestrecktem Arm hielt er die Fackel an das golden schimmernde Geschoss.

Mit einem Geräusch, das wie das Röcheln eines alten Hundes klang, fing das Stroh Feuer. Boltan riss den Sperrriegel des Katapults zurück. Der Geschützarm schnellte hoch und schlug vor den gepolsterten Querbalken. Die Lederschlaufe öffnete sich, und das brennende Stroh stob davon in die Finsternis.

Orgrim atmete erleichtert aus. Immer und immer wieder hatten sie das Abfeuern der Brandgeschosse geübt, doch jedes Mal, wenn die Flammen nach dem Stroh griffen, hielt er den Atem an. Zu gut erinnerte er sich an das Übungsschießen, als eine Kugel noch über dem Schiff zerbrochen und die Glut zurück auf das Deck geprasselt war. Boltan hatte sich damals auf das brennende Stroh geworfen und mit seinem wuchtigen Leib die Flammen erstickt. Selbst jetzt, im unsteten Licht der einzigen Fackel, die an Bord brannte, waren die flächigen, roten Narben auf seiner Brust zu sehen. Er trug sie stolz als Ehrenmale seines Mutes. Kein Zweikampf hätte ihm so viel Ruhm einbringen können wie diese eine mutige Tat. Man kannte ihn in der ganzen Flotte. Der König hatte ihn eingeladen, an seiner Tafel von der Heldentat zu erzählen, und Boltan den Ehrennamen Feuerfresser verliehen.

Der Geschützmeister kam zu Orgrim herüber. Schweiß rann ihm in breiten Strömen über den nackten Oberkörper. »Ich habe die schlechtesten Kugeln bis zum Schluss aufbewahrt. Bei mindestens zweien würde ich wetten, dass sie auseinander reißen, bevor sie ihr Ziel erreichen.«

»Werden sie halten, bis sie über dem Wasser sind?«

Boltan zuckte mit den Schultern. »Darauf würde ich nicht wetten.« Er senkte die Stimme. »Am liebsten würde ich die restlichen Strohkugeln über Bord werfen. Bisher hatten wir Glück. Wer weiß, wie lange das anhält.«

Orgrim schaute nach Westen. Irgendwo dort lag das Flaggschiff Branbarts. Der König würde drei rote Laternen am Mast hochziehen lassen, wenn sie die Beschießung beenden sollten und der Angriff auf den Hafen begann. Doch nur Fackeln und Brandgeschosse erhellten die Nacht. »Ich würde dir zustimmen, wenn Gran nicht wäre. Er würde mich verraten.«

»Dann schmeißen wir ihn doch gleich mit über Bord«, knurrte der Geschützmeister. »Er redet schlecht über dich vor den Männern. Es ist besser, wenn er einen Unfall hat.«

»Und was ist mit den Kriegern, die vielleicht seine Freunde sind? Und jenen, die einfach nur darauf hoffen, Rudelführer zu werden, wenn ich in Ungnade falle?« Orgrim schüttelte den Kopf. »Wir müssten die halbe Besatzung über Bord werfen, und auch dann ...«

»Rudelführer, sieh nur! Steuerbord voraus!«

Orgrim stürmte zur Reling. Ein Schatten huschte zwischen den bleichen Türmen der Hafeneinfahrt hindurch. Ein scharfer Rumpf zerteilte die spiegelglatte schwarze See zu schäumender Gischt.

Sie kamen!

»Werft die restlichen Feuerkugeln über Bord!«, befahl Orgrim. Einige der Krieger auf dem Geschützdeck sahen ihn ungläubig an, doch bevor einer von ihnen protestieren konnte, blaffte Boltan: »Los, los, los! Bewegt euch, ihr Rattenärsche. Ihr habt doch wohl gehört, was der Rudelführer befohlen hat.« Er packte persönlich eine der großen Kugeln und stemmte sie keuchend über seinen Kopf. In weitem Bogen schleuderte er sie aufs Meer hinaus.

Der Rudelführer eilte die Treppe zum Achterdeck hinauf.

Er sollte jetzt dicht beim Steuermann bleiben. Die Elfenschiffe waren schneller und wendiger als die Galeassen der Trolle. Ein Fehler, und sie wären ausmanövriert.

»Bemannt die Ruder!«, schrie der Rudelführer über den Lärm an Deck. »Trommler! Gib einen langsamen Ruderschlag vor! Krieger, bringt die Reißzähne an Deck!«

Orgrim fühlte, wie das Blut schneller in seinen Adern pulste. Mit ein wenig Glück konnte er sich doch noch seinen Herzogstitel verdienen. Drei Schiffe hatten inzwischen den Hafen verlassen. Kein Lüftchen regte sich. An Bord der beiden Galeeren auf den Flanken wurden die Masten niedergeholt. Sie machten sich kampfbereit. Das dritte Schiff, eine riesige Prunk-Liburne, lag ein wenig zurück.

Der Rudelführer schnaubte verächtlich. Es war offensichtlich, was die Elfen versuchten. Die Galeeren wollten sich opfern, um der Liburne einen Durchbruch zu ermöglichen.

Im Bauch der Donnerer erklang der Schlag von Kesselpauken. Polternd glitten die Ruder aus dem massigen Rumpf und zerwühlten die glatte See. Ein Ruck lief durch das Schiff. Dann setzte es sich in Bewegung. Im Kielwasser trieben die letzten Strohkugeln.

»Halte auf die weiße Galeere zu!«, befahl er dem Steuermann.

Der Troll nickte. Er stemmte sich mit seinem ganzen Gewicht gegen die lange Ruderpinne. Quälend langsam schwenkte die Galeasse nach Steuerbord.

Orgrim sah den ehernen Rammsporn der Elfengaleere in der Gischt funkeln. Wie ein riesiger Pfeil zeigte er auf den Rumpf der Donnerer.

»Trommler, Rammschlag!«, schrie er zum Ruderdeck hinab.

»Macht hin, oder sie lassen uns alle den Grund der See küssen!«

Noch weitere Galeassen waren aus der langen Kette von Schiffen ausgeschert, die in weitem Halbkreis vor dem Hafen von Vahan Calyd lagen. Auch andere Rudelführer hatten die Gunst des Schicksals erkannt. Orgrim fluchte. Er würde nicht als Erster die kostbare Beute erreichen. »Los, ihr faulen Hunde! Stemmt euch in die Ruder!«

Auf dem Hauptdeck lagen nun sechs lange Enterbrücken bereit. An der Vorderseite ragten zugespitzte Holzpflöcke wie Reißzähne aus den dicken Planken. Sie würden sich tief ins Deck des Elfenschiffs bohren, wenn die Enterbrücken niedergingen.

Jetzt erkannte Orgrim das Wappen auf dem großen Seidenbanner, das träge vom Hauptmast der Prunk-Liburne wehte. Die Nacht hatte die Farben ausgelöscht. Der Rudelführer sah nur ein helles Pferd auf dunklem Grund, doch er wusste, was das bedeutete. Vor ihm pflügte das Flaggschiff der Tyrannin durch die See!

Ein Schatten schob sich an der Donnerer vorbei. Die Steinfaust Die Galeasse war etwas leichter gebaut und hatte mehr Ruder. Ein Wettrennen mit ihr war nicht zu gewinnen!

Auch die weiße Elfengaleere beschleunigte ihr Tempo, um dem neuen Feind den Weg zu verlegen. Orgrim rechnete damit, dass sie jeden Augenblick herumschwenken würde, um mit ihrem tödlichen Rammsporn auf den Rumpf der Steinfaust zu zielen. An Bord der Galeere glommen mattrote Feuerpunkte. Kleine Gestalten sammelten sich darum.

»Halte Abstand zur Steinfaust«, befahl Orgrim seinem Steuermann.

Eine Feuerkugel stürzte weit hinter den Elfenschiffen ins Meer. Ein Teil der Galeassen hatte das Feuer auf die Flüchtlinge eröffnet. Narren, dachte Orgrim. Mit den Katapulten konnte man nicht einmal ein unbewegliches Ziel sicher treffen. Sie taugten gerade einmal dazu, etwas von der Größe einer Stadt zu beschießen.

Eine weitere Feuerkugel verschwand in einer Säule aus fauchendem Wasserdampf.

Boltan kam zum Achterdeck hinauf und brachte Orgrim dessen Schild und seinen wuchtigen Kriegshammer. Plötzlich flammten rund um die Glutpunkte auf der weißen Galeere kleine Flammen auf, und schon im nächsten Augenblick stiegen sie in den Himmel, so wie winzige Abbilder der Feuerkugeln, und suchten sich ihr Ziel. Schmerzensschreie hallten von der Steinfaust herüber. Orgrim sah, wie Krieger vom Schanzkleid nach hinten taumelten und auf Deck stürzten. Flammen krochen gleich Schlangen über die Planken. Dann geriet mit einem dumpfen Geräusch eine der großen Strohkugeln bei den Katapulten in Brand.

Ein weiterer Schauer von Brandpfeilen ging auf die Steinfaust nieder. Immer neue Feuer breiteten sich auf dem Schiff aus. Der Ruderschlag geriet aus dem Takt. Schlingernd kam die Galeasse von ihrem Kurs ab. »Zurück aufs Geschützdeck«, befahl der Rudelführer. »Wir werden die Nächsten sein.«

Der Geschützmeister schlug mit der Faust gegen seine vernarbte Brust. »Aber wir sind vorbereitet.« Er lächelte grimmig.

»Uns kriegen diese Elfenwichte nicht so leicht.«

Orgrim schob den Arm durch die breiten Lederschlaufen seines Schildes. Er war aus zwei Zoll dicken Eichenbrettern gefertigt. Kein Elfenpfeil würde ihn durchschlagen können.

Die Prunk-Liburne hatte ihren Ruderschlag erhöht. Sie eilte an der weißen Galeere vorbei. In der Linie der Trollschiffe klaffte nun eine weite Lücke. Nur die Donnerer lag noch zwischen dem Elfenschiff und der offenen See.

Die schwere Galeasse hatte inzwischen an Fahrt gewonnen. Immer kleiner wurde der Abstand zur kostbaren Beute. Nun stiegen auch vom Schiff der Tyrannin Brandpfeile auf. Orgrim stellte sich schützend vor den Steuermann und hob seinen Schild. Wie Welpenpfoten hämmerten die Pfeile auf das dunkle Holz, ihre Flammen malten Rauchzungen darauf.

Die Donnerer wurde von den eingeschlagenen Pfeilen in goldenes Licht getaucht. Das Schiff sah aus, als sei es von dutzenden Kerzen beleuchtet. Boltan scheuchte mehrere Männer über das Hauptdeck, die mit nassen Filzdecken Jagd auf die Brände machten.

Ein neuer Schauer von Pfeilen ging auf das Deck nieder. Gurgelnd brach ein Krieger hinter dem Schanzkleid zusammen. Aus seiner Kehle ragte zitternd ein befiederter Holzschaft.

Die Prunk-Liburne war weniger als hundert Schritt entfernt. Auf ihrem Achterkastell war eine Liege aufgestellt. Eine Gestalt ganz in Schwarz stand darüber gebeugt. Befehligte die feige Tyrannin ihr Schiff von einem Lager aus Pelzen und Seide aus? Orgrim grunzte verächtlich. Das passte zu den Geschichten, die er seit seiner Kindheit über Emerelle gehört hatte.

Die Donnerer schoss in spitzem Winkel auf das Elfenschiff zu. Sie würden ihre Beute um wenige Schritt verfehlen. Die Prunk-Liburne würde entkommen.

»Die Wurfanker!«, schrie Orgrim.

Ein neuer Hagel von Pfeilen ging auf die Galeasse nieder. Jetzt wurden sie auch von der weißen Galeere beschossen, die nur zwei Schiffslängen hinter ihnen lag.

Hölzerne Greifklauen segelten durch die Luft. Orgrim sah, wie ein Elf zwischen Wurfanker und Reling geriet. Er wurde zerquetscht wie eine Ratte. Ein Ruck lief durch die Donnerer. Die beiden Schiffe schwangen aufeinander zu. Verzweifelt hieben die Krieger an Bord der Liburne auf die zähen Lederseile ein. Ein schrilles Kommando ertönte. Auf der Backbordseite schnellten die Ruder des Elfenschiffes aus dem Wasser und wurden hastig eingezogen, damit sie nicht zwischen den beiden Rümpfen zersplitterten.

»Holt die Ruder ...«, begann Orgrim, doch es war zu spät. Krachend splitterte das Eichenholz der Trollruder. Aus dem Ruderdeck erklangen Schmerzensschreie, als die Krieger von den Bänken gerissen wurden und armlange Holzsplitter umherschossen.

Orgrim trat ans Schanzkleid. Auf dem Geschützdeck wurde der erste Reißzahn ausgerannt. Doch die Holzdornen verfehlten die Reling der Prunk-Liburne, und die schwere Enterbrücke stürzte ins Meer. Der Rudelführer sah, wie sich Gran bereit machte, um auf die Galeere der Elfen zu springen. Der riesige Troll blickte zögernd auf den breiten Spalt dunklen Wassers, der noch zwischen den Schiffen lag. Die Elfen formierten sich unterdessen an Bord der Liburne, um den bevorstehenden Angriff zurückzuschlagen.

Orgrim fluchte leise. Er durfte seinem Rivalen auf keinen Fall gestatten, als Erster an Bord zu sein. Der Rudelführer ließ seinen Schild vom Arm gleiten und hob ihn dann hoch über den Kopf. Pfeile umschwirrten ihn wie wütende Hornissen. Ein Geschoss streifte seine Schläfe. Mit einem Schrei schleuderte er den Schild zwischen seine Feinde. Dann sprang er hinterher. In den Reihen der Elfen war einen Augenblick lang eine Lücke entstanden. Der Steinkopf seines Kriegshammers hämmerte auf die Schilde seiner Feinde. Holz barst unter den wütenden Hieben.

Die Elfen kämpften mit stummer Verbissenheit. Orgrim brüllte wie ein wütender Bär. Seine Feinde wichen zurück, sodass er mit seiner Waffe ins Leere schlug. Auch die Elfen warfen nun ihre Schilde fort. Sie waren anders, als Orgrim erwartet hatte. Sie wichen aus, stellten sich nicht, flohen aber auch nicht. Sie waren wie tanzende Vipern, die darauf warteten zuzustoßen. Er hätte seinen Schild nicht wegwerfen dürfen!

Der Rudelführer ließ den Streithammer kreisen und versuchte die Elfen auf Abstand zu halten. Wie Donnerkeile schlugen die Enterbrücken auf das Schiff der elenden Wichte. Holz barst. Die Luft war erfüllt von Schreien und dem heimtückischen Sirren von Pfeilen. Ein dumpfer Schlag traf Orgrim in die Schulter. Eine Klinge schnellte vor und durchstach ihm die Ferse.

Orgrim brach in die Knie. Mit wuchtigen Schlägen versuchte er, sich Platz zu verschaffen. Dann waren seine Männer bei ihm. Große Holzschilde schirmten ihn ab.

»Stoßt sie ins Meer!«, fluchte er. »Bringt sie alle um!« Er versuchte aufzustehen, doch sein Bein knickte wieder unter ihm weg. Plötzlich war Boltan neben ihm. »Diese Schlacht ist für dich zu Ende, mein Freund.«

Orgrim stützte sich auf seinen Streithammer und stemmte sich hoch. »Dein Gürtel!« Grelle Lichter tanzten vor seinen Augen. »Wickel ihn um meine Ferse. Ich muss wieder stehen können!«

»Alle haben deinen Mut gesehen, Rudelführer. Du musst nichts mehr beweisen.« »Den Gürtel!«, beharrte Orgrim. »Das hier ist noch nicht zu Ende! Los! Wickel ihn, so fest du kannst, um meine Ferse.«

»Sie werden dich umbringen.« Boltan kniete neben ihm nieder. Er zog das Leder so straff an, dass es knirschte. Vorsichtig belastete Orgrim den Fuß. Er war taub, aber er knickte nicht mehr um. Entschlossen hob der Rudelführer seinen Schild auf und schob sich durch das Schlachtgedränge nach vorn, als hinter ihm ein infernalisches Getöse erklang. Die weiße Galeere hatte sie erreicht. Ihr Rammsporn bohrte sich tief in den Rumpf der Donnerer.

»Verlasst das Schiff!«, schrie der Rudelführer über den Lärm hinweg. »Hierher, zu mir, Männer! Wir nehmen uns das Schiff der Tyrannin. Zu mir!«

Immer mehr Trolle eilten über die Enterbrücken auf das tiefer gelegene Deck der Liburne. Sie wurden von Pfeilschauern empfangen, die von den Masten der weißen Galeere abgeschossen wurden.

Der Kampf schien Stunden zu dauern. Aus den Augenwinkeln sah Orgrim die Donnerer sinken. Das Schiff, auf dem er zwei Jahre lang gelebt hatte.

Weitere Galeassen dockten an den Elfenschiffen an. Sie waren wie Wölfe, die einen alten Elch gestellt hatten. Die Elfen wussten, dass es kein Entkommen für sie gab. Doch keiner von ihnen streckte die Waffen. Sie waren ganz anders als in den Liedern. Schmächtige kleine Wichte, ja, aber Wichte, die kämpfen konnten. Niemals hätte Orgrim gedacht, dass sie mit so viel Blut bezahlen müssten.

Er war bei den Ersten, die das Achterkastell stürmten. Das letzte Aufgebot der Elfen hatte sich um das Lager der Tyrannin versammelt. Orgrim fiel ein Elf in zerrissenem Seidenhemd auf. Er kämpfte wie eine Wildkatze und verspottete sie. Nichts schien ihn töten zu können. Schließlich war er der Letzte, der Widerstand leistete. Eine stählerne Brustplatte schimmerte unter seinem zerfetzten Hemd. Neben ihm kauerte ein Weib, gekleidet in Schwarz und Silber. Sie schien eine Schamanin zu sein. Ihr Gesicht war bemalt, das Haar in der Farbe von reifem Korn. Sie hielt die Hand der Gestalt, die auf dem Lager ruhte. Wer immer dort lag, hatte in seiner Angst das Seidenlaken über sein Antlitz gezogen.

Die siegreichen Trolle umstanden die Bettstatt in weitem Kreis. Die Schlacht hatte die Kampfeslust der Krieger abgekühlt. Keiner wollte jetzt noch sterben.

Herausfordernd hob der Elf seine Klingen. »Kommt! Wo ist euer Mut! Hundert gegen einen, das muss doch wohl selbst für euch reichen.«

»Leg die Waffen nieder! Ich schenke dir dein Leben!«

Der Rudelführer empfand Respekt vor diesem zerbrechlichen Wicht. Es wäre eine Schande, ihn zu töten. Zumal er aus einer tiefen Wunde an der Hüfte blutete. Er würde keinen weiteren Kampf mehr überstehen. Der Elf lachte und warf sein langes blondes Haar in den Nacken. »Euer Gestank beleidigt meine Königin. Zieht euch vom Achterdeck zurück, und ich werde davon absehen, euch Bestien zu schlachten. Ich zähle jetzt langsam bis drei. Das ist die Zeit, die euch bleibt, um zu gehen. Wer dann noch hier oben steht, ist des Todes.«

Gran schob sich nach vorne. »Der Kerl ist verrückt. Er muss einen Hieb auf den Kopf bekommen haben!«

»Eins! «

Verärgert bemerkte Orgrim, wie tatsächlich einige der Trolle zurückwichen.

»Zwei!« Der Elf taumelte leicht. Er musste sich mit einer Hand auf dem prächtigen Lager aufstützen.

»Dr...«

Orgrims Kriegshammer schnellte durch die Luft. Der Elf versuchte, sich unter der Waffe wegzuducken, doch seine Wunde und der lange Kampf hatten ihn erschöpft. Der wuchtige Kopf des Kriegshammers traf ihn mitten ins Gesicht. Ein scharfes Knacken klang durch die Stille. Dann rollten blutige Zähne über Deck. Langsam, so als wolle er sich nicht einmal tot geschlagen geben, sank der Elf in die Knie und kippte dann nach vorne über. Orgrim bückte sich und hob seinen Kriegshammer auf. »Das ist mein Fleisch«, verkündete er mit rauer Stimme und deutete auf den Toten. »Er war dumm, aber tapfer. Nehmt euch ein Beispiel an seinem Mut!« Der Troll griff nach dem Seidenlaken.

Das Elfenweib fiel ihm in den Arm. »Schändet mich, aber lasst meine Herrin in Frieden sterben!« Orgrim sah sie verständnislos an. »Was sollte ich mit einem Weib anfangen, das zerbricht, wenn ich es fest anpacke?«

»Ich bitte dich, Herr, zeige Gnade!«

»Gnade? So wie deine Königin, die unseren König und die gefangenen Herzöge von der Shalyn Falah in den Abgrund stoßen ließ und mein Volk aus Albenmark verdammte? Nein, Weib. Wir haben viel von euch Elfen gelernt. Gnade verwandelt die Stärke des Siegers in Schwäche.«

»Ich tue alles für dich!«

Orgrim musterte das Weib verwundert. Wollte sie sterben? Wenn er sich vor den Augen seiner Krieger noch länger von ihr hinhalten ließ, wäre das schlecht für seinen Ruf. Sein Blick fiel auf den Elfen mit dem zerschmetterten Antlitz. »Wer war dieser Mann?«

»Ollowain, der Schwertmeister der Königin.«

»Gibst du mir ein Stück von ihm ab?«, fragte Gran ehrfürchtig.

Orgrim sah den Toten an. Sein Name war unter den Trollen fast so bekannt wie der seiner Königin. Der Fürst der Knochenbrücke, die tanzende Klinge, Fleischreißer. Sein Volk hatte viele Namen für diesen Krieger gehabt. Und wenn er hier war, konnte das nur eins bedeuten. Orgrim zog das Seidenlaken zurück und blickte in ein von Brandnarben entstelltes Gesicht. Ein diamantgeschmückter Reif umspannte die Stirn. Die Schwanenkrone von Albenmark!

Vorsichtig nahm er der Toten das kostbare Kleinod ab. Dann hielt er es in die Höhe, sodass jeder es sehen konnte. »Die Tyrannin von Albenmark ist tot!«

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