Am Donnerhang

Am Horizont, weit jenseits des Fjords, zeigte sich ein blasser Silberstreifen. Sigvald scherte aus der Kolonne der Flüchtlinge aus und verbarg sich zwischen den Bäumen. Niemand kümmerte sich darum. Der Weg durch den Schnee zehrte an den Kräften. Kaum jemand hob den Kopf.

Aus seinem Versteck sah der Wagenbauer Asla nach. Welch ein Weib! Es gab nur wenige Frauen, von denen sich Männer außerhalb ihrer vier Wände etwas sagen ließen. Ihr war er gern gefolgt, und es betrübte ihn, dass er sie nun hintergehen musste. Seit sie bei ihrer Flucht aus Honnigsvald den roten Nachthimmel hinter sich gesehen hatten, stellte niemand mehr Aslas Entscheidungen infrage. Sie war, was es nie zuvor gegeben hatte: die Herzogin! Die Heerführerin des letzten Häufleins Verlorener.

Sigvald wandte sich um und ging tiefer in den Wald hinein. Sein Weg führte ihn abwärts, zum Donnerhang. Dorthin, wo der große Schlitten stand. Es war Aslas Idee gewesen, ihn hierher zu bringen. Der Wagenbauer schmunzelte. Was hatte er geflucht, als sie ihm von ihren Plänen berichtet hatte! Die Herzogin hatte keine Ahnung, was es bedeutete, eine so schwere Kutsche hier heraufzuschaffen.

Der Donnerhang mündete schräg auf den Pfad, den die Rentiere nahmen, wenn sie hinab zum Fjord zogen. Wenn die letzte Barrikade fiel und die Verteidiger über den Rentierpfad geflohen waren, wollte Asla den großen Schlitten hernehmen, um eine Lawine auszulösen. Ein guter Plan! Aber gestern Nacht hatten Kaff und die Männer, die zur Verteidigung der Barrikade zurückbleiben sollten, noch eine bessere Idee gehabt.

Sigvald hatte den Waldrand erreicht und blickte auf den steilen Hang, der sich hinab zum Rentierpfad erstreckte. Große Felsbrocken hoben ihr Haupt aus dem Schnee. Es gab hier kaum Bäume. Wenig, was den Schnee hielt. Fast in jedem Winter brachen Lawinen von hier los. Deshalb lag das Dorf ein ganzes Stück abseits des Bergpfades.

Wie eine große rote Kugel stand die Sonne nun über den Bergen im Osten. Im Norden blieb der Himmel finster.

Ein Sturm zog von dort heran, doch es würden noch viele Stunden vergehen, bevor er das Tal erreichte. Hier oben am Hang konnte man sich wie ein Gott fühlen, dachte Sigvald. Alles war so fern und winzig. Die Hütten des Dorfes lagen wie Kieselsteine zwischen den Bäumen, die ihm klein wie Grasbüschel erschienen. Die zerstörte Palisade am Eingang zum Tal war nur ein dünner Ast, der sich dunkel im Schnee abmalte. Und die Trolle waren wie Fliegen, die über ein weißes Leintuch krabbelten. Und wie Fliegen würde er sie zerquetschen! Stolz betrachtete Sigvald den Schlitten, der nur wenige Schritt vom Waldrand entfernt stand. Dieses Fuhrwerk war ihm prächtig geraten! Der grob gezimmerte Aufbau über der Pritsche ärgerte ihn ein wenig. Aber das war nicht sein Werk gewesen.

Sigvald griff nach dem starken Seil, das von der Vorderachse des Fuhrwerks hinauf zu einem wuchtigen Fichtenstamm führte. Feine Eiskristalle schimmerten auf dem hellen Hanf. Die Räder der Kutsche waren abgenommen. Sie stand auf breiten Kufen. Als Schlitten war sie schwerer zu lenken. Er blickte den Hang hinab. Es kam ihm jetzt so vor, als hätten die großen Felsklötze Junge bekommen. Waren es wirklich immer schon so viele gewesen?

Der Wagenbauer hielt sich am Seil fest und stieg das kurze Stück zu seinem Fuhrwerk hinab. Sorgfältig löste er die großen Steine aus dem verharschten Schnee, mit denen die Kufen gesichert waren. Ganz vorsichtig legte er sie beiseite. Das fehlte ihm noch, dass so ein Stein nun den Hang hinabrollte!

Als die Arbeit getan war, stieg Sigvald auf den Kutschbock. Er strich den Schnee von der Sitzbank und erfreute sich daran, das glatt polierte Holz unter seinen Fingern zu spüren. Schade, dass er keine weiteren Schlitten und Kutschen mehr bauen würde. Gestern erst hatte er eine Idee gehabt, wie man die Stützstreben der Schlittenkufen noch verbessern könnte.

Sigvald dachte daran, welche Zukunft seine Werkstatt gehabt hätte. Dieses Fuhrwerk hier würde ihn berühmt machen! König Horsa hatte darin übernachtet. Und die Elfenkönigin! Herzog Alfadas war damit gefahren. Und die Herzogin Asla hatte in diesem Fuhrwerk die Flucht über den Fjord angeführt. Wer künftig etwas auf sich hielt, der musste eine Kutsche von Sigvald dem Wagenbauer aus Honnigsvald besitzen. Schade nur, dass er keine Fuhrwerke mehr bauen würde.

Sigvald zog das kleine Handbeil aus seinem Gürtel. Er strich den letzten Schnee vom Sitz und bemerkte ein paar Strichmännchen, die jemand in das glatte Holz geschnitten hatte. Vermutlich irgendein übermütiger Knabe, der hier sein neues Messer ausprobiert hatte. Ärgerlich!

Sigvald legte die Axt neben das Seil, das über die Sitzbank hinab zur Vorderachse führte. Dann kramte er in seiner Hosentasche nach dem Wetzstein, den er eingesteckt hatte.

Mit ruhigen Strichen schärfte er die Schneide der Axt. Ein einziger Hieb sollte genügen. Sigvald beugte sich ein wenig vor. Asla hatte wieder einmal Recht behalten! Winzige dunkle Punkte krochen unten im Tal über den Schnee. Die Trolle hatten den Passweg verlassen und stürmten zur Barrikade hinauf.

»Kleine Fliegen«, murmelte der Wagenbauer. Er griff in seine pelzgefütterte Weste und holte ein flaches, silbernes Fläschchen hervor. Mit den Zähnen zog er den Kork heraus und prostete zum Tal hinab. »Tut mir Leid, dass ich dich zuletzt belügen musste, Kalf. Es wäre nicht gut, einfach nur das Seil durchzuschlagen. Es gibt zu viele Felsen am Hang. Der schwere Schlitten könnte aus der Bahn geraten. Jemand muss ihm den Weg weisen.« Sigvald leerte das Fläschchen mit einem Zug. Es war ohnehin nur noch ein Schluck übrig geblieben. Sorgfältig verschloss er es mit dem Stopfen und schob es zurück unter die Weste.

Der Schicksalsweber war ein Gott mit Sinn für Humor, dachte Sigvald lächelnd. »Ich danke dir dafür, dass ich mein Leben mit einer Schlittenfahrt beenden darf. Welch besseren Abgang könnte ein Wagenbauer haben?« Er griff nach der Axt, die neben ihm lag. Eine Schande, dass er jetzt auch eine Kerbe in der Sitzbank hinterlassen würde!

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