Begegnung im Sturm

In der vergangenen Nacht hatte er kaum Schlaf gefunden, und sie waren lange vor Morgengrauen wieder aufgebrochen. Dichtes Schneetreiben verbarg die Ebene vor ihren Blicken und ließ die Welt auf einen wenige Schritt weiten Fleck zusammenschrumpfen.

Alfadas dachte an Asla. Er war all die Jahre glücklich mit ihr gewesen. Auch wenn er die Erinnerung an Albenmark nicht hatte abschütteln können. Hatte er sich etwas vorgemacht? Er wünschte, er hätte das Gespräch letzte Nacht nicht eingefordert. Jetzt marschierte er inmitten der Kolonne seiner Männer. Ein verlorener schwarzer Fleck in einer langen Reihe schwarzer Flecken. Er starrte auf den Umhang des Mannes, der vor ihm ging. Der Wind zerrte an dem zerschlissenen Stoff. Schnee sammelte sich in den tiefen Falten auf den Schultern. Das einzig Gute an diesem elenden Wetter war, dass ihnen die Schneebrillen erspart blieben. Wenn man diese Lederstreifen mit den schmalen Schlitzen darin über den Augen trug, machte es keinen großen Unterschied mehr, ob man tatsächlich blind war.

Jeden Moment wartete er darauf, dass ein Bote von Graf Fenryl kam und ihn aufforderte, das Kommando zu übergeben. Wie dicht musste das Schneetreiben noch werden, bis der Elfenfürst eine Gefahr darin sah? Es wäre klüger, die Männer anhalten zu lassen. Der Herzog starrte auf den Rücken des Mannes vor ihm. Wenn er die Falten des Umhangs nicht mehr deutlich erkennen könnte, würde er den Befehl geben stehen zu bleiben, ganz gleich, ob der Graf noch zögerte.

Alfadas tastete über seine Brust, dort, wo er unter seinem Kettenhemd und der gepolsterten Lederweste das Amulett der Elfen trug. Ohne diese kleinen verzauberten Goldstücke wäre wohl die Hälfte seiner Männer in der vergangenen Nacht erfroren.

Egal, wie schlecht es im Augenblick vielleicht für die Elfen aussah, wer solche Wunder vollbringen konnte, der würde niemals von einem Haufen ungewaschener Trolle besiegt werden. Sie mussten gewinnen, so wie es immer gewesen war!

Mag schloss zu ihm auf. Der Umhang des Kriegsjarls war von Schnee verkrustet. Er ging leicht vorgebeugt und stemmte sich gegen den Wind.

Alfadas blinzelte ihm zu. Der Schnee stach dem Herzog wie tausend winzige Dolche ins Gesicht. »Ist alles in Ordnung?« Er musste fast schreien, um das Heulen des Windes zu übertönen.

»Ja«, antwortete der ehemalige Fährmann. Dann schüttelte er plötzlich den Kopf. »Nein! Meine Männer haben mich etwas gefragt, und ich weiß keine Antwort darauf. Deshalb will ich dir die Frage stellen. Werden auch wir, die Bauern, Fischer und Handwerker, in die Hallen Norgrimms eingehen, wenn wir heldenhaft kämpfen? In den alten Geschichten sind es Jarls, Könige oder zumindest berühmte Krieger, die Norgrimm zu sich ruft.« Er holte tief Luft. »Und können wir von hier aus, so weit vom Fjordland entfernt, einen Weg in seine goldene Halle finden?«

»Wir werden ihn lehren, dass Mut nichts damit zu tun hat, welchem Stand man angehört«, sagte Alfadas. Er konnte Mag ansehen, dass ihn die Antwort nicht zufrieden stellte. »Bist du jemals einem begegnet, der aus den goldenen Hallen zurückgekehrt ist, um von ihnen zu berichten?«

Der junge Kriegsjarl blickte ärgerlich auf. »Natürlich nicht! Die Helden werden mit Norgrimm ins Fjordland kommen, wenn die letzte aller Schlachten geschlagen wird. Vorher gibt es kein Zurück.«

»Woher wissen wir dann von dem ewigen Fest der Krieger und der prächtigen Halle des Kriegsgottes? Nur von seinen Priestern und von den Skalden, die uns von den Helden erzählen. Wir haben unseren eigenen Skalden. Und Veleif Silberhand gilt als der Beste seiner Zunft. Er wird eine großartige Saga über uns schreiben. Und ich verspreche dir, in dieser Heldensaga werden alle, die tapfer gekämpft haben, ihren Weg zu Norgrimm finden.«

Mag runzelte die Stirn. »Aber ist das die Wahrheit?«

»Wer, außer Luth, dem Schicksalsweber, kennt schon die Wahrheit? Ich weiß nicht, ob es die goldenen Hallen der Götter gibt, Mag. Doch eins weiß ich mit Sicherheit: Wenn Veleif ins Fjordland zurückkehrt, dann werden noch die Enkel unserer Enkel von den Männern erzählen, die auszogen, um an der Seite der Elfen zu fechten. Mehr Ruhm haben auch König Osaberg und all die anderen Helden nicht errungen. Die Geschichten von ihnen haben ihren Tod überlebt. Vielleicht ist es das, was die goldenen Hallen ausmacht. Dort ist, wer nicht in Vergessenheit gerät.«

Mag klopfte sich den vereisten Schnee von den Schultern.

»Man sagt, du glaubst nicht an die Götter. Vielleicht hätte ich jemand anderen um Rat fragen sollen.«

»Du fragst nicht wegen deiner Männer, nicht wahr? Du bist wegen deines Bruders Torad gekommen.«

Mag sah den Herzog überrascht an. Schließlich nickte er.

»Kann man immer so leicht in meinem Herzen lesen?«

»Ist es eine Schande, die Wahrheit nicht verbergen zu können?«

Der junge Kriegsjarl seufzte. »Es ist wohl leichter, den Wind mit Händen zu fangen, als von dir eine eindeutige Antwort zu bekommen, Herzog.«

»Nur wenn du mich etwas fragst, worauf du die Antwort schon in deinem Herzen trägst.« Alfadas musste schmunzeln. Er konnte die Verzweiflung des jungen Kriegsjarls gut nachvollziehen. Er selbst hatte einst dutzende Gespräche wie dieses mit seinem Schwertmeister und Ziehvater geführt. Damals war er es gewesen, der an den Antworten schier verzweifelt war. Erst die Jahre hatten ihn gelehrt, dass sie mehr gewesen waren als nur Ausflüchte vor unbequemen Fragen. Und er hatte gelernt, der Stimme seines Herzens zu folgen. Jedenfalls meistens.

Lysilla, die weißhaarige Elfe, tauchte wie ein Geist aus dem Schneetreiben auf. Tief über die Mähne ihres Schimmels gebeugt, preschte sie an ihnen vorbei.

»Sie sind unheimlich«, sagte Mag. Er sprach so leise, dass der Sturm fast seine Worte verschlang. »Seit wir auf dem goldenen Pfad waren, hat mein Bruder schreckliche Angst vor dem Tod. Er fürchtet, dass er wie die Dunkelheit ist, durch die wir gegangen sind: ein endloser Schrecken.«

Alfadas zögerte kurz, dann entschloss er sich zu lügen. »Wir alle haben den Pfad aus goldenem Licht gesehen, als wir durch die Finsternis gingen. Diesen Pfad gibt es in unser aller Leben. Großmut, Tapferkeit und unser Sinn für Gerechtigkeit sind die Wegweiser auf diesem Pfad. Wenn wir ihn niemals verlassen, dann wird er uns aus dem Leben hinaus zu den Hallen der Götter führen, so wie uns der goldene Pfad durch die Finsternis in die Welt der Albenkinder führte.«

Mag nickte ernsthaft. Er wirkte erleichtert.

Alfadas fühlte sich elend dabei, voller Inbrunst über etwas zu reden, wovon er nicht wirklich überzeugt war. Mag hingegen schien völlig vergessen zu haben, dass er ihm eben noch vorgeworfen hatte, nicht an die Götter zu glauben. Doch wer wusste schon eine ehrliche Antwort? Was nach dem Tod kam, war allein eine Frage des Glaubens.

»Herzog!« Ollowain galoppierte die Kolonne entlang.

»Hier!« Alfadas trat aus der Reihe der Marschierenden.

Der Schwertmeister parierte sein Pferd und sprang aus dem Sattel. »Sie sind hier. Keine halbe Meile voraus. Die Trolle! Es hat begonnen.«

Einige der Männer blieben stehen und blickten zu ihnen hinüber. Alfadas war sich jedoch sicher, dass sie im Sturmgeheul nicht verstehen konnten, was gesprochen wurde. »Wie viele sind es?«

»Ich weiß es nicht. Lysilla hat sie entdeckt. Sie greifen die Elfen vom Rosenberg an. Wir müssen ihnen helfen.« Alfadas‘ Gedanken überschlugen sich. Alles war anders, als er es geplant hatte.

»Haltet die Kolonne an«, schrie er den Marschierenden zu.

»Ruft alle Kriegsjarls!« Sein Plan war es gewesen, die Trolle durch einen Pfeilhagel gegen einen Wall aus Piken anstürmen zu lassen, doch nun hatte sich alles ins Gegenteil verkehrt. Sie würden angreifen müssen. Und das schnell! Bogenschützen hatten im dichten Schneetreiben keinen Wert. Ebenso die große Formation der Pikenträger. Für einen Angriff auf einen unsichtbaren Gegner waren sie zu schwerfällig.

Als sich die Unterführer versammelten, befahl er den Bogenschützen und den Pikenträgern, eine Verteidigungslinie zu bilden, um den übrigen Truppen einen Rückhalt zu geben. Die Männer mit den Stangenbeilen und die Schwertkämpfer ließ er in lockerer Linie antreten. Sie würden den Angriff führen, und die Elfen sollten sich entlang der Schlachtreihe verteilen, um ihre Waffenbrüder, so gut es ging, zu unterstützen. Graf Fenryl stand bei den Unterführern und beobachtete scheinbar gelassen, wie Alfadas‘ Befehle ausgeführt wurden. Eine Ewigkeit schien zu vergehen, bis sich die Schlachtreihe formiert hatte. Man musste sehr genau hinsehen, um zu bemerken, wie sich Fenryls Hand um seinen Schwertgriff schloss und wieder entspannte. Immer und immer wieder. Irgendwo dort draußen im Schneetreiben waren seine Frau und sein Kind. Und ihm blieb nichts übrig, als zu warten, bis die Menschen bereit waren.

Alfadas schritt die ganze Reihe der Männer ab, bevor er den Befehl zum Angriff gab. Ihr erstes Gefecht durfte kein Fehlschlag werden. Die Moral der Krieger würde sich nie wieder davon erholen. Die Männer von Lambi und Ragni bildeten die erste lockere Reihe. Darauf folgten die jungen Krieger aus Horsas Leibwache. Dann erst kamen die Kämpfer mit den Stangenbeilen.

Der Herzog zog sein Schwert. Das Schneetreiben erlaubte ihm gerade einmal zehn Schritt weit zu sehen. Er hatte seinen Männern verboten, irgendwelche Hornsignale zu geben. Ihr Angriff sollte die Trolle völlig überraschen. Alfadas ließ sein Schwert einmal in blitzendem Bogen über seinem Kopf kreisen, dann deutete er nach vorn und ging los. Lambi gesellte sich an seine Seite. »Du erwartest hoffentlich nicht, dass wir sie behandeln wie die Stiere.«

Der Herzog sah den Jarl verständnislos an. »Was meinst du?« Sein Kamerad grinste. »Selbst wenn du mich in Ketten legen lässt, werde ich keinen dieser Trolle fressen, nachdem ich ihn geschlachtet habe.« Einige Männer, die den Jarl gehört hatten, lächelten. Selbst Alfadas fühlte sich ein wenig entspannter.

»Ich glaube, ich werde mit ihnen machen, was mein Vater mit ausgesuchten Feinden getan hat: ihnen die Leber herausschneiden und sie an die Hunde verfüttern.«

Lambi schüttelte missbilligend den Kopf. »Das hier sind keine fjordländischen Straßenköter«, sagte er tadelnd. »Ich sehe geradezu vor mir, wie die sich die Seele aus dem Leib kotzen werden, krank auf den Schlitten liegen und man uns an ihrer Stelle in die Geschirre spannt. Ich glaube, es ist besser für uns alle, wenn manche Angewohnheiten deines alten Herrn in Vergessenheit geraten. Auch wenn er verflucht noch mal der Held ist, der den Manneber erschlagen hat.«

Alfadas machte einen weiten Schritt über eine kleine Gestalt hinweg, die im Schnee lag. Ein Kobold. Seine toten Augen starrten zum Himmel. In der Faust hielt er ein Messer. Wie mutig musste man sein, um sich mit solch einer jämmerlichen Waffe einem Feind zu stellen, der sieben Mal größer war als man selbst!

Vor ihnen erklang Kampflärm, doch der Feind war immer noch nicht zu sehen. Das Schneetreiben verhüllte das Schlachtfeld vor ihrem Blick und gab nur einzelne Szenen des Grauens preis. Alfadas wich einem umgestürzten Schlitten aus. Eine graue Stute hing noch im Geschirr. Ein Schlag in den Rücken hatte ihre Wirbelsäule zerbrochen. Die Hinterläufe lagen grotesk verdreht auf dem Eis. Leise wiehernd versuchte das Tier, sich auf die Vorderbeine zu stemmen. Mit seinen verzweifelten Anstrengungen hatte es sich schon wund gescheuert. Der Herzog strich der Stute durch die Mähne und sprach beruhigend auf sie ein. Mit einem sanften Schnitt öffnete er die dick hervortretenden Schlagadern an ihrem Hals. Nun würde sie nicht mehr lange leiden. Hinter dem Schlitten lag ein Elf. Er war unter das umstürzende Gefährt geraten. Sein Brustkorb war zerschmettert. Schnee hatte sich in seinen weit aufgerissenen Augen und in den Nasenlöchern gesammelt. Nicht mehr lange, und das Leichentuch des Winters würde ihn völlig zudecken.

»Könnte ich dich um etwas bitten«, fragte Lambi mit rauer Stimme.

Der Herzog blickte auf. »Was?«

»Wenn ich verwundet werde, dann kümmere dich bitte nicht um mich.« Der Krieger lächelte schief. »Ich möchte schließlich nicht, dass es mir wie diesem Gaul ergeht.«

Alfadas nickte sanft. »Hast du auch Angst?«

Vor ihnen erklang ein langer, urtümlicher Schrei. Fast wie das Brüllen eines Bären, der nach dem Winterschlaf den Frühling begrüßte. Auch Waffenklirren war zu hören.

Lambi rieb sich über seine verstümmelte Nase. »Natürlich habe ich Angst. Ich mach mir fast in die Hosen. Ich wünschte, es würde endlich losgehen. So schlimm wie ich sie mir vorstelle, können die Trolle gar nicht sein. Sie endlich vor mir zu haben, wird eine Erleichterung sein.«

»Du bist sicher, dass ich keine Trollleber an die Hunde verfüttern sollte?«

Lambi zog eine Grimasse. »Könntest du mit den blutrünstigen Geschichten über deinen Vater eine Pause machen, bis wir das hier hinter uns haben? Es wird dich vielleicht überraschen, Herzog, aber bevor es zu einer Schlacht kommt, habe ich immer einen sehr empfindlichen Magen.«

Alfadas blickte ihn betroffen an. »Wirklich?«

Lambi nickte ernst. »Ja. Etwa so empfindlich wie der Magen eines Bluthunds, der gerade die Eingeweide eines Hirschs verschlingt.« Der Kriegsjarl brach in schallendes Gelächter aus.

»Sehe ich vielleicht aus wie ein Mann, der in den Schnee kotzt, nur weil ihm ein bisschen Blut auf die Klinge spritzt?«

Vor ihnen lag eine zerbrochene Truhe. Der Wind zerrte an einem hauchzarten Kleid, das sich im zersplitterten Holz verfangen hatte. Kisten, Fässer und sogar Möbelstücke, die auf dem Eis verstreut lagen, zeugten davon, wie die Elfen verzweifelt versucht hatten, ihre Schlitten zu erleichtern, um den Trollen zu entkommen.

Lambi hob den zarten Stoff an seine zerstörte Nase und schnupperte daran. »Köstlich!«, rief er Alfadas zu. Eine Elfe in einem lindgrünen Kleid taumelte ihnen entgegen. Ihr rotes Haar war zerzaust, die Augen weit vor Panik. Von einem ihrer langen, spitzen Ohren rann ein dünner Faden Blut ihren Hals hinab.

»Bei den Göttern! Luth hat meine geheimsten Wünsche erhört!«, rief Lambi und eilte der Elfe entgegen. Plötzlich übertönte ein röhrender Schrei den Gesang des Windes. Eine riesige Gestalt schälte sich aus dem weißen Schneegestöber. Sie war mehr als drei Schritt groß und trug nur einen Schurz aus schmutzigen Fellen. Die Haut war grau und erinnerte an Felsgestein. Und wie einem Felsen so schien auch diesem Monstrum die tödliche Kälte nicht das Mindeste auszumachen. Einen Augenblick wirkte der Troll überrascht. Dann hob er seine Keule, stieß einen markerschütternden Schrei aus und stürmte geradewegs auf Lambi zu. Der kleine Krieger ließ sich flach auf den Boden fallen und entging so dem ersten wuchtigen Hieb. Alfadas starrte den Troll wie versteinert an. Nichts, was er je über diese grässlichen Ungeheuer gehört hatte, kam der Wirklichkeit auch nur entfernt nahe. Auch die anderen Männer ringsherum waren erstarrt. Entsetzt blickten sie dem Tod entgegen.

Lambi rollte sich verzweifelt zur Seite. Nur wenige Fingerbreit neben seinem Kopf hämmerte die große Keule auf das Eis. Der Kriegsjarl hatte seine Waffe verloren. Hilflos rollte er hin und her und versuchte den Hieben zu entgehen.

Endlich schaffte Alfadas es, den Schrecken zu überwinden. Sein Freund würde sterben.

»Hierher, du dreckige Missgeburt!«, schrie er.

Der Troll wandte ruckartig den Kopf. Sein schmaler, lippenloser Mund verzog sich zu einem Lächeln. Der Herzog stürmte vor und unterlief die Keule des Hünen. Seine Klinge bohrte sich tief in den Oberschenkel des Trolls, doch sein Gegner grunzte nur. Ein Schlag mit der Rückhand traf Alfadas ins Gesicht. Es war bloß eine Ohrfeige, aber die Ohrfeige eines Riesen. Der Herzog wurde von den Beinen gerissen und segelte ein gutes Stück durch die Luft. Sein Schwert steckte immer noch im Bein des Trolls.

Das Ungeheuer stürmte nun den anderen Kriegern entgegen. Ein Keulenschwung ließ den Schädel eines Stangenbeilträgers zerplatzen. Stöhnend kam Alfadas auf die Beine.

»Greift ihn als Gruppe an!«, schrie er. »Sonst wird er euch einen nach dem anderen töten!«

»Nimm das hier!« Lambi hatte sich aufgerappelt, zog eine Axt aus seinem Gürtel und warf sie Alfadas zu. Geschickt fing der Herzog die Waffe aus der Luft und stürzte sich wieder in den Kampf. Aus den Augenwinkeln sah er, dass Lambi ihm folgte; er war nur noch mit einem Messer bewaffnet.

Die Stangenbeile der Krieger zuckten vor und zurück. An den Spitzen der Waffen waren lange, vierkantige Eisendornen. Sie drangen dem Troll in Arme und Brust, vermochten ihn aber nicht schwer zu verwunden. Der Hüne ließ seine Keule kreisen und zersplitterte die Schäfte der Waffen, wenn die Krieger nicht schnell genug zurücksprangen. Er brüllte etwas in einer tiefen kehligen Sprache. Ob er wohl Angst hatte?, fragte sich Alfadas.

Lambi schlich sich von hinten an den Troll und stieß ihm seinen Dolch tief in die Kniekehle. Mit einem schrillen Schrei sackte das Ungeheuer seitlich zusammen. Stangenbeile fuhren nieder. Die breiten Axtklingen schlugen klaffende Wunden in Schultern und Rücken des Trolls. Noch im Todeskampf schaffte es das Ungeheuer, nach einer der Waffen zu schnappen. Er zog den blonden Krieger, der sie führte, mit einem Ruck zu sich heran und zerschmetterte ihm mit einem Kopfstoß den Brustkorb.

Ein weiterer Hieb traf den Troll in den Nacken. Alfadas konnte das Splittern von Knochen hören. Die Arme weit ausgebreitet, sank der Hüne nach vorn und begrub den sterbenden Krieger unter seinem Leib. Alfadas trat vor und zog sein Schwert aus dem Oberschenkel des Trolls. Der Herzog sah sich um. Zwei seiner Männer waren tot, zwei weitere so schwer verletzt, dass sie lange nicht mehr würden kämpfen können. »Sieg!«, schrie Lambi. »Sieg! Sie sind auch nur aus Fleisch und Blut, wenn auch aus verdammt viel von beidem.«

»Still!«, rief Alfadas. Das Wüten des Sturms hatte nachgelassen. Deutlich war ein kehliger Ruf zu hören. Rechts und links von ihnen erklang Schlachtenlärm. Todesschreie.

»Dorthin!« Der Herzog stürmte dem Geschrei entgegen. Sie fanden zwei weitere Trolle, die ein Blutbad unter den Kriegern aus dem Fjordland angerichtet hatten.

Ronardin, der Wächter der Mandan Falah, versuchte die beiden Trolle von einem Verletzten abzulenken, der verzweifelt über den Boden robbte.

Ohne zu zögern stürmte Alfadas vor. Sein Schwert beschrieb einen funkelnden Halbkreis. Er zog einem der Trolle eine blutige Linie quer über den Rücken. Im selben Augenblick schepperte Metall. Ronardin ging von einem Kriegshammer getroffen in die Knie. Seine Brustplatte war tief eingedellt. Blut quoll dem Elfen von den Lippen. Er zielte mit einem kraftlosen Hieb nach dem Knie seines Gegners. Ein zweiter Treffer prellte ihm das Schwert aus der Hand.

»Heh, Steinhaut«, brüllte Lambi. »Deine Schwester macht für jeden die Beine breit!«

»Er versteht dich nicht!«, rief Alfadas und wich knapp einem tiefen Schlag seines Gegners aus. »Lass den Unsinn!«

Der Troll mit dem Kriegshammer ließ von Ronardin ab und wandte sich um. Seine Brust und seine Beine waren voller blutiger Handabdrücke. An einem Knochenhaken an seinem Gürtel hing ein breiter Streifen Fleisch. »Wenn der Tonfall stimmt, muss man die Worte nicht verstehen«, rief Lambi zurück. Er fuchtelte wild mit seinem Schwert. »Komm her, du Riese, und ich erzähl dir, wie es so ist, wenn man bei deiner Schwester liegt.«

Alfadas duckte sich unter einen verlassenen Schlitten, um einem Hieb zu entgehen. Sein Gegner trug Hosen aus hellem Leder. An seinem Gürtel hingen eine Bogentasche und ein Köcher. Ein Hieb seiner Steinaxt zersplitterte die Sitzbänke des Schlittens.

Der Herzog rollte sich zwischen den Kufen hindurch. Einen Moment lang war das zierliche Gefährt zwischen ihnen, dann riss der Troll es mit einem wütenden Schrei hoch und stemmte es über den Kopf. Alfadas begann zu laufen. Als er einen zweiten Schrei hörte, warf er sich nach links. Auf dem Eis dahinschlitternd, prallte er hart gegen eine bronzebeschlagene Kiste. Der Schlitten verfehlte ihn nur knapp. Trümmer flogen durch die Luft. Eine verbogene Kufe prallte dicht neben Alfadas gegen die Kiste. Der Hechtsprung hatte ihm das Leben gerettet.

Ein Schatten erhob sich über dem Herzog. Nein, der Sprung hatte sein Leben nur um ein paar Herzschläge verlängert. Der Troll stand breitbeinig über ihm. Alfadas versuchte einen geraden Stoß und zielte auf das Gemächt des Hünen. Ein mörderischer Schlag ging auf ihn nieder, ihm wurde das Schwert aus der Hand geprellt. Der Troll hatte ihn mit einem geschickten Rückhandhieb entwaffnet. Grinsend hob der Hüne seine Steinaxt. Plötzlich wuchs ein Pfeilschaft aus seinem rechten Auge. Der Troll zitterte. Dunkles Blut rann ihm über die Wange und sammelte sich in seinem Mundwinkel. Er grinste noch immer.

Schlanke Hände griffen nach Alfadas und zerrten ihn zur Seite. Der Herzog konnte nicht den Blick von seinem Gegner wenden. Die Hand mit der Steinaxt öffnete sich. Die schwere Waffe fiel auf das Eis.

»Es ist vorbei«, sagte eine vertraute Stimme.

Ollowain!

»Danke«, stieß Alfadas atemlos hervor. Der Troll begann zu schwanken. Sein unverletztes Auge war starr auf den Herzog gerichtet. Plötzlich sackte der Hüne nach vorn. Einen Moment lang lag er reglos. Dann streckte sich seine Rechte nach der Axt. Die Fingerspitzen berührten den Schaft der Waffe. Er stieß einen tiefen Seufzer aus. Dann regte er sich nicht mehr.

»Bedanke dich nicht bei mir«, sagte Ollowain sanft. »Sie hat dich gerettet.« Er deutete zu einer schlanken, weiß gewandeten Gestalt, die einen langen Jagdbogen hielt. Silwyna. Die Elfe stand bei Lambi, der sich schwer atmend auf die Trümmer des Schlittens stützte. Der zweite Troll war verschwunden.

Ollowain kniete neben Ronardin nieder und ergriff dessen Hand. Das Gesicht des Wächters der Mandan Falah war so weiß wie der Schnee rings herum, die Lippen rot vom Blut.

»Sie sind nicht über die Brücke gekommen, nicht wahr?« Seine braunen Augen hielten den Schwertmeister gefangen.

»Die Brücke ist nicht gefallen«, sagte Ollowain mit fester Stimme. »Du hast deine Aufgabe gut gemacht.« Schaumiges Blut perlte von den Lippen des Elfen.

»Bitte ... Die Königin hat die Dame geschickt, um Phylangan zu retten. Bitte sie um Verzeihung. Ich wollte sie mit meinen Blicken nicht beleidigen.« Ronardin versuchte sich aufzurichten, doch Ollowain drückte ihn sanft nieder.

»Sie war dir niemals böse, mein Freund. Und nun ruh dich aus. Wir werden dich zurück zum steinernen Garten bringen, damit du weiter über die Brücke wachst.«

»Sie dürfen nicht ...« Ronardins Augen weiteten sich. »Du musst ...«

Ollowain verharrte noch einen Augenblick, dann faltete er die Hände des Toten über dessen Brust.

»Was hatte das zu bedeuten?«, fragte Alfadas verwundert.

»Er glaubte wohl, dass er auf der Mandan Falah gekämpft hat. Er war ihr Wächter, viele Jahre lang.«

Der Sturm hatte sich gelegt. Es fiel nur noch wenig Schnee. Vor ihnen zeichneten sich schlanke Gestalten im Weiß ab. Kutschen und Schlitten kamen ihnen entgegen. Die Flüchtlinge vom Rosenberg.

Die Menschenkrieger brachen in Jubel aus. Sie hatten gesiegt! Lambi kam heran und klopfte dem Herzog auf die Schulter.

»Denen haben wir ganz schön in den Arsch getreten, nicht wahr?«

Alfadas nickte erschöpft. »Das Bündnis hat seine erste Probe bestanden. Das ist ein gutes Omen. Wir konnten die Elfen retten, zumindest diese dort.«

Lambi lachte. »Was heißt hier zumindest diese dort. Das war erst der Anfang. Wir folgen den Trollen in die Hügel und erledigen sie. Ich habe mit diesem Kerl mit den blutigen Händen auf seinem Wanst noch eine Rechnung zu begleichen. Man schubst mich nicht ungestraft herum.«

Der Herzog spürte, wie das Eis unter seinen Füßen erbebte. Erhielt der Feind Verstärkung? Diese Schlacht war noch nicht gewonnen!

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