Blut sprang wild kläffend am schmalen Uferstreifen entlang. Der Troll war zu groß, um sich in der engen Höhle ganz aufrichten zu können. Er musste auf allen vieren knien, um aus dem Wasser zu gelangen. Dabei schwang er eine Keule, die mit scharfen Steinsplittern besetzt war, vor sich her. Es sah grotesk aus, wie er kriechend versuchte, zu ihnen zu gelangen. Grotesk und doch Furcht einflößend.
Ulric und Halgard waren bis zu der Grabnische zurückgewichen. Der Junge fühlte sich elend. Yilvina war durch den Lärm zu sich gekommen. Sie tastete nach dem Schwert, das er ihr gebracht hatte. Er konnte sie doch nicht dem Troll überlassen!
Ein Keulenhieb verfehlte Blut nur knapp. Der große Hund versuchte nach der Kehle des Trolls zu schnappen, doch der Mistkerl drehte sich zur Seite. Bluts Reißzähne schlugen ihm in die Schulter. Das war ein Fehler! Grunzend griff der Hüne nach dem großen Hund. Sich mit einer Hand aufstützend, packte er Blut mit der anderen und schleuderte ihn gegen die Höhlenwand.
Ulric konnte es knacken hören. Aus dem Bellen wurde ein hohes, klagendes Jaulen. Blut schüttelte sich, versuchte wieder auf die Beine zu kommen, doch seine Hinterläufe knickten unter ihm weg.
Völlig überraschend schnellte Yilvina vor. Die Elfe führte einen beidhändigen Hieb gegen den Arm, auf den sich der Troll stützte. Sie traf ihn dicht über dem Handgelenk. Der Silberstahl schnitt durch Fleisch und Knochen. Der Menschenfresser brüllte. In hilfloser Wut riss er den Armstumpf hoch. Dunkles Blut schoss in pulsierenden Stößen aus der Wunde. Es spritzte der Elfe ins Gesicht.
Geblendet versuchte sie rückwärts von ihrem Feind fortzukriechen, doch der Troll bekam ein Bein von ihr zu packen. Wütend stieß er ihr den verstümmelten Arm gegen die Brust, dort wo der Knochen aus Yilvinas Fleisch ragte. Die Elfe bäumte sich auf. Das Schwert glitt ihr aus den Fingern.
Wieder schlug der Troll auf die Wunde ein. Er stieß dabei seltsame, grunzende Laute aus. Yilvina regte sich nicht mehr. Immer weiter schlug das Ungeheuer auf sie ein.
Halgard klammerte sich weinend an Ulric. Der Junge tastete nach dem Schwert in der Felsnische. Wenn es ums Töten ging, war er noch niemandem begegnet, der sich ehrenhaft verhielt, dachte er. Keiner achtete die Regeln der Ritterlichkeit, die sein Vater ihm beigebracht hatte.
Endlich ließ der Troll von Yilvina ab. Er zog einen glühenden Ast aus dem Feuer und presste ihn sich auf den Armstumpf. Dabei hechelte und jaulte er. Der Gestank von tranigem Fleisch erfüllte die Höhle.
Ulric stand auf. Das Ungeheuer war zu sehr mit sich und seinen Schmerzen beschäftigt, um auf ihn zu achten. Es kauerte dicht neben dem Feuer.
»Troll!«, sagte Ulric laut. Er stand jetzt unmittelbar vor dem Krieger. Die Kreatur wiegte sich in ihren Schmerzen vor und zurück. Endlich drehte sich der Troll zu ihm um.
»Stirb!« Ulric zog ihm die Klinge des Toten über die Kehle. Dann machte er einen Satz zurück. Ein tiefer Schnitt klaffte im Hals des Trolls. Er blickte ungläubig zu Ulric. Mit seiner verbliebenen Hand umklammerte er seine Kehle. Die Bestie machte ein gurgelndes Geräusch, versuchte sich aufzurichten und stieß mit dem Kopf schwer gegen die Höhlendecke. Sein verstümmelter Arm tastete nach der Keule neben dem Feuer. Hilflos stieß der Stumpf gegen die Waffe.
Wieder blickte er zu Ulric. Der Troll wagte es nicht, die Hand von seinem Hals zu nehmen. Blut quoll ihm zwischen den Fingern hindurch.
Der Junge hielt dem Blick stand. Er hatte das tun müssen, sagte er sich, auch wenn es eine Tat ohne Ehre war. Diese Bestie war ein Menschenfresser! Man musste sie umbringen, ganz gleich, wie.
Halgard schluchzte leise. Ulric nahm sie bei der Hand. »Es wird alles wieder gut. Alles wird gut.« Er sah dem Troll beim Sterben zu und fühlte sich selbst wie tot. Er empfand nichts. Keinen Triumph, keine Wut, nicht einmal Angst. Langsam sackte der Hüne nach vorn. Ulric wartete ab. Er hielt das Mädchen und starrte auf den Troll. Erst als das Feuer zu dunkler Glut heruntergebrannt war, wagte er sich in die Nähe des Trolls. Blut kam hinkend zu ihm herüber. Er schnupperte an dem Troll. Vorsichtig stieß Ulric den Hünen mit einem Fuß an. Er regte sich nicht mehr.
Der Junge atmete erleichtert auf. Dann sammelte er die restlichen Äste und schürte das Feuer. Als die tanzenden Flammen die Dunkelheit wieder bis in die hintersten Winkel der Höhle zurückdrängten, kniete er sich neben Yilvina. Sie atmete nur flach. Er wusste nicht, wie er der Elfe helfen konnte. Einen Schnitt hätte er verbinden können. Aber das hier ...
Schließlich zog er Yilvina mit Halgards Hilfe bis dicht ans Feuer. Den Troll vermochten sie beide nicht zu bewegen. Er war schwer wie ein Felsblock. Nach mehreren vergeblichen Versuchen ließen sie sich auf der anderen Seite des Feuers nieder, so weit wie möglich von dem Toten entfernt.
Blut kauerte zu Ulrics Füßen. Er leckte seinen Hinterlauf und winselte leise.
»Ich habe Hunger«, sagte Halgard.
Der Junge hatte noch immer den Geruch des verbrannten Trollfleischs in der Nase. Er konnte nichts essen. Er kramte in der ledernen Jagdtasche der Elfe, fand aber nur ein hartes Stück Käse. Er reichte es dem Mädchen. »Was isst du?«, wollte Halgard wissen.
»Ich hab keinen Hunger.«
Halgard legte den Käse vor sich auf den Felsboden. »Wir teilen, sobald du Hunger bekommst.« Ihre blinden Augen starrten in seine Richtung. Sie sah unheimlich aus, mit ihrem weißen Haar und der faltigen Haut.
Lange Zeit lauschten sie still auf das Knistern der Flammen.
»Diese Höhle ist ein Grab, nicht wahr?«, sagte das Mädchen schließlich. »König Osaberg, der tote Troll, Yilvina liegt im Sterben ...«
»Aber wir leben noch«, erwiderte Ulric hitzig.
»Wie viel Holz ist noch da?«
»Genug, um das Feuer ein paar Stunden in Gang zu halten.« Der Junge dachte an die Dunkelheit, die dann folgen würde. Der Gedanke machte ihn unruhig. Er hatte keine Angst vor der Finsternis! Er mochte sie nur nicht.
»Wenn wir hier bleiben, dann werden wir verhungern. Gehen wir durch das Wasser, wird uns die Winterkälte töten«, sagte Halgard ruhig.
»Wir werden Blut schicken. Er wird Hilfe holen.« Ulric kraulte das dichte Nackenfell des Hundes. »Nicht wahr, Blut? Du ruhst dich noch ein wenig aus, und dann machst du dich auf die Suche nach Mutter oder nach Kalf.«