Neue Aufgaben

Boltan wanderte am Ufer zwischen den dicht gedrängten Menschlingen entlang. Sie wichen ihm respektvoll aus und duckten sich, wenn er nur in ihre Nähe kam. Was für erbärmliche Wichte! Er wusste nicht, wen er auswählen sollte. Sie alle erschienen ihm nicht gut genug für die Tafel des Herzogs.

Stolz erfüllte den Troll. Orgrim hatte ihn zu seinem Koch gemacht! Damit war er der zweite Mann hinter dem Herzog. Er trug die Verantwortung dafür, dass alle hungrigen Mäuler gestopft wurden. Es war ein schweres Amt voller neuer Herausforderungen. Er musste Listen über die Esser und die Vorräte führen. Und er musste den Gaumen seines Herzogs erfreuen.

Orgrim war schlecht gelaunt. Dumgar war auf dem Marsch hierher und würde sich bald mit den Truppen des Herzogs vereinen. Dann würde der Herrscher vom Mordstein befehlen ...

Für heute wollte Boltan seinem Herrn eine Freude bereiten. Nichts vertrieb Sorgen besser als ein köstliches Mahl! Brud hatte ihm vor ein paar Tagen von einer besonderen Art erzählt, wie man große Hasen zubereiten konnte. Man brach ihren Leib auf und holte das Gedärm, den Magen und die Galle heraus. Dann schmierte man sie mit Lehm ein, bis sie wie ein großer, grauer Klumpen aussahen. Den legte man dann in die Glut einer Feuergrube. Eingeschlossen vom Lehm, konnte das Fleisch in seinem eigenen Saft ziehen. Und es schmeckte wunderbar zart, wenn man es aus dem Feuer holte und die graue Kruste aufbrach. Alle Haare blieben im Lehmmantel, und man konnte sofort mit dem Essen beginnen.

Boltan hatte am Morgen unter einer Feuerstelle am Ufer feinen Lehm gefunden. Seitdem reifte in ihm der Plan, es heute einmal mit Bruds Art der Fleischzubereitung zu versuchen. Er würde einen kleinen Menschling dafür nehmen. Einen Welpen.

Ziellos wanderte der Troll umher. Er wollte etwas Besonderes. Schließlich fiel ihm ein junges Weibchen mit weißem Haar auf. Sie war ein wenig hager, aber keine sonst hatte solche Haare. Sie wirkte etwas unbeholfen. Erst als er vor ihr stand, merkte Boltan, dass sie blind war. Das würde ihrem Geschmack doch sicher keinen Abbruch tun!

Er wollte schon nach ihr greifen, da sprang ein Welpe auf und stellte sich schützend vor sie. Der kleine Menschling hielt einen funkelnden Dolch in der Hand und gebärdete sich, als wolle er ihn zu einem Zweikampf unter Kriegern fordern.

Boltan konnte nicht an sich halten. Er brach in schallendes Gelächter aus. Im selben Augenblick sprang der kleine Menschling vor und stach ihm ins Bein. Die Elfenklinge brannte wie Feuer. Wütend entwaffnete er den Kleinen; den Menschenjungen unter den Arm geklemmt, ging er zu der Feuerstelle, die er vorbereitet hatte. Den Dolch warf er auf einen Knochenhaufen.

Obwohl er so klein war, hatte der Menschling schon das Herz eines Kriegers. Er würde Orgrim köstlich munden!

Abschied

... Wir zogen uns zurück zum Adlerstein, der Felsenburg, die Phylangan zunächst lag. Vier Tage dauerte die Reise. Die ganze Zeit über konnten wir eine Aschewolke über dem verlorenen Berg sehen. Und nachts war der Himmel rot vom Widerschein des Blutes der Erde. Manchmal dachte ich, dass das Land selbst dem Krieg ein Ende gesetzt habe. Der einzige Pass zwischen Carandamon und der Snaiwamark war nun versperrt. Und die Burg, um die so viele Völker so erbittert gefochten hatten, war vergangen. So bitter den Normirga der Verlust Phylangans war, so erleichtert schienen die Menschensöhne. Ich hatte Alfadas versprochen, sie in ihre Heimat zu entlassen. Emerelle sollte aus dem Dorf des Herzogs geholt werden. War auch kein Frieden mit den Trollen absehbar, so würde der Krieg doch wohl eine Atempause finden. Beide Seiten waren erschöpft. Und wollten die Trolle Carandamon angreifen, so müssten sie einen weiten Umweg über das Windland machen. Oder aber, sie müssten erneut durch das Netz der Albenpfade gehen.

Wir feierten im Adlerstein ein Fest, um unsere Waffenbrüder zu verabschieden. Sie sollten Schlitten mitnehmen und Pferde. Auch erhielt jeder ein Geschenk, als wir die goldenen Amulette zurückforderten. Ich wusste, was sie von Phylangan mitgenommen hatten, auch wenn der Krieger ohne Nase und von übler Zunge glaubte, ich hätte nichts bemerkt. Sollten sie es behalten! Phylangan war vergangen. Niemand würde mehr nach seinem Gold fragen. Unser Fest neigte sich schon seinem Ende zu, als eine bleiche Gestalt unter dem Torbogen zur Silbernen Halle erschien. Ollowain, den wir alle für tot gehalten hatten, war zurückgekehrt. Doch er hatte auch nicht mehr viel von einem Lebenden an sich. Das Haar weiß von Frost. Die Augen tief in dunkle Höhlen eingesunken, trug er statt seines Umhangs eine schmutzige Wolldecke über den Schultern.

Wie er dem Berg entkommen war, hat er mir nie erzählt. Er schwieg die meiste Zeit. Selbst sein Ziehsohn Alfadas erfuhr wohl nicht, was sich ereignet hatte.

Ollowain wollte die Menschen zurück ins Fjordland begleiten. Als die Stunde des Aufbruchs kam, erschien er wieder als der makellose weiße Ritter. Doch das war nur Schein. Auch jetzt blieb er stumm, und seine Augen waren Abgründe...

Aus: Der Blick des Falken, s.903,

Die Lebenserinnerungen

von Fenryl, Graf von Rosenberg

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