Knirschend schrammte das Elfenschiff an der Hafenmauer entlang. Einige Trolle sprangen von Bord, um es mit Leinen festzuzurren. Ein Speer traf einen der Krieger.
Orgrim deutete auf den in kaltes Licht getauchten Turm am Ende der Hafenmauer. »Los, schlagt das Tor ein und bringt die Elfen darin um.« Der Rudelführer war wütend. Erst hatte er andere Rudelführer um Hilfe bitten müssen, damit sie das Elfenschiff in Schlepp nahmen, und dann war es unmöglich, in den Hafen einzulaufen. Orgrim hatte sich vorgestellt, wie er im Triumph in der Stadt ankam und die Leiche der Königin auf seinem Schild trug, sodass jeder sie sehen konnte.
Aber das Schicksal drohte ihm seinen Ruhm zu stehlen. Man musste verrückt sein, um den Hafen anzusteuern. Noch immer trieben dort dutzende brennender Wracks. Die Flotte legte nun an der langen Außenmauer an, die zum Schutz gegen die Brandung errichtet worden war. Immer mehr Kriegerrudel sprangen von den Schiffen und stürmten laut schreiend auf die Stadt zu. Soweit Orgrim sehen konnte, trafen sie nirgends auf ernst zu nehmenden Widerstand. Nach dem Kampf um das Schiff der Königin war er froh darum. Die Elfen waren klein und schwächlich, das stimmte schon. Ein einziger Keulenhieb ließ ihre Knochen splittern und sie ihre Lungen auskotzen.
Doch es war verdammt schwer, sie überhaupt zu treffen. Und ihre Klingen waren flink und schnitten tief. »Rudelführer, wir bekommen Besuch!« Boltan war auf das Achterdeck gestürmt und deutete hinaus auf See. »Der König!«
Aus der Mauer der düsteren Schiffssilhouetten löste sich ein riesiger Schatten. Drei rote Laternen leuchteten am Hauptmast. Die Todbringer, das Schiff des Königs! Ob er wohl gesehen hatte, wer als Erster an Bord der Liburne gegangen war? Orgrim schalt sich in Gedanken einen Narren. Der König kam einfach nur, um das erbeutete Schiff zu begutachten. Wie hätte er auf die Entfernung und noch dazu bei Nacht beobachten sollen, wie das Entergefecht verlaufen war!
Orgrim trat an das Lager, auf dem der entstellte Leichnam der Tyrannin lag. Seine großen Hände strichen über die Schwanenkrone. Es war tatsächlich geschehen. Er hatte den Schwertmeister der Königin erschlagen und Emerelles Kadaver erbeutet. Niemand konnte ihm diesen Ruhm nehmen. Er hatte es nicht nötig, an den Gefechten in der Stadt teilzunehmen.
Die Ruder der Todbringer wurden eingezogen und Leinen herübergeworfen. Langsam ging das riesige Schiff längsseits. Seine Decks lagen um mehr als acht Langellen höher.
Das Elfenschiff stöhnte auf, als es zwischen der Todbringer und der Hafenmauer eingekeilt wurde. Orgrim hörte Holz splittern. Dass diese verdammten Wichtel es nicht fertig brachten, stabil zu bauen! Er wunderte sich, dass ihre dünnhäutigen Schiffchen überhaupt einen Sturm überstanden.
Eine Enterbrücke krachte auf das Deck der Elfenbarke. König Branbart und seine Gefolge stiegen herab. Der Herrscher war von gedrungener Gestalt und etwas kleiner als die meisten Trolle. Knochenwülste wucherten über seinen Augen, und es schien, als verbargen sich unter seiner Stirn die Ansätze zweier Hörner. Branbarts Nase war breit und etwas krumm. Eindrucksvolle Narben zierten seine Stirn und seine Brust. Der König war der Sieger vieler Zweikämpfe. Ein Umhang aus Wolfsfellen hing von seinen Schultern. Dazu trug er einen speckigen, ledernen Kilt.
»Heho, Feuerfresser!« Branbart ging auf Boltan zu und klopfte ihm auf die Schulter. »Ich beglückwünsche dich zu deinem Fang!« Er ließ den Blick über die toten Elfen auf Deck schweifen und lächelte zufrieden. »Hast diesen Wichten ordentlich das Fell gegerbt. Du solltest morgen an meiner Tafel sitzen.«
»Ich ...« Boltan wand sich vor Verlegenheit. »Orgrim ist der Rudelführer. Ich bin nur der Geschützmeister.«
»Das weiß ich.« Der König zog die Nase hoch und rotzte aufs Deck. »Aber du hast den Elfenwichten doch ordentlich eingeschenkt.« Branbart deutete auf eine Schnittwunde am Arm des Geschützmeisters. »Ich sehe ja, dass du dich nicht vor diesen verfluchten Elfenklingen gedrückt hast. Gestern noch habe ich von dir gesprochen, Boltan. Mit seinem Leib ein Feuer ersticken! Bei den Alben! Mehr Männer wie dich brauchte ich! Es bleibt dabei. Ich will dich morgen Abend an meiner Tafel sehen!«
Orgrim hatte Mühe, die Fassung zu wahren. Was sollte der Auftritt des Königs? Wollte der Herrscher ihn vor all seinen Kriegern beleidigen?
Branbart wandte sich um. Er stank nach Met. Gönnerhaft tätschelte er Orgrim über die Wange. »Nun, mein Welpe, war es klug von mir, dir ein Rudel zu geben?« Seine Augen blitzten unter den wulstigen Brauen. »Wo ist dein Schiff?«
Orgrim überging die Frage. Ihn einen Welpen zu nennen, eine hilflose Kreatur, die von den Zitzen ihrer Mutter noch nicht entwöhnt war, das galt unter Trollkriegern als schlimmste Beleidigung. Nur mühsam gelang es Orgrim, an sich zu halten. Offenbar war der König betrunken.
»Die Tyrannin ist tot. Und ich habe ihren Schwertmeister erschlagen.« Er deutete auf das Lager aus Fellen, auf dem Emerelle aufgebahrt war. »Unser flammender Zorn hat die Elfenkönigin vernichtet.«
Branbart zog erneut die Nase hoch. »Das soll sie sein?« Er trat an den Leichnam und starrte Emerelle lange an. »Ihr Gesicht ist zu verbrannt. Sie trägt ja ein Gewand wie eine junge Maid. Verdammte Elfenschlampe! Ich hatte gehofft ...« Er schüttelte den Kopf. »Nein, ich erinnere mich nicht mehr an sie.« Er spuckte auf den Leichnam des Schwertmeisters, der noch dort lag, wo Orgrims Kriegshammer den Elfen niedergestreckt hatte. »Sie hat daneben gestanden, als ich auf die Shalyn Falah geschafft wurde. Mandrag!« Er winkte einen der Männer seines Gefolges heran. »Erinnerst du dich, wie sie mich hat fliegen lassen?«
Ein grauhaariger Krieger trat an die Seite des Königs. Er kaute auf seiner Unterlippe, als er die Tyrannin anstarrte. Dann griff er nach der Krone. Orgrim sah Tränen der Wut in den Augen des Alten funkeln. »Daran erinnere ich mich!« Er zeigte die Krone herum. »Das hat sie getragen, in der Nacht des Verrats. Das erkenne ich wieder! Sie muss es wohl sein.«
Branbart grunzte ärgerlich. »Muss es wohl sein genügt mir nicht! Ruft Skanga herab!« Der Herrscher wandte sich Orgrim zu. »Du schuldest mir noch eine Antwort, Welpe!«
Orgrim verstand nicht.
»Dein Schifft«, herrschte ihn der König an.
»Die Elfen haben es versenkt. Sie haben die Donnerer gerammt, als wir das Schiff der Tyrannin enterten. Aber sie konnten uns nicht mehr vom Schiff der Königin vertreiben.«
»Konnten uns nicht mehr vom Schiff der Königin vertreiben«, äffte Branbart ihn nach. »Ich habe dir ein Schiff anvertraut, Welpe, weil man mir gesagt hat, du wärst es wert, ein Rudelführer zu sein. Wo ist es jetzt? Es liegt auf dem Meeresgrund!«
»Keiner meiner Männer ist mit dem Schiff gesunken. Ich habe eine Elfenbarke erobert. Wenn ich nicht geentert hätte, dann wären die Elfen mit der Leiche ihrer Königin entkommen.«
Branbart stampfte so fest auf, dass das Holz unter seinem Fuß bedrohlich knarrte. »Das hier nennst du ein Schiff? Ein Elfendreck ist das! Red dich nicht heraus, Welpe. Die anderen Rudelführer, die diese Nacht ihre Schiffe verloren haben, sind wenigstens so klug, mir nicht mehr unter die Augen zu treten.« Er wandte sich an den alten Krieger. »Wie viele Schiffe haben wir gleich verloren, Mandrag?«
»Vier, mein König.«
»Vier Schiffe! Jedes mit mehr als zweihundert Kriegern an Bord! Das ist ja ein ganzes Heer. Und sie alle sind in Brand geraten?«
»Ja, mein König«, bestätigte der Alte.
»Nie wieder will ich diese dreimal verfluchten Feuerkugeln an Bord eines Trollschiffes sehen. Und auch die Katapulte werdet ihr morgen über Bord werfen. Wir sind Trolle! Niemand kommt uns an Stärke gleich. Ich verfüge hiermit, dass von nun an und für alle Zeit Steine geworfen werden und Feuer nichts mehr an Bord von Trollschiffen verloren hat.« Er zog die Nase hoch und spuckte Orgrim vor die Füße. »Es gibt nur eins, was noch dümmer ist! Sich von einem Elfenschiffchen versenken zu lassen. Du warst doch gewarnt? Oder hat man dir etwa nicht von den Stahlspornen an ihren Schiffen erzählt? Du hättest besser auf die Donnerer Acht geben müssen, Welpe!«
Auf der Enterbrücke erschien eine gebeugte Gestalt. Mit gichtkrummen Fingern hielt sie sich am Geländer fest.
Alle Gespräche verstummten. Orgrim hatte Skanga, die große Schamanin seines Volkes, noch nie leibhaftig gesehen. Behutsam stieg sie die steile Holzbrücke hinab. Die Schamanin trug ein derbes Kleid, das mit so vielen Flicken besetzt war, dass man unmöglich seine ursprüngliche Farbe erraten konnte. Jeder ihrer Schritte wurde von Rascheln und leisem Klicken begleitet. Um ihren faltigen Hals hingen dutzende von Amuletten und Glücksbringern: kleine Figuren, aus Knochen geschnitzt, steinerne Ringe, Federn, ein vertrockneter Vogelkopf und etwas, das aussah wie ein halber Rabenflügel. Zahllos waren die Geschichten über ihre Macht. Es hieß, allein ihr Blick könne töten und sie lebe seit den Tagen, als die Alben noch unter ihren Kindern weilten. »Ich hoffe, du hattest einen guten Grund, mich rufen zu lassen.« Die Schamanin sprach mit leiser, ein wenig heiserer Stimme. Und doch war jedes ihrer Worte deutlich zu verstehen.
»Der Rudelführer Orgrim glaubt, die Leiche der Tyrannin gefunden zu haben.« Branbart zog wieder die Nase hoch, doch diesmal spuckte er nicht aufs Deck, sondern trat kurz an die Reling.
Skanga wandte sich Orgrim zu. Ihre Augen waren von dünnem weißen Schleim überzogen. Sie streckte die Hand nach ihm aus. »Bring mich zu Emerelle, Welpe.«
Es fühlte sich an, als streife ihn ein vertrockneter Ast. Die Finger der Schamanin waren hart und wirkten wie abgestorben. Ihre Nägel krümmten sich wie Bärenkrallen. Skanga sah zu ihm auf und blinzelte. »Ich kenne dich, Welpe. Komm zu mir, wenn die Kämpfe beendet sind.« Sie kicherte leise. »Orgrim ist also jetzt dein Name.« Dem Rudelführer zog sich der Magen zusammen. Er hatte davon gehört, dass sich die Schamanin manchmal junge, kräftige Krieger zuführen ließ. Es hieß, sie stahl von ihrer Lebenskraft.
Er brachte sie zum Lager der Königin. Skanga schien trotz ihrer milchigen Augen nicht wirklich blind zu sein. Ohne dass er sie gewarnt hätte, machte sie einen weiten Schritt über den Leichnam des Schwertmeisters hinweg. Warum hatte sie seine Hand halten wollen? Um herauszufinden, ob er das rechte Opfer für ihre Blutmagie war?
Die Schamanin legte der toten Königin ihre knotige Hand auf die Brust und tastete über das zerrissene Kleid. Dann stieß sie ein ärgerliches Grunzen aus und befühlte Emerelles Stirn. Die langen Nägel schnitten in das verbrannte Fleisch. Skanga murmelte leise vor sich hin. Orgrim verstand einzelne Worte. Sie befahl der Elfe zurückzukehren. Dabei hatte ihre Stimme etwas Dunkles, Widernatürliches. Der Rudelführer erschauderte. Plötzlich war es kühler geworden. Eine Bö eilte von der offenen See heran und rüttelte an der Takelage. Die Lippen der toten Königin zitterten. Ihr Mund klappte auf. Licht troff in zähen Fäden, so wie Honig, von ihren Mundwinkeln und strahlte durch die geschlossenen Augenlider. Ein herzerweichendes Wimmern war zu hören. »Widersetze dich nicht«, hauchte Skanga. »Ich habe dein Licht zurückgerufen, Elfe. Ich kann es halten, so lange ich will. Du spürst jetzt wieder die Qual des Augenblicks deines Todes. Dein verbranntes Fleisch. Die zerschmetterten Knochen in deinem Leib.«
Das Wimmern wurde schriller. Die Augenlider der Toten flatterten. Orgrim wich einen Schritt zurück. In diesem Augenblick war er sich ganz sicher, dass alles stimmte, was er jemals über Skanga gehört hatte. »Jeder hat mir bisher gesagt, was ich wissen wollte. Es ist unnütz zu kämpfen. Am Ende redet ihr alle. Gib nach. Sag mir, wie du heißt. Nur dein Name, und ich lasse dich los.« Die Augen der toten Königin öffneten sich. Da waren keine Augäpfel oder Pupillen mehr. Nur gleißendes Licht, so hell, dass der Rudelführer den Blick abwenden musste.
»Dein Name!«
»Sa... San...«
Tränen aus Licht troffen von den Augen Emerelles. Ihre Stimme erstickte in unartikuliertem Wimmern. Immer lauter wurde das gemarterte Kreischen. Orgrim hatte schon oft das Geschrei Sterbender gehört. Aber eine Tote noch weiter gequält zu sehen, wühlte ihn zutiefst auf. Es gab also keinen Frieden. Nicht einmal im Grab. Nie. »Sansella!«, stieß die Königin hervor. »Ich heiße Sansella! Sansella!«
Skanga zog ihre Hand zurück. Das unheimliche Licht verschwand augenblicklich. Die Leiche lag völlig still. Orgrim starrte die Tote erschrocken an. Konnten Leichen lügen? War dies eine letzte List der Tyrannin?
»Ich kann mir vorstellen, was du jetzt denkst.« Skanga hielt ihn mit ihren milchigen Augen fixiert. »Die Antwort ist: nein!«
Branbart zog die Nase hoch und spuckte Orgrim vor die Füße.
»Dafür hast du dein Schiff verschenkt, Welpe. Du bist es nicht wert, ein Rudelführer zu sein. Ich nehme dir dein Rudel. Du bist nur mehr Krieger. Und vermutlich ist das noch zu viel!«
Orgrim sah fassungslos von der Toten zum König und dann wieder zu Skanga. Die Elfenwichte hatten ihm alles genommen! Er war zu überrascht und erschüttert, um überhaupt etwas sagen zu können. Seit Tagen hatten all seine Gedanken darauf gezielt, wie er Herzog werden könnte, und nun war er nicht einmal mehr Rudelführer. Die Schamanin hielt die Schwanenkrone in der Hand und streichelte über das kalte Metall.
»Ihr Band zerreißt«, sagte sie leise. »Die Königin hat die Krone so lange getragen, dass es eine Verbindung zwischen diesem Stück Metall und ihr gibt. Doch es wird immer schwächer. Sie scheint im Sterben zu liegen.« Skanga hatte die Augen geschlossen und presste die Krone fest auf ihre Brust. »Sie ist am Rand der Baumsümpfe auf der anderen Seite der Stadt.«
»Holt sie mir!«, rief Branbart. »Wer Emerelle bringt, wird Herzog sein! Schickt Schiffe, damit sie aus dem Sumpf nicht aufs Meer entkommt. Kreist sie ein! Hetzt sie wie Wölfe ein verwundetes Reh. Ihr habt es gehört, sie liegt im Sterben. Bringt sie mir! Wenn uns Emerelle entkommt, dann ist dieser Sieg nur einen Dreck wert!«