Der Rudelführer beendete seinen Bericht. Orgrim stützte sich schwer auf den Stumpf einer zerborstenen Säule. Er fühlte sich schwach wie ein Neugeborenes; er hatte während der Kämpfe viel Blut verloren.
Die Herzöge, die Branbart in den Ruinen eines Elfenpalastes um sich versammelt hatte, sahen Orgrim ernst an. Dumgar vom Mordstein nickte anerkennend. Der grauhaarige Mandrag kaute tief in Gedanken an seiner Unterlippe.
Branbart zog die Nase hoch und spuckte in eine Pfütze mit schleimigem Auswurf vor seinen Füßen. »Du hast wieder einmal leichtfertig ein Schiff eingesetzt«, sagte der König düster.
»Masten und Aufbauten der Geisterwind sind nur noch Trümmer.«
Orgrim konnte es nicht fassen! Was hatte er dem König getan?
»Die Geisterwind hat das Katapultfeuer eines ganzen Mauerabschnitts auf sich gezogen. Als die Elfen erkannten, dass wir die größte Gefahr sind, haben sie auf die anderen Schiffe nicht mehr geschossen. Willst du mir vorwerfen, dass mir glückte, was anderen Rudelführern misslungen ist? Wäre es dir lieber, wenn wir noch ein weiteres Mal mit unserem Angriff gescheitert wären?«
»Nimm den Mund nicht zu voll, Welpe!« Branbart war aufgesprungen und deutete drohend mit dem Oberschenkelknochen, den er abgenagt hatte, auf Orgrim. »Du überschätzt dich. Andere Rudelführer haben sich schon über dich beschwert, weil du ihnen ihre besten Seemänner und Krieger weggenommen hast. Du hast gesiegt, weil du das beste aller Rudel befehligst. Und nicht, weil du der Held bist, für den du dich offensichtlich hältst.«
»Sei nicht ungerecht, Branbart«, mischte sich der alte Mandrag ein. »Wir alle wissen, dass es nicht Orgrim ist, der den Rudelführern ihre besten Männer stiehlt. Und er ist ein tapferer Krieger. Er und der Hüne Gran waren als Erste auf der Mauer. Du solltest ihn nicht tadeln, sondern ihm den Ehrenplatz an deiner Tafel anbieten, wie es die Könige unseres Volkes schon seit Anbeginn aller Zeiten mit mutigen Rudelführern getan haben.«
»Willst du mir etwa erklären, was ein König zu tun hat? Glaubst du, weil du eine Zeit lang unser Volk geführt hast, wüsstest du, was es ausmacht, ein König zu sein?«, fragte Branbart lauernd.
»Genug davon!«, rief Skanga entschieden. »Du bist der König, keiner zweifelt daran.« Die Schamanin richtete sich auf und trat zwischen die Herzöge. »Es war ein Fehler, Reilimee anzugreifen, Branbart. Sie waren gewarnt. Es war vorherzusehen, dass wir Reilimee nicht so einfach überrennen können wie Vahan Calyd.«
»Misch dich nicht in das Geschäft der Krieger ein!« Branbart schleuderte wütend den Knochen zur Seite. »Vielleicht war es leichtfertig, diesen Kampf zu wagen, aber wir können ihn jetzt nicht mehr abbrechen. Wenn wir hier sieglos abziehen, dann wird das ein Zeichen für alle Völker Albenmarks sein. Sie werden sich ermutigt fühlen, sich uns zu widersetzen. Reilimee muss fallen. Und diesmal werden wir niemanden ziehen lassen! Wenn wir weitersegeln, dann wird die Stadt ein Leichenfeld sein!«
So sehr Orgrim seinen König auch verachtete, musste er dem zustimmen, was Branbart sagte. Sie durften diesen Kampf nicht verlieren.
»Im Übrigen brauchen wir die Vorräte, die uns die Stadt zu bieten hat. All das Fleisch, die gut gefüllten Lagerhäuser ... Die Snaiwamark ist ein karges Land. Ein Heer, so groß wie unseres, kann dort im Winter nicht versorgt werden.« Branbart lächelte Skanga herablassend an. »Erzähl mir nicht, wie man einen Krieg führt, Weib. Du weißt doch, meine Seele ist reich durch die Weisheit vieler Könige.«
»Ja, und in ihr lebt auch die Überheblichkeit vieler Könige weiter. Ich sehe durchaus, welchen Nutzen uns ein Sieg hier bringt. Aber denke an Phylangan. Landoran ist ein verschlagener Elf. Er wird wissen, dass wir kommen. Und mit jedem Tag, den wir hier verlieren, wird er stärker, während unsere Krieger vor den Mauern Reilimees verbluten. Noch ist die Zufahrt in die Walbucht eisfrei, und wir können mit unseren Schiffen weit nach Westen gelangen. Mit jedem Tag, den wir verlieren, wandert die Eisgrenze weiter nach Süden. Wenn die Walbucht erst zugefroren ist, wird sich unser Anmarsch auf Phylangan um hunderte Meilen verlängern. Und jede Meile zehrt an den Kräften unserer Männer, während Landoran stärker und stärker wird.«
Branbart lachte ihr ins Gesicht. »Das ist der Grund, warum Weiber keine Kriege führen. Sie malen sich alles in so düsteren Farben aus, dass sie schon geschlagen sind, bevor es zur ersten Schlacht kommt. Was ist der Sinn deiner Mäkeleien? Was willst du mir sagen?« Sein Blick blieb an Orgrim haften. »Du bist doch ein Held. Der findige Geist, der Brücken in Masten baut, um Mauern zu erstürmen. Was würdest du tun? Ich kenne den Ehrgeiz, der in dir brennt. Nun zeige einmal, dass du die Klugheit hast, die einen Herzog neben seinem Mut auszeichnen sollte.«
Orgrim versuchte sich die Karten der Nordlande in Erinnerung zu rufen, die er vor ihrem Aufbruch nach Albenmark studiert hatte. Phylangan lag am Ende eines langen, vereisten Passes. Von Osten führte nur dieser eine Weg zum steinernen Garten.
»Nun, Welpe, hat es dir die Sprache verschlagen?«, spottete der König. »Ist das alles, was in dir steckt? Schweigen?«
»Zwischen der Walbucht und dem Pass hinauf nach Phylangan liegt ödes Land. Die Elfen glauben, dass wir hier gebunden sind. Wenn vier oder fünf Schiffe die Flotte verlassen und nach Norden zur Walbucht segeln, wird es nicht auffallen. Ich glaube, wir werden sie überraschen können. Mit tausend Kriegern kann ich den Nachschubweg nach Osten abschneiden, bis du mit dem Hauptheer kommst, Branbart.«
»Du willst also den Nachschub abschneiden. Und tausend Krieger würden dir genügen.« Der König zog die Nase hoch und spuckte aus. »Eine solche Streitmacht müsste von einem Herzog angeführt werden. Ist es das, woran du gedacht hast, du heimtückischer Hund?«
»Du hast mich gefragt, was ich tun würde ...«
»Schweig, Orgrim! Ich kenne dich! Du willst also fort von hier und deinen eigenen Krieg führen. Das kannst du haben! Ich gebe dir ein Schiff. Zweihundertfünfzig Kämpfer!«
»Das sind zu wenige, mein König!«, warf Mandrag ein.
»Wenn die Elfen entdecken, wie schwach seine Streitmacht ist, dann werden sie ihn aufreiben.«
»Noch ein ungefragter Rat, alter Mann.« Branbart fuhr zu dem Greis herum. »Du solltest den Welpen begleiten. Er scheint dir ja sehr am Herzen zu liegen.«
»Mir liegen all unsere Männer am Herzen«, entgegnete Mandrag eisig. »Nur ein Tor verschwendet die Leben von Kriegern.«
»Na, dann steckt eure beiden Schlauköpfe zusammen und seht zu, wie ihr eure Aufgabe erledigt. Brücken an Masten zu nageln, wird diesmal nicht genügen, fürchte ich.«
Orgrim war aufgewühlt. Seine Gefühle schwankten zwischen Zorn und Stolz. Der König verlangte schier Unmögliches. Aber hatte es vor ein paar Tagen nicht auch so ausgesehen, als sei es unmöglich, die Seemauer Reilimees von Schiffen aus zu erstürmen? Jetzt hatte er ein eigenes Kommando weit ab vom Heer. Wenn er seine Aufgabe gut machte, dann würde ihm nicht einmal Branbart den Herzogstitel verwehren können.
»Er wird die Geisterwind nehmen«, entschied Skanga in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete. »Und Birga soll ihn begleiten. Sie wird herausfinden, wie man sich in Phylangan auf die Schlacht vorbereitet.«
Birga galt als Ziehtochter Skangas, und ihr Ruf war fast so übel wie der der Schamanin. Birga war so hässlich, dass sie angeblich noch nie ein Mann berührt hatte. Und das, obwohl manche Krieger sogar mit hohlen Baumstämmen rammelten, um sich ihrer überschüssigen Säfte zu entledigen.
Die Vorstellung, dass diese Vettel künftig immer in seiner Nähe wäre, ließ Orgrim erschaudern.