Landoran, der Fürst der Snaiwamark und von Carandamon, beobachtete den Boten, der mit festem Schritt über die Mandan Falah eilte. Sandowas war der letzte Gesandte, der nach Phylangan zurückkehrte. Der Elfenfürst erwartete ihn in dem kleinen Pavillon nahe der Brücke.
Kies knirschte unter den Schritten des Boten. Als er eintrat, kniete er nieder und schlug schwungvoll seinen langen Umhang zurück. Sandowas hatte goldblondes Haar, das von einem silbernen Stirnreif gehalten wurde. Er trug Wildlederstiefel, die ihm bis über die Knie reichten, und ein dunkelgrünes Wams, das mit Perlen bestickt war. Sein roter Umhang hatte einen breiten Goldsaum.
Etwas zu üppig, dachte Landoran beiläufig, als er den jungen Elf betrachtete. Auch das Schwert und den Dolch, deren Handschutz einer Muschel nachempfunden war, erachtete er als zu protzig. Doch wie so vieles war wohl auch der Geschmack eine Frage des Alters. Kurz überlegte der Elfenfürst, ob Sandowas wohl der Richtige für die Mission im Herzland gewesen war. Auf der anderen Seite war sie sehr einfach gewesen. Und auch die Jungen mussten irgendwann damit beginnen, Erfahrungen zu sammeln.
»Was hast du mir zu berichten?«, fragte Landoran, ohne sich mit langen Willkommensfloskeln aufzuhalten. »Aus dem Herzland dürfen wir keine Unterstützung erwarten. Solange nichts über den Aufenthalt der Königin bekannt ist, regiert Meister Alvias. Er befürchtet einen Angriff auf die Burg. Deshalb kann er niemanden entbehren.«
»Weiß er denn nicht, dass die Flotte der Trolle nach Norden segelt?«, fragte der Fürst ärgerlich.
Sandowas breitete hilflos die Hände aus. »Er weiß es sehr wohl. Hunderte Flüchtlinge sind über die Albenpfade ins Herzland gekommen, kurz bevor Reilimee fiel. Die Seegarde hat sich bis auf den letzten Mann geopfert, um so lange wie möglich den Weg zum Tor im Muschelturm offen zu halten. Die Trolle haben in Reilimee noch schlimmer gewütet als in Vahan Calyd. Nur wer es zum Muschelturm schaffte, ist ihrem Blutdurst entgangen.«
»Ist Meister Alvias denn nicht klar, dass wir uns mit aller Kraft gegen die Flut dieser Ungeheuer stemmen müssen? Wenn wir jeder für uns allein kämpfen, dann werden wir alle untergehen. Nur vereint können wir Branbart und seine Mordbrenner besiegen und wieder aus Albenmark vertreiben.«
Sandowas erlaubte es sich unpassenderweise zu lächeln. »Der Hofmeister der Königin verlangte von mir, dass ich dir ausrichte, wir sollten all unsere Krieger zu seiner Verstärkung schicken. Er meint, da die Trolle nun in der Lage seien, selbst an Bord von Schiffen die Albenpfade zu passieren, sage die Richtung, in die sie segeln, gar nichts mehr aus. Sie könnten jederzeit überall erscheinen. Und er ist fest davon überzeugt, ihr nächstes Ziel werde Emerelles Burg sein.«
Ärgerlicherweise war diese Argumentation nicht ganz von der Hand zu weisen, dachte Landoran. Besorgt sah der Fürst zur Mandan Falah. Noch immer arbeiteten die Felsformer an dem mächtigen Festungsturm, der das Ende der Brücke sichern sollte. Das Bauwerk zerstörte die Harmonie der Himmelshalle. Schon jetzt war der Turm fast zwanzig Schritte hoch. Zweihundert Bogen- und Armbrustschützen sollten seine Besatzung sein. Wenn die Trolle es tatsächlich wagten, durch den Albenstern der Mandan Falah zu treten, dann würde ihnen ein Sturm von Pfeilen entgegenschlagen. Die Brücke sollte rot von ihrem Blut sein. In Strömen würde es die schneeweißen Pfeiler hinabrinnen.
Landoran seufzte. Vielleicht war auch alles vergebens. Er blickte hinab zu den hunderten von Kobolden, die die Gärten der Himmelshalle bewässerten. Unter der Höhlendecke hatten sich dunkle Wolken gesammelt. Es war so schwül wie in den Mangroven bei Vahan Calyd. Nicht einmal die Kraft des Albensteins hatte eine Wende gebracht.
Sandowas räusperte sich leise.
»Ja?«
»Ist es mir erlaubt, eine Frage zu stellen, mein Fürst?«
Landoran lächelte amüsiert. »Nachdem du mir nun schon eine erste Frage gestellt hast, ohne meine Erlaubnis abzuwarten, sei dir auch eine zweite gewährt.«
Der Gesandte errötete. »Ich ... Was ist mit den übrigen Völkern? Wer wird uns Hilfe schicken?«
»Die Kentauren haben den alten Bund zwischen uns nicht vergessen. Aber wie hilfreich sind Pferdemänner schon bei der Verteidigung einer Festung? Vielleicht werden uns auch einige Maurawan helfen. Doch weiß man nie, was ihnen durch den Kopf geht oder wem sie sich verbunden fühlen. Das Heer der Menschen wird bald Phylangan erreichen. Auf weitere Verbündete brauchen wir nicht zu hoffen.«
»Aber all die Brudervölker? Sie können doch nicht ...«
»Auch Branbart hat Gesandte geschickt«, unterbrach der Fürst den jungen Elfen. »Die Trolle haben sich sehr verändert, seit wir sie aus Albenmark vertrieben haben. Alle Grausamkeiten in Vahan Calyd und Reilimee hat Branbart sehr bewusst begangen. Es war sein Ansinnen, die Saat der Angst zu säen. Und sie hat überreichlich Früchte getragen. Seine Gesandten versprechen, dass sich außer uns, Normirga und Emerelle niemand vor dem Zorn der Trolle fürchten müsse. Wer immer aber die Königin und ihre Sippe unterstützt, dem wird es ergehen wie unseren Brüdern in Reilimee.« Landoran verzog die Lippen zu einem spöttischen Lächeln. »Einige unserer Elfenbrüder hatten immerhin den Anstand, sich hinter der Lüge zu verschanzen, dass keine Entscheidung getroffen werden könne, bis nicht über die Nachfolge ihrer toten Fürsten entschieden sei. Andere waren so offen zu sagen, dass sie nicht für die Fehden Emerelles und unseres Volkes bluten wollen. Wir werden Phylangan also allein mithilfe der Menschen und Kentauren halten müssen. Wir sind das letzte Aufgebot.«
»Können wir denn siegen, mein Fürst?«
Landoran lachte. »Dies ist die stärkste Festung des Nordens. So zahlreich die Trolle auch sein mögen, es kommen nur vier von ihnen auf einen Krieger von uns.«
Sandowas erbleichte. Offenbar stellte er sich gerade vor, wie er sich im Kampf gegen vier Trolle schlagen würde.
»Uns hilft die Stärke unserer Mauern, Junge. Wahrscheinlich werden die Trolle nicht einmal bis zum Schneehafen vordringen. Außerdem weiß jeder von uns, dass Carandamon so gut wie schutzlos sein wird, wenn Phylangan fällt. Branbart hat geschworen, unser Volk zu vernichten. Das hätte er nicht tun sollen. Jeder, der hier kämpft, weiß, dass es kein Zurück gibt. Der steinerne Garten wird nicht fallen!«
»Wo wird mein Schwert gebraucht?«, fragte der junge Gesandte trotzig.
»Melde dich im Schneehafen. Dort werden die Vorbereitungen zur Verteidigung organisiert. Du darfst nun gehen, Sandowas.«
Der junge Elf verneigte sich noch einmal kurz, dann eilte er davon.
Landoran blickte zu den dunklen Wolken unter der Decke der Himmelshalle und dachte daran, um wie viel unerbittlicher die Kraft war, gegen die Lyndwyn ankämpfte. Am Ende würde es vielleicht sie allein sein, die darüber entschied, ob Phylangan vernichtet wurde.