Leidenschaft

Ollowain trat in blendendes Weiß. Sanft glitt die stoffbespannte Tür hinter ihm zu. Das Gemach, das man ihm in der Felsenburg zugewiesen hatte, verwirrte das Auge. Alles hier war weiß. Die Wände, das große Lager. Selbst die Bannsteine, die in den Fels eingelassen waren, spendeten weißes Licht. Sie waren so geschickt angebracht, dass er keinen Schatten warf.

Im ganzen Raum gab es keine scharfen Kanten. Die Wände gingen in sanftem Schwung in die Decken über. Das Bett war ein langes Oval. Selbst die Tür, durch die Ollowain eingetreten war, war rund. Das milchig weiße Licht trug dazu bei, die Konturen zu verwischen.

Der Schwertmeister hörte gleichmäßig Wasser plätschern. Müde sah er sich um. Sein Gemach war groß, und es war offensichtlich ganz darauf angelegt, die Sinne zu verwirren. Er schnallte seinen Schwertgurt ab und legte ihn auf sein Lager. Dann sah er sich aufmerksam um. Es dauerte eine Weile, bis er einen weißen Vorhang in einer Wandnische fand. Dahinter lag ein Bad. Auch dieser Raum war ganz in Weiß gehalten. Auf dem Wasser trieben Lotusblüten und Rosenblätter. Das Becken war in den Fels eingelassen und schien nicht sehr tief zu sein. Blasser Dampf stieg vom Wasser auf und strich Ollowain sanft über das Gesicht. Der Grund des Beckens war unregelmäßig gestaltet und forderte dazu auf, sich lang hinzustrecken. Neben dem Bassin stand ein niedriger, marmorner Massagetisch. Eine mit Leder gepolsterte ovale Öffnung lud dazu ein, den Kopf hineinzubetten. Die feuchtwarme Luft des Bades war vom Geruch exotischer Blüten geschwängert. Der Duft machte träge und schläfrig.

Ollowain kehrte zu dem Lager zurück. Er streifte die grob gewobenen Kleider ab, die ihm Alfadas geschenkt hatte, und streckte sich auf der Decke aus Schneehasenfellen aus. Wunderbar zart streichelten die Pelze seine Haut.

Nach dem Treffen im Pavillon hatte Landoran darauf bestanden, sie vor den Rat der Ältesten zu führen. Auch diese hatten ohne Umschweife zugestimmt, als es darum ging, Lyndwyn die Befehlsgewalt über Phylangan zu übertragen. Dieses Übermaß an Vertrauen passte so gar nicht zu seinem Volk, dachte Ollowain. Nie zuvor hatten sie sich jemandem unterworfen. Sie lehnten es auch seit Jahrhunderten ab, zum Fest der Lichter zu kommen, um dort Emerelle als Königin zu huldigen. Und nun beugten sie sich dem vermeintlichen Befehl der Herrscherin. Etwas stimmte hier nicht!

Selbst darüber, ein kleines Heer aus der Welt der Menschen als Waffenbrüder im Kampf gegen die Trolle zu dulden, war nicht lange polemisiert worden. In der Debatte war es allein um Nebensächlichkeiten gegangen wie etwa, was Menschen denn aßen oder wie man genügend Amulette aufbieten könnte, um sie vor der tödlichen Kälte der Snaiwamark zu schützen. Allerdings hatte Landoran es rundheraus abgelehnt, dass die Fjordländer Phylangan durch den Albenstern in der Himmelshalle betraten. Er wollte, dass sie ein Tor, etwa dreihundert Meilen entfernt, in den Ausläufern der Slanga-Berge nutzten. Ein kleiner Trupp Elfen sollte sie dort erwarten und hinauf auf die Eisebene führen, von wo aus sie nach Phylangan segeln würden. Landoran erläuterte, es sei klüger, wenn die Menschen zunächst nur wenige Elfen sahen, um sich an sie zu gewöhnen. Und sie sollten das Land kennen lernen, in dem sie Krieg führen würden. Auch wollte man versuchen, sich schon auf der Eisebene mit den Kentauren zu vereinen. All dies klang sinnvoll, und doch hatte Ollowain das Gefühl, dass der Fürst nur Vorwände suchte, um sie möglichst lange von Phylangan fern zu halten. Und der ganze Rat hatte Lyndwyn hofiert. Immer wieder musste sie den Albenstein zeigen. Und sie hatte drei oder vier Mal die erlogene Geschichte erzählt, wie Emerelle ihr den Stein anvertraut hatte. Waren sie alle blind? Oder vertrauten sie Lyndwyn, weil sie mit ihm gekommen war, dem aufrichtigen Krieger? Wieder und wieder kreisten seine Gedanken um diese Fragen.

Etwas drückte sanft auf seine Schläfen. Er war eingeschlafen. Hände legten sich zärtlich auf seine Wangen, glitten in seinen Nacken und begannen die verspannten Muskeln zu kneten.

Ollowain schlug die Augen auf. Über ihn beugte sich ein blasses Frauengesicht. Die Iris ihrer Augen war rot wie Blut. Das Haar streng zurückgesteckt, schneeweiß. Auch ihre Haut war von makellosem Weiß, sah man von den dünnen blauen Adern ab, die sich darunter abzeichneten. Ollowain hatte die Elfe noch nie zuvor gesehen. »Wer bist du?«

»Lysilla, aus dem Volk der Normirga«, sagte sie ruhig, während sie weiter seinen Nacken massierte. Träumte er noch? Ollowain sah sich unsicher um. Die weiße Kammer war wie für ihn geschaffen. Zu vollkommen, um Wirklichkeit zu sein? Obwohl ... Landoran wusste vielleicht noch, mit welcher Besessenheit er als Kind die Farbe Weiß verehrt hatte. Eine Zeit lang wollte er sogar nur weiße Nahrung zu sich nehmen.

Ollowain spannte den Nacken, um Lysilla, die hinter ihm stand, besser sehen zu können. Sie trug ein enges, blütenweißes Wickelkleid. Er musste lächeln. Das war ein Traum!

»Du willst mich also ansehen. Verspann dich nicht! Sag etwas!« Lysilla trat seitlich ans Bett. Ihre Hände legten sich angenehm wann auf seine Brust. Kurz presste sie seine Brustwarzen zwischen Daumen und Zeigefinger. Ein wohlig-warmes Schaudern durchlief Ollowain. Schon griffen ihre Hände nach seinem Hals. War das doch kein Traum?

»Wer schickt dich?«

»Niemand. Sie haben von dir erzählt, Ollowain. Aber niemand schickt mich.« Ihre Hände strichen über seine Augen.

»Sieh mich nicht an. Sieh gar nichts an! Fühle nur. Solange du die Augen aufhältst, kannst du nicht frei sein.«

Ollowain gehorchte ihr zögernd. Lysillas Hände glitten wieder in seinen Nacken. Sie waren kräftig. Auf ihrer rechten Hand spürte er Schwielen. Die Haut ihrer Linken war weich. Er wusste, was das bedeutete. Er kannte nur eine Art von Arbeit, die allein der rechten Hand Schwielen einbrachte. Ollowain schlug die Augen auf und wollte sich aufsetzen, doch Lysilla drückte ihn zurück.

»Du bist Kriegerin, nicht wahr? Schwertkämpferin.« Sie lachte. »Ich wäre nicht so vermessen, mich so zu nennen. Im Schwertkampf bin ich Schülerin. In dem, was ich gerade tue, bin ich besser, jedenfalls wenn man sich an meine Anweisungen hält.«

»Warum soll ich die Augen schließen?«, fragte Ollowain misstrauisch.

»Du wirst dich dann besser entspannen können. Und selbst die höflichen Lügner können es nicht wirklich lange ertragen, mir ins Antlitz zu sehen. Meine Augen ... Sie beunruhigen die anderen. Etwas anderes zu sagen, ist höflicher Unsinn.«

Sie hatte Recht. Die dunkelrote Iris ihrer Augen war unheimlich. Ihr Blick eindringlich, abschätzend ... sinnlich? »Warum tust du das?«

Ihre Finger strichen über seine Lippen. »Frag nicht. Willst du etwas Wunderschönes erleben? Ein oder zwei vollkommene Stunden? Dann frag nicht.«

»Aber ...«

»Vertrau mir. Worte zerstören die Schönheit des Augenblicks.« Sie nahm seine Hand. »Steh auf. Komm mit mir.« Lysilla ging hinüber in das Badegemach. Auf dem Boden standen Kristallfläschchen, die eben noch nicht dort gewesen waren. Noch immer lag der berauschend fremde Geruch in der feuchtwarmen Luft. Sie deutete auf die Steinbank. »Leg dich dorthin. Es wird dir gefallen.«

Ollowain gehorchte. Er war neugierig. Nie zuvor hatte er jemanden wie Lysilla getroffen.

Der Stein des Marmortischs war erstaunlich warm. Er bettete sein Gesicht auf das Lederpolster. Etwas Öliges troff auf seinen Rücken. Dann waren da wieder ihre Hände. Kraftvoll und zärtlich. Geschickt massierte sie die verspannten Muskeln seines Nackens. Ihre Hände glitten seinen Rücken hinab. Sie beugte sich vor. Lysillas Leib berührte ihn. Sie trug kein Kleid mehr!

»Dreh dich um«, hauchte sie sanft.

Eine Strähne ihres Haars hatte sich gelöst und fiel ihr über die Schulter. Lysilla hatte kleine Brüste wie eine Kriegerin. Die Muskeln ihres rechten Arms waren stärker ausgeprägt. Was tat er? Er betrachtete sie mit den Augen eines Schwertkampflehrers.

Lysilla beugte sich wieder vor. Sie hob den Gürtel ihres Kleides auf. »Lass mich deine Augen verbinden, sonst kann der Zauber nicht gelingen.« Sie lächelte geheimnisvoll. »Hör auf zu denken. Fühle einfach nur noch.«

Ollowain ließ es geschehen. Sie legte den Stoff des Gürtels doppelt und zog die Augenbinde straff an. »Lausche auf das Rauschen des Wassers.« Lysilla legte ihm eine Hand auf die Brust, die zweite unter den Nacken, dann drückte sie ihn sanft nach hinten. Öl troff auf seine Brust. Ihre Finger spielten mit seinen Brustwarzen. Dann waren sie zwischen seinen Schenkeln. Sie umschloss seine Hoden. Ihr Griff wurde fester, bis ein süßer Schmerz ihn aufstöhnen ließ.

Ollowain fühlte sich schwindelig, obwohl er lag. Nun tasteten ihre Hände über seinen Bauch. Er bäumte sich auf, stöhnte. Es war, als zeichne sie Spuren aus Flammen auf seine Haut. Er wollte, dass ihre Finger wieder tiefer glitten. Und zugleich wollte er nicht, dass sie aufhörte mit dem, was sie gerade tat. Lysillas Haut fühlte sich weicher an. Das musste das Öl sein.

»Komm ins Wasser, ich führe dich.« Sie griff nach seiner Hand.

Willig setzte er sich auf. Sie nahm seine zweite Hand. Er ließ sich vom Marmortisch rutschen. Der Steinboden war kühl. Das Schwindelgefühl wurde stärker. Sich so völlig anzuvertrauen, war ein neues Gefühl für ihn. Unter den Wohlgerüchen, die dem Wasser entstiegen, musste ein Rauschmittel sein, vermutete er.

»Vorsicht, jetzt kommt eine Stufe.«

Ollowain lachte verlegen. Er war nicht mehr Herr seiner Sinne. Lysillas Stimme erklang neben ihm. Dabei ging sie doch vor ihm! Sie hielt ihn noch immer mit beiden Händen.

Schmeichlerisch warmes Wasser umfasste seine Knöchel. Sich behutsam mit den Füßen vortastend, stieg er tiefer in das Becken, bis ihm das Wasser bis über die Hüften reichte.

Lysilla zog ihn zu sich heran. Ihre Brüste drückten sich gegen ihn. Ollowain spürte ihre Erregung. Die Schenkel der Elfe umklammerten seine Hüften. Ihre Lippen fanden einander. Er überschüttete sie mit leidenschaftlichen Küssen. Ollowain grub seine Zähne in das weiche Fleisch ihres Nackens, liebkoste ihre Brüste, tauchte unter und erkundete mit seiner Zunge verborgenste Winkel. Lysilla zog ihn hinüber in seichteres Wasser. Ihr Liebesspiel wurde wilder. Wie kämpfende Wildkatzen fielen sie übereinander her. Ollowain widerstand der Versuchung, die Augenbinde abzunehmen. Obwohl sie längst von Wasser durchtränkt war, verbarg sie noch immer seine leidenschaftliche Gespielin vor seinen Blicken. Nie zuvor hatte er so etwas getan. In all den Jahrhunderten seines Lebens! Was hatte er versäumt! Und nie zuvor hatte er sich einer Elfe, die er erst eine Stunde kannte, hingegeben.

Seine bisherigen Liebesaffären waren stets ein langsames Herantasten gewesen. Eine scheue Suche nach Beweisen dafür, dass seine Zuneigung erwidert wurde, immer bereit, sich in jedem Augenblick in die trügerische Sicherheit der Einsamkeit zurückzuziehen.

Lysillas Leib erzitterte. Sie stieß ein langes, wollüstiges Stöhnen aus. Ihr Atem strich über sein Gesicht. Dann plötzlich biss sie ihm in die Unterlippe. Der metallische Geschmack von Blut füllte seinen Mund.

Ollowain bäumte sich auf. Lysillas Hände liebkosten seine Brust. Kein Wort hatten sie gesprochen, seit sie ins Wasser gestiegen waren. Die Sprache der Leidenschaft allein vermochte auszudrücken, was kein Wort hätte sagen können.

Lysillas Biss hatte Ollowain erschreckt und ihn doch noch weiter in Ekstase getrieben. Ihre Hände schienen jetzt überall zu sein. Sie diktierte ihm den Rhythmus ihrer Liebe, und er genoss es. Ollowain zögerte den Augenblick hinaus ... Den kurzen Moment des Verfließens.

Ganz gleich, wo ihre Finger über seine Haut glitten, er antwortete mit einem Erschaudern. Sein Leib schien ganz ihr zu gehören. Sie ließ ihn aufjauchzen oder sehnsüchtig nach der nächsten Berührung hungern. Und dann gab sie ihn frei, beendete die süße Folter. Er schrie auf, wieder und wieder. Bäumte sich auf und umklammerte sie. Ineinander verschlungen saßen sie im Wasser. Zu erschöpft zu neuer Leidenschaft. Ihre Hände streichelten seinen Rücken, so wie man es bei einem Kind tat, das man umarmte und trösten wollte.

Der Zauber war verflogen. Ihre Berührung setzte seinen Leib nicht mehr in Flammen. Sie war angenehm. Beruhigend. Langsam fand er zu seinem Verstand zurück. Eine warnende Stimme durchdrang den verebbenden Sog der Lust. Etwas stimmte nicht. Hatte die ganze Zeit über nicht gestimmt. Lysillas rechte Hand. Dort waren keine Schwielen mehr!

Erschrocken griff Ollowain nach der Binde und riss sie herab. Durch das Gitterwerk nasser, schwarzer Haarsträhnen sahen ihn lindgrüne Augen mit goldenen Sprenkeln an. Lyndwyns Augen!

»Das war der einzige Weg«, sagte sie leise. »Wir wären uns nie näher als auf der Brücke gekommen, als wir einander in die Augen sahen. Dein Verstand hätte dein Herz zum Schweigen gebracht.«

Ollowain konnte immer noch nicht fassen, was geschehen war. »Lysilla, wie ...«

»Sie fand es ... interessant. Landoran hatte beschlossen, sie dir zu schicken. Sie sollte dich massieren und ... aufmuntern. Das waren seine Worte. Er sagte etwas davon, dass du ganz versessen auf alles bist, das die Farbe des Schnees hat. Deshalb Lysilla. Landoran scheint dich sehr gut zu kennen ... Er weiß alles über dich. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass Lysilla dich ...« Sie stockte.

»Für sie wäre es nur ein Spiel gewesen. Sie findet dich eben interessant. Ich ... Ich habe sie überredet ...«

Ollowain fühlte sich, als wäre er nackt in einen Schneesturm geraten. Obwohl es drückend warm war, schlang er die Arme um die Brust. Er konnte nicht glauben, was geschehen war. Und dass er es nicht bemerkt hatte! Was war nur mit ihm los?

»Womit hast du Lysilla überredet?«, fragte er leise, zu verletzt, um barsch oder gar ausfallend zu werden.

»Sie wollen etwas von mir. Ich darf nicht darüber sprechen. Es ist kein Verrat. Ein Geheimnis ...«

»Was?«

Lyndwyn erhob sich. »Ich darf es dir nicht sagen.« Sie strich sich das nasse Haar aus dem Gesicht. »Ich bereue es nicht, Ollowain. Es war richtig. Wenn du auf dein Herz hören könntest, dann wüsstest du es auch.«

»Was? Dass ich eine Verräterin und Diebin begehre? Du hast den größten Schatz unseres Volkes gestohlen! Und heute haben dich deine Lügen zur Herrin von Phylangan gemacht und mich...« Er fand keine Worte. Sie hatte ihn sich einfach genommen, so wie den Albenstein.

»Emerelle wäre noch in Vahan Calyd gestorben, wenn ich die Macht des Steins nicht genutzt hätte. Ich war zu schwach, um sie allein mit meiner Kraft zu heilen. Ich habe es versucht! Es hat mich fast umgebracht. Du hast es doch gesehen! Der Zauber mit dem Lichtvogel hatte meine Kräfte erschöpft. Was glaubst du, wie ich euch alle heilen konnte ...«

»Mich hast du mit einem Dolchstoß in die Kehle geheilt. Was sollte das? Waren auch die Kräfte des Albensteins erschöpft, als die Reihe an mir war?«

Sie schüttelte den Kopf. Tränen standen in ihren Augen.

»Wenn ich jemanden auf magische Weise heile, der mit dem Tod ringt, dann greife ich nach seinem Innersten. Ich teile seine Schmerzen, und manchmal erschließt sich mir seine Seele. Danach hatte ich mich gesehnt ... Aber es sollte nicht auf diese Weise geschehen. Dich zu kennen, sollte dein Geschenk an mich sein.«

»Schöne Worte«, sagte Ollowain bitter. »Ich wünschte nur, sie wären nicht von einer Diebin gesprochen. Wie sollte ich dir glauben, nachdem du mich auf diese Weise erobert hast?«

Sie senkte den Kopf. »Ja, wie solltest du mir glauben, mein weißer Ritter. Mein Vater hat mir die Geschichte von der Shalyn Falah erzählt. Wie du gegen die Trolle gekämpft und wie du dich geweigert hast, ihre Fürsten zu ermorden. Er hatte tiefen Respekt vor dir.«

»Natürlich«, schnaubte Ollowain. »Deine Familie schätzt jeden, der sich der Königin widersetzt.«

»Das war noch, bevor die Fehde mit Emerelle begann. Und so sehr ich sie verachtet habe, so sehr habe ich dich immer bewundert. Ich habe es vermieden, dir jemals zu begegnen, um meine Mädchenträume von dem weißen Ritter der Shalyn Falah zu behalten. Erst in Vahan Calyd habe ich dich gesehen. Ich war im Gedränge, auf der Straße, als man auf Emerelle geschossen hat. Und ich habe mitbekommen, wie du die Königin mit deinem Leib geschützt hast. In diesem Augenblick wusste ich, dass du tatsächlich so warst wie in meinen Träumen. Und ich konnte nicht mehr tun, worum mein Großvater mich gebeten hatte. Du musstest dir nie Sorgen machen, dass ich dich nach Arkadien entführen würde, wenn wir über die Albenpfade gingen. Ich kann dorthin nicht mehr zurück! Emerelle sollte sterben, nachdem sie sich gekrönt hatte. Und mein Lichtvogel sollte das Achterdeck so ausleuchten, dass mein Bruder sie nicht verfehlen konnte. Und wäre dies doch geschehen, hätte ich sie töten sollen. Aber ... Ich konnte es nicht mehr, nachdem ich dich gesehen hatte. Ich habe mich so vor die Königin gestellt, dass mein Leib sie vor dem Pfeil meines Bruders abschirmte. Und ich habe den Lichtvogel hinaus auf die See fliegen lassen. Es war kein Signal an die Trolle und ihre Schiffe. Versteh mich nicht falsch, ich habe Emerelle noch immer verachtet. Aber ich konnte mich nicht unter deinen Augen an ihrer Ermordung beteiligen. Ich...« Sie lachte. »So kindisch es ist... Nachdem du wirklich so warst, wie ich es mir immer vorgestellt hatte, wollte ich dir gefallen. Um jeden Preis. Ich wollte die deine sein.«

Ollowain sah sie fassungslos an. Konnte er ihr jetzt glauben? Er hatte mit seinem Misstrauen also die ganze Zeit Recht gehabt. Und zugleich hatte er sich geirrt. »Ich sollte dich nicht noch einmal in die Nähe Emerelles lassen.«

»Das musst du entscheiden. Als ich sie geheilt habe, bin ich ihrer Seele sehr nahe gewesen. Sie ist schrecklich, Ollowain.« Sie schauderte, und der Schwertmeister hatte einen Augenblick lang das Gefühl, als habe ein Schatten ihre Seele berührt. Lyndwyn war eine Intrigantin, und er traute ihren allzu kindlichen Liebesschwüren nicht, aber die Begegnung mit Emerelles Seele schien ihr wirklich Angst gemacht zu haben.

»Du kennst die Herrin nicht, der du dienst«, fuhr die Magierin fort. »Sie ist wahrlich eine Normirga. Jede Ethik oder Moral unterwirft sie einem einzigen Gedanken: Sie will Albenmark beschützen. Irgendwo jenseits der Albenpfade versteckt sich ein schrecklicher Feind, der selbst Emerelle Angst macht. Ihr Denken ist so sehr darauf ausgerichtet, ihn zu besiegen, dass sie jedes Opfer für dieses Ziel erbringt. Sie wusste, das Vahan Calyd angegriffen würde. Sie wusste auch, dass sie sehr schwer verletzt werden würde. Sie hat all dies in Kauf genommen, damit die Pfade, die in die Zukunft führen, nicht durcheinander geraten. Denn ob wir einst den alten Feind besiegen oder ob Albenmark vollkommen zerstört werden wird, hängt vom Leben einiger weniger ab. Und davon, wie der Krieg gegen die Trolle verläuft. Emerelle wollte, dass die Trolle in Vahan Calyd siegen.«

Sie hielt inne und sah ihn direkt an. Ollowain schluckte. »Sie hat die Stadt geopfert und damit tausende Albenkinder! Ich habe sie geheilt. Ihr Körper weist keine Wunde mehr auf. Aber ihre Seele ist ein Hort unendlicher Qualen. Es gibt nur einen Grund, warum sie nicht erwacht: Sie flüchtet vor dem, was sie getan hat!«

Nun schüttelte Ollowain entschieden den Kopf. »Das sind die Lügen einer Diebin und Mörderin!« Lyndwyn sah ihn lange an. Ihre Augen waren wunderschön. Sie schienen so unschuldig.

»Ich weiß, dass du mich als Verräterin sehen musst, um weiterhin der weiße Ritter von der Shalyn Falah zu sein.« Sie erhob sich und watete durch das seichte Becken.

Ihr Anblick erregte ihn. »Wohin gehst du?«, fragte Ollowain gereizt.

»Ich werde nun meinen Preis für das eine Mal zahlen, dass ich dich wirklich getäuscht habe. Du weißt ja, man sagt: Leidenschaft ist das, was Leiden schafft. Lebe wohl, mein weißer Ritter.« Sie trat durch die Tür und verließ das Bad.

Ollowain betrachtete die Augenbinde, die vor ihm im Wasser trieb. Er fühlte sich immer noch blind. Unfähig zu sagen, was Trug und was Wirklichkeit war. Hatte sie ihn belogen? Hatte Emerelle von dem Angriff der Trolle auf Vahan Calyd gewusst? Die seltsame Sänfte schien Lyndwyns Worte zu bestätigen. Zumindest schien Emerelle gewusst zu haben, dass sie in dieser Nacht fliehen musste und ein Boot brauchen würde. Auch wenn er ihre Beweggründe im Augenblick nicht verstehen konnte, war er sich gewiss, dass Emerelle stets nur zum besten Albenmarks handeln würde.

»Lyndwyn?«

Er bekam keine Antwort. Sie hatte wohl Recht. Sehenden Auges hätte er sich niemals auf eine Affäre mit ihr eingelassen. Es hatte sich alles so richtig angefühlt. So vollkommen ... Nie zuvor hatte er so leidenschaftlich eine Frau geliebt. Und auch ihre Leidenschaft schien nicht vorgetäuscht gewesen zu sein. Stimmte ihre Geschichte? Immer wieder gingen ihm ihre Worte durch den Sinn: Leidenschaft ist das, was Leiden schafft.

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