Die Wälle von Honnigsvald

»Das Holz ist so morsch, dass ich meinen Daumen hineindrücken könnte, wenn es nicht gefroren wäre. Du darfst nicht hier bleiben!«, sagte der Fährmann beschwörend. »Hinter diesen Wällen ist man nicht in Sicherheit.«

Asla seufzte. Zwei schrecklich lange Tage auf dem Eis hatte der Gedanke an die Stadt mit den palisadengekrönten Erdwällen ihr die Kraft gegeben durchzuhalten. Und nun, da sie noch keinen halben Tag in Honnigsvald waren, war alle Hoffnung schon wieder dahin. Kodran, der Fährmann, war am späten Nachmittag zu Asla gekommen. Er hatte sich als ein Freund ihres Mannes ausgegeben, und er hatte ihr keine Ruhe gelassen, bis sie schließlich eingewilligt hatte, mit ihm hinauf auf die Verteidigungswälle zu steigen.

Asla blickte zu Kalf. Sein Gesicht war noch immer mit Schorf bedeckt. Tausendmal hatte sie den Göttern gedankt, dass der Fischer seinen Sturz am Hartungskliff so gut überstanden hatte. Es war wie ein Wunder! Kalf zog sein Fischmesser aus dem Stiefel und kratzte am Holz. Er fluchte leise. »Kodran hat Recht. Bei ihrer Größe müssen die Trolle stark wie Bären sein. Diese morsche Palisade wird sie nicht aufhalten. Wir müssen weiter!«

Wütend trat Asla gegen einen der Stämme. Sie hatte sich so sicher gefühlt in der großen Stadt! Wie zum Hohn trotzte ihr die Palisade. Ihr tat der Fuß weh. Sie war eben kein Troll.

»Wir können nicht so weiterziehen«, sagte sie entmutigt. »Wir brauchen mehr Schlitten.« Sie blickte zu dem großen Fährmann auf. »Bring mich zu dem Kerl, der meinem Mann das Fuhrwerk aufgeschwatzt hat.«

»Ich glaube nicht, dass er uns helfen wird«, wandte Kodran zögerlich ein. »Wir sollten besser gleich die Stadt verlassen, statt uns mit Sigvald aufzuhalten. Er ist ein übler Geschäftemacher.«

»Dann werde ich eben Geschäfte mit ihm machen! Wir haben keine Wahl. Es sind zu viele Alte und Kinder bei uns, und da ist...« Asla räusperte sich. Fast hätte sie von der Königin gesprochen. Emerelle lag in der großen Kutsche. Doch davon sollte hier in der Stadt niemand etwas wissen. »Bring mich zu diesem Sigvald. Sofort!«

Kodran fügte sich und führte sie durch die überfüllten Straßen zum Ufer des Fjords. Die ganze Stadt war voller Flüchtlinge. Man hatte weithin im Umland die Rauchsäule sehen können, die über Firnstayn aufgestiegen war. Fischer und Bauern waren mit ihren Familien und ihrem Vieh in die trügerische Sicherheit der Stadt geflohen. Asla fluchte stumm. Sie musste diese Menschen warnen! Aber zuerst musste sie Sigvald sprechen. Der Wagenbauer arbeitete in seiner Werkstatt, als würde ihn aller Trubel in der Stadt nicht das Mindeste angehen. Er hatte eisgraues Haar, das streng aus dem Gesicht zurückgekämmt war. Asla bemerkte, wie der Handwerker ihren roten Mantel musterte und entschied, dass sie wohl reich sein musste. »Womit kann ich dienen?«

»Wie viele Schlitten hast du?«

Die Frage schien ihn leicht zu verunsichern. »An was für eine Art Schlitten hast du denn gedacht, meine Dame?«

»Ich dachte, alle Schlitten zu kaufen, die du besitzt.«

Der Wagner räusperte sich. Dann sah er zu Kodran und Kalf, die Asla begleiteten. Doch keiner von beiden lächelte.

»Das wird sehr teuer ...«, sagte Sigvald schließlich zögerlich.

»Auf meinem Wagen steht ein Kasten voller Gold. Mein Mann ist der Herzog Alfadas. Ich bin keine arme Frau. Das Gold wird dir gehören, wenn du mir bis Mitternacht die Schlitten fertig machst. Möglichst viele sollten hölzerne Aufbauten haben, die vor dem Sturm schützen.« Asla deutete zu Kalf.

»Dieser Mann wird hier bleiben und dich dabei beraten, wie die Schlitten umzubauen sind. Solltest du mehr als fünf Fuhrwerke bringen, zahle ich dir für jedes tausend Silbermünzen als Leihgebühr. Wenn wir in Sicherheit sind, bekommst du die Fuhrwerke zurück und kannst deine Schätze behalten. Aber wir brechen um Mitternacht auf. Auf keinen Fall später! Du wirst uns begleiten, damit du unterwegs Schäden an den Fuhrwerken reparieren kannst.«

»Meine Schlitten sind solide! Es wird keine Schäden geben!«

Asla hob die Brauen. »An wen soll ich das Geld für die geliehenen Fuhrwerke auszahlen lassen? Wenn du hier bleibst, wirst du es nicht mehr in Empfang nehmen können. Ein Trupp Trolle marschiert auf Honnigsvald, und die Wälle dieser Stadt werden sie kaum aufhalten können.«

Der Wagenbauer lächelte. »Trolle. Werte Dame, es gibt in diesem Land keine Trolle. Es sind nur Plünderer ...« Asla war heute schon ein Dutzend Mal und öfter belächelt worden. Sie war es leid.

»Frag Kalf, wie deine Plünderer aussehen. Er ist ihnen begegnet. Aber vielleicht denkst du auch einfach nur nach. Glaubst du, ich würde ein Vermögen ausgeben und aus einer großen Stadt flüchten, wenn wirklich nur ein paar Räuber aus den Bergen den Fjord hinunterkämen?« Mit diesen Worten verließ Asla den Schuppen.

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