Gondoran schwitzte wie ein Schwein. Der Holde strich die Wände des Tunnels glatt und fuhr sich mit fahriger Geste über die Stirn. Die schwere Krone schnitt ihm ins Fleisch.
Obwohl der Herr der Wasser dicke Filzstiefel trug, hatte er das Gefühl, seine Fußsohlen stünden in Flammen. Er war viel zu nah! Die Luft war stickig hier unten, die kleine Laterne, die am Seil über ihm hing, spendete viel zu wenig Licht, und ein paar Fingerbreit unter ihm lauerte der Tod. Welchen besseren Platz hätte er sich aussuchen können, um gegen die Trolle zu kämpfen, dachte er grimmig. Jetzt würde er sogar lieber auf dem Rücken von Orimedes über die weiten Ebenen des Windlands galoppieren oder an einer der Sauforgien der Kentauren teilnehmen. Er hatte sich von Orimedes nicht einmal verabschieden können.
Der Holde bückte sich in dem engen Rohr nach vorn. Fast senkrecht stieg es über ihm in den Felsen. Seine Finger tasteten über den heißen Boden. Eigentlich sollte der weiße Schwammstein die Hitze besser abschirmen. Er musste seinem Ziel schon sehr nahe sein, dachte der Holde. Vorsicht war geboten! Der Holde öffnete seinen Geist für die Kraft der Krone. Dann strich er ein wenig vom Schwammstein zur Seite. Der Boden bebte unter seinen Fingern. Irgendwo weit über ihm erklang ein knirschendes Geräusch im Fels. Staub und kleine Steinsplitter rieselten zu ihm herab. Seit dem Morgen wurde der Berg alle paar Atemzüge von sanften Stößen erschüttert.
Er musste wahnsinnig sein, dachte Gondoran. Niemand kroch durch enge Wassertunnel mitten in einem Berg, wenn jeden Augenblick mit einem Erdstoß zu rechnen war. Aber er lebte ohnehin von geschenkter Zeit. Eigentlich hätte er die Berührung des Stacheltuchs nicht überleben dürfen. Er sollte bei seinen toten Kameraden in den Mangrovensümpfen bei Vahan Calyd liegen. Ein Fürst sollte sein Volk nicht verlassen! Aber dort zu bleiben hätte Verrat an seiner Königin bedeutet.
Gondoran war davon überzeugt, dass er nur deshalb überlebt hatte, weil er noch etwas Bedeutendes vollbringen sollte. Und als er die Fontänen von Wasserdampf aus den hohen Pfeilern in der Himmelshalle hatte steigen sehen, da war ihm klar geworden, wo seine Aufgabe lag. Mit der Waffe in der Hand wäre er nur von geringem Wert im Kampf gegen die Trolle gewesen. Er war ein schlechter Armbrustschütze, und über die Steine seiner Schleuder hätten die Trolle nur gelacht. Dafür verstand er etwas von Wasser in all seinen Formen.
»Beeil dich, Gondoran!« Die Stimme der jungen Elfe wurde in dem engen Wasserrohr vielfach gebrochen und klang hier unten schroff. Fahlyn hatte ihm geholfen, seit der Kriegsrat ihm gestattet hatte, sich um das Wassernetz im Berg zu kümmern.
Es gehörte einiger Mut dazu, durch die engen Tunnel zu kriechen, während der Berg erzitterte. Die junge Elfe war außergewöhnlich tapfer. Gondoran hatte nicht verstanden, was Ollowain gegen Fahlyn hatte. Er duldete sie nicht unter den Verteidigern, obwohl sie zur Leibwache seines Vaters gehörte und gewiss eine gute Kriegerin war. Sie entstammte der uralten Sippe der Farangel.
Der Holde erinnerte sich an seine Kindheit. An die wunderbaren Tage, die er mit seinem Onkel verbracht hatte. Der Alte hatte oft stundenlang erzählt, während sie in einem Nachen durch die friedliche Finsternis der Zisternen von Vahan Calyd gestakt waren. Seine Geschichten hatten von den Normirga gehandelt und wie sie in der Zeit ihrer Flucht zusammen mit den Holden gelebt hatten. Als die Elfen aus dem hohen Norden gekommen waren, waren die Mangrovensümpfe ein Ort gewesen, den außer den Holden kein Volk der Albenkinder zu schätzen gewusst hatte. Erst die Normirga hatten dem dunklen Küstensumpf jene wunderbare Stadt abgerungen, in die dann alle achtundzwanzig Jahre Albenkinder aus allen Himmelsrichtungen pilgerten, um Zeuge zu werden, wie Emerelle, die Bedeutendste unter den Normirga, erneut zur Königin gewählt wurde.
Seit den Tagen, da der Grundstein von Vahan Calyd gelegt worden war, war die Sippe der Farangel mit den Holden eng verbunden. Sie hatte viele Baumeister der Kanäle und Zisternen hervorgebracht. Gondoran war stolz, dass er nach Jahrhunderten der erste Herr der Wasser war, der wieder mit den Farangel zusammenarbeitete. Ein Kreis schloss sich, dachte der Holde.
Gemeinsam hatten sie beide die Pläne der verborgenen Wasserwege studiert. Und beide wussten sie um das Geheimnis Landorans, um das, was tief unter ihren Füßen im Berg geschah. Sie hatten einige der großen Hauptleitungen aus dem Wassernetz genutzt, um heißen Dampf nach draußen zu den Flanken des Berges abzuleiten. So hatten sie die Himmelshalle davor bewahrt, sich ganz mit kochendem Dampf zu füllen. Und ihre Arbeit hatte den Zauberwebern in der Halle des Feuers Erleichterung verschafft, denn sie nahm ein wenig von dem Druck, der sich stetig im Felsen aufbaute.
Wieder fuhr sich Gondoran über die schweißnasse Stirn. Er wusste, wie es oben um die Verteidiger stand. Manchmal konnte er ferne Echos des Kampflärms hören, obwohl er hier am Grund des Steigrohrs fast eine Meile vom Himmelshafen entfernt war. Gestern Abend und bis tief in die Nacht, während die Verteidiger noch ein verzweifeltes Gefecht weiter südlich ausgetragen hatten, hatte er den hellen Fels auf dem letzten Stück des großen Tunnels bearbeitet. Er hatte den Stein weich werden lassen und dann seinen langen Stab hindurchgestoßen, bis zu dem großen Rohr, das sich dort verbarg. Schon Tage zuvor hatte er es vom Wassernetz isoliert und mit anderen Röhren verbunden, die hinab in die Tiefe führten. Jetzt war die Stunde gekommen, in der er kämpfen würde! Er hatte mehr als hundert Verbindungsöffnungen zu dem Hauptrohr geschaffen. Der Fels bebte! Ein Schauer von Steinsplittern prasselte in das Fallrohr.
»Komm, Gondoran! Es ist Zeit«, rief Fahlyn weit über ihm. Ganz schwach hörte er das Echo eines einzelnen Hornsignals.
Der Holde griff nach dem Sicherungsseil und ruckte daran, sodass sie glauben musste, dass er mit dem Aufstieg begann.
»Geh voraus zum Brunnenschacht! Ich werde gleich bei dir sein!«
Es tat ihm Leid, dass ihre Zusammenarbeit mit einer Lüge enden musste. Doch heute war der Tag, an dem das Stundenglas ablief. Die geborgte Zeit war verstrichen. Der Holde blies das Licht in der Laterne aus. Er war froh, dem Stacheltuch entronnen zu sein. Wenn man die Sache großzügig betrachtete, war es wenigstens sein Element, das ihn tötete. Das war angemessen für den Herrn der Wasser.
Er beugte sich vor. Die Kraft der Krone floss in seine Hände. Der Schwammfelsen unter seinen Füßen wurde weich. Er griff nach dem langen Stab, der neben ihm lehnte. Einige Herzschläge wartete er und lauschte. Dann hörte er es! Ein dreifaches Hornsignal. So war es mit Ollowain verabredet.
Gondoran stieß den Stab durch das weiche Gestein. Kochender Wasserdampf schlug ihm entgegen.