60

»Was tust du da, Betty?«, rief Jennsen verzweifelt, unfähig, zu begreifen, was sie mit ihren eigenen Augen sah.

»Das ist Magie«, raunte ihr Schwester Perdita als Antwort auf ihre Frage zu. »Das ist sein Werk.«

War es möglich, daß Richard Rahl sogar ihre Ziege verhext und sie gegen sie aufgehetzt hatte?

Richard machte einen Schritt auf sie zu. Betty und ihre Zwillinge tollten zwischen seinen Beinen umher, ohne sich auch nur im Mindesten einen Begriff von der Auseinandersetzung auf Leben und Tod zu machen, die sich vor ihren Augen abspielte.

»Gebrauche deinen Verstand, Jennsen«, sagte Richard. »Laß dir nichts einreden. Du mußt mir jetzt helfen. Gib den Weg zu Kahlan frei.«

»Töte ihn!«, rief Sebastian ihr entschlossen voller Bosheit zu. »Tu es, Jenn! Seine Magie kann dir nichts anhaben. Tu es!«

Jennsen hob ihr Messer, während Richard sie ganz ruhig musterte. Sie merkte, daß sie langsam, Schritt für Schritt, auf ihn zuging. Wenn sie ihn tötete, würde mit ihm auch seine Magie sterben, und Betty würde sie wiedererkennen.

Jennsen blieb wie angewurzelt stehen. Irgend etwas stimmte nicht. Sie drehte sich zu Sebastian um.

»Woher weißt du das? Woher? Ich habe mit dir nie darüber gesprochen, daß Magie mir nichts anhaben kann.«

»Dir auch nicht?«, rief Oba. Er war näher gekommen. »Dann sind wir beide unbesiegbar! Wir könnten gemeinsam über D’Hara herrschen – aber ich wäre natürlich König, König Oba Rahl. Doch ich will nicht habgierig sein; du könntest vielleicht Prinzessin werden. Ja, ich könnte dich zur Prinzessin machen, vorausgesetzt, du taugst etwas.«

Jennsens Blick ging zurück zu Sebastians überraschtem Gesicht. »Woher weißt du davon?«

»Jenn, ich ... ich dachte nur...«, stammelte er und suchte verzweifelt nach einer Antwort.

»Richard ...« Das war Kahlan; noch immer benommen, kam sie allmählich wieder zu sich. »Wo sind wir, Richard?« Ein Schmerz ließ sie zusammenzucken, und sie schrie plötzlich auf, obwohl niemand sie angefaßt hatte.

Als Richard einen Schritt auf sie zuging, stellte sich Jennsen abermals vor sie und drohte mit ihrem Messer.

»Wenn Ihr sie wollt, müßt Ihr erst Jennsen überwältigen«, rief Schwester Perdita.

Richard musterte sie lange, ohne jede Regung. »Niemals.«

»Ihr habt keine andere Wahl!«, knurrte sie. »Ihr müßt Jennsen töten, denn sonst wird Kahlan sterben!«

»Habt Ihr den Verstand verloren?«, schrie Sebastian die Schwester an.

»Reißt Euch zusammen. Sebastian«, fiel sie ihm barsch ins Wort. »Nur durch Opfer erlangt man sein Seelenheil – das Leben des Einzelnen ist bedeutungslos. Was mit ihr geschieht, zählt nicht – das Einzige, was zählt, ist ihre Selbstaufgabe.«

Sebastian starrte sie an, unfähig, etwas zu erwidern, unfähig, ein Argument für Jennsens Überleben vorzubringen.

»Ihr werdet Jennsen töten müssen!«, wiederholte Schwester Perdita. »Oder ich werde Kahlan töten!«

»Richard ...«, stöhnte Kahlan.

»Kahlan«, sprach Richard beruhigend auf sie ein, »bleib ganz ruhig.«

»Das ist Eure letzte Gelegenheit!«, schrie Schwester Perdita. »Eure letzte Gelegenheit, das kostbare Leben der Mutter Konfessor zu retten, bevor der Hüter sich ihrer annimmt! Halte ihn zurück, Jennsen, während ich seine Gemahlin töte!«

Jennsen war völlig verdutzt, daß die Schwester ihn auf einmal aufforderte, sie zu töten; sie wollte doch den Tod des Lord Rahl. Sie alle wollten Lord Rahls Tod.

Jennsen wußte nur, daß sie allem ein Ende setzen mußte. Seine Magie konnte ihr nichts anhaben; ihr war vollkommen unbegreiflich, woher Sebastian das wußte, trotzdem mußte sie der Geschichte ein Ende machen, jetzt, solange sie noch die Gelegenheit dazu hatte. Aber welche Beweggründe die Schwester für ihr Verhalten hatte, war ihr völlig schleierhaft.

Es sei denn, sie wollte Richard provozieren, seine Magie einzusetzen, ihr seine magischen Kräfte entgegenzuschleudern und ihr dadurch die Möglichkeit zu verschaffen, die sie letzten Endes brauchte.

Das mußte es sein, Jennsen wagte nicht, noch länger zu warten.

Mit einem wütenden Aufschrei, in dem sich ein ganzes Leben voller Haß entlud, erfüllt von der quälenden Trauer über die Ermordung ihrer Mutter, von der kolossalen Wut über die Stimme in ihrem Kopf, stürzte sich Jennsen auf Richard.

Sie wußte, daß er ihr seine Magie entgegenschleudern würde, um sich selbst zu retten, daß er seine Magie ihr gegenüber entfesseln würde, wie zuvor bei den tausend Soldaten – und er schockiert wäre, wenn es nicht funktionierte und sie seinen tödlichen Zauber im letzten Augenblick durchbrach, um ihm ihr Messer in sein schändliches Herz zu stoßen. Erst viel zu spät würde er merken, daß sie unbesiegbar war.

Ihre ganze Wut herausschreiend, warf Jennsen sich auf ihn.

Sie erwartete eine gewaltige Explosion, erwartete durch Blitze, Donner, Rauch zu fliegen, doch nichts dergleichen geschah. Er packte ihr Handgelenk mit seiner Hand – einfach so. Er benutzte keine Magie, sprach keinen Bann, beschwor keine Zauberkräfte herauf.

Gegen Muskelkraft war Jennsen nicht gefeit, und davon besaß er reichlich.

»So beruhige dich doch«, meinte Richard.

Sie wehrte sich nach Leibeskräften; während sie sich austobte und mit ihrer freien Hand auf seine Brust eindrosch, hatte er ihre Messerhand sicher im Griff. Er hätte sie mit bloßen Händen in Stücke brechen können, ließ sie statt dessen aber schreien und auf ihn einprügeln, bis sie sich schließlich losriß und, von allen anderen umringt, mit erhobenem Messer keuchend dastand, während ihr Tränen der Wut und des Hasses über die Wangen liefen.

»Töte sie, oder Kahlan stirbt!«, kreischte Schwester Perdita erneut.

Sebastian stieß die Schwester zurück. »Habt Ihr völlig den Verstand verloren? Sie kann es tun! Er ist nicht mal bewaffnet!«

Richard entnahm einer der Taschen an seinem Gürtel ein kleines Buch und hielt es in die Höhe.

»Doch, das bin ich durchaus!«

»Was soll das heißen?«, fragte Jennsen.

Sein Raubvogelblick fiel auf sie. »Dies ist ein sehr alter Text mit dem Titel Die Säulen der Schöpfung. Er wurde von einigen unserer Vorfahren verfaßt, Jennsen – den Ersten, die das Amt des Lord Rahl bekleideten, den Ersten, die schließlich in vollem Umfang begriffen, was der Urvater ihres Geschlechts, Alric Rahl, unter anderem Schöpfer der Bande, geschaffen hatte. Eine sehr interessante Lektüre.«

»Wahrscheinlich steht dort, daß Ihr mich und meinesgleichen in Eurer Funktion als Lord Rahl töten sollt«, erwiderte Jennsen.

Richard lächelte. »Ganz recht, genau das steht dort.«

»Was?« Sie konnte kaum glauben, daß er es auch noch offen zugab. »Steht das wirklich dort?«

Er nickte. »In diesem Buch wird erklärt, warum alle echten nicht mit der Gabe gesegneten Nachkommen des Lord Rahl – jenes Lord Rahl, der die Gabe der Bande an sein Volk weitergibt – getötet werden müssen.«

»Wußte ich es doch!«, rief Jennsen. »Ihr habt versucht, mich anzulügen. Aber es stimmt doch!«

»Ich habe nicht gesagt, daß ich den Rat befolgen werde. Ich sagte nur in dem Buch steht, daß deinesgleichen getötet werden sollten.«

»Steht dort auch, wieso?«, fragte Jennsen.

»Das ist doch vollkommen egal, Jennsen«, raunte Sebastian ihr zu. »Hör nicht auf ihn.«

Richard zeigte mit dem Finger auf Sebastian. »Er kennt den Grund. Deswegen wußte er auch, warum dir meine Magie nichts anhaben kann. Er weiß es, weil er weiß, was in dem Buch steht.«

Jennsen fuhr mit weit aufgerissenen Augen zu Sebastian herum, als ihr plötzlich ein Licht aufging. »Kaiser Jagang besitzt dieses Buch ebenfalls.«

»Jetzt redest du Unsinn, Jenn.«

»Ich habe es selbst gesehen, Sebastian. Die Säulen der Schöpfung, und zwar in seinem Zelt. Es ist ein sehr altes Buch, geschrieben in der Sprache seiner alten Heimat. Eines seiner Lieblingsbücher, er wußte ganz genau, was darin steht. Du bist einer seiner meistgeachteten Strategen; er wird es dir gewiß erzählt haben. Du wußtest die ganze Zeit über, was in dem Buch steht.«

»Jenn ... ich ...«

»Du warst das«, sagte sie tonlos.

»Wie kannst du mir nur so mißtrauen? Ich liebe dich doch!«

Dann, inmitten dieses fürchterlichen Durcheinanders aus Stimmen, fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Der überwältigende Schmerz brach mit ungeheurer Wucht über sie herein, und schlagartig wurde ihr mit erschreckender Deutlichkeit das wahre Ausmaß des Verrats bewußt.

»Bei den Gütigen Seelen, du warst es, die ganze Zeit schon.«

Sebastian, dessen Gesicht beinahe so weiß wurde wie seine Haarstoppeln, wurde auf einmal vollkommen ruhig. »Das ändert nicht das Geringste. Jennsen.«

»Du warst es«, sagte sie leise, mit weit aufgerissenen Augen. »Du hattest eine einzelne Bergfieberrose eingenommen ...«

»Was! So etwas besitze ich nicht mal!«

»Ich habe sie doch in der Blechdose in deinem Rucksack gesehen. Oben drauf lag eine Rolle Angelschnur, damit man sie nicht sofort sieht.«

»Ach, die. Die ... die habe ich mir von einem Heiler geben lassen – von dem, den wir besucht haben.«

»Du lügst! Du hattest sie schon die ganze Zeit. Du hattest eine eingenommen, damit du Fieber bekommst.«

»Du fängst an, dich wie eine Verrückte aufzuspielen, Jenn.«

Jennsen deutete mit dem Messer zitternd auf ihn. »Du warst es, die ganze Zeit schon. Damals, gleich am ersten Abend, hast du zu mir gesagt, ›Da, wo ich herkomme, ist es Brauch. Dinge aus dem engsten Umfeld unserer Feinde oder auch von ihnen selbst als Waffe gegen sie zu benutzen.‹ Du wolltest, daß ich das Messer behalte, und zwar weil ich aus dem engsten Umfeld deines Feindes stamme. Du hattest von Anfang an die Absicht, mich zu benutzen. Wie hast du es diesem Soldaten untergeschmuggelt?«

»Jenn ...«

»Du behauptest, du liebst mich; dann beweise es! Und lüg mich nicht an! Sag mir die Wahrheit!«

Sebastian starrte sie einen Moment lang unverwandt an, ehe er schließlich erhobenen Hauptes antwortete. »Ich wollte nur dein Vertrauen gewinnen. Ich dachte, wenn ich Fieber hätte, würdest du mich vielleicht mit zu dir nach Hause nehmen.«

»Und der tote Soldat, den ich gefunden habe?«

»Das war einer meiner Leute. Wir hatten den Mann, der das Messer bei sich trug, zuvor gefangengenommen. Ich gab einem meiner Männer das Messer und ließ ihn eine d’Haranische Uniform anziehen. Als wir dich dann unten vorbeigehen sahen, habe ich ihn von der Felsklippe gestoßen.«

»Du hast einen deiner eigenen Männer getötet?«

»Manchmal ist es notwendig, für die größere Sache ein Opfer zu bringen. Nur durch Opfer gelangt man zum Seelenheil«, fügte er trotzig hinzu.

»Woher wußtest du überhaupt, wo ich wohne?«

»Kaiser Jagang ist ein Traumwandler. Durch das Buch hatte er schon vor Jahren erfahren, daß es Menschen wie dich und deinesgleichen gibt. Nach und nach fügte er die vorhandenen Hinweise zusammen, bis er dich aufspüren konnte.«

»Und der Zettel, den ich gefunden habe?«

»Den habe ich ihm untergeschoben. Dank seiner Talente fand Kaiser Jagang heraus, daß du diesen Namen einmal benutzt hattest.«

»Die Bande verhindern, daß der Traumwandler in den Verstand eines Menschen eindringen kann«, sagte Richard. »Er muß sehr lange nach den Personen gesucht haben, die Lord Rahl nicht über die Bande verbunden sind.«

Sebastian nickte voller Genugtuung. »Genau so war es. Und wir hatten damit ja auch Erfolg.«

Jennsen, die es vor blinder Wut, vor Schmerz über diesen ungeheuerlichen Verrat innerlich zerriß, mußte schlucken. »Und die anderen? Meine ... Mutter? War sie auch eines deiner unvermeidlichen Opfer?«

Sebastian benetzte sich die Lippen. »Du begreifst das nicht, Jenn. Da wußte ich wirklich noch nicht...«

»Es waren deine eigenen Männer, deswegen war es für dich so einfach, sie zu töten. Sie haben nicht damit gerechnet, daß du sie angreifen würdest – sie dachten, du wärst dort, um an ihrer Seite zu kämpfen. Deswegen warst du auch so verwirrt, als ich dir von den Quadronen erzählte, und wie viele Männer vermutlich noch dazugehörten. In Wirklichkeit waren sie gar keine Quadronen; du mußtest unterwegs einige unschuldige Menschen töten, um mich glauben zu machen, sie seien die restlichen Angehörigen eines Quadrons. Die vielen Male, die du nachts das Haus verlassen hast, um zu kundschaften, und du zurückgekommen bist und erzählt hast, sie seien uns unmittelbar auf den Fersen, und wir noch in der Nacht weitergeflohen sind – all das hast du dir nur ausgedacht.«

»Im Dienste einer guten Sache«, erwiderte Sebastian ruhig.

Jennsen unterdrückte ihre Tränen, ihren Zorn. »Im Dienste einer guten Sache! Du hast meine Mutter umgebracht! Gütige Seelen ... sich vorzustellen, daß ... oh, bei den Gütigen Seelen, ich habe mit dem Mörder meiner Mutter... Du dreckiger...«

»Reiß dich zusammen, Jenn. Es war absolut notwendig.« Er deutete auf Richard. »Dort steht der Grund für dies alles! Und jetzt haben wir ihn! All dies war absolut notwendig! Seelenheil erlangt man nur durch selbstlose Opfer. Dein Opfer – das Opfer deiner Mutter – führte dazu, daß wir Richard Rahl gefangen nehmen konnten, den Mann, der dich dein Leben lang verfolgt hat.«

Tränen des Zorns liefen ihr über die Wangen. »Ich kann nicht glauben, wie du mir das alles antun und gleichzeitig behaupten konntest, du würdest mich lieben.«

»Aber es ist die Wahrheit, Jenn. Da kannte ich dich ja noch nicht. Wie ich schon sagte – es war niemals meine Absicht, mich in dich zu verlieben, und dann habe ich es doch getan. Es ist einfach passiert. Du bist mein Ein und Alles. Ich liebe dich.«

Sie hielt sich gegen das Geschrei der Stimme in ihrem Kopf die Ohren zu. »Du bist abgrundtief böse. Ich könnte dich niemals lieben!«

»Bruder Narev lehrt, daß die Menschheit in ihrer Gesamtheit böse ist. Wir können kein moralisches Leben führen, weil die Menschheit selbst einen Makel in der Welt des Lebens darstellt. Immerhin weilt Bruder Narev jetzt in einer besseren Welt; er ist jetzt an der Seite des Schöpfers.«

»Willst du damit etwa sagen, selbst Bruder Narev ist böse? Nur weil er ein Mensch ist? Selbst dein so geschätzter, geheiligter Bruder Narev war böse?«

Sebastian funkelte sie wütend an. »Der einzig wirklich Böse steht dort drüben« – er zeigte auf ihn ... »Richard Rahl, und zwar, weil er einen großartigen Menschen getötet hat. Richard Rahl muß für seine Verbrechen mit dem Tod bestraft werden.«

»Wenn die Menschheit böse ist und Bruder Narev sich in einer besseren Welt befindet, dann hat Lord Rahl mit der Ermordung Bruder Narevs doch ein gutes Werk getan, weil er ihn dadurch in die Obhut des Schöpfers übergab, oder etwa nicht? Und wenn die gesamte Menschheit böse ist, wie kann dann Richard Rahl böse sein, wenn er Soldaten der Imperialen Ordnung tötet?«

Die Zornesröte war Sebastian ins Gesicht gestiegen. »Wir sind alle böse, aber manche sind eben böser als andere! Wenigstens besitzen wir genug Demut gegenüber dem Schöpfer, um uns unsere eigene Schlechtigkeit einzugestehen und niemanden außer dem Schöpfer zu verherrlichen.« Er unterbrach sich und wurde sichtlich ruhiger. »Ich weiß, es ist ein Zeichen von Schwäche, aber ich liebe dich.« Er lächelte ihr zu. »Du bist zu meinem Lebensinhalt geworden, Jenn.«

Sie konnte ihn nur fassungslos anstarren. »Du liebst mich nicht, Sebastian. Du hast nicht mal eine Vorstellung davon, was Liebe überhaupt heißt. Du kannst nichts und niemanden lieben, solange du nicht zuerst dein eigenes Leben liebst. Liebe entsteht einzig aus der Achtung vor dem eigenen Leben. Nur wenn man sich selber liebt, seine Existenz, kann man einen anderen lieben, der fähig ist, das eigene Leben wertvoller zu machen, es mit einem zu teilen und angenehmer zu gestalten. Wenn man sich aber selbst haßt und davon überzeugt ist, daß das eigene Dasein böse ist, dann kann man auch andere nur hassen und wird die Liebe immer nur als äußeren Schein erfahren, als Sehnsucht nach dem Guten, aber man hat nichts, worauf man sie stützen könnte, als den Haß. Dein Makel ist deine seltsame Vorstellung von Liebe. Mich brauchst du nur als Rechtfertigung für deinen Haß, als Gefährten für deinen Selbstekel, um einen Menschen aufrichtig zu lieben, Sebastian, muß man sich an seiner Existenz erfreuen, denn er ist es, der das Leben so viel wundervoller macht. Wenn man das Dasein aber für korrupt hält, dann bleibt man von der Erfüllung einer solchen Beziehung, von dem, was Liebe wirklich ausmacht, ausgeschlossen.«

»Du irrst dich! Du begreifst es einfach nicht!«

»Ich begreife nur zu gut. Ich wünschte, ich hätte viel eher begriffen.«

»Aber ich liebe dich wirklich. Jenn. Du täuschst dich.«

»Nichts weiter als die leeren Worte der wertlosen Hülle eines Menschen. Dort ist nichts, was ich lieben könnte, nichts, das sich zu lieben lohnte. Dir geht so sehr jede Menschlichkeit ab, daß es mir sogar schwer fällt, dich zu verabscheuen, Sebastian, außer vielleicht in dem Sinne, wie man eine offene Kloake verabscheut.«

Blitze schlugen in die steinernen Säulen ringsumher ein. Die Stimme in ihrem Kopf schien Jennsen in Stücke reißen zu wollen.

»Das meinst du doch alles nicht wirklich, Jenn. Ich kann ohne dich nicht leben.«

Jennsen ließ ihn ihre ganze kalte Wut spüren. »Wenn du mir wirklich eine Freude machen willst. Sebastian, dann gibt es auf der ganzen Welt nur eines, das du tun könntest, stirb!«

»Jetzt hab ich mir Euren anrührenden Streit unter Liebenden wirklich lange genug angehört«, knurrte Schwester Perdita. »Benehmt Euch endlich wie ein Mann, Sebastian, und haltet den Mund, oder ich sorge dafür, daß Ihr es tut. Euer Leben ist ebenso bedeutungslos wie das aller anderen. Ihr könnt wählen, Richard Rahl, Jennsen oder die Mutter Konfessor.«

»Ihr müßt nicht dem Hüter dienen, Schwester«, erwiderte Richard. »Und auch nicht dem verdammten Traumwandler. Die Entscheidung liegt ganz bei Euch.«

Schwester Perdita zeigte mit dem Finger auf ihn. »Ihr habt die Wahl! Ich mache Euch dieses Angebot nur ein einziges Mal! Eure Zeit ist abgelaufen! Jennsen oder die Mutter Konfessor – entscheidet Euch!«

»Eure Regeln gefallen mir nicht«, erwiderte Lord Rahl. »Ich werde mich für keine der beiden entscheiden.«

»Dann treffe ich die Wahl an Eurer Stelle! Eure feine Gemahlin wird sterben!«

Ehe Jennsen sich auf sie werfen konnte, um sie zurückzuhalten, hatte Schwester Perdita Kahlan bei den Haaren gepackt und ihren Kopf nach oben gerissen. Das Gesicht der Mutter Konfessor war völlig ausdruckslos.

Jennsen bekam Schwester Perditas Arm zu fassen, und sie schwang ihr Messer so schnell sie konnte; doch bereits im Ausholen wußte sie, daß sie zu spät kommen würde.

Es folgte ein Augenblick kristallener Klarheit, in dem die ganze Welt still zu stehen, an Ort und Stelle zu erstarren schien.

Dann ging eine heftige Erschütterung durch die Luft, ein Donner ohne Hall.

Die fürchterliche Schockwelle breitete sich, einen Ring aus Staub und Gesteinsbrocken vor sich her treibend, in einem immer größer werdenden Kreis rings um die Mutter Konfessor aus, erfaßte die in unmittelbarer Nähe stehenden Felsenpfeiler und sprang von dort auf die sich emportürmenden Felsensäulen über. Einige von ihnen waren so unsicher ausbalanciert, daß sie zusammenstürzten; im Fallen rissen sie andere mit und brachten auch diese zum Einsturz. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis die gewaltigen Gesteinsbrocken in einem steinernen Gewitterhagel krachend auf dem Boden landeten. Das gesamte Tal schien unter der ungeheuren Wucht ihres Aufschlags zu erbeben. Ein alles verdunkelnder Staub wurde in die Luft gewirbelt.

Die Welt wurde so schwarz, als hätte man ihr alles Licht entzogen, und in diesem entsetzlichen Augenblick absoluter Dunkelheit schien es, als hätte die Welt und alles andere mit ihr aufgehört zu existieren.

Dann lichtete sich der Schatten, und die Welt kehrte zurück.

Jennsen stellte fest, daß sie den Arm einer toten Frau umklammert hielt. Die Schwester kippte wie eine der steinernen Säulen vornüber zu Boden; Jennsen sah ihr Messer aus der Brust der Schwester ragen.

Richard war bereits zur Stelle, er hielt Kahlan in den Armen, durchtrennte den Strick und ließ sie behutsam zu Boden gleiten. Sie wirkte völlig entkräftet, aber von ihrer Erschöpfung abgesehen schien sie wohlauf.

»Was ist passiert?«, fragte Jennsen verwundert.

Richard lächelte ihr zu. »Der Schwester ist ein Fehler unterlaufen, dabei hatte ich sie gewarnt. Die Mutter Konfessor hat ihre Kraft entfesselt und auf Schwester Perdita gerichtet.«

»Mußtest du sie unbedingt warnen?«, fragte Kahlan, die auf einmal einen ziemlich klaren Eindruck machte. »Sie hätte auf dich hören können.«

»Nein, das hat sie nur zusätzlich provoziert.«

Plötzlich merkte Jennsen, daß die Stimme nicht mehr da war. »Was ist passiert? Habe ich sie getötet?«

»Nein. Sie war bereits tot, bevor dein Messer sie berührte«, sagte Kahlan. »Richard hat sie abgelenkt, damit ich meine Kraft benutzen konnte. Du hast es versucht, bist aber einen Augenblick zu spät gekommen; da gehörte sie bereits mir.«

Richard legte Jennsen eine tröstende Hand auf die Schulter. »Du hast sie nicht getötet, aber du hast dir mit deiner Entscheidung das Leben gerettet. Der Schatten, der sich beim Tod der Schwester über uns legte, das war der Hüter der Toten, der einen Menschen zu sich holt, der ihm die Treue geschworen hat. Hättest du die falsche Entscheidung getroffen, wärst du mit ihr zusammen ins Reich der Toten geholt worden.«

Jennsen zitterten die Knie. »Die Stimme ist fort«, sagte sie entgeistert. »Sie ist nicht mehr da.«

»Der Hüter hat, ganz ohne es zu wollen, seine Absicht offenbart«, meinte Richard. »Dafür, daß die Herzhunde los waren, konnte es nur eine Erklärung geben, Der Schleier – der Verbindungsweg zwischen den Welten – muß einen Riß gehabt haben.«

»Das verstehe ich nicht.«

Richard gestikulierte mit dem Buch, ehe er es in eine der Taschen an seinem Gürtel zurückschob. »Ich bin zwar noch nicht dazu gekommen, es ganz durchzuarbeiten, habe aber genug gelesen, um mich ein wenig kundig zu machen. Du bist ein nicht mit der Gabe gesegneter Nachkomme eines Lord Rahl und damit ein Gegengewicht zu den Rahls, die mit der Gabe gesegnet sind – der Magie. Nicht nur, daß du keine besitzt, du bist vollkommen unbeleckt von ihr. Das Haus Rahl wurde in Zeiten eines großen Krieges geschaffen, um ein Geschlecht mächtiger Zauberer hervorzubringen; dadurch aber wurde auch die Saat ausgestreut für das Ende der Magie in der Welt. Mag sein, daß auch die Imperiale Ordnung eine Welt ohne Magie anstrebt, aber letztendlich wird es das Haus Rahl sein, das diese Welt herbeiführt. Möglicherweise bist du, Jennsen Rahl, der gefährlichste derzeit lebende Mensch, denn wie jeder wahrhaftig nicht mit der Gabe gesegnete Rahl bildest du jene Saat aus der diese neue Welt ohne Magie entstehen könnte.«

Jennsen starrte in seine grauen Augen. »Warum wolltet Ihr dann nicht meinen Tod, wie jeder andere Lord Rahl vor Euch?«

Richard lächelte. »Weil du, wie jeder andere auch, ein Recht auf Leben hast – wie übrigens auch jeder Lord Rahl. Es gibt keine einzig richtige Art und Weise, wie diese Welt zu sein hat. Das einzige Recht besteht darin, den Menschen ihr eigenes Leben zuzugestehen.«

Kahlan zog Schwester Perdita das Messer aus der Brust und wischte es an deren schwarzem Gewand ab, bevor sie es Jennsen zurückgab. »Schwester Perdita ist einem Irrtum erlegen. Man erlangt sein Seelenheil nicht durch Opfer. Jeder ist für sich selbst verantwortlich.«

»Dein Leben gehört dir«, fügte Richard hinzu, »und sonst niemandem. Ich war sehr stolz auf dich, als ich hörte, was du Sebastian an den Kopf geworfen hast.«

Von den Ereignissen noch immer benommen und verwirrt, blickte Jennsen auf das Messer in ihrer Hand. Sie sah sich in der aufkommenden Dunkelheit um, konnte Sebastian aber nirgendwo entdecken. Oba schien sich ebenfalls aus dem Staub gemacht zu haben.

Als sie bei ihrem Rundblick nicht weit entfernt eine Mord-Sith stehen sah, zuckte Jennsen erschrocken zusammen. »Einfach großartig«, beklagte sich die Frau soeben bei der Mutter Konfessor und warf dabei empört die Hände in die Luft. »Dieses Mädchen klingt schon genauso wie Lord Rahl. Vermutlich werde ich jetzt auf beide hören müssen.«

Kahlan ließ sich lächelnd nieder, lehnte sich mit dem Rücken gegen die Steinsäule, an der man sie festgebunden hatte, und beobachtete Richard, der dabei die Ohren von Bettys Zwillingsjungen kraulte und zuhörte.

Betty ließ ihre beiden Jungen nicht aus den Augen; als sie sah, daß sie in Sicherheit waren, blickte sie hoffnungsvoll hoch zu Jennsen. Ihr kleiner Schwanz fing fröhlich an zu wedeln.

»Betty?«

Vergnügt sprang die Ziege an ihr hoch, sie hatte lange genug auf das Wiedersehen gewartet. Jennsen schloß das Tier weinend in ihre Arme, dann erhob sie sich und trat ihrem Bruder dem Lord Rahl, mutig entgegen.

»Aber warum wolltet Ihr Euch nicht genauso verhalten wie Eure Vorfahren? Warum? Wie konntet Ihr das alles riskieren, was in dem Buch geschrieben wird?«

Richard hakte seine Daumen hinter seinen Gürtel und holte tief Luft. »Das Leben findet in der Zukunft statt, nicht in der Vergangenheit. Durch Erfahrung können wir aus der Vergangenheit lernen, wie bestimmte Dinge sich künftig erreichen lassen; die Vergangenheit mit ihren lieben Erinnerungen vermag uns zu trösten, sie liefert die Grundlage für alles bislang Erreichte. Aber nur die Zukunft birgt das Leben. In der Vergangenheit leben, das heißt, sich bereitwillig dem Tod überlassen. Aber wenn man das Leben in vollen Zügen genießen will, muß jeder Tag neu erschaffen werden. Als rationale, denkende Wesen sind wir dazu verpflichtet, unseren Verstand zu gebrauchen, um vernunftgesteuerte Entscheidungen zu treffen und uns nicht blindlings auf das Althergebrachte zu verlassen.«

»Leben bedeutet Zukunft, nicht Vergangenheit«, sagte Jennsen leise bei sich, in Gedanken bereits bei all den Dingen, die das Leben jetzt für sie bereit hielt. »Wo in aller Welt habt Ihr das nur her?«

Richard mußte grinsen. »So lautet das siebente Gesetz der Magie.«

Jennsen blickte zu ihm hoch. »Ihr habt mir eine Zukunft geschenkt, dafür möchte ich Euch danken.«

Daraufhin umarmte er sie, und plötzlich fühlte sich Jennsen gar nicht mehr so allein auf der Welt. Sie fühlte sich wieder als vollständiges Wesen. Es tat so gut, in die Arme genommen zu werden, wahrend sie bittere Tränen über ihre Mutter vergoß, aber auch Freudentränen über ihre Zukunft und weil das Leben wieder vor ihr lag Kahlan strich Jennsen über den Rücken. »Willkommen in der Familie.«

Als Jennsen sich überglücklich lachend die Augen wischte und mit der anderen Hand Bettys Ohren kraulte, sah sie plötzlich Tom ganz in der Nähe stehen.

Jennsen lief zu ihm und warf sich ihm in die Arme. »Oh, Tom, Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, wie froh ich bin, Euch zu sehen! Danke, daß Ihr mir Betty zurückgebracht habt.«

»So bin ich halt. Ich bringe Euch, wie versprochen, Eure Ziege. Wie sich herausstellte, wollte die Wurstverkäuferin Irma nur ein Jungtier von Eurer Ziege. Sie besitzt einen Ziegenbock und wünschte sich Nachwuchs. Ein Junges hat sie behalten und die beiden anderen Euch überlassen.«

»Betty hatte Drillinge?«

Tom nickte. »Ich fürchte, ich habe mich ziemlich in Betty und ihre beiden Kleinen verliebt.«

»Ich kann gar nicht glauben, daß Ihr das für mich getan habt. Ihr seid einfach großartig, Tom.«

»Das meinte meine Mutter auch immer. Vergeßt nicht, Ihr habt versprochen, Lord Rahl etwas auszurichten.«

Jennsen lachte vor lauter Freude. »Das werde ich auch ganz gewiß tun! Aber wie in aller Welt habt Ihr mich nur gefunden?«

Lächelnd zog Tom ein Messer hinter seinem Rücken hervor. Zu Jennsens Überraschung war es das exakte Gegenstück zu ihrem.

»Wißt Ihr«, erklärte er, »ich trage es in Diensten Lord Rahls.«

»Tatsächlich?«, fragte Richard. »Ich bin Euch bisher nicht einmal begegnet.«

»Oh«, warf die Mord-Sith ein, »Tom hier ist in Ordnung, Lord Rahl. Für ihn lege ich meine Hand ins Feuer.«

»Vielen Dank, Cara«, meinte Tom mit einem vergnügten Funkeln in den Augen.

»Dann wußtet Ihr die ganze Zeit, daß ich Euch etwas vorgemacht habe?«, fragte Jennsen.

Tom zuckte mit den Achseln. »Ich wäre wohl kaum ein geeigneter Beschützer des Lord Rahl, wenn ich eine verdächtige Person wie Euch, die es ganz offensichtlich auf jemanden abgesehen hat, frei herumlaufen ließe, ohne alles daranzusetzen, in Erfahrung zu bringen, was Ihr wohl im Schilde führt. Ich habe Euch keinen Moment aus den Augen gelassen und bin Euch ein großes Stück Eurer Reise gefolgt.«

Jennsen gab ihm scherzhaft einen deftigen Klaps auf die Schulter. »Ihr habt mir nachspioniert!«

»Als Beschützer des Lord Rahl mußte ich wissen, was Ihr vorhabt, und sicherstellen, daß Ihr Lord Rahl kein Leid zufügt.«

»Nun«, meinte sie, »in diesem Fall kann ich aber nicht behaupten, daß Ihr gute Arbeit geleistet hättet.«

»Was wollt Ihr damit sagen?« Tom gab sich übertrieben empört.

»Ich hätte ihn doch tatsächlich erstechen können. Ihr standet die ganze Zeit dort drüben, viel zu weit entfernt, um einzugreifen.«

Tom setzte sein Jungenlächeln auf.

»Oh, ich hätte niemals zugelassen, daß Ihr Lord Rahl verletzt.«

Tom drehte sich um und wog sein Messer in der Hand, und plötzlich sirrte die Klinge mit einer irrwitzigen Geschwindigkeit quer durch die Senke und bohrte sich mit einem dumpfen Geräusch in eine der fernen, umgestürzten Sandsteinsäulen. Jennsen kniff die Augen zusammen und konnte gerade eben erkennen, daß sie etwas Dunkles aufgespießt hatte.

Sie folgte Tom, Richard, Kahlan und der Mord-Sith zwischen emporragenden Säulen und Gesteinstrümmern hindurch zu der Stelle, wo das Messer steckte. Es hatte einen von einer Hand gehaltenen Lederbeutel genau in der Mitte durchbohrt.

»Bitte«, erklang eine gedämpfte Stimme unter dem Felsblock, »bitte laßt mich raus. Ich gebe Euch auch Geld dafür. Ich kann bezahlen, ich besitze Geld.«

Oba. Der Felsbrocken war auf ihn herabgestürzt, als er versucht hatte fortzulaufen. Er war auf die Felsen gefallen, die verhinderten, daß der Mittelteil des Säulenschafts, der so mächtig war, daß zwanzig Männer mit ausgestreckten Armen ihn nicht hätten umfassen können, zu Boden krachte, wodurch ein winziger Hohlraum entstanden war, in dem der Mann unter Tonnen von Gestein begraben lag.

Tom zog sein Messer aus dem weichen Gestein, nahm den Lederbeutel an sich und hielt ihn hin und her schwenkend in die Höhe.

»Friedrich!«, rief er zum Wagen hinüber. Ein Mann richtete sich auf. »Friedrich! Gehört dieser Beutel hier vielleicht Euch?«

Und dann wurde Jennsen, an diesem Tag voller Überraschungen, ein weiteres Mal überrascht, denn sie sah Friedrich Gilder, Altheas Ehemann, vom Wagen herunterklettern und sich ihnen nähern.

»Der gehört tatsächlich mir«, sagte er. Er warf einen Blick unter den Felsen. »Du hast noch mehr davon.«

Kurz darauf begann eine Hand, weitere Leder- und Stoffbeutel herauszureichen. »Da habt Ihr mein ganzes Geld. Jetzt laßt mich endlich raus.«

»Nun«, meinte Friedrich, »ehrlich gesagt glaube ich nicht, daß ich diesen Felsen anheben könnte, erst recht nicht für den Mann, der für den Tod meiner Frau verantwortlich ist.«

»Althea ist gestorben?«, erkundigte sich Jennsen schockiert.

»Ja. Die Sonne meines Lebens ist untergegangen.«

»Das tut mir so unendlich leid«, sagte sie leise. »Sie war eine wundervolle Frau.«

Ein Lächeln ging über Friedrichs Gesicht. »Ja, das war sie.« Er nahm einen kleinen, abgegriffenen Stein aus seiner Hosentasche. »Aber sie hat mir das hier hinterlassen, und das ist wenigstens eine kleine Freude.«

»Merkwürdig«, meinte Tom und kramte in seiner Hosentasche, bis er einen kleinen Gegenstand zum Vorschein brachte. Er öffnete seine Hand, so daß ein kleiner Stein in seiner Handfläche sichtbar wurde. »Ich besitze auch so einen Stein. Ich trage ihn immer bei mir, als Glücksbringer.«

Friedrich musterte ihn argwöhnisch. Schließlich fing er an zu schmunzeln. »Dann hat sie Euch auch zugelächelt.«

»Ich krieg keine Luft«, ertönte die gedampfte Stimme unter dem Felsbrocken. »Bitte, es tut weh. Ich kann mich kaum bewegen. Laßt mich raus.«

Richard deutete mit ausgestreckter Hand auf den Fels. Man hörte ein knirschendes Geräusch, und plötzlich kam ein Schwert unter dem Fels zum Vorschein. Gleich darauf bückte er sich, zog seine Scheide heraus und gleich dahinter seinen Waffengurt. Er wischte den Staub ab und streifte den Waffengurt in gewohnter Manier über seine Schulter.

Jennsen bemerkte das funkelnde, güldene Wort WAHRHEIT auf dem Heft des prachtvollen Schwertes.

»Ihr habt all den Soldaten die Stirn geboten und hattet nicht mal Euer Schwert dabei«, sagte Jennsen. »Aber vermutlich war Eure Magie ein besserer Schutz.«

Richard schüttelte lächelnd den Kopf. »Mein Talent funktioniert über Verlangen und Zorn. Da Kahlan entführt worden war empfand ich ein starkes Verlangen, und mein Zorn war jederzeit verfügbar.« Er zog das Heft weit genug aus der Scheide, so daß sie das aus Goldbuchstaben gebildete Wort noch einmal sehen konnte. »Diese Waffe funktioniert immer.«

»Woher wußtet Ihr, wo wir waren?«, fragte Jennsen ihn. »Woher wußtet Ihr, wo Kahlan sich befand?«

Richard rieb mit dem Daumen über das eine, aus Gold gebildete Wort auf dem Heft seines Schwertes. »Es ist ein Geschenk meines Großvaters. Unser König Oba hier hat es gestohlen, als er Kahlan mit Hilfe des Hüters in seine Gewalt brachte. Dieses Schwert ist etwas ganz Besonderes. Ich stehe in Kontakt mit ihm und spüre, wo es sich befindet. Ohne Zweifel hat der Hüter Oba veranlaßt, es mir wegzunehmen, um mich hierher zu locken.«

»Bitte«, jammerte Oba, »ich kriege keine Luft.«

»Euer Großvater?«, fragte Jennsen, ohne Oba zu beachten. »Ihr meint Zauberer Zorander?«

Richard strahlte über das ganze Gesicht. »Dann bist du Zedd also begegnet. Er ist ein prächtiger Kerl, nicht wahr?«

»Er hat versucht, mich umzubringen«, murmelte Jennsen.

»Zedd?«, meinte Richard belustigt. »Zedd ist absolut harmlos.«

»Harmlos? Er...«

Unvermittelt versetzte die Mord-Sith Jennsen einen Stoß mit ihrem roten Stab – dem Strafer.

»Was soll das?«, empörte sich Jennsen. »Laßt das sein.«

»Ihr spürt nichts dabei?«

»Nein«, antwortete Jennsen und runzelte mißbilligend die Stirn. »Nicht mehr als bei Nyda, als sie es versuchte.«

Caras Augenbrauen schnellten hoch. »Ihr seid Nyda begegnet?« Sie sah Richard an. »Und sie kann sich noch immer auf den Beinen halten. Ich bin beeindruckt.«

»Sie ist gegen Magie immun«, erklärte Richard. »Deswegen funktioniert Euer Strafer nicht bei ihr.«

Cara sah listig lächelnd zu Kahlan hinüber.

»Habt Ihr denselben Gedanken wie ich?«, fragte Kahlan.

»Möglicherweise könnte sie unser kleines Problem lösen«, sagte Cara, deren boshaftes Grinsen immer breiter wurde.

»Ich nehme an«, meinte Richard übellaunig, »jetzt werdet Ihr sie ihn ebenfalls berühren lassen.«

»Nun«, meinte Cara, »irgend jemand muß es tun. Ihr wollt doch nicht, daß ich es noch einmal mache, oder?«

»Auf keinen Fall!«

»Wovon redet Ihr überhaupt?«, fragte Jennsen.

»Wir haben einige dringende Probleme«, erklärte Richard. »Vorausgesetzt, du möchtest uns helfen, dann könnte es, denke ich, sein, daß du genau über das entsprechende Talent verfügst, um uns aus einem ernsthaften Dilemma herauszuhelfen.«

»Wirklich? Soll das heißen, Ihr wollt, daß ich Euch begleite?«

»Wenn du dazu bereit wärst«, sagte Kahlan. Sie mußte sich auf Richard stützen.

»Tom«, sagte Richard, »könnten wir...«

»Natürlich!«, rief Tom und kam herbeigeeilt, um Kahlan seinen Arm zu bieten. »Kommt mit. Hinten im Wagen habe ich ein paar gemütliche Decken, auf die Ihr Euch legen könnt – Ihr braucht nur Jennsen zu fragen, sie sind wirklich bequem. Ich fahre Euch auf dem einfachen Weg wieder hinauf.«

»Dafür wären wir Euch sehr dankbar«, sagte Richard. »Es ist fast dunkel. Am besten, wir bleiben über Nacht hier und fahren los, sobald es hell genug ist – und hoffentlich, bevor die Hitze zu groß wird.«

»Die anderen werden wahrscheinlich hinten bei der Mutter Konfessor Platz nehmen wollen«, raunte Tom Jennsen zu. »Wenn Ihr nichts dagegen habt könntet Ihr vorn bei mir auf dem Bock mitfahren.«

»Zuerst müßt Ihr mir etwas verraten – und sagt mir jetzt bitte die Wahrheit«, erwiderte Jennsen. »Wenn Ihr ein Beschützer des Lord Rahl seid, was hättet Ihr von dort drüben aus getan, wenn ich versucht hätte, Richard Rahl etwas anzutun?«

Tom blickte sie mit ernster Miene an. »Jennsen, wenn ich ernstlich geglaubt hätte, daß Ihr das wollt oder dazu imstande seid, hättet Ihr mein Messer zu spüren bekommen, bevor Ihr Gelegenheit dazu gehabt hättet.«

Jennsen lächelte. »Gut. Dann werde ich neben Euch mitfahren. Mein Pferd steht dort oben«, fügte sie hinzu und zeigte an den Säulen der Schöpfung vorbei. »Rusty und ich haben uns richtig aneinander gewöhnt!«

Betty meckerte, als sie den Namen des Pferdes hörte. Lachend kraulte Jennsen den dicken Bauch der Ziege. »Na, erinnerst du dich noch an Rusty?«

Betty bestätigte es mit einem fröhlichen Meckern, während ihre Zicklein ganz in der Nähe ausgelassen herumtollten. Etwas weiter entfernt konnte Jennsen hören, wie der mörderische Oba Rahl danach rief, befreit zu werden. Als ihr klar wurde, daß auch er ihr Halbbruder war, wenn auch ein durch und durch böser, blieb sie stehen und sah sich um.

»Tut mir leid, daß ich so entsetzliche Dinge von Euch gedacht habe«, sagte sie mit einem Blick auf Richard.

Er lächelte, Kahlan im Arm, dann zog er Jennsen mit dem anderen Arm zu sich. »Du hast deinen Verstand gebraucht, als du mit der Wahrheit konfrontiert wurdest. Mehr kann ich von keinem Menschen verlangen.«

Das Gewicht des herabgestürzten Felsens begann die Sandsteinfindlinge zu zermalmen, die die Steinsäule stützten, unter der Oba in der Falle saß. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Oba in seinem unentrinnbaren Gefängnis zerquetscht werden oder andernfalls verdursten würde.

Diese Niederlage auf ganzer Linie würde ihm der Hüter wohl kaum damit vergelten, daß er ihm half. Statt dessen hätte er eine Ewigkeit lang Zeit, ihn für sein Versagen büßen zu lassen.

Oba war ein Mörder. Jennsen vermutete, daß Richard Rahl für einen solchen Menschen oder jemanden, der Kahlan ein Leid zufügte, keinen Funken Erbarmen aufbringen würde. Gegenüber Oba hatte er jedenfalls keines gezeigt.

Oba lag für immer begraben unter den Säulen der Schöpfung.

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