Jennsen stand draußen vor den gedrungenen, aus sonnengetrockneten Ziegeln errichteten Gebäuden und ließ den Blick gelangweilt über die trostlose, unter einem gnadenlos blauen Himmel brütende Landschaft wandern. Die Felsen, die scheinbar endlose Weite aus ebenem, verkrustetem Boden sowie der schroffe Gebirgszug, von dem aus die Landschaft jäh in das Tal in der Ferne zu ihrer Linken abfiel, all das wies Spielarten des gleichen rötlichgrauen Farbtons auf wie die spärliche Ansammlung rechteckiger, sich ganz in der Nähe aneinander drängender Gebäude.
Die knochentrockene heiße Luft erinnerte sie an das Gefühl, über ein offenes Feuer gebeugt einzuatmen. Die Felsen und Gebäude ringsum verströmten eine sengende Hitze; der Boden unter ihren Füßen war so glühend heiß, als befände sich ein Schmelzofen darunter. Jeder Versuch, einen in der unbarmherzigen Sonne dörrenden Gegenstand anzufassen, wurde zu einem schmerzhaften Erlebnis. Selbst das Heft ihres Messers im Schatten ihres Körpers, war so warm, als wäre es von einem Fieber ergriffen.
Jennsen lehnte sich erschöpft mit einer Hüfte gegen eine niedrige Mauer. Als Rusty ihr daraufhin leise wiehernd den Kopf hinhielt, tätschelte sie erst Rustys Hals, liebkoste dann ihr Ohr. Wenigstens näherte sie sich jetzt dem Ende ihrer Reise. Ihr war, als hätte sie längst völlig aus dem Blickfeld verloren, wie damals alles angefangen hatte, an jenem lange zurückliegenden Tag, als sie den toten Soldaten auf dem Grund der Schlucht gefunden hatte und Sebastian zufällig des Weges gekommen war.
An jenem Tag hatte sie nicht einmal entfernt ahnen können, welch lange und qualvolle Reise das Schicksal ihr bescheren würde. Sie erkannte sich selbst kaum noch wieder. Damals hätte sie sich nicht träumen lassen, wie sehr ihr Leben und sie selbst sich verändern würden.
Sebastian, Pete hinter sich im Schlepptau, streckte seine Hand vor und faßte sie beim Arm. »Alles in Ordnung, Jenn?« Pete rieb seine Schnauze an Rustys Flanke, als wollte er der Stute dieselbe Frage stellen.
»Ja«, antwortete Jennsen. Sie lächelte ihn an, dann wies sie auf die Traube schwarz gewandeter Männer in der Türöffnung eines nahen Gebäudes. »Schon Erfolg gehabt?«
»Er erkundigt sich gerade bei den anderen.« Sebastian seufzte leicht genervt. »Ein merkwürdiges Volk, diese Leute.«
Obwohl sie der Alten Welt angehörten und unter das Herrschaftsgebiet der Imperialen Ordnung fielen, bildeten die Händler, die durch dieses endlose, menschenleere Land zogen und dabei gelegentlich die verlassenen Handelsstationen aufsuchten, wo Sebastian auf sie gestoßen war, eine völlig in sich geschlossene Gemeinschaft. Offenbar waren sie nicht zahlreich genug, als daß man sich ihretwegen hätte Sorgen machen müssen, daher ließ die Imperiale Ordnung sie weitgehend unbehelligt.
Sebastian lehnte sich neben ihr gegen die Mauer und blickte hinaus in die lautlose Ödnis. Die lange Rückreise in seine Heimat der Alten Welt hatte ihn ebenfalls erschöpft, aber wenigstens war er jetzt wieder gesund, wie Schwester Perdita es versprochen hatte.
Die Reise selbst war allerdings völlig anders verlaufen als von Jennsen angenommen. Sie hatte sich vorgestellt, sie und Sebastian würden wieder allein unterwegs sein, so wie zuvor, während ihres Ritts zur Armee der Imperialen Ordnung. Statt dessen jedoch erstreckte sich eine eintausend Mann starke Kolonne aus Soldaten der Imperialen Ordnung hinter ihrem Rücken – eine kleine Eskorte, hatte Sebastian sie genannt. Auf ihre Erklärung, allein reiten zu wollen, hatte er erwidert, es gebe wichtigere Erwägungen.
Jennsen kratzte müßig mit dem Daumennagel am Leder der Zügel, während sie die schwarz gekleideten Gestalten beobachtete. »Die vielen Soldaten machen den Männern Angst«, meinte sie zu Sebastian. »Deswegen weigern sie sich, mit uns zu sprechen.«
»Wie kommst du darauf?«
»Ich sehe doch, wie sie immer wieder die Köpfe vorstrecken und zu uns herübersehen. Sie versuchen herauszufinden, ob sie den Ärger der Soldaten auf sich ziehen, wenn sie uns irgendwas erzählen.«
Sie konnte der kleinen Schar von Händlern durchaus nachempfinden, wie sie sich fühlen mußten, den forschenden Blicken so vieler barbarischer Soldaten hoch zu Roß auf ihren riesigen Kavalleriepferden ausgesetzt zu sein – welches Gefühl es sein mußte, von solch finsteren, unter einer Schicht von Leder- und Kettenrüstungen verborgenen, waffenstrotzenden Gestalten beobachtet zu werden. Die schwarzgewandeten Männer mit ihren Packeseln waren Händler, keine Soldaten, und sie waren den Umgang mit Soldaten auch nicht gewöhnt. Sie hatten Angst um ihre Sicherheit und befürchteten, diese Krieger könnten sie auf ein falsches Wort hin hier draußen in der Wüste einfach abschlachten. Trotz ihrer krassen zahlenmäßigen Unterlegenheit schienen die Händler gleichzeitig aber nicht bereit, sich einschüchtern zu lassen, um keinen Präzedenzfall für den künftigen Umgang mit ihnen zu schaffen. In dem soeben stattfindenden Palaver versuchten sie offenbar abzuwägen, welches Verhalten sich günstiger auf ihre Sicherheit auswirken mochte.
Sebastian stieß sich von der Mauer ab. »Vielleicht hast du Recht. Ich werde hineingehen und allein mit ihnen sprechen – und zwar in ihrem Haus und nicht hier draußen, unter den Blicken der Armee.«
»Ich begleite dich«, sagte sie.
»Was mag bloß los sein? Was meint Ihr?«, Schwester Perdita war herbeigeeilt und wollte von Sebastian Näheres wissen.
Sebastian tat ihre Besorgnis mit einer wegwerfenden Handbewegung ab. »Ich glaube, sie wollen einfach handeln. Da sind sie in ihrem Element. Sie zu zwingen könnte sich für uns als nachteilig erweisen.«
»Ich werde zu ihnen gehen und dafür sorgen, daß sie es sich anders überlegen«, erwiderte die Schwester in unmißverständlich düsterer Absicht.
»Nein«, widersprach Sebastian. »Dies ist nicht der richtige Augenblick, um einen einfachen Vorgang unnötig zu komplizieren. Falls nötig, können wir den Druck auf sie jederzeit erhöhen. Laßt Jennsen und mich einfach vorher hinübergehen und mit ihnen sprechen.«
Jennsen ließ die düster dreinblickende Schwester Perdita stehen und blieb, Rusty hinter sich herziehend, dicht an Sebastians Seite. Die zweite Überraschung ihrer Reise, außer der eintausend Mann starken Eskorte, war Schwester Perditas Entschluß gewesen, sie zu begleiten. Begründet hatte sie ihn damit, daß Jennsen zusätzliche Hilfe benötigen könnte, um bis zu Lord Rahl vorzudringen.
Jene Nacht im Wald mit Schwester Perdita und den sieben anderen Schwestern hatte alles verändert. Jennsen hatte sich auf einen Handel eingelassen, demzufolge ein selbstbestimmtes Leben nach Richard Rahls Ermordung für sie nicht mehr in Frage kam, dessen war sie sich bewußt, aber wenigstens würden alle anderen Menschen wieder ihr eigenes Leben leben können, und die Welt wäre erlöst von ihrem Halbbruder und seiner Tyrannei.
Und sie würde ihre Rache bekommen. Das Wissen, daß ihrem Mörder endlich Gerechtigkeit widerfahren war, würde ihrer Mutter, der man sogar eine anständige Beerdigung versagt hatte, endlich ihren Frieden geben.
Jennsen und Sebastian führten Rusty und Pete auf eine kleine Nebenkoppel, wo bereits das Pferd der Schwester wartete. Die beiden Tiere waren dankbar für den Schatten und den Wassertrog.
Nachdem sie das kleine, wackelige Koppelgatter geschlossen hatte, folgte Jennsen Sebastian in den Schatten vor dem Eingang des niedrigen, gedrungenen Gebäudes. Das Geschnatter der hallenden Männerstimmen im einzigen Raum verstummte. Sämtliche Männer waren in die traditionellen schwarzen Burnusse der nomadischen, diesen Teil der Welt bevölkernden Kaufleute gehüllt.
»Laßt uns jetzt allein«, sagte der Anführer, als er Sebastian und Jennsen eintreten sah, und komplimentierte seine Gefährten mit einer Handbewegung aus dem Raum.
Die Männer, deren Augen hinter Schlitzen im schwarzen Stoff hervorlugten, mit dem sie jetzt wieder Mund und Nase bedeckten, gingen nickend nach draußen. Die Fältchen um ihre entblößten Augen ließen vermuten, daß sie Jennsen unter ihrem Gesichtsschutz voller Sympathie zulächelten, aber ganz sicher war sie diesbezüglich nicht. In Anbetracht dessen, was auf dem Spiel stand, erwiderte sie ihr Lächeln.
Die stehende Luft im Raum trieb einem den Schweiß aus den Poren, aber wenigstens verschaffte ihnen der Schatten ein wenig Linderung. Der eine Mann, der im Raum zurückgeblieben war, hatte die losen Stoffbahnen nicht wieder vor sein Gesicht geschlungen und zeigte somit sein lächelndes, wettergegerbtes Gesicht.
»Bitte«, forderte er Jennsen auf, »tretet ein. Ihr seht aus, als wäre Euch hitzig zumute.«
»Hitzig?«, fragte sie.
»Heiß«, verbesserte er sich. »Ihr seid für diese Gegend nicht angemessen gekleidet.« Er schlurfte hinüber zu den Regalen aus großen Holzplanken an der Seite des Raumes und kam mit einem der dort aufbewahrten schwarzen Stoffbündel zurück. »Bitte, zieht dies an.« Er hielt es ihr mehrmals hin und drängte sie, es anzunehmen. »Ihr werdet Euch augenblicklich besser fühlen. Es schützt Euch vor der Sonne und verhindert, daß Euer Schweiß verdunstet und Ihr austrocknet wie ein Stein.«
Jennsen verneigte abermals ihr Haupt vor dem kleinen drahtigen Mann und bedankte sich mit einem Lächeln. »Vielen Dank.«
»Nun?«, fragte Sebastian und ließ seinen Rucksack erschöpft von den Schultern gleiten. »Ist es Euch gelungen, etwas aus den anderen Männern herauszubringen?«
Die schwarzgekleidete Gestalt zögerte einen Moment und überspielte dies mit einem Räuspern. »Sie sprachen davon, Ihr wäret möglicherweise bereit...«
Sebastian verdrehte ungeduldig die Augen, als er begriff, worauf der Mann hinauswollte, und kramte in seiner Tasche, bis er eine Silbermünze ans Tageslicht förderte. »Bitte nehmt dies als Zeichen meiner Wertschätzung für die Mühen, die Eure Männer auf sich genommen haben.«
Der Mann nahm sie respektvoll entgegen, trotzdem war nicht zu übersehen, daß eine Silbermünze nicht ganz dem erhofften Lohn entsprach. Offenbar zögerte er aber, rundheraus zu sagen, daß er den Betrag für unzureichend hielt. Für Jennsen war es völlig unbegreiflich, daß Sebastian in einem solchen Augenblick zu feilschen begann. Sie nahm eine schwere Goldmünze aus ihrer Tasche und schnippte sie dem Mann einfach zu, ohne Sebastian zu fragen, ob dies in Ordnung sei. Der Mann fing das Goldstück mitten in der Luft auf und öffnete seine Faust gerade weit genug, um sich mit einem flüchtigen Blick von ihrem Wert zu überzeugen. Er grinste sie anerkennend an. Sebastian warf ihr einen mißbilligenden Blick zu.
»Ich habe für das Geld keine Verwendung«, sagte sie, bevor er dazu kam, ihr Vorhaltungen zu machen. »Außerdem, hast du nicht selbst gesagt, man muß den Feind mit seinen eigenen Waffen schlagen?«
Sebastian enthielt sich einer Bemerkung und wandte sich wieder dem Mann zu. »Was ist nun?«
»Gestern, am späten Nachmittag«, erwiderte der Mann schließlich etwas entgegenkommender, »erspähten unsere Leute zwei Personen, die auf dem Weg hinunter zu den Säulen der Schöpfung waren.« Er ging hinüber zu einem kleinen, unverhängten Fenster neben den Regalen, auf denen sich neben diversen Vorräten auch zwei weitere schwarze Burnusse stapelten, und wies in die entsprechende Richtung. »Dort hinunter. Es gibt eine Art Pfad.«
»Haben Eure Männer mit ihnen gesprochen?«, fragte Jennsen und trat ungeduldig einen Schritt vor. »Wissen Eure Männer, wer diese Leute waren?«
Der Blick des Mannes wanderte zögernd von ihr zu Sebastian; offenbar war ihm nicht ganz wohl dabei, auf solche direkten Fragen einer Frau zu antworten, auch wenn sie es gewesen war, die ihn dafür bezahlt hatte. Sebastian warf ihr einen Blick zu, der besagte, sie solle die Sache ihm überlassen. Jennsen schlenderte wieder zur Tür, um einen Blick nach draußen zu werfen und so zu tun, als ginge sie das Ganze nichts an, damit ihr Gefährte sich die nötigen Antworten beschaffen konnte.
Sebastian wischte sich den Schweiß von der Stirn und warf seinen schweren Rucksack seitlich auf den Boden, er kippte um und ein Teil des Inhalts fiel heraus. Genervt machte er Anstalten, die Sachen wieder einzusammeln, doch Jennsen kam ihm zuvor.
»Darum kümmere ich mich«, raunte sie ihm zu und forderte ihn mit einer Handbewegung auf, die Befragung des Händlers fortzusetzen.
Sebastian lehnte sich gegen den schweren, steinalt aussehenden Plankentisch und verschränkte die Arme. »Also, hatten Eure Leute nun Gelegenheit, mit diesen zwei Personen zu sprechen, oder nicht?«
»Nein, Sir. Dafür waren die Männer nicht nahe genug; sie standen am Oberrand des Tales und sahen das Pferd unten vorübertraben.«
Jennsen hob ein Stück Kernseife auf und stopfte es zurück in den Rucksack. Dann klappte sie das Rasiermesser zusammen und legte es ebenfalls wieder hinein, zusammen mit einem Ersatz-Wasserschlauch, der ebenfalls herausgefallen war. Sie sammelte lauter Kleinigkeiten zusammen, einen Feuerstein, in ein Tuch gewickelte Trockenfleischstreifen, einen Schleifstein. Eine kleine Blechdose, die sie vorher noch nie gesehen hatte, war aus dem Rucksack unter ein niedriges Regal gekullert.
»Wie sahen diese beiden Leute zu Pferd denn überhaupt aus?«, fragte Sebastian, mit einem Finger auf den Tisch trommelnd.
Während sie mit der Hand unter das Regal langte, lauschte Jennsen gespannt, ob es vielleicht Richard Rahl gewesen sein könnte. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, wer sonst in Frage kommen sollte.
»Es waren ein Mann und eine Frau. Aber die beiden saßen auf nur einem Pferd.«
Das fand Jennsen seltsam; davon abgesehen schien es jedoch ihre Erwartung, daß es Lord Rahl und seine Gemahlin waren, genau zu bestätigen; merkwürdig war nur, daß sie zu zweit auf einem Pferd saßen.
»Die Frau, sie ...« Der Mann verzog das Gesicht, offenbar war ihm das, was er jetzt sagen mußte, unangenehm. »Sie saß nicht aufrecht, sondern lag« – er tat, als legte er mit seinen Händen etwas über einen Pferderücken – »quer über dem Rücken des Pferdes. Sie war gefesselt.«
Als Jennsen die Blechdose vor Überraschung mit einer ruckartigen Bewegung hervorziehen wollte, verhakte sich der Deckel in einer Kerbe des Holzregals und löste sich mit einem leisen Knall. Der Inhalt verteilte sich vor ihr über den Boden.
»Wie sah der Mann aus?«, fragte Sebastian.
Ein kurzes, mit Zwirn umwickeltes und mit Angelhaken befestigtes Holzstück war aus der Blechdose gefallen. Jennsen starrte auf das dunkle Häuflein Bergfieberrosen, die unmittelbar nach der Angelschnur herausgerieselt waren.
»Der Mann war kräftig und ziemlich jung. Es hatte ein prachtvolles Schwert bei sich, berichten meine Leute, dessen blinkende Scheide mit einem Waffengurt über seiner Schulter befestigt war.«
»Das klingt ganz nach Lord Rahl«, meinte Schwester Perdita von der Tür her. Jennsen erschrak.
»Auch andere Männer tragen ihr Schwert in einem Waffengurt«, gab Sebastian zu bedenken.
Obwohl sie sich beim besten Willen nicht vorstellen konnte, weshalb er seine Gemahlin quer über sein Pferd binden sollte, berauschte die Vorstellung, daß Lord Rahl gesehen worden war, Jennsen so sehr, daß sie die getrockneten Bergfieberrosen mit zitternden Fingern aufklaubte und sie, gefolgt von der Angelschnur, zurück in die Blechdose stopfte. Sie drückte den Deckel darauf und verstaute die Dose zusammen mit den übrigen Utensilien wieder im Rucksack.
»Kommt«, rief die Schwester. »Wir müssen sofort hinunter ins Tal.«
Plötzlich hörte man von draußen, auf der anderen Seite der Gebäude, das aufgeregte Stimmengewirr der Händler. Jennsen riskierte einen Blick um die Hausecke und sah sie aufgeregt in die ebene, von der Sonne verdorrte Landschaft zeigen.
»Was gibt’s denn?«, fragte Sebastian, als er dem Mann zur Tür hinaus folgte.
»Es kommt jemand«, antwortete der.
»Wer könnte das sein?«, raunte Jennsen Sebastian zu, als dieser neben sie trat.
»Ich weiß es nicht. Gut möglich, daß es nur ein weiterer Händler ist, der diese Handelsstation besuchen will.«
Der drahtige, kleine Mann verbeugte sich, er hatte alle Fragen beantwortet und wollte sich verabschieden, um sich zu seinen Leuten zu gesellen, die eng zusammengedrängt im Schatten eines der anderen Gebäude kauerten. Sebastian bat ihn zu warten, während er noch einmal ins Haus zurückging und ein schwarzes Bündel aus dem Regal zog.
»Wir sollten zusehen, daß wir Schwester Perdita einholen«, meinte er, als er die Frau hinter der Stelle verschwinden sah, wo der Pfad in die flirrende Landschaft der Säulen der Schöpfung hinabzuführen begann. »Sie wird dich vor Richard Rahls Magie beschützen und dir bei dem, was du tun mußt, helfen.«
Jennsen wollte einwenden, daß sie Schwester Perditas Schutz nicht brauche; die Magie des Lord Rahl könne ihr ohnehin nichts anhaben, aber dies war kaum der rechte Augenblick, mit ihm über das Thema zu diskutieren und ihm alles zu erklären. Irgendwie schien nie der rechte Augenblick dafür zu sein. In Wahrheit spielte es sowieso keine Rolle, was Sebastian von ihren Möglichkeiten hielt, ganz nah an Richard Rahl heranzukommen, was zählte, war allein, daß sie es schaffte.
Die beiden standen nebeneinander in der sengenden Sonne und beobachteten den winzigen Punkt über der endlosen Landschaft. Eine Staubwolke stand hinter dem einsamen Reiter in der Luft. Ihre Eskorte aus eintausend Mann sah nervös nach ihren Waffen.
»Ist das einer von Euren Leuten?«, wandte sich Sebastian an den Anführer der schwarz gewandeten Händler.
»Die Landschaft hier spielt den Augen so manchen Streich«, antwortete er. »Er ist noch sehr weit entfernt; daß er näher scheint, liegt allein an der Hitze. Es wird noch eine Weile dauern, bis der Reiter bei uns eintrifft und wir sagen können, wer er ist.« Er lächelte Jennsen an und gestikulierte aufmunternd. »Ihr müßt den Burnus überziehen, dann seid Ihr vor der Sonne geschützt.«
Statt sich auf eine Diskussion einzulassen, warf Jennsen sich das gazeähnliche umhangartige Kleidungsstück um die Schultern, wickelte sich den langen Schal um Kopf und Stirn, wie sie es bei den Männern beobachtet hatte, zog ihn über Mund und Nase und stopfte das lose Ende an der Seite hinein. Sie war überrascht, mit welcher Plötzlichkeit der schwarze Stoff die glühende Hitze der Sonne linderte. Es war eine ungeheure Erleichterung, fast so, als stünde man im Schatten.
Die Augen des Mannes lächelten, als er ihren Gesichtsausdruck sah. »Gut, ja?«, fragte er hinter seiner dünnen schwarzen Maske.
Immer noch damit beschäftigt, den schwarzen Schal um seinen Kopf zu wickeln, wandte der Mann sich danach an Sebastian, »Ich habe Euch, so gut es ging, Auskunft gegeben; mehr wissen wir nicht. Meine Männer und ich werden jetzt fortgehen.«
Bevor Sebastian etwas erwidern konnte, lief der Mann bereits mit eiligen Schritten über den ausgedörrten Boden hinüber zu der dunklen Traube von Männern, die bei ihren staubigen Maultieren warteten. Dann brachen sie auf, zogen ihre Maultiere an Führungsleinen hinter sich her; offensichtlich hatten sie es eilig, die Soldaten hinter sich zurückzulassen.
Sie nahmen Kurs Richtung Süden, fort von dem nahenden Reiter.
»Wenn es einer von ihren Leuten sein könnte«, meinte Sebastian, »wieso brechen sie dann auf?«
Er blickte ungeduldig zu dem schmalen Pfad hinüber, auf dem Schwester Perdita verschwunden war, dann gab er der wartenden, immer noch auf ihren Pferden sitzenden Truppenkolonne ein Zeichen. Die finster aussehende Streitmacht setzte sich, eine träge Staubwolke aufwirbelnd, in Bewegung.
»Wir müssen dort hinunter«, erklärte Sebastian, mit einer Handbewegung auf das Tal deutend, in dem die Säulen der Schöpfung standen. »Ihr wartet hier oben, bis wir wieder zu rück sind.«
Der Offizier an der Spitze der Kolonne kreuzte seine Handgelenke auf dem Knauf seines Sattels. »Was, wünscht Ihr, sollen wir in dieser Angelegenheit unternehmen?«, fragte er. Seine fettigen Haarsträhnen fielen ihm nach vorn über die Schulter, als er mit dem Kinn auf den noch immer fernen Reiter deutete.
Sebastian drehte sich um und beobachtete das weit entfernte Pferd, das im Galopp auf sie zuhielt. »Sollte er aus irgendeinem Grund verdächtig erscheinen, tötet Ihr ihn. Die Sache ist zu wichtig, als daß wir uns jetzt irgendwelche Komplikationen leisten könnten.«
Der Offizier bedachte Sebastian mit einem knappen Nicken. Die gierigen Blicke und das humorlose Grinsen der Männer in seinem Rücken verrieten Jennsen nur zu deutlich, daß der Befehl ganz nach ihrem Geschmack war.
»Gehen wir«, sagte Sebastian. »Ich möchte Schwester Perdita einholen, bevor sie einen zu großen Vorsprung hat.«
»Keine Sorge«, meinte Jennsen. »mein Verlangen nach Lord Rahl ist sehr viel größer als das Schwester Perditas.«