34

Jennsen kauerte allein auf dem Fußboden vor dem kräftig lodernden Feuer, das Sebastian für sie angezündet hatte, und starrte geistesabwesend in die Flammen. Der Abschied von dem Heiler und der Mutter des Jungen war ihr nur noch verschwommen in Erinnerung, und von ihrem Rückweg, als sie sich mit langsamen, schweren Schritten durch Schnee und Kälte zu der leeren Hütte geschleppt hatte, hatte sie kaum etwas mitbekommen.

Sie wußte nicht, wie lange sie jetzt schon dort saß und ihren düsteren Gedanken nachhing, die ihr in unablässiger Folge durch den Kopf schwirrten.

Seit Althea ihr von Drefan erzählt hatte, hatte Jennsen sich an die Hoffnung geklammert, aus dieser Verbindung Kraft schöpfen zu können, vorausgesetzt, es gelang ihr, diesen anderen Nachkömmling Darken Rahls, ihren Halbbruder und eine Lücke in der Welt wie sie, aufzuspüren. Sie hatte geglaubt, daß vielleicht eine Art Verwandtschaft sie miteinander verband und sie durch ihren gemeinsamen Kampf zu einer Klärung ihrer jeweiligen Stellung im Leben finden könnten. Nun würde sie nie mehr erfahren, ob etwas davon hätte Wirklichkeit werden können oder nicht...

Jennsen.

Die Gedanken schossen ihr wie reißende Sturzbäche durch den Kopf, ein heilloses Durcheinander aus Hoffnung und Verzweiflung, entsetzlicher Angst und Wut.

Tu vash misht. Tu vask misht. Grushdeva du kalt misht.

Und auch die Stimme war da, irgendwo jenseits der brodelnden Gedanken, jenseits ihrer aufgewühlten Gefühle, jenseits von Chaos und Verwirrtheit. und flüsterte wieder einmal diese seltsam lockenden Worte.

Bis schließlich alle anderen Gedanken in der glühenden Hitze ihres Zorns verdampften.

Jennsen. Gib dich hin.

Plötzlich wußte sie, was sie zu tun hatte.

Jennsen erhob sich, auf einmal geradezu beschwingt von dem seltsamen Gefühl inneren Friedens, einen Entschluß gefaßt zu haben. Sie warf sich ihren Umhang über die Schultern und stapfte entschlossen hinaus in die friedliche, eisige, lautlose Nacht. Die Luft war so kalt, daß jeder Atemzug schmerzte. Der jungfräuliche Schnee knirschte unter ihren Sohlen, als sie in die noch frischen Spuren trat.

Zitternd vor Kälte, vielleicht auch wegen der Ungeheuerlichkeit ihres Entschlusses, klopfte sie leise an die Tür der letzten Hütte. Gleich darauf öffnete Sebastian sie gerade weit genug, um zu erkennen, daß sie es war, dann zog er sie rasch auf, um Jennsen hineinzulassen. Eilig trat sie durch die Tür in den Schein des Feuers und in die wohlige Wärme, die sich wie eine schützende Hülle um sie legte.

Sebastian trug kein Hemd. Aus seinem Geruch von Sauberkeit und dem um seinen Hals geschlungenen Handtuch schloß sie, daß sie ihn offenbar an der Waschschüssel erwischt hatte. Wahrscheinlich hatte er auch in ihrer Hütte eine Schüssel mit Wasser gefüllt, sie hatte es nur nicht bemerkt.

Die Stirn besorgt in Falten gelegt, wartete Sebastian gespannt zu hören, was sie zu ihm geführt haben mochte. Jennsen trat auf ihn zu, so nah, daß sie seine Körperwärme spürte. Die geballten Fäuste seitlich am Körper, sah sie ihm unerschrocken in die Augen.

»Ich habe mich entschlossen, Richard Rahl zu töten.«

Er musterte ihr Gesicht, so als hätte er die ganze Zeit gewußt, daß sie eines Tages diese unvermeidliche Notwendigkeit einsehen würde. Ohne etwas zu erwidern wartete er ab, was sie ihm außerdem noch zu sagen hatte.

»Mir ist jetzt klar geworden, daß Ihr Recht hattet«, fuhr sie fort. »Wenn ich ihn nicht beseitige, werde ich niemals sicher sein. Ich werde niemals frei sein, mein eigenes Leben zu leben. Ich bin die Einzige, die dafür in Frage kommt – ich muß es tun.«

Was sie ihm nicht verriet, war, warum es unbedingt sie sein mußte.

Er faßte sie beim Oberarm, ohne seinen durchbohrenden Blick von ihr abzuwenden. »Es wird schwierig sein, an einen solchen Mann heranzukommen, um Euren Plan in die Tat umzusetzen. Ich habe Euch erzählt, daß wir Hexenmeisterinnen in Diensten des Kaisers haben, Hexenmeisterinnen, die für das Ende der Herrschaft des Lord Rahl kämpfen. Laßt mich Euch zuerst zu ihnen bringen.«

Jennsen war einzig auf ihren Entschluß konzentriert gewesen, weniger darauf, wie dieser sich im Einzelnen durchführen ließe. Auf ihre Vorgehensweise oder darauf, wie sie mit den verschiedenen Schutzringen von Personen fertig werden sollte, die diesen Mann umgaben, hatte sie keinen Gedanken verschwendet. Für den eigentlichen Mord mußte sie nah genug an ihn heran. Sie hatte sich immer nur selbst vor ihrem inneren Auge gesehen, wie sie. das Messer in ihrer geballten Faust, auf ihn einstach, ihm ihren Haß ins Gesicht schrie, und wie sehr sie sich wünschte, daß er für alle seine Verbrechen büßen möge. Sie war ausschließlich auf die Tat selbst fixiert gewesen, nicht darauf, wie sie es schaffen sollte, in seine unmittelbare Nähe zu gelangen. Wenn sie Erfolg haben wollte, galt es, gewisse praktische Dinge in entsprechendem Maß zu berücksichtigen.

»Meint Ihr, diese Frauen könnten mir helfen und die Magie zur Abschaffung der Magie einsetzen, wie Ihr vorhin sagtet? Glaubt Ihr, diese Frauen könnten mir die Mittel beschaffen, die ich benötige, um gegen ihn vorzugehen?«

Sebastian nickte. »Sonst hätte ich es Euch nicht vorgeschlagen. Ich kenne die zerstörerische Kraft der Magie auf Seiten Lord Rahls – ich habe sie mit eigenen Augen gesehen – und weiß, wie unsere Hexenmeisterinnen uns geholfen haben, uns dagegen zu wehren. Magie allein wird nicht genügen, aber ich denke, sie werden uns wertvolle Hilfe zur Verfügung stellen können.«

Jennsen drückte den Rücken durch und reckte ihr Kinn vor. »Dafür wäre ich sehr dankbar. Ich werde mit Freuden jede Hilfe annehmen, die sie zu bieten haben.«

Ein dünnes Lächeln spielte um seine Mundwinkel.

»Aber eines sollt Ihr wissen«, fügte sie hinzu. »Ob mit oder ohne ihre Hilfe, ich bin fest entschlossen, Richard Rahl zu töten. Und wenn ich allein und mit leeren Händen losziehen muß, ich werde ihn töten. Ich werde nicht eher ruhen, bis es vollbracht ist, denn erst wenn ich ihn getötet habe, gehört mein Leben mir – und die Schuld daran trägt allein er, nicht ich. Ich bin lange genug weggelaufen, damit ist jetzt endgültig Schluß.«

»Verstehe. Dann werde ich Euch also zu den Hexenmeisterinnen bringen.«

»Was meint Ihr, wie weit ist es noch bis in die Alte Welt?«

»Wir werden zunächst einmal gar nicht in die Alte Welt gehen. Morgen früh werden wir einen Paß nach Westen über die Berge suchen, denn wir müssen als Erstes in die Midlands.«

»Aber ich dachte, Kaiser Jagang und die Schwestern des Lichts befänden sich in der Alten Welt.«

Sebastians Miene verzog sich zu einem verschmitzten Lächeln. »Nein, wir können nicht zulassen, daß Lord Rahl unser Volk mit Krieg überzieht, ohne uns seiner Aggression zu widersetzen und dafür zu sorgen, daß er sie teuer bezahlt. Wir sind fest entschlossen, uns dem Kampf zu stellen und zu gewinnen – genau wie Ihr. Zur Zeit weilt Kaiser Jagang bei unseren Truppen, die ihren Regierungssitz in den Midlands, die Stadt Aydindril, belagern. Dort steht auch der Palast der Konfessoren – der Palast der Gemahlin des Lord Rahl. Wir sind im Begriff, einen Keil in die Neue Welt zu treiben. Sobald es Frühling wird, werden wir Aydindril einnehmen und der Neuen Welt damit das Rückgrat brechen.«

»Nun, das konnte ich nicht ahnen. Wußtet Ihr denn die ganze Zeit, daß Kaiser Jagang ein so kühnes Unternehmen plant?«

Sebastian hätte beinahe laut gelacht. »Ich bin sein oberster Stratege.«

Jennsen fiel der Unterkiefer herunter. »Ihr? Ihr habt Euch das alles ausgedacht?«

Er überging ihr großäugiges Staunen. »Kaiser Jagang ist auf Grund seines genialen Verstandes in der Alten Welt an die Macht gekommen. Er hatte in dieser Angelegenheit zwei Möglichkeiten, ihm lagen zwei verschiedene Empfehlungen vor, erstens ein Angriff auf die Midlands, oder aber zuvor ein Angriff auf D’Hara. Bruder Narevs Überlegungen gingen dahin, daß das Recht auf unserer Seite sei und der Schöpfer uns in jedem Fall den Sieg zubilligen würde, demzufolge gab er keiner Lösung den Vorzug und konnte keinen militärischen Rat erteilen.

Der Kaiser selbst hatte Aydindril längst als Ziel ins Auge gefaßt, wollte sich dazu aber nicht äußern, bevor er die Empfehlungen gehört hatte. Meine Empfehlung gab schließlich den Ausschlag. Kaiser Jagang bedient sich nicht immer meiner Kriegslist, aber in diesem Fall war ich sehr froh, daß er meine Ansicht teilte – die Einnahme der Stadt und des Palasts der Gemahlin des Lord Rahl wäre nicht nur ein gewaltiger militärischer Erfolg, sondern träfe unseren Feind auch an seiner verwundbarsten Stelle.«

Jennsen begann ihn wieder so zu sehen wie ganz am Anfang, voller Ehrfurcht für seine tatsächliche Bedeutung. Vor ihr stand ein Mann, der zumindest in gewissem Maße den Lauf der Geschichte beeinflußte.

»Glaubt Ihr nicht, der Kaiser könnte den Palast inzwischen längst eingenommen haben?«

»Nein«, antwortete er entschieden. »Wir werden unsere tapferen Soldaten auf keinen Fall sinnlos für die Eroberung eines so wichtigen militärischen Ziels opfern, solange das Wetter für uns nicht günstig ist. Deshalb werden wir Aydindril im Frühling einnehmen, wenn dieser fürchterliche Winter vorüber ist. Ich denke, wir können noch rechtzeitig für dieses große Ereignis zu ihnen stoßen.«

Diese Aussicht versetzte Jennsen in helle Begeisterung – die Streitkräfte eines freien Volkes würden Lord Rahl einen gewaltigen Schlag versetzen. Aber gleichzeitig wurde ihr bewußt, daß dies den Anfang vom Ende D’Haras bedeutete; im Grunde aber bedeutete es nur das Ende einer Schreckensherrschaft.

Diese Nacht, im Schein des knisternden Feuers, erschien ihr plötzlich in mehr als einer Hinsicht bemerkenswert. Der Welt standen große Umwälzungen bevor, und sie würde daran teilhaben. Sie selbst hatte sich in dieser Nacht auch verändert.

Das Feuer wärmte eine Seite ihres Gesichts. Ihr wurde bewußt, daß sie Sebastian noch nie mit nacktem Oberkörper gesehen hatte. Der Anblick gefiel ihr.

Er faßte sie sacht bei der Schulter. »Kaiser Jagang möchte Euch gerne kennenlernen.«

»Mich? Aber ich bin doch völlig unwichtig.«

»Nicht doch, Jennsen, ich kann Euch versichern, Kaiser Jagang wird geradezu versessen darauf sein, die mutige Frau kennen zu lernen, die bereit ist, eine derart gewagte Tat für unser tapferes Volk und die Zukunft einer befreiten Menschheit zu begehen, um so der Geißel des Hauses Rahl ein Ende zu bereiten. Bruder Narev plant, für das historische Ereignis der Eroberung Aydindrils und des Palasts der Konfessoren aus der Alten Welt anzureisen, um Zeuge des großen Sieges im Namen unseres Volkes zu werden. Ich bin sicher, auch er wäre geradezu entzückt, Euch kennen zu lernen.«

»Bruder Narev ...«

Jennsen dachte an die gewaltigen Umwälzungen, von denen sie bis zu diesem Augenblick nichts gewußt hatte. Jetzt auf einmal war sie Teil davon. Ein Schauder überlief sie bei dem Gedanken, daß sie Jagang den Gerechten treffen sollte – einen richtigen Kaiser – und vielleicht sogar Bruder Narev, Sebastians Worten zufolge so ziemlich der bedeutendste geistige Führer, der je gelebt hatte.

Ohne Sebastian wäre dies alles nicht möglich gewesen. Er war ein bemerkenswerter Mann – in jeder Hinsicht, angefangen bei seinen wunderbaren blauen Augen, dann seine höchst ungewöhnlichen weißen Haarstoppeln, bis hin zu seinem gewinnenden Lächeln und seinem überragenden Verstand.

»Da Ihr an der Planung des Feldzugs beteiligt wart, möchte ich Euch sagen, wie sehr es mich freut, daß Ihr vor Ort sein werdet, um den Triumph Eurer Strategie miterleben zu können. Aber ich muß gestehen, auch für mich wäre es eine große Ehre, diesem Ereignis in Gegenwart so großer und edler Männer beizuwohnen.«

Obwohl Sebastian bescheiden wie immer wirkte, glaubte sie für einen kurzen Moment so etwas wie Stolz in seinen Augen aufblitzen zu sehen; doch sogleich wurde er wieder ernst. »Aber wenn wir Kaiser Jagang gegenübertreten, dürft Ihr bei seinem Anblick nicht erschrecken.«

»Was meint Ihr?«

»Kaiser Jagang wurde vom Schöpfer mit Augen bedacht, die mehr sehen als die gewöhnlicher Menschen. Törichte Menschen fürchten sich vor seinem Aussehen. Ich wollte Euch nur vorwarnen, damit Ihr keine Angst vor einem so großen Mann habt, nur weil er sich äußerlich von anderen unterscheidet.«

»Das werde ich bestimmt nicht.«

»Dann ist es also abgemacht.«

Jennsen schmunzelte. »Ich bin mit Eurer neuen Strategie einverstanden. Wir können gleich morgen früh in die Midlands, zu Kaiser Jagang und den Schwestern des Lichts aufbrechen.«

Er schien sie kaum zu hören. Sein Blick schweifte über ihr Gesicht und ihr Haar und kehrte schließlich zu ihren Augen zurück.

»Ihr seid die schönste Frau, die mir je begegnet ist.«

Jennsen spürte, wie sein Griff fester wurde und er sie an sich zog. »Es schmeichelt mir, wenn Ihr so etwas sagt«, hörte sie sich sagen. Er war der Vertraute und Berater eines Kaisers, sie nur ein einfaches Mädchen, das in den Wäldern aufgewachsen war. Er machte Geschichte, sie lief vor ihr davon – bis jetzt.

Und doch war er auch einfach nur Sebastian, ein Mann, mit dem sie sich unterhielt, mit dem sie reiste, mit dem sie zusammen aß. Zahllose Male hatte sie ihn vor Erschöpfung gähnen und einschlafen sehen.

Unvermittelt preßte er seinen Mund auf ihre Lippen und zog sie fest in seine Arme. Es war ein überaus sinnliches Gefühl, seine Lippen auf ihrem Mund zu spüren; seine Arme hielten sie nicht einfach nur fest, sie beschützten sie. Jennsen schloß die Augen und gab sich seinem Kuß völlig hin. Sein Körper fühlte sich so fest an. Er ergriff ihr Haar im Nacken, zog sie stöhnend an sich und küßte sie, bis sie unerwartet seine warme Zunge spürte. Jennsen wurde schwindelig vor lauter Wonne.

Plötzlich spürte sie den Druck des Bettzeugs auf ihrem Körper. Der Schock, auf dem Rücken zu liegen, unter seinem schweren Körper, verwirrte sie dermaßen, daß sie nicht wußte, was sie tun sollte. Sie wollte, daß er aufhörte, bevor er zu weit ging. Gleichzeitig hatte sie Angst, etwas zu tun, das ihn am Weitermachen hinderte, schließlich sollte er nicht glauben, daß sie ihn verschmähte.

Und plötzlich wurde ihr auch bewußt, wie überaus allein sie waren. Dieses Gefühl der Einsamkeit war ihr nicht geheuer, und doch hatte es gleichzeitig etwas Erregendes. Jetzt, da sie beide so völlig auf sich gestellt waren, konnte nur sie allein ihn aufhalten. Was immer sie jetzt tat, würde nicht nur über ihren weiteren Lebensweg entscheiden, sondern auch über Sebastians Empfindungen für sie. Es gab ihr ein angenehmes Gefühl von Macht.

Dabei war es nur ein Kuß, ein gewagterer als im Palast, ja, aber trotzdem nur ein Kuß. Ein Kuß, der ihr den Kopf verdrehte und ihr Herz schneller schlagen ließ.

Sie gab sich seiner Umarmung völlig hin, wagte sogar, seinen Kuß zu erwidern, und war begeistert über das glühende Verlangen, das sie damit in ihm weckte. Zum ersten Mal fühlte sie sich als Frau – als begehrenswerte Frau. Sie strich mit den Händen über die geschmeidige Haut auf seinem Rücken, ertastete seinen Körper und spürte seine Geschmeidigkeit, als er sich an sie schmiegte.

»Jenn«, hauchte er ihr atemlos ins Ohr, »ich liebe dich.«

Jennsen war so überwältigt, daß es ihr die Sprache verschlug. Alles erschien ihr unwirklich. Es kam ihr vor, als müßte sie dies alles träumen oder als steckte sie im Körper einer anderen. Ihr war bewußt, daß sie ihn die Worte hatte sprechen hören, und doch erschien es ihr nicht wirklich. Sie hatte Angst, ihm zu glauben, sich der Gewißheit hinzugeben, daß dies tatsächlich geschah, daß es ihr passierte – oder sie es sich vielleicht doch nur einbildete.

»Aber ... das kannst du unmöglich ernst meinen.« Ihre Worte waren wie ein Schutzwall, trotz der ungewohnten Vertraulichkeit.

»Doch«, keuchte er. »Bestimmt. Ich bin machtlos dagegen, Jennsen. Ich liebe dich.«

Sein warmer Atem kitzelte ihr Ohr, bis ein wohliger Schauer ihren Körper durchflutete.

Aus irgendeinem Grund schoß ihr die Erinnerung an Tom durch den Kopf. Sie sah ihn gewissermaßen vor sich, wie er sie anlächelte. Tom würde sich niemals so verhalten. Sie wußte nicht, woher sie diese Gewißheit nahm, und doch war es so. Tom hätte sich ihr niemals auf diese Weise genähert, um ihr seine Liebe zu zeigen.

Aus irgendeinem Grund versetzte ihr der Gedanke an Tom einen schmerzhaften Stich.

»Sebastian ...«

»Morgen werden wir aufbrechen, um unsere Bestimmung zu erfüllen...«

Jennsen nickte an seiner Schulter, verwundert, daß diese Worte irgendwie leidenschaftlich klangen. Ihre Bestimmung. Sie klammerte sich an ihn, spürte seinen schweißnassen, erhitzten Rücken, spürte, wie er seinen Körper gegen ihr Bein preßte, sie spürte seinen Arm quer über ihrem Bauch, seine Hand, die über ihre Hüfte strich, und merkte, wie sie darauf hoffte, daß er etwas zu ihr sagte, etwas, das sie erregte und ihr Angst machte, und gleichzeitig inständig darum bat, er möge es nicht tun.

»Aber diese Nacht gehört uns, Jenn, du mußt nur wollen.«

Jennsen.

»Sebastian ...«

Jennsen.

»Ich liebe dich, Jennsen. Ich liebe dich.«

Jennsen.

Sie wünschte sich, Toms Bild würde aus ihren Gedanken verschwinden.

»Sebastian, ich weiß nicht, was ...«

»Ich hab das nie gewollt, hatte nie die Absicht, mich zu diesen Gefühlen hinreißen zu lassen, aber jetzt ist es passiert. Ich liebe dich, Jenn. Gütiger Schöpfer, ich bin völlig machtlos dagegen.«

Sie schloß die Augen, als er sie auf den Hals küßte. Es tat so gut, sein zärtliches Geflüster an ihrem Ohr zu hören, ein Geflüster, das ein wenig an ein gequältes, von Reue und Wut triefendes Geständnis erinnerte, und zur selben Zeit erfüllt war von verzweifelter Hoffnung.

»Ich liebe dich«, flüsterte er wieder.

Jennsen.

Früher hatte sie sich nie für sonderlich anziehend gehalten, in diesem Moment aber fühlte sie sich mehr als schön – verführerisch schön.

Gib dich hin.

Sie küßte ihn auf den Hals, gab ihm einen Kuß aufs Ohr und liebkoste es, wie er es zuvor bei ihr getan hatte. Sein ganzer Körper schien in Flammen zu stehen.

Dann plötzlich erstarrte sie, als er seine Hand unter ihr Kleid schob. Seine Finger glitten über ihr nacktes Knie, über ihre entblößte Hüfte. Ihr Atem stockte; sie riß die Augen auf und starrte an die dunklen Dachbalken. Er preßte seinen Mund auf ihren, bevor sie das Wort aussprechen konnte, das ihr auf den Lippen lag. Mit der Faust schlug sie ihm gegen die Schulter, einmal, aus Verzweiflung, daß sie dieses eine so wichtige Wort nicht sagen durfte.

Doch dann verbannte sie auch das ungebetene Bild von Tom gewaltsam aus ihren Gedanken, indem sie sich ganz auf Sebastian und das, was er mit ihr anstellte, konzentrierte. Seine Berührungen schwächten sie auf eine Weise, die sie nach mehr verlangen ließ.

»Sebastian ...«, stöhnte sie. »Oh, Sebastian ...«

»Ich liebe dich so sehr, Jenn.« Er zwang ihre Knie weit auseinander und schob sich zwischen ihre zitternden Schenkel. »Ich brauche dich, Jenn. Ich brauche dich so sehr. Ich kann ohne dich nicht leben. Ich schwöre es.«

Angeblich war es allein ihre Entscheidung, das versuchte sie sich immer wieder einzureden.

»Sebastian ...«

Gib dich hin.

»Ja«, hauchte sie. »Die Gütigen Seelen mögen mir verzeihen, ja.«

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