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Oba fand es überaus bedauerlich, daß es vorbei war, aber irgendwann mußte es ja mal enden. Im Übrigen mußte er schleunigst zurück nach Hause, da seine Mutter bestimmt wieder verärgert wäre, wenn er zu lange im Ort blieb. Davon abgesehen war aus Lathea beim besten Willen kein Vergnügen mehr herauszuholen; dabei war es durchaus faszinierend gewesen, solange es währte, über alle Maßen faszinierend sogar zumal er eine Menge neuer Dinge gelernt hatte. Die Erregung, die ihm Tiere verschafften, war einfach nicht zu vergleichen mit der, die er bei Lathea empfunden hatte – ganz besonders, als sie den einzigartig inspirierenden Augenblick allerhöchster Qual erwartete, da die Seele ihre irdische Hülle verließ und der Hüter der Toten sie in sein ewiges Reich aufnahm.

Aber auch bei Tieren überkam ihn so etwas wie Begeisterung; daß sie eine Seele besaßen, glaubte er allerdings nicht. Sie ... starben einfach.

Lathea war auch gestorben, doch das war eine völlig neue Erfahrung gewesen.

Latheas Tod hatte ihm ein Grinsen entlockt, wie er noch nie zuvor gegrinst hatte.

Oba schraubte den Lampenaufsatz ab, zog den geflochtenen Docht heraus und träufelte eine Spur aus Lampenöl quer über den Fußboden, über die zersplitterten Teile des Schrägentisches und um Latheas Medizinschrank herum, der mitten im Zimmer lag.

Er konnte sie nicht einfach dort liegen lassen, bis man sie entdeckte. Wenn man sie so fände, würde man ohne jeglichen Zweifel Fragen stellen. Allein die Vorstellung, daß jemand fähig war, die mächtige Hexenmeistern auf so grauenerregende Weise zu töten, würde für Aufsehen sorgen. Die Menschen würden wissen wollen, wer es getan hatte, und für manche Leute würde er daraufhin zum Racheengel werden. Überall würden sich die Menschen den Mund zerreißen. Was wäre das für ein Spaß!

Gerade wollte er den letzten Rest des Lampenöls verschütten, als er sein Messer neben dem umgestürzten Schrank erblickte. Er warf die leere Lampe auf den Trümmerhaufen und bückte sich, um das Messer aufzuheben; es befand sich in einem beklagenswerten Zustand. Man kann kein Omelett braten, ohne Eier zu zerschlagen, pflegte seine Mutter zu sagen. Und das tat sie oft, in diesem Fall fand Oba ihren lahmen, albernen Spruch allerdings durchaus passend.

Sein Messer war ein wertvolles Werkzeug, und er achtete stets darauf, daß es rasiermesserscharf war. Erleichtert registrierte er, wie der alte Glanz wieder zum Vorschein kam, nachdem er das Blut abgewischt hatte. Er hatte gehört, daß Magie auf vielfältigste Weise unsäglichen Verdruß bereiten konnte, und einen Augenblick lang hatte Oba befürchtet, womöglich könnte eine Art ätzend saures Blut in den Adern der Hexenmeisterin fließen, das in der Lage war, Stahl zu zerfressen. Doch es war ganz gewöhnliches Blut – allerdings jede Menge davon.

Ja, die Geschichte würde zweifellos Aufsehen erregen.

Nur behagte ihm die Vorstellung nicht, daß möglicherweise auch Soldaten vorbeikommen und Fragen stellen könnten. Soldaten waren ein mißtrauischer Schlag. So sicher, wie eine Kuh Milch gab, würden sie ihre Nase überall hineinstecken und mit ihrem Argwohn und ihrer Herumfragerei alles verderben. Davon abgesehen glaubte er nicht, daß Soldaten sonderlich scharf auf Omeletts waren.

Nein, am besten, Latheas Haus brannte bis auf die Grundmauern nieder. Es kam ständig vor, daß irgendwo ein Haus niederbrannte – vor allem im Winter. Mal rollten Scheite aus dem Kamin und verteilten überall ihre glühende Asche; mal sprangen Funken auf Gardinen über und ließen ganze Häuser in Flammen aufgehen; dann wieder schmolzen Kerzen, kippten um und setzten irgendwelche Gegenstände in Brand. So etwas passierte ständig. Ein Feuer, mitten im Winter, würde also kaum Verdacht erregen. In Anbetracht all der Blitze und Funken, mit denen die Hexenmeisterin wohl oder übel ständig um sich schmiß, kam es sowieso einem Wunder gleich, daß das Haus nicht längst abgebrannt war.

Oba entfuhr ein Seufzer des Bedauerns über das Getratsche, das nun ausbliebe, über das, was hätte sein können, wäre da nicht dieser tragische Brand gewesen, dem man die Schuld an Latheas Tod geben würde.

Mit Feuersbrünsten kannte Oba sich aus. denn sein Zuhause war im Laufe der Jahre mehrmals abgebrannt. Oba sah gerne zu, wie etwas niederbrannte, er liebte das Geschrei der Tiere. Es gefiel ihm, wenn die Menschen in wilder Panik angerannt kamen; sie wirkten dann immer so klein und unscheinbar angesichts dessen, was er vollbracht hatte. Eine Feuersbrunst weckte in den Menschen stets Angstgefühle, und das Durcheinander gab ihm jedesmal ein Gefühl von Macht.

Manchmal schütteten Männer unter verzweifelten Hilferufen eimerweise Wasser ins Feuer oder schlugen mit Decken auf die prasselnden Flammen ein, aber damit ließ sich ein von Oba gelegtes Feuer nicht bezwingen. Schlamperei war ihm fremd, er leistete stets ganze Arbeit und wußte, was er tat.

Plötzlich sah Oba neben dem Schrank auf dem Fußboden etwas blinken. Das mußte eine Goldmünze sein! Er steckte sie in seine Tasche zu den anderen Münzen, die er vom Fußboden aufgesammelt hatte. Außerdem hatte er unter der einfachen Bettstatt noch eine fette Geldbörse gefunden.

Lathea hatte ihn zu einem reichen Mann gemacht. Wer wußte schon, daß die Hexenmeisterin so wohlhabend war? Endlich kehrte ein Teil dieses Geldes, das seine Mutter mit ihrer Spinnerei verdient und für seine verhaßte Medizin zum Fenster hinausgeworfen hatte, wieder zu Oba zurück. Der Gerechtigkeit war Genüge getan.

Oba wollte gerade zum Kamin hinübergehen, als er draußen das leise, aber unverkennbare Knirschen von Schritten im Schnee vernahm. Er erstarrte mitten in der Bewegung.

Die Schritte kamen näher, näherten sich der Tür zu Latheas Haus. Wer mochte so spät abends noch zu Lathea wollen?

Oba schnappte sich den neben dem Kamin lehnenden Schürhaken, bugsierte die brennenden Eichenscheite rasch aus der Feuerstelle und verteilte sie auf dem ölgetränkten Fußboden. Das Öl, die zersplitterten Holztrümmer, das Bettlaken und der gesteppte Überwurf fingen mit einem dumpfen Fauchen Feuer. Um Latheas Scheiterhaufen herum stieg kräuselnd dichter weißer Rauch auf.

Flink wie ein Wiesel huschte Oba durch das Loch, das die Hexenmeisterin praktischerweise bei dem Versuch, ihn mit ihrer Magie zu töten, in die Rückwand des Hauses gesprengt hatte.

Woher hätte sie auch wissen sollen, daß er nun unbesiegbar war. Jennsen wurde jäh nach hinten gerissen, als Sebastian sie am Arm festhielt. Sie drehte sich um und sah sein Gesicht im matten Lichtschein, der aus dem einzigen Fenster fiel; das orangefarbene Leuchten flackerte in seinen Augen. Sein ernstes Gesicht sagte ihr unmißverständlich, daß sie sich still verhalten solle.

Sebastian drückte sich auf seinem Weg zur Haustür an ihr vorbei und zog lautlos sein Schwert. Er lehnte sich ein Stück zur Seite, um einen Blick durch das Fenster zu erhaschen, ohne in den tiefen Schnee darunter treten zu müssen, dann drehte er sich um und rief ihr leise zu: »Es brennt!«

Jennsen lief zu ihm. »Beeilt Euch, vielleicht braucht sie Hilfe.«

Sebastian überlegte nur einen Augenblick lang, dann warf er sich durch die Tür; Jennsen folgte ihm dicht auf den Fersen. Der gesamte Raum war in ein ungestüm flackerndes Licht getaucht, das gespenstische Schatten an die Wände warf. In diesem unsteten Licht erschien alles unwirklich, unnatürlich groß und fehl am Platz.

Dann fiel ihr Blick auf die Trümmer in der Mitte des Raumes, Unter der Oberkante eines Möbelstücks, offenbar ein umgestürzter Schrank, lugte die leicht geöffnete Hand einer Frau hervor. Als sie um das Unterteil des zersplitterten Schranks herumging, sah sie plötzlich in aller Deutlichkeit vor sich, was von Lathea noch übrig war.

Der Schock ließ Jennsen erstarren. Sie war unfähig, sich von der Stelle zu rühren, ihre weit aufgerissenen Augen abzuwenden. Und der ekelerregende, alles durchdringende Gestank verursachte ihr Brechreiz.

Sebastian hatte im Gegensatz zu ihr die an die Rückseite des Schranks genagelten Überreste Latheas mit einem einzigen Blick erfaßt; aus seinen ruhigen Bewegungen schloß sie, er habe dergleichen wohl schon oft gesehen.

Jennsen.

Jennsens Finger schlossen sich fester um das Heft ihres Messers und sie spürte, wie sich die Metallkanten der Verzierungen in ihre Handfläche drückten. Schließlich überwand sie die in ihr aufsteigende Übelkeit, holte tief Luft und zog die Klinge blank.

Gib dich hin.

»Sie sind hier gewesen«, sagte sie leise. »Die d’Haranischen Soldaten sind hier gewesen.«

Was sie in seinen Augen sah, glich eher Überraschung und Verwirrung denn irgend etwas anderem.

Stirnrunzelnd sah er sich noch einmal um. »Glaubt Ihr wirklich?«

Jennsen.

Sie ignorierte das Echo der leblosen Stimme in ihrem Kopf und versuchte sich an den Mann zu erinnern, der ihnen nach ihrem ersten Besuch bei der Hexenmeisterin auf der Straße entgegengekommen war. Er war groß gewesen, blond und gut aussehend, wie die meisten d’Haranischen Soldaten. Konnte er vielleicht einer gewesen sein?

Nein, wenn überhaupt, so schienen sie eher ihn erschreckt zu haben als umgekehrt. Soldaten verhielten sich nicht so wie dieser Mann.

»Wer denn sonst? Wir haben sie ja nicht alle vorher gesehen. Es muß der Rest des Quadrons vom Überfall auf unser Haus gewesen sein. Sie müssen uns gefolgt sein, als wir über den Geheimpfad geflohen sind.«

Er sah sich noch immer suchend um, während die Flammen immer höher schlugen. »Ich schätze, Ihr könntet Recht haben.«

Gib dich hin.

»Aber woher konnten sie das wissen?«

»Bei den Gütigen Seelen, Lord Rahl ist ein Zauberer! Wie kann er die Dinge tun, die er tut? Wie hat er wohl unser Haus gefunden?«

»Euer Haus ...«, meinte er nachdenklich. »Ja. jetzt verstehe ich, was Ihr meint. Doch wo wollt Ihr hin?«

Ihre Blicke wanderten unschlüssig zwischen der offenen Tür und der immer weiter um sich greifenden Feuersbrunst vor ihnen hin und her.

»Im Augenblick haben wir keine andere Wahl«, stellte Jennsen fest. »Lathea war unsere einzige Hoffnung auf eine Antwort. Jetzt müssen wir den Palast des Volkes aufsuchen und ihre Schwester Althea finden. Sie ist ebenfalls Hexenmeisterin und die Einzige, die die Lücken in der Welt sehen kann – was immer das bedeuten mag.«

»Seid Ihr sicher, daß Ihr das wirklich riskieren wollt?«

Sie mußte an die Stimme denken, die sie seit der Ermordung ihrer Mutter nicht mehr gehört hatte.

»Welche andere Möglichkeit bleibt uns denn jetzt noch? Wenn ich jemals herausfinden möchte, warum Lord Rahl mich töten will, warum er meine Mutter ermordet hat. warum ich verfolgt werde und wie ich mich seinem Zugriff ein für alle Mal entziehen kann, dann muß ich diese Frau, diese Althea, finden.«

Er eilte mit ihr nach draußen in die bitterkalte Nacht. »Wir sollten jetzt besser zurückgehen und unsere Sachen zusammenpacken. Morgen früh können wir dann zeitig aufbrechen.«

»Jetzt, wo sie uns so dicht auf den Fersen sind, habe ich Angst, daß sie uns im Gasthaus im Schlaf überraschen. Ich habe noch das Geld meiner Mutter, und Ihr das, was Ihr den Männern abgenommen habt. Wir könnten uns Pferde kaufen und noch heute Abend verschwinden.«

Sebastian schob sein Schwert in die Scheide zurück, er überlegte, welche Alternativen sie hatten. »Wenigstens bleiben dank des Feuers keine Spuren zurück, die verraten könnten, was hier vorgefallen ist. Zumindest das schlägt für uns zu Buche. Niemand hat uns herkommen sehen, also dürfte auch niemand einen Grund haben, uns Fragen zu stellen. Bestimmt weiß auch niemand, daß wir ein zweites Mal hier waren. Kein Mensch hat einen Grund, den Soldaten von uns zu erzählen.« Er nahm ihren Arm. »Sputen wir uns.«

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