35

Oba lehnte eine Schulter gegen die rot angestrichene Seitenwand eines etwas abseits stehenden Wagens und ließ, die Hände in den Hosentaschen, den Blick gelangweilt über den geschäftigen Marktplatz schweifen. Die Menschen, die sich um die Stände unter freiem Himmel drängten, schienen bester Laune zu sein, vielleicht weil nach langer Zeit endlich der Frühling vor der Tür stand, auch wenn der Winter noch nicht bereit zu sein schien, seine strenge Herrschaft vollends aufzugeben. Trotz der klirrenden Kälte schwatzten und lachten, handelten und stritten die Menschen, kauften und prüften die Angebote.

Die Menschenmassen hatten keine Ahnung, daß sich mitten unter ihnen eine bedeutende Persönlichkeit befand. Oba feixte. Mitten unter ihnen stand ein Rahl, ein Mitglied der Herrscherfamilie.

Seit seinem Entschluß, unbesiegbar zu werden, sowie auch während seiner weiten Reise in den Norden des Landes war Oba zu einem anderen Mann geworden, zu einem Mann von Welt. Anfangs, unmittelbar nach dem Tod der lästigen Hexenmeisterin und seiner verrückten Mutter, hatte er seine neu gewonnene Freiheit noch in tiefen Zügen ausgekostet und keinen Gedanken an einen Besuch im Palast des Volkes verschwendet, aber je mehr er über die entscheidenden Ereignisse und all die neuen Dinge, die er gelernt hatte, nachdachte, desto mehr gelangte er zu der Überzeugung, daß die Reise für ihn unverzichtbar war. Es fehlten noch immer ein paar Kleinigkeiten, Kleinigkeiten, die leicht zum Problem werden konnten.

Diese Jennsen hatte davon gesprochen, sie werde von Quadronen verfolgt, allerdings machten Quadronen nur Jagd auf bedeutende Personen. Oba sorgte sich, sie könnten auf die Idee kommen, auch auf ihn Jagd zu machen, jetzt, da er ebenfalls eine bedeutende Persönlichkeit war. Er war, wie Jennsen auch, eine dieser Lücken in der Welt. Lathea hatte es versäumt, ihm zu erklären, was genau es damit auf sich hatte, auf jeden Fall aber machte es sowohl Oba als auch Jennsen zu etwas Besonderem. Und irgendwie verband es sie miteinander.

In Anbetracht all der Scherereien, die sich womöglich bereits zusammenbrauten, hielt Oba es für das Klügste, seine Interessen selbst in die Hand zu nehmen, indem er das Stammhaus seiner Ahnen aufsuchte und so viel wie möglich in Erfahrung brachte.

Auch schon vor seinem Entschluß, in den Norden zu reisen, hatte Oba sich mit verschiedenen Problemen herumschlagen müssen.

Trotzdem, er reiste gern an neue Orte, außerdem hatte er eine Menge neuer Dinge gelernt. In seinem Kopf hatte er eine Liste von ihnen angelegt, die Orte, Sehenswürdigkeiten und Menschen umfaßte. In stillen Momenten ging er diese Liste durch, prüfte, was zusammengehörte und welche Schlüsse sich daraus ziehen ließen. Immer geistig rege bleiben, lautete sein Motto. Er war jetzt ganz auf sich gestellt, traf seine eigenen Entscheidungen, wählte allein seinen Weg und tat, was ihm beliebte, trotzdem mußte er noch lernen und sich weiterentwickeln.

Da ihm seine Mutter stets mit resoluter Härte verboten hatte, auch nur einen Pfennig für Frauen auszugeben, hatte Oba gleich nach seiner Ankunft in der erstbesten halbwegs größeren Stadt seine Befreiung von der Tyrannei seiner Mutter damit gefeiert, daß er die kostspieligste Hure aufgesucht hatte, die er finden konnte. Danach war ihm klar, warum seine Mutter so hartnäckig gegen ein Zusammensein mit Frauen gewesen war – es machte Spaß.

Oba hatte jedoch feststellen müssen, daß selbst diese Frauen zu einem Mann von seiner Empfindsamkeit grausam sein konnten. Auch sie versuchten bisweilen, ihm das Gefühl zu geben, klein und unbedeutend zu sein, auch sie bedachten ihn mit diesen abschätzigen, gleichgültigen, herablassenden Blicken, die er so abgrundtief haßte.

Vermutlich war seine Mutter an allem schuld. Wahrscheinlich reichte ihr langer Arm selbst aus dem Reich der Toten noch bis in diese Welt, um ihn mit Hilfe der Kaltherzigkeit der Huren in den Augenblicken seines größten Triumphes noch in die Verzweiflung zu treiben. Vermutlich flüsterte sie den Frauen mit ihrer Totenstimme irgendwelche Gemeinheiten ins Ohr. Das sähe ihr absolut ähnlich, selbst in ihrem ewigen Grab war sie noch nicht bereit, ihn in Ruhe zu lassen und ihm ein wenig Befriedigung zu gönnen.

Oba war keineswegs ein Verschwender, dennoch bescherte ihm das Geld, das rechtmäßig ihm gehörte, einige wohlverdiente Annehmlichkeiten wie saubere Betten, gutes Essen und Trinken sowie die Gesellschaft schöner Frauen. Allerdings verfuhr er mit seinem Geld sehr sparsam, um nicht eines schönen Tages mit leeren Händen dazustehen. Die Menschen, wußte er, hatten es einfach zu sehr auf seinen Reichtum abgesehen.

Oba hatte herausgefunden, daß ihm allein schon der Besitz von Geld Vorteile brachte, vor allem bei Frauen. Wenn er sie zu einem Getränk einlud oder ihnen kleine Geschenke machte – ein hübsches Stück Stoff für einen Schal, ein Geschmeide für ihr Handgelenk, eine glitzernde Nadel für ihr Haar –, wurden sie erheblich anschmiegsamer. Manchmal geschah es in einer Hinterhofgasse, manchmal in einem menschenleeren Wald, gelegentlich auch in einem Gasthauszimmer.

Vermutlich hatten es einige von ihnen nur auf sein Geld abgesehen. Trotzdem erstaunte es ihn immer wieder, wie viel Spaß und Genugtuung er aus einer Frau schöpfen konnte – wenn auch oft nur unter Zuhilfenahme eines scharfen Messers.

Als Mann von Welt kannte Oba sich mittlerweile mit Frauen aus, schließlich war er mit vielen zusammen gewesen. Mittlerweile wußte er, wie man mit Frauen redete, wie man sie behandelte, wie man sie zufriedenstellte.

Scharen von Frauen warteten und hofften, flehten inständig darum, er möge eines Tages zu ihnen zurückkehren. Mehrere hatten seinetwegen ihre Ehemänner verlassen, in der Hoffnung, seine Gunst zu gewinnen.

Oba hatte eine unwiderstehliche Wirkung auf Frauen. Sie schmeichelten ihm, gerieten in Verzückung über sein Aussehen, bewunderten seine Kraft und stöhnten lustvoll, wenn er ihnen zu Gefallen war. Vor allem aber genossen sie es, wenn er ihnen Schmerz bereitete. Ein anderer, weniger einfühlsamer Mann wäre gar nicht fähig gewesen, ihre Freudentränen als das zu erkennen, was sie in Wahrheit waren.

Oba genoß die Gesellschaft von Frauen zwar, wußte aber auch, daß er jederzeit eine andere haben konnte, weshalb er es vermied, sich in langwierige Liebesaffären zu verstricken, Im Augenblick hatte er wichtigere Dinge im Sinn als Frauen. Später konnte er alle Frauen haben, die sein Herz begehrte – genau wie sein Vater.

Jetzt – endlich! – konnte er die erhabene steinerne Pracht seines wahren Zuhauses in Augenschein nehmen, den Palast des Volkes, der eines Tages ihm gehören würde. Das hatte ihm die Stimme anvertraut.

Ein Straßenhändler drängte sich neben ihn und riß Oba aus seinen erfreulichen Gedanken und Zukunftsphantasien.

»Einen Talisman, Sir? Ein magisches Amulett? Bringt Euch ganz sicher Glück.«

Oba blickte stirnrunzelnd auf den buckligen Straßenhändler herab. »Was?«

»Spezielle Amulette mit magischer Wirkung. Für einen Silberpfennig könnt Ihr unmöglich etwas verkehrt machen.«

»Wozu taugen die Dinger denn?«

»Nun, Sir diese Amulette besitzen magische Kräfte. Sie machen, daß sich die Dinge zur Abwechslung nach Eurem Willen entwickeln. Kosten nur einen Silberpfennig.«

Die Dinge entwickelten sich längst nach seinem Willen, jetzt, da seine irre Mutter nicht mehr da war, um ihm auf die Nerven zu gehen und ihn zu unterdrücken. Aber Oba lernte gern Neues hinzu.

»Was bewirken diese magischen Kräfte? Von was für Dingen redest du überhaupt?«

»Von den großen Dingen, Sir. Den ganz großen. Es wird Euch Kraft verleihen, unbedingt, Kraft und Weisheit, wie sie sich kein normaler Sterblicher erträumen kann.«

Oba mußte grinsen. »Die hab ich bereits.«

Der Mann war für einen Moment um Worte verlegen. Er vergewisserte sich, daß niemand in der Nähe war, bevor er sich näher zu Oba beugte, ihn geradezu bedrängte, um vertraulich mit ihm zu sprechen. Dann zwinkerte er Oba zu.

»Diese magischen Amulette helfen Euch, die Mädchen rumzukriegen, Sir.«

»Ich kann mich schon jetzt vor Frauen kaum retten.« Oba begann das Interesse zu verlieren, diese Magie versprach nichts, was er nicht längst hatte. Ebenso gut hätte der Mann sie ihm mit den Worten anpreisen können, er bekäme durch sie zwei Arme und zwei Beine.

Der verwahrloste Zwerg räusperte sich geräuschvoll und schob sich abermals ganz dicht an ihn heran. »Nun, Sir. niemand kann genug haben von Reichtum und den schönsten ...«

»Ich gebe dir einen Kupferpfennig, wenn du mir sagen kannst, wo ich die Hexenmeisterin Althea finde.«

Der Kerl stank aus dem Mund, weshalb Oba ihn von sich schob. Der Straßenhändler hob einen gichtigen Finger und zog seine drahtigen Brauen hoch.

»Ihr habt vollkommen Recht, Sir Ihr seid ein kluger Mann. Das war mir sofort klar, als ich Euch sah. Ihr habt genau den Mann auf diesem Markt aufgespürt, der Euch sagen kann, was Ihr braucht.« Er klopfte sich an die Brust. »Mich. Ich kann Euch alles sagen, was Ihr zu diesem Thema wissen müßt. Aber wie ein Mann von Eurer Klugheit zweifellos einsehen wird, werden Euch diese geheimen und privilegierten Informationen erheblich mehr kosten als nur einen Kupferpfennig. Ja, Sir, erheblich mehr, aber wert sind sie es allemal.«

Oba runzelte die Stirn. »Wie viel mehr?«

»Einen Silbertaler.«

Oba lachte höhnisch und machte Anstalten, sich zu entfernen. Geld hatte er genug, er konnte es nur nicht ausstehen, zum Narren gehalten zu werden.

»Dann hör ich mich eben um. So etwas Simples wie die Wegbeschreibung zu der Hexenmeisterin kriege ich auch von anständigen Leuten; und die erwarten als Gegenleistung nichts weiter als ein freundliches Dankeschön.«

Der Straßenhändler, erpicht darauf, neu zu verhandeln, trippelte beschwörend auf ihn einredend neben Oba her; er hatte Mühe, Schritt zu halten.

»Ja, jetzt wird mir klar, Ihr seid ein wahrhaft kluger Mann. Ich fürchte, mit einem Mann wie Euch kann ich mich nicht messen. Ihr seid mir über, Sir – das ist die schlichte Wahrheit. Dennoch gibt es eine Reihe komplizierter Dinge, von denen Ihr nichts ahnt, Dinge, über die ein Mann von Eurer Feinfühligkeit bescheid wissen sollte, Dinge, die bei einem so gefährlichen Wagnis, auf das Ihr Euch, wie ich vermute, einzulassen im Begriff seid, Eure Sicherheit bedeuten könnten und über die Euch nicht viele ehrlich Auskunft geben können.«

Feinfühlig war Oba, da hatte der Kerl recht. Er blickte auf den Mann hinunter, der seitlich neben ihm herscharwenzelte wie ein bettelnder Straßenköter. »Also gut, einen Silberpfennig. Das ist mein letztes Angebot.«

»Schön, einen Silberpfennig«, gab er sich seufzend geschlagen, »für die wertvolle Information, die Ihr so dringend benötigt, Sir. und die Ihr garantiert sonst nirgendwo bekommt.«

Oba blieb stehen, zufrieden, daß der Kerl sich seinem überlegenen Verstand unterworfen hatte. Die Hände in die Hüften gestemmt, starrte er auf den Burschen hinab, der sich erwartungsvoll die aufgesprungenen Lippen benetzte. Im Grunde widersprach es Obas Natur, sich so leicht von seinem Geld zu trennen, aber erstens hatte er genug davon, und zweitens faszinierte ihn irgend etwas an dem Burschen. Er kramte in seiner Hosentasche, schob zwei Finger in den Geldbeutel, den er dort aufbewahrte, und fischte einen Silberpfennig heraus.

Er schnippte ihn dem schäbigen Burschen zu. »Also schön, mir soll’s recht sein.« Als der Mann die Münze fing, packte Oba dessen knochendürres Handgelenk. »Ich zahle dir den verlangten Preis. Aber sobald ich glaube, daß du mich anlügst, oder ich annehmen muß, daß du mir was verschweigst, hole ich mir das Geld zurück. Allerdings werde ich erst dein Blut abwaschen müssen, bevor ich es in meine Tasche stecke.«

Der Mann schluckte, als er Obas drohenden Gesichtsausdruck bemerkte, »Ich würde Euch niemals betrügen. Sir – erst recht nicht, wenn ich Euch mein Wort gegeben habe.«

»Das würde ich dir auch nicht raten. Also, wo steckt sie? Wo kann ich Althea finden?«

»Sie wohnt in einem Sumpf. Aber ich kann Euch den Weg dorthin genau beschreiben; es würde Euch höchstens ...«

»Willst du mich für dumm verkaufen!« Oba verdrehte ihm das Handgelenk. »Ich weiß längst, daß Leute diese Hexenmeisterin besuchen und daß sie Besucher in ihrem Sumpf empfängt. Für das ansehnliche Sümmchen, das ich dir gezahlt habe, kann ich ja wohl ein wenig mehr erwarten als nur den Weg zu ihrem Haus.«

»Ja!« Der Straßenhändler versuchte, seinen Schmerz zu unterdrücken. »Aber ja. natürlich.« Oba lockerte seinen Griff. Mit schmerzverzerrtem Gesicht fuhr der Bursche hastig fort, »Ich wollte ja gerade erklären, daß ich Euch für den großzügigen Preis, den Ihr bezahlt habt gern das Geheimnis verrate, wie man zu ihrem Haus gelangt, und zwar nicht nur den üblichen Weg, den jeder kennt, sondern auch den geheimen. Den kennen, wenn überhaupt, nur wenige. Alles im Preis inbegriffen. Ich werde doch einem ehrlichen Mann wie Euch nichts verschweigen, Sir.«

Oba funkelte den Mann wütend an. »Den geheimen Weg? Sofern es einen normalen Weg gibt, den Leute benutzen, wenn sie Althea besuchen, was kümmert mich dann dieser andere Weg?«

»Die Leute besuchen Althea, um sie um eine Weissagung zu bitten. Sie ist eine mächtige Frau, diese Hexenmeisterin.« Er beugte sich vor. »Aber um sie wegen einer Weissagung aufsuchen zu können, muß man eingeladen sein. Ohne Einladung traut sich kein Mensch dort hin. Die Leute benutzen alle denselben Weg, damit sie sie kommen sieht – nachdem sie sie eingeladen und ihre blutrünstigen Bestien zurückgepfiffen hat, die den Pfad bewachen.« Ein durchtriebenes Grinsen ging über sein verschlagenes Gesicht. »Mir scheint, Sir wäret Ihr eingeladen, brauchtet Ihr nicht nach dem Weg zu fragen.«

Oba schob den stinkenden Straßenhändler sacht von sich. »Es gibt also einen zweiten Weg?«

»Allerdings, hinten herum. Einen Weg, um sich an sie heranzuschleichen, falls Ihr das vorhabt, während ihre Bestien sozusagen die Vordertür bewachen. Wer klug ist, zieht es womöglich vor eine mächtige Hexenmeisterin nicht zu ihren Bedingungen aufzusuchen.«

Oba sah sich nach beiden Seiten um, vergewisserte sich, daß niemand lauschte. »Dieser geheime Weg hinten herum interessiert mich nicht, ich habe keine Angst vor dieser Hexenmeisterin. Aber da ich für alles bezahlt habe, will ich auch alles hören. Die beiden Wege und auch sonst alles, was du über sie weißt.«

Der Mann zuckte mit den Achseln. »Wenn Ihr unbedingt wollt, könnt Ihr einfach genau nach Westen reiten, wie alle, die zu Althea eingeladen sind. Ihr reitet in westlicher Richtung quer durch die Ebene, bis Ihr den höchsten schneebedeckten Berg erreicht. Dahinter schwenkt Ihr nach Norden ab und folgt dem Fuß der Klippen. Von da an senkt sich das Gelände, bis es schließlich in das Sumpfgebiet übergeht. Folgt einfach weiter dem gut ausgetretenen Pfad durch den Sumpf. Und haltet Euch an den Pfad – Ihr dürft ihn auf keinen Fall verlassen. Er führt genau zum Haus der Hexenmeisterin Althea.«

»Aber zu dieser Jahreszeit ist der Sumpf doch sicher gefroren.«

»Nein, Sir. Dies ist das verfluchte Zuhause einer Hexenmeisterin und ihrer gefährlichen Magie. Altheas Sumpf unterwirft sich nicht dem Winter.«

Oba verdrehte dem Mann das Handgelenk, bis er aufschrie. »Hältst du mich für einen Trottel? Nirgendwo gibt es mitten im Winter einen Sumpf.«

»Ihr könnt alle fragen!«, winselte der Straßenhändler und vollführte eine ausladende Bewegung mit seinem anderen Arm. »Jeder wird Euch erzählen, daß Altheas Sumpf sich dem Winter des Schöpfers nicht unterwirft, sondern daß es dort das ganze Jahr hindurch morastig und heiß ist.«

Oba ließ sein Handgelenk los. »Du hast gesagt, es gibt einen Weg hinten herum. Wie finde ich den?«

Zum ersten Mal wirkte der Mann unschlüssig. Er benetzte seine von Wind und Wetter rissigen Lippen. »Das ist nicht ganz einfach. Es gibt ein paar Punkte, an denen man sich orientieren kann, aber die sind nicht leicht zu erkennen. Ich könnte Euch natürlich erklären, wie man die Stelle findet, aber womöglich verfehlt Ihr sie dann und denkt, ich hatte Euch angelogen, obwohl es bloß schwierig ist, sie allein auf Grund einer Wegbeschreibung zu finden, wenn man mit dieser Gegend nicht vertraut ist.«

»Ich fange ganz allmählich an darüber nachzudenken, ob ich mein Geld zurückverlangen soll.«

»Ich hab einzig Eure Sicherheit im Auge, Sir.« Er ließ kurz ein entschuldigendes Lächeln sehen. »Ich möchte einen Mann wie Euch nicht mit unvollständigen Auskünften abspeisen, schließlich könnte mir das irgendwann noch einmal leid tun. Es ist mein Geschäftsprinzip, voll und ganz zu meinem Wort zu stehen.«

»Komm endlich zur Sache.«

Der Straßenhändler räusperte sich geräuschvoll, spie zur Seite hin aus und wischte sich den Mund an seinem dreckigen Ärmel ab. »Nun, Sir das Sicherste wäre, wenn ich Euch hinbrächte.«

Oba musterte argwöhnisch ein älteres Ehepaar, das ganz in der Nähe vorüberging, dann zog er den Mann am Handgelenk. »Ausgezeichnet. Gehen wir.«

Der Straßenhändler sträubte sich. »Augenblick mal. Ich war einverstanden, Euch den Weg zu erklären, und das kann ich auch tun. Wie gesagt, er ist schwer zu finden. Aber kein Mensch kann erwarten, daß ich mein Geschäft im Stich lasse, um den Fremdenführer zu spielen. Da hatte ich ja mehrere Tage lang keinerlei Einkünfte.«

Oba beugte sich mit finsterer Miene zu ihm hinunter. »Und wie viel verlangst du dafür, daß du mich dort hinführst?«

Der Mann holte tief Luft und begann leise murmelnd nachzurechnen, als müßte er mühsam irgendwelche Zahlenkolonnen im Kopf bewegen.

»Nun ja, Sir«, meinte er schließlich und streckte den Daumen seiner freien Hand in die Höhe. »Schätze, ein paar Tage könnte ich schon fort, vorausgesetzt, man zahlt mir einen Goldtaler.«

Oba lachte schallend. »Ich denke nicht daran, dir dafür, daß du mich ein paar Tage durch die Gegend führst, einen Taler zu bezahlen – weder Gold noch Silber. Ich wäre bereit, dir einen weiteren Silberpfennig zu geben, mehr nicht. Schlag ein, oder gib mir meinen ersten Silberpfennig zurück und mach, daß du verschwindest.«

Der Straßenhändler murmelte kopfschüttelnd leise vor sich hin; schließlich blinzelte er mit resigniertem Blick hoch zu Oba.

»In letzter Zeit gehen meine Amulette nicht gut. Um ehrlich zu sein, ich könnte das Geld gebrauchen. Ihr kommt wieder besser weg als ich, Sir. Also gut, für einen Silberpfennig mache ich Euch den Führer.«

Oba ließ sein Handgelenk los. »Gehen wir.«

»Es liegt jenseits der Azrith-Ebene. Wir brauchen unbedingt Pferde.«

»Soll ich dir jetzt etwa auch noch ein Pferd kaufen? Hast du den Verstand verloren?«

»Zu Fuß ist es jedenfalls unmöglich. Ich kenne hier ein paar Leute, die Euch bestimmt einen guten Preis für ein paar Pferde machen. Wenn wir die Tiere ordentlich behandeln, sind sie sicherlich bereit, sie nach unserer Rückkehr zurückzukaufen – abzüglich einer kleinen Gebühr.«

Oba dachte darüber nach. Er wollte noch hinauf in den Palast, um sich dort umzusehen, hielt es jedoch für das Sinnvollste, erst einmal Latheas Schwester zu besuchen.

»Klingt annehmbar.« Oba nickte dem buckligen Straßenhändler zu. »Gehen wir uns also ein paar Pferde beschaffen, und dann los.«

Sie verließen den ruhigeren Seitenweg und bogen in eine der Hauptverkaufsstraßen ein, wo sich die Menschen dicht gedrängt in beide Richtungen schoben. Es waren etliche attraktive Frauen unterwegs. Einige schauten in Obas Richtung, mit unübersehbar auffordernden und sehnsüchtigen Blicken in den Augen. Oba lächelte ihnen zu, ein Zeichen, daß später vielleicht mehr drin war.

Dann fiel ihm ein, daß diese Frauen, die über den Markt schlenderten, wahrscheinlich einfache Bäuerinnen waren. Frauen, wie Oba sie kennen lernen wollte, gab es wahrscheinlich nur oben im Palast, Frauen von Rang und Stellung. Nichts Geringeres stand ihm zu. Schließlich war er ein Rahl, faktisch ein Prinz, oder doch zumindest etwas Vergleichbares. Vielleicht sogar mehr.

»Wie heißt du überhaupt?«, fragte Oba. »Wo wir schon zusammen reisen.«

»Clovis.«

Oba nannte seinen Namen nicht. Es gefiel ihm, mit ›Sir‹ angesprochen zu werden; schließlich war das nur angemessen.

»Wie kommt es eigentlich«, meinte Oba und ließ den Blick über das Gedränge schweifen, »daß sich deine Amulette bei all den Leuten hier nicht verkaufen?«

Der Mann seufzte sichtlich gequält. »Das ist eine traurige Geschichte, Sir, aber damit müßt Ihr Euch nicht belasten.«

»Die Frage war doch einfach genug.«

»Schon möglich.« Er schützte seine Augen mit einer Hand gegen die Sonne, während er zu Oba hinaufsah. »Nun, Sir vor einer Weile, es war mitten im tiefsten Winter, begegnete ich einer jungen, wunderhübschen Frau.«

Oba sah zu dem buckligen, faltigen, heruntergekommenen Burschen hinüber, der mit schlurfenden Schritten neben ihm herging. »Begegnete?«

»Na ja, Sir, wenn ich ehrlich sein soll, wollte ich ihr ein Amulett verkaufen ...« Plötzlich legte Clovis seine Stirn seltsam in Falten, so als sei ihm völlig unerwartet ein Gedanke gekommen. »Es waren ihre Augen, die einen fesselten. Große, blaue Augen; ein Blau, wie man es selten sieht ...« Clovis bedachte Oba mit einem koketten Blick. »Die Sache ist die, Sir, Ihre Augen sahen genauso aus wie Eure.«

Jetzt war es an Oba, die Stirn zu runzeln. »Genau wie meine?«

Clovis nickte ernst. »Ganz bestimmt, Sir. Sie hatte Augen wie Ihr. Und irgendwas an ihr – an Euch übrigens auch – kam mir bekannt vor. Aber ich kann beim besten Willen nicht sagen, was.«

»Und was hat das damit zu tun, daß du harte Zeiten durchgemacht hast? Hast du ihr etwa dein ganzes Geld gegeben, und sie hat trotzdem nicht die Beine für dich breit gemacht?«

Clovis tat, als fände er schon allein die Vorstellung schockierend. »Aber nein, Sir, nichts dergleichen. Ich wollte ihr nur ein Amulett verkaufen – damit sie Glück im Leben hat. Statt dessen hat sie mir mein ganzes Geld gestohlen.«

Oba brummte skeptisch. »Ich wette, sie hat dir schöne Augen gemacht und dich angelächelt, während sie ihre Hand bis zum Ellbogen in deiner Tasche hatte, und du warst viel zu eifrig, um Verdacht zu schöpfen, was sie wirklich vorhatte.«

»Nichts dergleichen, Sir. Ganz und gar nicht.« Sein Tonfall wurde verbittert. »Sie hat mir einen Kerl auf den Hals gehetzt, der mir alles weggenommen hat. Die Tat hat er begangen, aber auf Geheiß von ihr – da bin ich mir sicher. Die beiden haben mir mein ganzes Geld gestohlen; den gesamten Jahresverdienst haben sie mir geraubt.«

Irgendwas regte sich in Obas Erinnerung. In Gedanken überflog er seine Listen einzelner, nicht zusammengehöriger Dinge. Einige dieser Dinge schienen sich zu einem Bild zu fügen.

»Wie sah denn diese Frau mit den blauen Augen aus?«

»Oh, sie war wunderhübsch, Sir, mit dichtem, rotem, lockigem Haar.« Der entrückte Blick in den Augen des Mannes verriet Oba, daß er eindeutig noch von der Frau angetan war, obwohl sie ihm angeblich seine Ersparnisse gestohlen hatte. »Ihr Gesicht glich dem Traumbild einer Gütigen Seele, und ihre Figur war geradezu atemberaubend. Aber an ihren sündhaften roten Haaren hatte ich sofort erkennen müssen, daß sie nicht nur ungewöhnlich schön, sondern auch verschlagen war.«

Oba blieb stehen und hielt ihn am Arm fest. »War ihr Name vielleicht Jennsen?«

Clovis konnte nur bedauernd mit den Schultern zucken. »Tut mir leid, Sir, ihren Namen hat sie mir nicht verraten. Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß viele Frauen so gut aussehen wie sie. Nicht bei diesen blauen Augen, ihrer prächtigen Figur und den roten Locken.«

Oba war ganz derselben Meinung. Die Beschreibung paßte haargenau auf Jennsen.

Wenn das keine Überraschung war.

Clovis deutete nach vorn. »Dort drüben, Sir. Da unten steht der Mann, der uns die Pferde verkaufen kann.«

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