43

Als Oba die Augen aufschlug, herrschte völlige Dunkelheit. Er lag auf dem Rücken, auf einem Steinboden, und sein Gesicht pochte schmerzhaft. Mühsam zog er die Knie an und hielt sich seine schmerzenden Lenden.

Dieses widerspenstige Weibsstück, Nyda, hatte sich am Ende als genauso ekelhaft herausgestellt wie alle anderen Frauen, mit denen er es bisher zu tun bekommen hatte. Sie hatten alle nur eins im Sinn, ihn klein zu halten. Außerdem war Oba es zunehmend leid, ständig an dunklen, kalten Orten aufzuwachen.

Er fragte sich, ob womöglich seine verrückte Mutter, diese widerwärtige Hexenmeisterin Lathea oder aber ihre Schwester, die Sumpfhexe, ihre Finger dabei im Spiel hatten. Diese selbstsüchtigen Weiber waren mit Sicherheit ganz versessen darauf, sich an ihm zu rächen. Alles an seiner gegenwärtigen Lage deutete auf einen Racheakt dieses aufgeblasenen Trios hin.

Je länger er jedoch über die Geschichte nachdachte, desto klarer mußte er sich eingestehen, daß dies höchstwahrscheinlich allein das Werk dieses widerspenstigen Weibsstücks in dem roten Lederanzug war – Nyda. Gar nicht dumm, hatte sie benommen und orientierungslos getan, bis der Soldat sie so nah zu ihm gebracht hatte, daß sie attackieren konnte, und dann hatte sie ihm einen Tritt verpaßt. Was für ein Früchtchen. Gar nicht so einfach, einer Frau gram zu sein, die ihn so sehr begehrte. Wahrscheinlich hatte allein schon die Vorstellung sie dazu getrieben, Oba nicht ganz allein für sich haben zu können. Das konnte er ihr nun wirklich nicht zum Vorwurf machen.

Jetzt, da er seinen fürstlichen Rang öffentlich zugegeben hatte, mußte Oba sich damit abfinden, daß solche von heftigster Leidenschaft getriebene Frauen begehrten, was er zu bieten hatte. Er mußte darauf gefaßt sein und sich den Anforderungen eines echten Rahl würdig erweisen.

Oba wälzte sich auf die andere Seite und stöhnte dabei vor Schmerzen. Mit Hilfe seiner Hände stützte er sich erst auf dem Fußboden, dann an der Wand ab, bis es ihm schließlich gelang, sich in eine aufrechte Position zu stemmen. Seine Schmerzen würden die Wonnen bei der späteren Eroberung seiner Gespielin nur noch steigern. Irgendwie kam ihm das bekannt vor; vielleicht hatte es die Stimme ihm eingeflüstert.

Er erblickte einen schmalen Lichtspalt; beträchtlich kleiner als die Öffnung in der Tür seiner letzten Zelle, aber wenigstens half er ihm, sich zurechtzufinden. Er schob seine Hand von der Ecke seitlich an der rauhen Steinwand entlang und stieß zu seiner Bestürzung unmittelbar danach auf die nächste Ecke. Mit wachsender Unruhe tastete er die Wände ab und stellte bestürzt fest, wie unfaßbar winzig der Raum war. Er mußte diagonal darin gelegen haben, denn anders war gar nicht genug Platz, um sich ganz auszustrecken.

Die für einen so engen Raum typische beklemmende Atemnot überkam ihn und drohte ihn zu ersticken. Verzweifelt faßte er sich an den Hals und versuchte mit aller Kraft einzuatmen, überzeugt davon, eingepfercht in einem so engen Verschlag den Verstand zu verlieren.

Vielleicht hatte Nyda doch nichts damit zu tun. Alle Anzeichen deuteten darauf hin, daß seine hinterhältige Mutter hierfür verantwortlich war. Vielleicht hatte sie ihn von der Welt der Toten aus beobachtet und voller Schadenfreude einen Plan ausgeheckt, wie sie ihn quälen konnte; die widerwärtige Hexenmeisterin hatte ihr vermutlich dabei geholfen. Und zweifellos hatte auch noch diese Sumpfhexe ihren Senf dazugegeben und ihre Hilfe angeboten. Gemeinsam hatten die drei Weiber dann aus der Welt der Toten auf diese widerspenstige Nyda eingewirkt und ihr geholfen, ihn in dieses winzige Loch zu sperren.

Aufgewühlt lief er in der drangvollen Enge der winzigen Zelle auf und ab, die Hände immer an den Wänden, aus Angst, sie könnten noch enger zusammenrücken. Er war doch viel zu groß für einen so winzigen Raum, in dem er nicht mal atmen konnte. Vor lauter Angst, die gesamte Atemluft in der Zelle zu verbrauchen und dann qualvoll zu ersticken, warf Oba sich gegen die Tür und preßte sein Gesicht an die Öffnung, um die Luft von draußen hereinzusaugen.

Vor lauter Selbstmitleid zu Tränen gerührt, hätte Oba in diesem Augenblick nichts lieber getan, als seiner irren Mutter noch einmal den Schädel einzuschlagen.

Nach einer Weile begann er auf die Stimme zu hören, die ihm gut zuredete, ihm Mut zusprach und ihn beruhigte, und ging daran, seinen Verstand zusammenzunehmen; schließlich war er nicht auf den Kopf gefallen. Bislang hatte er noch alle übertrumpft, die sich gegen ihn verschworen hatten, wie bösartig sie auch gewesen sein mochten. Er würde aus diesem Loch wieder herauskommen; er mußte sich nur zusammenreißen und sich seinem Rang gemäß verhalten.

Er war schließlich Oba Rahl – unbesiegbar.

Oba brachte seine Augen ganz nah an den Spalt, um hinauszuspähen, vermochte aber kaum mehr zu erkennen als einen weiteren, dahinter liegenden düsteren Raum. Er überlegte, ob er sich womöglich in zwei ineinander verschachtelten Zellen befand, und die grauenerregende Vorstellung einer so gewaltsamen Folter ließ ihn eine ganze Weile schreiend und heulend gegen die Tür hämmern.

Wie konnte man nur derart grausam sein? Er war doch ein Rahl. Wie konnte man das einer Persönlichkeit von Rang und Namen antun? Erst sperrte man ihn wie einen ganz gewöhnlichen Verbrecher zusammen mit dem Abschaum der Menschheit in eine Zelle, nur weil er das Richtige getan hatte und Gerechtigkeit hatte walten lassen, um das Land von einem gesetzlosen Schurken zu befreien, und jetzt diese mutwillige Gängelei.

Oba konzentrierte sich und versuchte sich abzulenken. Sogleich fiel ihm Nydas Gesichtsausdruck ein, als sie ihm zum ersten Mal in die Augen gesehen hatte. Sie hatte seine wahre Identität sofort erkannt. Nyda hatte ihm nur in die Augen sehen müssen, um die Wahrheit zu erkennen, daß er ein Sohn Darken Rahls war. Es konnte kaum verwundern, daß sie ihn so heftig begehrt hatte. Dieses Verhalten war für eigensüchtige Menschen typisch; sie suchten die Nähe der wirklich Großen, und dann taten sie alles, um sie klein zu machen. Sie war neidisch auf ihn. Deswegen saß er in dieser Zelle – wegen kleinlicher Mißgunst. So einfach war das.

Oba sann über den Ausdruck in Nydas Augen nach, als sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Der Ausdruck des Wiedererkennens in ihrem Gesicht hatte Erinnerungen ausgelöst, die ihn in die Lage versetzten, Verbindungen zwischen bislang unzusammenhängenden Details herzustellen. Er grübelte darüber nach, was er Neues hinzugelernt hatte.

Jennsen war seine Schwester. Beide waren sie Lücken in der Welt.

Schade eigentlich nur, daß sie mit ihm verwandt war. Er fand ihre roten Locken ziemlich bezaubernd, auch wenn ihm die Vorstellung zu schaffen machte, daß sie auf irgendein magisches Talent hindeuten könnten. Seufzend sah Oba sie in Gedanken vor sich. Aber er war ein viel zu prinzipientreuer Mensch, um sie als Geliebte in Betracht zu ziehen, schließlich hatten sie denselben Vater. Trotz ihres hinreißenden Aussehens, und obwohl sich jedesmal, wenn er an sie dachte, in seinen Lenden schmerzhaft etwas regte, ließ seine Redlichkeit einen derartigen Verstoß gegen jede Schicklichkeit nicht zu. Er war schließlich Oba Rahl und kein brunftiges Tier.

Darken Rahl hatte also auch sie gezeugt; das war erstaunlich. Oba wußte nicht recht, was er davon halten sollte. Sie waren über gemeinsame Bande verbunden, denn sie mußten sich gegen eine Welt voller neidischer Menschen zur Wehr setzen, die ihnen ihren hohen gesellschaftlichen Rang streitig machen wollten. Lord Rahl sandte Quadronen aus, die Jagd auf sie machten, von dieser Seite konnte sie also keine Loyalität erwarten. Oba überlegte, ob sie vielleicht zu einer nützlichen Verbündeten taugte.

Andererseits erinnerte er sich noch deutlich an den verängstigten Ausdruck in ihren Augen, als sie ihn angesehen hatte. Vielleicht hatte sie ihm seine Abstammung an den Augen abgelesen – daß er, genau wie sie, ein Nachkömmling Darken Rahls war. Vielleicht hatte sie bereits eigene Pläne, in denen er gar keine Rolle spielte. Vielleicht brachte seine Existenz ihr ganzes Leben durcheinander. Womöglich würde sie auch zu einer Widersacherin werden, die alles für sich allein beanspruchte.

Lord Rahl – ihr leiblicher Bruder – hatte jedenfalls die Absicht, sie beide gar nicht erst hochkommen zu lassen, so viel zumindest schien klar. Er wollte die unermeßlichen Reichtümer mit niemandem teilen, die von Rechts wegen Jennsen und Oba gehörten. Oba fragte sich, ob Jennsen ebenso eigensüchtig war, schließlich schien dieser Hang zum Egoismus in der Familie nicht gerade eine Seltenheit zu sein. Ein reines Wunder, daß Oba dieser unschöne Zug ihres Familienerbes erspart geblieben war.

Und jetzt versuchte Lord Rahl ihn zu verstecken und der Welt seine Existenz zu verheimlichen. Oba lief auf und ab und dachte nach. Es gab noch immer so vieles, das er nicht wußte.

Nach einer Weile hatte er sich wieder beruhigt und tat, was die Stimme ihm aufgetragen hatte. Er trat an die Tür und brachte seinen Mund nah an die Öffnung.

Oba schrie seine Worte nicht etwa heraus – das hatte er nicht nötig, denn die Stimme in seinem Innern würde seine verstärken, so daß sie sehr weit trug.

»Kommt zu mir«, sprach er in die menschenleere Stille draußen vor der Tür.

Oba war selbst erstaunt über sein unerschütterliches Selbstvertrauen; seine unbegrenzten Talente erfüllten ihn mit Verwunderung. Es war daher nur zu erwarten, daß die weniger Begabten gereizt auf ihn reagierten.

»Kommt zu mir«, sprachen er und die Stimme in die triste Dunkelheit jenseits der Tür.

Sie hatten es nicht nötig zu schreien. Ihre Stimmen trugen in der Dunkelheit mühelos, wie Schatten auf den Schwingen der Finsternis.

»Kommt zu mir«, wiederholte er.

Er war Oba Rahl, eine bedeutende Persönlichkeit. Er hatte wichtige Dinge zu erledigen, er konnte nicht einfach in dieser Zelle herumhocken und ihre kleinkarierten Spielchen mitspielen. Allmählich hatte er genug von diesem Unfug; es wurde Zeit, nicht nur sein verbrieftes Recht einzufordern, sondern sich auch zu seinem besonderen Wesen zu bekennen.

»Kommt zu mir«, rief er.

Er rief immer wieder, nicht laut, denn er wußte, sie konnten ihn hören, nicht nachdrücklich, denn sie würden kommen, und erst recht nicht verzweifelt, denn sie würden gehorchen. Zeit verging, aber darauf kam es nicht an, denn sie waren längst unterwegs.

»Kommt zu mir«, murmelte er leise in das lautlose Dunkel.

Von irgendwoher vernahm er eine Antwort in Gestalt von leisen Schritten.

»Kommt zu mir«, betörte er seine entfernten Lauscher.

Er hörte, wie in der Ferne knarrend eine Tür geöffnet wurde. Die Schritte wurden lauter, kamen näher.

»Kommt zu mir«, girrten er und die Stimme.

Dann hörte er, sehr viel näher, die schlurfenden Schritte von Soldaten auf dem Steinfußboden. Ein Schatten fiel im dämmrigen Licht über die kleine Öffnung in der zweiten Tür.

»Was gibt’s denn?«, erkundigte sich eine hallende Männerstimme unschlüssig.

»Du mußt zu mir kommen«, erklärte Oba ihm.

Die Bemerkung war so eindeutig und harmlos, daß der Mann zögerte.

»Komm zu mir, auf der Stelle«, befahlen Oba und die Stimme mit unwiderruflicher Autorität.

Oba lauschte, wie jemand den Schlüssel in der zweiten Tür herumdrehte. Die schwere Tür wurde scharrend aufgezogen. Ein Gardist trat in den winzigen Flur zwischen beiden Türen, während der Schatten eines zweiten Mannes die äußere Türöffnung füllte.

»Was willst du?«, fragte der Gardist mit leichtern Zaudern in der Stimme.

»Wir möchten jetzt gehen«, sagten Oba und die Stimme. »Öffnet die Tür. Es wird Zeit, daß wir diesen Ort verlassen.«

Der Soldat beugte sich vor und machte sich an dem Schloß zu schaffen, bis der Riegel mit einem metallischen, durch die Dunkelheit hallenden Klicken zurückschnappte, die Tür schwang auf. Der andere Soldat trat hinter ihn und warf mit demselben ausdruckslosen Gesicht einen Blick in die Zelle.

»Was, Herr, sollen wir tun?«, erkundigte sich der Gardist und schaute Oba unerschrocken in die Augen.

»Wir müssen gehen«, erklärten Oba und die Stimme. »Und ihr zwei werdet uns hinausbegleiten.«

Die beiden Gardisten nickten und machten kehrt, um Oba aus dem finsteren Verschlag zu führen. Nie wieder würde er sich in enge, winzige Löcher sperren lassen müssen, denn er hatte ja die Stimme auf seiner Seite, also war er unbesiegbar; er war froh, daß er sich daran erinnert hatte.

Althea hatte sich getäuscht, was die Stimme anbetraf; wie alle anderen auch, war sie nur neidisch gewesen. Er lebte, und die Stimme hatte ihm geholfen, sie dagegen war einfach tot. Er fragte sich, wie ihr das wohl gefiel.

Oba befahl den beiden Gardisten, die Türen zu seiner leeren Zelle wieder zu verschließen, wodurch sein Fehlen vermutlich erst eine ganze Weile später bemerkt werden würde. Die Gardisten führten Oba anschließend durch ein Labyrinth aus engen, dunklen Korridoren.

»Ich benötige mein Geld«, sagte Oba. »Wißt ihr, wo es aufbewahrt wird?«

»Ja«, antwortete einer der beiden mit tonloser Stimme.

Sie passierten etliche Eisentüren, dann ging es weiter durch Korridore, die mit derben Steinquadern ausgekleidet waren; schließlich gelangten Oba und seine Eskorte in einen kleinen Raum am Fuß einer engen Wendeltreppe. Ein Soldat ging vor Oba die Treppe hinauf, während der andere die Nachhut bildete. Oben angekommen, geleiteten sie ihn in einen verriegelten Raum, anschließend durch eine weitere Tür.

Die Lampen, die die Gardisten mit hereinnahmen, warfen kantige Schatten zwischen den Regalen, auf denen sich ein Sammelsurium verschiedenster Gegenstände häufte, Kleidungsstücke und Waffen, die unterschiedlichsten persönlichen Dinge, von Spazierstöcken bis hin zu Flöten oder Puppen. Oba ließ den Blick suchend über die mit Einzelstücken vollgestopften Regale schweifen, bückte sich, um unten nachzusehen, stellte sich auf die Zehenspitzen, um die oberen Regale abzusuchen. Er vermutete, daß man all diese Gegenstände Gefangenen vor ihrer Einkerkerung abgenommen hatte.

Kurz vor dem Ende einer Reihe erspähte er den Griff seines Messers, hinter dem Messer die zerlumpten Kleidungsstücke. Sein Stiefelmesser war ebenfalls vorhanden; davor lagen, säuberlich gestapelt, die Leder- und Stoffbeutel, in denen sich sein nicht unbeträchtliches Vermögen befand.

Er war heilfroh, daß er sein Geld zurückhatte, noch mehr freute es ihn aber, endlich wieder den glatten Holzgriff seines Messers in den Fingern zu halten.

»Ihr zwei werdet mich begleiten«, informierte Oba die beiden Gardisten, nachdem er sich mit passenden Anziehsachen neu eingekleidet hatte.

»Wohin sollen wir Euch begleiten?«, wollte einer von ihnen wissen.

Oba ließ sich die Frage gründlich durch den Kopf gehen. »Dies ist mein erster Besuch an diesem Ort; ich würde daher gerne etwas vom Palast sehen.« Er vermied es, ihn als seinen Palast zu bezeichnen, dafür war auch später noch Zeit. Jetzt hatten erst einmal andere Dinge Vorrang.

Er folgte ihnen hinauf durch in den Fels gehauene Treppenhäuser, durch Korridore, vorbei an Wegkreuzungen und unzähligen Treppenfluchten. Soldaten auf Patrouillengang, ein gutes Stück entfernt, erkannten die beiden Gardisten, ohne jedoch groß auf den Mann zu achten, der zwischen ihnen ging.

Als sie vor einer Eisentür anlangten, schloß einer der Soldaten diese auf. und sie traten in den dahinter liegenden, mit einem Fußboden aus poliertem Marmor ausgelegten Gang. Oba war ganz begeistert von der Pracht des Ganges – den gekehlten Säulen an den Seiten und der mit einem Gewölbe überkronten Decke.

Dann bog der Flur abermals ab und führte in einen eindrucksvollen Innenhof von so überwältigender Schönheit, daß der prunkvolle Gang, den sie soeben passiert hatten – bis dahin der eleganteste Ort, den Oba je gesehen hatte –, im Vergleich dazu kaum besser als ein Schweinestall erschien. Offenen Mundes verharrte Oba vollkommen regungslos auf der Stelle und ließ den Blick über das zum Himmel offene Wasserbecken schweifen, dessen gegenüberliegende Seite, wie ein Teich im Wald, von Bäumen – Bäumen! – umstanden war; nur daß sie sich im Innern eines Gebäudes befanden und der Teich von einer niedrigen, bankähnlichen Umfriedung aus poliertem, rostfarbenem Marmor eingefaßt und das Becken selbst mit blau glasierten Kacheln ausgekleidet war. Durch das Wasserbecken glitten Fische, echte Fische – und das im Innern eines Gebäudes.

Noch nie in seinem ganzen Leben war Oba von der Pracht, der Schönheit und schieren Erhabenheit eines Ortes so vollkommen überwältigt gewesen.

»Dies ist also der Palast?«, wandte er sich an seine Begleiter.

»Nur ein kleiner Teil davon«, antwortete der eine.

»Nur ein kleiner Teil«, wiederholte Oba verblüfft. »Ist es in den übrigen Teilen auch so schön wie hier?«

»Nein. Die meisten anderen Gebäudeteile sind erheblich prächtiger, mit hohen Gewölbedecken, Bögen und von mächtigen Säulen unterbrochenen Balkonen.«

»Balkone? Im Innern eines Gebäudes?«

»Ganz recht, damit die Passanten in den oberen Stockwerken auf die unteren Stockwerke, die prächtigen Innenhöfe und Gevierte hinabblicken können.«

»Auf einigen Ebenen bieten Händler ihre Waren feil«, ergänzte der andere. »Manche davon sind der Öffentlichkeit zugänglich, andere wiederum enthalten die Quartiere der Soldaten oder des Personals. Es gibt auch einige Bereiche, in denen Besucher ein Zimmer mieten können.«

Oba nahm dies alles in sich auf, während er die gut gekleideten Menschen anstarrte, die sich überall durch den Palast bewegten, all das Glas, den Marmor und das polierte Holz.

»Sobald ich mir noch ein wenig mehr vom Palast angesehen habe«, ließ er seine Begleiter wissen, »möchte ich ein ruhiges Zimmer, in dem ich völlig ungestört bin – etwas abseits gelegen, damit man nicht auf mich aufmerksam wird. Zuvor werde ich mir noch etwas Standesgemäßes zum Anziehen sowie einige andere Dinge besorgen. Ihr werdet Wache stehen und dafür sorgen, daß niemand von meiner Anwesenheit erfährt, während ich ein Bad nehme und mich gründlich ausschlafe.«

»Wie lange werden wir voraussichtlich über Euch wachen?«, erkundigte sich der andere Soldat. »Man wird uns vermissen, wenn wir zu lange fortbleiben. Und wenn wir noch länger fortbleiben, wird man uns suchen kommen und Eure Zelle leer vorfinden. Anschließend wird man sich auf die Suche nach Euch machen; dann wird es nicht mehr lange dauern, bis man Euch hier findet.«

Oba überlegte. »Ich hoffe, morgen abreisen zu können. Wird man Euch bis dahin vermissen?«

»Nein«, meinte einer der beiden, den Blick leer bis auf den Wunsch, Obas Anordnungen Folge zu leisten. »Wir sind gleich nach Ende unserer Wachschicht losgegangen; vor morgen Nachmittag dürfte uns niemand vermissen.«

Oba lächelte; er hatte offenbar genau die richtigen Männer ausgewählt. »Dann bin ich längst unterwegs; aber bis dahin möchte ich meinen Aufenthalt hier genießen und mir noch einen Teil des Palasts anschauen.«

Obas Finger glitten über den Griff seines Messers. »Es könnte sein, daß ich mir für den heutigen Abend eine Frau wünsche, die mir beim Abendessen Gesellschaft leistet; eine Frau, die schweigen kann.«

Die beiden Männer verbeugten sich.

Bevor Oba sich endgültig verabschiedete, würde er die beiden in winzige Aschehäufchen auf dem Fußboden eines menschenleeren Korridors verwandeln. Diese zwei würden niemandem erzählen, warum seine Zelle leer war.

Und danach ... nun, es war fast Frühling, wer vermochte schon zu sagen, was ihm bis dahin noch alles in den Sinn kam?

Eins aber ganz bestimmt, Früher oder später würde er Jennsen aufspüren müssen.

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