15

Jennsen wich dem Menschenstrom aus, der sich die von Süden kommende Straße heraufwälzte. Zum Schutz vor dem Wind dicht an Sebastian gedrängt, spielte sie kurz mit dem Gedanken, sich einfach irgendwo am Straßenrand auf dem hart gefrorenen Boden einzurollen und schlafen zu legen. Ihr knurrte der Magen vor Hunger.

Als Rusty zur Seite hin ausbrach, faßte Jennsen die Zügel enger, dicht an der Trense. Betty – Augen, Ohren und Schwanz in Alarmbereitschaft – schmiegte sich schutzsuchend eng an Jennsens Unterschenkel. Die fußlahme Ziege bekundete ihren Unmut über die vorüberströmenden Menschenmassen gelegentlich mit einem beleidigten Schnauben, sobald Jennsen ihr darauf aber den dicken Bauch tätschelte, begann sie sogleich aufs Heftigste mit ihrem aufgerichteten Schwanz zu wedeln. Sie schaute hoch zu Jennsen, ließ ihre Zunge vorschnellen, um Rusty kurz die Nüstern abzuschlecken, dann legte sie sich zu Jennsens Füßen nieder.

Den Arm schützend um Jennsens Schultern gelegt, unterzog Sebastian die Wagen, Karren und Menschen, die auf ihrem Weg in den Palast des Volkes an ihnen vorüberzogen, einer kritischen Musterung. Das Rattern der vorüberrollenden Wagen, das Lachen und die Gespräche der Leute, das Scharren der Füße und das Hufgeklapper, das alles verschmolz zu einem unablässigen Klangbrei, dem nur das Klirren von Metall und das Knarren der Wagenachsen einen gewissen Rhythmus verlieh. Die von der ständigen Bewegung aufgewirbelten Staubwolken trugen sowohl Essendüfte als auch die Ausdünstungen von Mensch und Tier heran und hinterließen einen staubigen Geschmack auf Jennsens Zunge.

»Was denkt Ihr?«, fragte Sebastian mit gesenkter Stimme.

Das kalte Sonnenlicht tauchte die fernen, senkrecht in die Höhe ragenden Felsklippen des mächtigen Bergplateaus in ein glühendes, lavendelfarbenes Licht. Schon die Klippen selbst erhoben sich, so schien es, mehrere tausend Fuß hoch über der Azrith-Ebene, doch was von Menschenhand auf ihnen errichtet worden war, ragte noch weit höher in den Himmel. Ein Meer von Dächern hinter eindrucksvollen Mauern verband sich zu einem gewaltigen Bauwerk, einer hoch oben auf dem Plateau errichteten Stadt. Die tief stehende Wintersonne verlieh den emporstrebenden Marmormauern und Säulen einen warmen Glanz.

Als ihre Mutter sie von hier fortgebracht hatte, war Jennsen noch klein gewesen. Ihre Kindheitserinnerungen an das Leben hier hatten ihr Empfindungsvermögen als Erwachsene nicht auf die tatsächliche Pracht des Palastes vorbereiten können. Stattlich und stolz erhob sich das Herzstück D’Haras in seiner ganzen Herrlichkeit über einer kargen Landschaft.

Jennsen wischte sich mit der Hand übers Gesicht und verschloß wegen ihrer hämmernden Kopfschmerzen kurz die Augen. Es war eine schwierige und beschwerliche Reise gewesen, Jeden Abend nach dem Haltmachen war Sebastian im Schutz der Dunkelheit auf Erkundung gegangen, während sie damit begonnen hatte, das Lager aufzuschlagen, mehrmals war er überstürzt zurückgekehrt, mit der erschreckenden Nachricht, ihre Verfolger seien im Begriff, sie einzukreisen. Obwohl sie völlig erschöpft war und ihr vor lauter Verzweiflung die Tränen kamen, hatten sie dann wieder zusammenpacken und ihre Flucht fortsetzen müssen ...

»Ich denke«, antwortete sie schließlich, »daß wir aus einem ganz bestimmten Grund hierher gekommen sind und dies ein denkbar ungeeigneter Augenblick wäre, den Mut zu verlieren.«

»Es ist die letzte Gelegenheit, den Mut zu verlieren.«

Sie musterte seine Augen nur für einen kurzen Moment, dann gab sie ihre Antwort, indem sie sich wieder in den zäh dahinfließenden Menschenstrom einreihte. Betty war sogleich auf den Beinen und betrachtete, eng an Jennsens linkes Bein geschmiegt, verwundert all die fremden Menschen. Sebastian drängte sich an ihre andere Seite.

Eine ältere Frau auf einem Lastkarren neben ihnen schaute zu Jennsen hinunter. »Wollt Ihr Eure Ziege vielleicht verkaufen, junge Frau?«

Jennsen, Bettys Strick und Rustys Zügel fest in einer Hand, mit der anderen die Kapuze ihres Umhangs gegen eine Bö des kalten Windes festhaltend, lehnte lächelnd, aber mit entschiedenem Kopfschütteln ab. Als die Frau auf dem pferdegezogenen Karren enttäuscht zurücklächelte und Anstalten machte, weiterzufahren, bemerkte Jennsen ein Schild am Karren, das den Verkauf von Würsten verkündete.

»Madam? Seid Ihr heute hier, um Eure Würstchen zu verkaufen?«

Die Frau langte hinter sich, schob einen Deckel zur Seite und langte mit ihrer Hand in einen fest in Decken und Lumpen gehüllten Kübel. Als sie sie wieder herauszog, hielt sie einen dicken Wurstring in der Hand.

»Heute Morgen ganz frisch gemacht. Könnte ich Euch vielleicht dafür begeistern? Kostet gerade mal einen Silberpfennig, und den ist sie allemal wert.«

Als Jennsen daraufhin lebhaft nickte, reichte Sebastian der Frau die verlangte Münze. Er schnitt den Ring in zwei Teile und gab einen davon Jennsen. Die Wurst war herrlich warm. Jennsen nahm sich kaum die Zeit zum Kauen und schlang rasch einige Bissen hinunter; es war eine Wohltat, ihrem nagenden Hunger ein wenig von seiner Schärfe zu nehmen. Erst als die Bissen unten waren, begann sie den Geschmack bewußt zu genießen.

»Schmeckt köstlich«, rief sie der Frau zu. Die Wurstverkäuferin schmunzelte; das Kompliment schien sie nicht sonderlich zu überraschen. Auf gleicher Höhe neben dem Karren hergehend, fragte Jennsen, »Kennt Ihr vielleicht eine Frau namens Althea?«

Während Sebastian einen verstohlenen Blick über die in Hörweite gehenden Leute schweifen ließ, beugte sich die Frau, keineswegs schockiert über die Frage, hinunter zu Jennsen.

»Dann seid Ihr also wegen einer Weissagung hergekommen?«

Sie war sich zwar nicht völlig sicher, trotzdem fand Jennsen es nicht übermäßig schwer zu erraten, was die Frau meinte. »Ja, ganz recht. Wißt Ihr vielleicht, wo ich sie finden kann?«

»Nun, meine Liebe, die Frau selbst kenne ich nicht, aber von ihrem Mann, Friedrich, habe ich schon gehört. Er kommt in den Palast, um seine vergoldeten Schnitzereien zu verkaufen.«

Offenbar waren viele der Menschen, die sich die Straße hinaufschoben, gekommen, um ihre Waren feilzubieten. Jennsen erinnerte sich noch schwach an ihre frühen Kindertage, damals waren die Menschen jeden Tag in Scharen herbeigeströmt, um alles Mögliche feilzubieten, von Lebensmitteln bis hin zu Schmuck. In vielen Ortschaften in der Umgebung von Jennsens späterem Zuhause gab es einen Markttag, der Palast des Volkes dagegen war eine Stadt, in der jeden Tag Waren umgeschlagen wurden. Sie erinnerte sich, wie ihre Mutter sie zu den Verkaufsständen mitgenommen hatte, um Lebensmittel einzukaufen, und einmal sogar Stoff für ein Kleid.

»Wißt Ihr denn auch, wo wir diesen Friedrich finden können, oder sonst jemanden, der den Weg kennt?«

Die Frau deutete nach vorn, Richtung Palast. »Friedrich betreibt einen kleinen Stand auf dem Marktplatz, ganz am oberen Ende der Straße. Wie ich gehört habe, braucht man eine Einladung, wenn man Althea besuchen will. Ich würde Euch raten, Euch an Friedrich zu wenden.«

»Ganz am oberen Ende?«, fragte Sebastian die Frau.

Sie nickte. »Ihr wißt schon, ganz oben, wo der Palast anfängt. Ich selbst gehe nie so weit hinauf.«

»Und wo verkauft Ihr dann Eure Wurst?«

»Ach, ich habe meinen Pferdekarren, also bleibe ich unten an der Straße und verkaufe sie an die Leute auf dem Weg vom und zum Palast. Man wird Euch nicht erlauben, Eure Pferde mit hinaufzunehmen, falls Ihr die Absicht haben solltet, nach Altheas Mann zu suchen. Eure Ziege übrigens auch nicht. Im Inneren des Felsens gibt es Pferderampen für die Soldaten sowie alle Personen in offizieller Mission, aber Karren mit Vorräten und Ähnlichem benutzen meist die Steilwandstraße an der Ostseite. Sie lassen nicht einfach jeden mit seinem Pferd hinaufreiten.«

»Nun«, meinte Jennsen, »wenn wir hinaufgehen wollen, um Altheas Mann zu suchen, werden wir sie wohl in einem Stall unterstellen müssen.«

»Friedrich kommt nicht oft hierher, und selbst wenn er hier ist, könnt Ihr von Glück reden, falls Ihr ihn erwischt. Aber es wäre schon am besten, mit ihm zu reden.«

Jennsen schluckte den nächsten Mund voll Wurst hinunter. »Wißt Ihr vielleicht, ob er heute hier ist oder an welchen Tagen er in den Palast kommt?«

»Tut mir leid, meine Liebe, aber das weiß ich nicht.« Die Frau schlang sich einen viel zu großen Schal um den Kopf und befestigte ihn mit einem Knoten unter ihrem Kinn. »Ab und zu sehe ich ihn, einoder zweimal habe ich ihm Wurst verkauft, die er nach Hause zu seiner Frau mitgenommen hat.«

Jennsen schaute hinauf zu dem bedrohlich aufragenden Palast des Volkes. »Schätze, dann werden wir uns wohl selbst auf die Suche machen müssen.« Sie hatten den Palast noch nicht einmal betreten, und schon verspürte Jennsen rasendes Herzklopfen. Als sie Sebastians Finger über seinen Umhang streichen und das Heft seines Schwertes berühren sah, konnte sie sich nicht länger zurückhalten und strich ebenfalls mit dem Unterarm über ihre Taille, um sich des beruhigenden Vorhandenseins des Messers unter ihrem Umhang zu vergewissern. Jennsen hoffte, sich nicht lange im Palast aufhalten zu müssen. Sobald sie herausgefunden hatten, wo Althea lebte, würden sie sich auf den Weg dorthin machen – je eher, desto besser.

Sie hatte Sebastian auf dem Weg zum Palast des Volkes über seine Heimat ausgefragt, und er hatte ihr erzählt, die Imperiale Ordnung leiste in der Alten Welt heldenhaften Widerstand gegen die Invasoren des Lord Rahl. Gerade sie verstand nur zu gut. was es hieß, diesen Mann zu fürchten, schließlich ließ genau diese Furcht sie zögern, den Palast des Volkes zu betreten.

Soeben verließ eine wohlgeordnete Soldatenkolonne in Kettenpanzern und dunkler Lederrüstung den Palast und kam ihnen entgegen. Ihre Waffen – Schwerter, Streitäxte und Lanzen – blinkten gefährlich in der morgendlichen Sonne. Jennsen hielt den Blick gesenkt und gab sich Mühe, die Soldaten nicht anzustarren. Sie befürchtete, sie könnten sie aufgrund ihrer äußeren Erscheinung in der Menge wiedererkennen, so als trüge sie ein leuchtendes Mal, das allein sie zu sehen im Stande wären. Aus Angst, es könnte ungewollt Aufmerksamkeit erregen, ließ sie die Kapuze ihres Umhangs hochgeschlagen, um ihr rotes Haar darunter zu verbergen.

Je näher sie den gewaltigen, auf das Plateau führenden Portalen kamen, desto dichter wurde das Gedränge. Wer eben erst eingetroffen war, ließ sich nieder, wo immer er ein Plätzchen fand. Trotz der Kälte schienen die Menschen überall guter Dinge zu sein und gingen munter daran, ihre Waren auszulegen, bei vielen liefen die Geschäfte bereits überaus lebhaft.

Die d’Haranischen Soldaten schienen allgegenwärtig zu sein, ausnahmslos hoch gewachsene, kräftige Männer, die alle die gleiche ordentliche Uniform aus Leder, Kettenpanzer und Wolle trugen. Sie alle waren mit einem Schwert bewaffnet, die meisten führten aber noch weitere Waffen mit – Streitaxt, Morgenstern oder irgendwelche Messer. Obwohl die Soldaten auf der Hut und wachsam waren, schienen sie die Kaufleute weder zu behelligen noch anderweitig deren Geschäfte zu behindern.

Winkend wünschte die Wurstverkäuferin Sebastian und Jennsen noch viel Glück, dann lenkte sie ihren Karren von der Straße herunter auf einen freien Platz, neben drei Männern, die gerade dabei waren, Weinfässer auf einen niedrigen Tisch zu stapeln. Die drei, alle mit dem gleichen markanten Kinn, den gleichen breiten Schultern und den gleichen blonden Haaren, waren offensichtlich Brüder.

»Gebt acht bei wem Ihr Eure Tiere laßt«, rief sie Jennsen und Sebastian noch hinterher.

Viele, die ihre Verkaufsstände unten in der Ebene aufgebaut hatten, besaßen Tiere und schienen keine übermäßigen Schwierigkeiten zu haben, ihre Geschäfte gleich an Ort und Stelle zu betreiben, statt bis hinauf zum Palast zu ziehen. Wieder andere, wie die Frau mit dem Karren, kamen her, um selbst hergestellte Speisen zu verkaufen, und da es hier unten genügend Kundschaft gab, sahen sie keinerlei Notwendigkeit, sich ins Innere des Palastes zu begeben.

All diese Eindrücke nahm Sebastian in sich auf, ohne es sich anmerken zu lassen. Sie glaubte seinem Blick anzusehen, daß er insgeheim die Truppenstärke zählte. Andere mochten vielleicht denken, daß er sich, von der Vielfalt der zum Verkauf stehenden Waren angelockt, einfach nur bei den Händlern umsah, aber Jennsen bemerkte, daß sein Blick weiter ging, bis hinauf zu den gewaltigen Portalen zwischen den hohen steinernen Säulen.

»Was sollen wir mit den Pferden machen?«, fragte sie. »Und mit Betty?«

Sebastian deutete auf eines der Gehege, in dem angepflockte Pferde standen. »Wir werden sie irgendwo zurücklassen müssen.«

Mit dem Kinn wies sie auf die heruntergekommenen Kerle, die das Gehege für die Tiere bewachten; sie waren eifrig in eine Würfelpartie vertieft.

»Meint Ihr wirklich, wir können unsere Tiere solchen Burschen anvertrauen? Nach allem, was wir wissen, könnten es doch Diebe sein. Vielleicht wäre es besser, Ihr bleibt hier bei den Pferden, während ich mich auf die Suche nach Altheas Ehemann mache.«

Sebastian ließ von seiner Begutachtung der Soldaten am Eingangsportal ab und wandte sich zu ihr um. »Ich halte es für keine gute Idee, sich an einem solchen Ort zu trennen, Jennsen. Außerdem möchte ich nicht, daß Ihr allein in den Palast geht.«

Sie versuchte die Besorgnis in seinen Augen abzuschätzen. »Und wenn wir Schwierigkeiten bekommen? Glaubt Ihr wirklich, wir können uns unseren Weg freikämpfen?«

»Nein. Ihr werdet schon Euren Kopf gebrauchen müssen – haltet Eure Gedanken zusammen. Ich habe Euch bis hierher gebracht, ich werde Euch auch jetzt nicht im Stich lassen und Euch allein dort hineingehen lassen.«

»Und wenn sie uns mit Waffengewalt drohen?«

»Sollte es tatsächlich so weit kommen, werden wir uns an einem Ort wie diesem mit Kämpfen auch nicht retten können. Viel wichtiger ist, den Menschen Angst zu machen, sie dazu zu bringen, zweimal darüber nachzudenken, wie gefährlich man sein könnte, damit man erst gar nicht in die Verlegenheit kommt, kämpfen zu müssen. Man muß sie einschüchtern.«

»Ich bin in diesen Dingen nicht sonderlich bewandert.«

Er lachte kurz auf. »Ihr beherrscht es ziemlich gut. Bei mir habt Ihr es doch auch geschafft, am ersten Abend, als Ihr die Huldigung gezeichnet habt.«

»Aber das wart schließlich Ihr, außerdem war meine Mutter dabei. An einem Ort mit so vielen Menschen ist das etwas ganz anderes.«

»Im Gasthaus hat es ebenfalls funktioniert, als Ihr der Wirtin Euer rotes Haar gezeigt habt. Euer Auftritt hat ihr die Zunge gelöst. Des weiteren habt Ihr die Männer mit nichts als Eurem Auftreten und einem Blick in Schach gehalten. Ihr ganz allein habt den Männern eine solche Angst eingeflößt, daß sie Euch in Ruhe gelassen haben.«

So hatte sie das noch nie gesehen. In ihren Augen war es eher eine Verzweiflungstat gewesen denn ein bewußtes Täuschungsmanöver.

Als Betty ihren Kopf an Jennsens Bein rieb, strich sie der Ziege gedankenverloren übers Ohr. während sie beobachtete, wie die Männer ihre Würfelpartie unterbrachen, um einigen Reisenden die Pferde abzunehmen. Die Grobheit, mit der die Kerle die Pferde behandelten, gefiel ihr überhaupt nicht.

Jennsen ließ den Blick suchend über das dichte Gewühl schweifen, bis sie den roten Schal ausmachte. Sie wickelte sich das lose Ende von Bettys Strick um die Hand und machte sich, Rusty im Schlepptau, auf den Weg dorthin. Überrascht beschleunigte Sebastian seine Schritte, um sie wieder einzuholen.

Die Frau im roten Schal war damit beschäftigt, die Bottiche mit ihren Würsten aufzustellen, als Jennsen vor ihrem Wagen stehen blieb. »Madam?«

Sie blinzelte in die Sonne. »Ja, meine Liebe? Noch ein paar Würstchen?« Sie hob einen Deckel an. »Schmecken nicht schlecht, was?«

»Sie sind köstlich, aber eigentlich wollte ich Euch fragen, ob ihr – gegen Bezahlung – auf unsere Pferde und meine Ziege aufpassen könntet.«

Die Frau legte den Deckel wieder an seinen Platz zurück. »Eure Tiere? Ich bin keine Stallmeisterin, meine Liebe.«

Jennsen, Strick und Zügel in der einen Hand, legte ihren Unterarm auf die Seitenwand des Karrens, Betty ließ sich neben dem Rad nieder. »Ich dachte, vielleicht würde es Euch Freude machen, meine Ziege eine Weile als Gesellschaft zu haben. Betty ist ein wahres Prachtexemplar und wird Euch ganz gewiß keinen Ärger machen.«

Die Frau blickte lächelnd über die Seitenwand des Karrens. »Betty heißt sie also? Nun ja, ich denke, auf Eure Ziege könnte ich schon aufpassen.«

Sebastian gab der Frau eine Silbermünze. »Wenn wir unsere Pferde neben Eurem anbinden dürften, könnten wir ruhigen Gewissens davon ausgehen, daß sie in guten Händen sind und Ihr sie im Auge behaltet.«

Die Frau besah sich erst gründlich die Münze, dann unterzog sie Sebastian einer genaueren Musterung. »Wie lange wollt Ihr überhaupt fortbleiben? Ich werde irgendwann, sobald ich meine Würste verkauft habe, wieder nach Hause fahren wollen.«

»Nicht lange«, sagte Jennsen. »Wir wollen nur den Mann ausfindig machen, von dem Ihr uns erzählt habt – diesen Friedrich.«

Sebastian deutete ganz nebenbei auf die Münze, die die Frau noch immer in der Hand hielt. »Sobald wir wieder zurück sind, bekommt Ihr von mir noch eine, als Dank, daß Ihr auf unsere Tiere aufgepaßt habt. Sind wir nicht zurück, bis Eure Würste verkauft sind, bekommt Ihr deren zwei – für die Unannehmlichkeiten, falls Ihr auf uns warten müßt.«

Schließlich nickte die Frau. »Also gut, meinetwegen. Bindet Eure Ziege dort an das Rad, ich werde auf sie aufpassen, bis Ihr wieder zurück seid.« Sie deutete über ihre Schulter. »Und Eure Pferde könnt Ihr dort hinten zu meinem stellen. Mein altes Mädchen wird sich bestimmt über die Gesellschaft freuen. Solltet Ihr mich nachher aus den Augen verlieren, fragt einfach nach Irma, der Wurstverkäuferin.«

»Vielen Dank, Irma.« Jennsen strich Betty zur Beruhigung über die Ohren. »Ich weiß Eure Hilfe sehr zu schätzen. Bevor Ihr Euch verseht, sind wir wieder zurück.«

Als sie sich unter die Menge mischten, die sich in immer dichterem Gedränge auf das gewaltige Felsplateau zuwälzte, legte Sebastian ihr einen Arm um die Hüfte, damit sie dicht bei ihm blieb, als er sie in den gähnenden Schlund des Palastes von Lord Rahl hineinführte.

In der Ferne konnte Jennsen Bettys klagendes Meckern hören, die sich im Stich gelassen glaubte.

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