52

Tende verließ Kisus Lager und eilte zu Bila Huruma. Weinend kniete sie vor ihm nieder. »Ich begleite dich!« rief sie. »Tut ihnen nichts! Tötet sie nicht! Ich komme ja freiwillig mit! Du hast mich gefunden. Ich flehe dich an, laß die anderen gehen. Laß sie frei großer Ubar!«

»Wer ist diese Frau?« fragte Bila Huruma.

Kisu trat erstaunt zurück. Verblüfft starrte Tende zu Bila Huruma empor.

»Hast du mich nicht gesucht, großer Ubar?« fragte sie. »Bist du nicht meinetwegen den großen Fluß emporgefahren?«

»Wo ist Shaba?« fragte Bila Huruma.

»Ich weiß es nicht«, antwortete ich.

»Großer Ubar!« rief Tende.

»Wer ist das?« fragte Bila Huruma.

»Keine Ahnung«, erwiderte Msaliti. »Ich habe sie nie zuvor gesehen.«

Bila Huruma blickte auf die halbnackte Sklavin hinab, die ihm zu Füßen lag. »Habe ich dich schon einmal gesehen?« fragte er.

»Nein, Herr«, erwiderte sie.

»Das dachte ich mir«, meinte er. »Zweifellos hätte ich mich an die Konturen deines Körpers erinnert.«

»Ich war einmal Tende aus Ukungu«, sagte sie.

»Wer ist Tende aus Ukungu?«

»Ah«, sagte Msaliti. »Sie sollte dir von Aibu, dem Häuptling von Ukungu, überlassen werden, um die Allianz zwischen dem Reich und Ukungu zu festigen.«

»Ukungu ist Teil des Reiches«, sagte Bila Huruma.

»Nein!« rief Kisu und ergriff einen Speer.

Bila Huruma beachtete Kisu nicht. Er blickte auf Tende hinab, die zu seinen Füßen kniete und an ihm emporblickte.

»Eine hübsche Sklavin«, stellte Bila Huruma fest, »ein hübsches Symbol für Hochschätzung und guten Willen, doch kaum ausreichend, um etwas so Wichtiges zu untermauern wie eine politische Allianz.«

»Sie war die Tochter Aibus«, erklärte Msaliti. »Sie sollte deine Gefährtin werden.«

»Gefährtin?« fragte Bila Huruma.

»Ja«, sagte Msaliti.

»Diese hübsche Dirne war einmal eine freie Frau?«

»Ja.«

»Stimmt das, meine Liebe?« fragte Bila Huruma.

»Ja, Herr«, antwortete sie.

»Jetzt aber trägst du die Lumpen und Perlen einer Sklavin.«

»Ja, Herr.«

»Sie stehen dir gut.«

»Danke, Herr.«

Es hielten sich etwa zweihundert Askaris im Zimmer auf. Msaliti und Bila Huruma waren einige Schritte vorgetreten. Kisu und ich standen ihm gegenüber, Kisu hielt einen Speer in der Hand. Ayari befand sich links hinter uns. Unsere Mädchen waren nach wie vor gefesselt.

»Kämpfen wir!« rief Kisu Bila Huruma zu.

»Wir hatten nicht damit gerechnet, dich wiederzusehen«, sagte ich.

»Ich habe mich durchgekämpft«, antwortete Bila Huruma. »Zweihundertundzehn Männer, drei Galeeren und vier Kanus sind mir geblieben.«

»Meine Hochachtung – dein militärisches Können und dein unbeugsamer Wille haben unüberwindliche Hindernisse aus dem Weg geräumt«, sagte ich.

»Kämpfen wir!« wiederholte Kisu und hob seinen Speer.

»Was ist das für ein Bursche?« fragte Bila Huruma.

»Kisu, der Rebell aus Ukungu«, antwortete Msaliti. »Du hast ihn einmal an deinem Hofe vor dir knien sehen, in Ketten. Bei demselben Anlaß lerntest du Mwoga, den Hochwesir Aibus, des Häuptlings von Ukungu, kennen. Damals sprach er mit dir, wenn du dich erinnern möchtest, über das Mädchen Tende, die deine Gefährtin werden sollte und dir jetzt als Sklavin zu Füßen liegt.«

»Ah ja, ich erinnere mich«, antwortete Bila Huruma und blickte Kisu an. »Der Mann, mit dem Körperbau und Temperament eines Kailiauk«, sagte er.

»Ja«, antwortete Msaliti.

»Bereite dich auf den Kampf vor«, sagte Kisu zu Bila Huruma.

»Unsere Auseinandersetzung ist vorbei, und du hast verloren«, sagte Bila Huruma.

»Für mich ist der Kampf aber noch nicht vorbei, solange ich noch einen Speer packen kann«, antwortete Kisu ernst.

»Hier stehen mehr als zweihundert Askaris, Kisu«, sagte ich mahnend.

»Stell dich mir zum Zweikampf, wenn du es wagst!« forderte Kisu den Ubar auf.

Ich schaltete mich ein. »Ubars«, sagte ich, »haben selten Veranlassung, sich gegen einfache Soldaten zum Duell zu stellen.«

»Ich bin aber der Mfalme von Ukungu!« sagte Kisu.

»Du wurdest abgesetzt«, sagte ich gelassen. »Bei allem Respekt, Kisu, du bist politisch nicht wichtig genug, um ein Duell mit einem Ubar wert zu sein.«

»Dann ernenn mich wieder zum Mfalme von Ukungu«, forderte Kisu, »wenn es nicht anders geht.«

»Ich bitte dich, Kisu!« sagte Ayari.

»Welche Spuren Shabas habt ihr gefunden?« fragte Bila Huruma.

»Nur seine Galeere – soviel hast du sicher auch schon festgestellt. Auch wir suchen ihn.«

»Ich glaube nicht, daß er weit ist«, meinte Bila Huruma.

»Das hoffe ich auch«, sagte ich.

»Wo ist die goldene Kette, die ich dir an meinem Hofe schenkte?« wollte Bila Huruma wissen.

»Bei unseren Vorräten im Boot«, antwortete ich.

»Das ist ein Irrtum«, sagte er und winkte einen Askari herbei, der mir die Kette zuwarf.

»Ich dachte mir, daß ich dich hier finden würde«, sagte Bila Huruma. »Ich erkannte die Kette wieder.«

»Vielen Dank, Ubar«, sagte ich und legte mir die Kette wieder um den Hals.

»Kämpfe!« rief Kisu.

»Ich suche Shaba«, sagte Bila Huruma. »Ich habe keine Lust, mich von diesem heißspornigen Unzufriedenen ablenken zu lassen.«

»Kämpfe!« schrie Kisu und schwenkte seinen Speer.

»Ich könnte diese schwerfällige Waffe im Nu unterlaufen«, sagte Bila Huruma zu Kisu. »Warum hätte ich bei meinen Soldaten sonst den Stoßspeer einführen sollen?«

»Wir haben solche Waffen ebenfalls!« rief Kisu, und das stimmte. Ayari hielt eine in der Hand, während die andere unten im Kanu lag.

»Kannst du sie aber auch bedienen?« fragte Bila Huruma. »Kennst du all die Tricks, die man im Kampf damit anwenden kann?«

»Nein«, antwortete Kisu. »Trotzdem werde ich gegen dich antreten.«

»Du bist ein kräftiger Mann, ein mutiger, guter Mann, Kisu«, sagte ich, »aber Bila Huruma und seine Männer sind ausgebildete Kämpfer. Gib deine Verrücktheit auf.«

»Wenn ich Bila Huruma töte«, sagte Kisu, »töte ich damit auch sein Reich.«

»Das ist sehr unwahrscheinlich«, sagte ich. »Das Reich ist wertvoll – wie Gold. Entglitte es dem Griff eines Mannes, würde sehr bald ein anderer danach greifen.«

»Ich gedenke nicht, mich dir im Kampf zu stellen«, sagte Bila Huruma. »Und wenn du mich angreifst, muß ich dich entweder töten oder umbringen lassen.«

»Er ist ein ausgebildeter Kämpfer, Kisu«, sagte ich. »Laß es nicht darauf ankommen.«

»Was soll ich tun?« fragte Kisu.

»Meine Empfehlung wäre es, ihn niederzustechen, wenn er gerade nicht hinschaut, oder seinen Palmenwein zu vergiften.«

»So etwas kann ich nicht tun«, rief Kisu. »Was soll ich machen?«

»Heb den Speer«, forderte ich ihn auf.

Mit einem Wutschrei hämmerte er den Speerschaft gegen den Boden. Alle Anwesenden musterten Kisu.

Er stand starr, den Speer gegen den Boden gestemmt, die Klinge über dem Kopf. Seine Hände umklammerten den Speer unterhalb der Schneide, über seinem Kopf, den er gesenkt hatte. Seine Schultern zuckten. Er weinte. Tende kroch zu ihm und schmiegte sich schluchzend an ihn.

»Warum suchst du Shaba?« fragte Bila Huruma.

»Zweifellos aus demselben Grund wie du«, antwortete ich.

Nervös zuckend stand Msaliti neben dem Ubar. »Wir haben einen weiten Weg zurückgelegt, großer Ubar«, sagte er. »Wir konnten viele Hindernisse und Gefahren überwinden. Diese wenigen Männer bilden ein letztes Hemmnis für uns. Wir sind beträchtlich in der Überzahl und sollten sie auslöschen. Befiehl deinen Askaris, sie zu vernichten.«

Bila Huruma sah mich an. Er schien in Gedanken versunken zu sein.

»Bila Huruma«, ertönte da eine Stimme von der Höhe der Treppe schräg hinter uns, einer Treppe, die zu einem höhergelegenen Hof führte.

Wir alle blickten zur obersten Stufe hinauf.

Dort stand in stolzer Pose ein Schriftgelehrter, der nur noch blaue Fetzen am Leibe trug.

»Ich bin Bila Huruma«, sagte der Ubar.

»Das ist mir bekannt«, erwiderte der Schriftgelehrte und schaute sich in unserem Kreise um. »Ist unter euch ein Mann, der Tarl Cabot heißt?« fuhr er fort.

»Das bin ich«, meldete ich mich.

Msaliti fuhr zusammen. Anscheinend war das ein Name, der ihm nicht unbekannt war. Seine Hand zuckte zur Hüfte an seinen Dolch, doch er zog die Waffe nicht.

»Ich bringe euch zu Shaba«, sagte der Schriftgelehrte.

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