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Es war um die fünfte Stunde.

An den Kanälen war es noch dunkel. Zu dieser Stunde scheint es in Port Kar sehr ruhig zu sein. Den Seesack über die Schulter geworfen, folgte ich einem Kanalweg. Die Luft war feucht. In Nischen eingelassene Lampen und hohe Laternen erzeugten hier und dort undenkliche Lichthöfe an den Mauern und auf dem geneigten Pflaster, dem ich folgte. Ich roch das Thassa, die See.

Zwei Wächter, die an mir vorbeikamen, hoben ihre Laterne.

»Tal«, sagte ich zu ihnen und setzte meinen Weg fort.

Wie schon am Vorabend trug ich das Gewand eines Metallarbeiters.

Neben mir plätscherte leise eine Urt im Wasser. Ich kam an schmalen Eisentüren vorbei, die in die Mauern eingelassen waren. Soweit es bei goreanischen Anwesen Höfe und Gärten gibt, sind sie meistens in den Bau einbezogen. In Port Kar jedoch, das im Delta des Vosk errichtet worden war, gab es nur wenige Gärten – der Platz war knapp.

Nachdem die blonde Sklavin verkauft worden war, hatte ich Varts Auktion nicht sofort verlassen, um nicht erkennen zu lassen, daß ich speziell an ihr interessiert gewesen war. Ich hatte mir noch die Verkäufe etlicher anderer Mädchen angeschaut.

Plötzlich blieb ich stehen. Einige Meter vor mir lag ein dunkelhaariges Mädchen mit dem Bauch nach unten auf dem schmalen Gang und fischte mit der Hand im Kanalwasser herum. Offenbar suchte sie nach Abfällen, die noch eßbar waren. Sie war barfuß und trug eine kurze braune Tunika. Ich hielt sie nicht für eine Sklavin. In den Hafenstädten gibt es zahlreiche vagabundierende Mädchen, die sich mit Bettelei und Diebstahl über Wasser halten und nachts in Kisten und unter Brücken und Hafenmauern schlafen. Man nennt sie die Urt-Mädchen des Hafens. Von Zeit zu Zeit wird ein Vorstoß unternommen, ihrem Treiben ein Ende zu machen, doch selten führen solche Maßnahmen zum Ziel.

Das Mädchen hörte mich kommen, zog hastig die Beine an, sprang auf und drehte sich zu mir um. Sie lächelte strahlend. Ihr Gesicht war hübsch.

»Tal«, sagte sie.

»Tal«, gab ich zurück.

»Du bist kräftig«, bemerkte sie.

Wir befanden uns in der Nähe des Piers der Roten Urt – in keinem sehr einladenden Bezirk.

Ich stellte meinen Seesack ab. »Es ist gefährlich hier«, sagte ich. »Du müßtest längst zu Hause sein.«

»Ich habe kein Zuhause«, antwortete sie und fuhr mir mit der Fingerspitze spielerisch über die Schulter. »Wer würde schon einem kleinen Urt-Mädchen etwas tun?«

»Was willst du?« fragte ich. Das leise Geräusch hinter mir hatte ich nicht überhört.

»Für einen Tarsk bin ich dir zu Gefallen«, sagte sie, »auch als Sklavin, wenn du möchtest.«

»Wenn ich eine Sklavin will«, antwortete ich, »nehme ich mir eine echte Sklavin und keine freie Frau, die so tut, als wäre sie versklavt.«

Zornig richtete sie sich auf. »Ich bin willig und hübsch«, sagte sie. »Versuch’s doch mal mit mir!«

Ich berührte sie an der Hüfte. Sie fühlte sich gut an. Anschließend faßte ich sie an den Oberarmen und blickte ihr in die Augen. Sie hob die Lippen meinem Mund entgegen.

»Nein!« schrie sie mit flackerndem Blick, als ich sie urplötzlich hochriß und mich dabei drehte – sie wußte sofort, daß sie damit in die Bahn des Hiebes gebracht wurde. Ihren schlaffen Körper ließ ich sofort zu Boden fallen.

»Du solltest den Atem anhalten«, sagte ich zu dem Mann, »wenn du dich anschleichst. Außerdem solltest du schon frühzeitig den Arm heben, damit das Rascheln deines Ärmels dich nicht verrät. Schließlich müßte das Mädchen die Augen geschlossen halten, damit sie nicht als Spiegel dienen.« Es hatte mir keine Mühe gemacht, seine Annäherung zu erspüren. Die Sinne eines Kriegers sind nun mal geübt – schließlich mag das Leben davon abhängen.

Mit einem Wutschrei griff der Mann an. Ich umfaßte seine ungeschickte rechte Hand, die den Knüppel hielt, drehte sie herum und schleuderte ihn mit dem Gesicht nach unten zu Boden. Bewußtlos blieb er liegen. Ich nahm ein Stück Schnur aus meinem Seesack und fesselte ihn. Dann wandte ich mich dem Mädchen zu. Sie hielt ich einen Augenblick lang in das kalte Kanalwasser. Als ich sie wieder hochzerrte, schnappte sie nach Luft. Ihr Haar und ihre kurze Tunika waren tropfnaß. »Bitte laß mich gehen!« flehte sie. »Man würde mich versklaven!«

»Weißt du noch, was du zu mir sagtest, ehe ich dich umdrehte?« fragte ich.

»Nein.«

»Komm, sag’s noch einmal!«

»Ich bin willig und hübsch«, stammelte sie. »Probier’s mal mit mir …«

»Na schön«, sagte ich.

Ich zwang sie, mir zu dienen, soweit eine freie Frau dazu in der Lage ist.

Sie blickte zu mir auf. »Habe ich dir gut gedient?« fragte sie. Tränen funkelten in ihren Augen.

»Ja.«

»Dann laß mich frei!«

Anstelle einer Antwort begann ich sie an den Mann zu fesseln, der noch bewußtlos am Kanalufer lag. So würden die Wächter die beiden finden.

»Man wird ihn verbannen und mir den Sklavenkragen anlegen«, sagte sie.

»Ja«, gab ich zurück.

Ich kniete neben ihr nieder. Aus dem Beutel nahm ich eine Tarskmünze und steckte sie ihr in den Mund. Da ich nicht die Absicht hatte, sie selbst zur Sklavin zu machen, erschien es mir angebracht, sie für ihre Dienste zu entlohnen. Ich zahlte ihr den Preis, den sie selbst genannt hatte.

Ich richtete mich auf, schulterte meinen Seesack und setzte pfeifend meinen Weg zur Pier der Roten Urt fort, wo Ulafis Schiff zu finden war, die Schendi-Palme.

Gleich darauf beschleunigte ich meine Schritte, denn ein Alarm wurde angeschlagen.

Hinter mir ertönten eilige Schritte, und ich drehte mich um. Ein dunkelhäutiger Seemann eilte an mir vorbei in Richtung Hafen. Ich folgte ihm.

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