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Wir saßen etwa einen halben Pasang vom Flußufer entfernt um unser kleines Feuer.

Ein großer Ameisenbär, der gut zwanzig Fuß lang geraten war, schnüffelte am Rand unseres Lagers herum. Wir schauten zu, wie seine lange, dünne Zunge aus dem Mund zuckte und wieder darin verschwand.

Die blonde Barbarin rückte ein wenig näher zu mir.

»Das Tier ist harmlos«, sagte ich, »es sei denn, man läuft ihm direkt in den Weg. Dann kann es ein zorniges Pfeifen ausstoßen und mit seinen scharfen Krallenpfoten zuschlagen und sogar einen Larl niederstrecken.« Das Geschöpf lebte von weißen Ameisen oder Termiten. Zuerst brach es die hoch aufragenden Nester aus getrocknetem Lehm auseinander, dann ließ es die vier Fuß lange Zunge, die mit klebrigem Speichel benetzt war, in das Innere zucken und zog Tausende von verblüfften Bewohnern in Sekundenschnelle in sein schmales röhrenförmiges Maul.

Das Mädchen schauderte zusammen.

Wir hatten bestimmte Güter aus dem Boot mitgebracht.

»Oh!« rief das Mädchen plötzlich schaudernd. Ein roter Grashüpfer von der Größe eines gehörnten Gim, eines kleinen, eulenähnlichen Vogels, war nahe dem Feuer emporgesprungen und im Unterholz verschwunden.

Verlegen senkte das Mädchen den Kopf.

Kisu war damit beschäftigt, mit dem Messer ein Stück des groben rotgefärbten Tuches zu lösen, das wir gegerbt und zusammengefaltet im Fischerdorf eingetauscht hatten. Es besitzt ein Gewebe aus Rindenstreifen und ähnelt dicht gewebtem Leinen – allerdings ist es viel weicher, was zum Teil wohl an der Tatsache liegt, daß die Farbe, in der es getönt wird, Palmöl enthält. Tende beobachtete ihn genau.

Ich lachte leise vor mich hin.

»Amüsiere ich den Herrn?« fragte die blonde Barbarin gereizt.

»Ich mußte eben an heute nachmittag denken«, sagte ich.

»Oh!«

Am späten Nachmittag war sie ein Stück vom Fluß entfernt einer Felsspinne zum Opfer gefallen – Tiere, die mit untergefalteten Beinen, einem Felsbrocken gleich, in Ruhe abwarten, bis sich etwas in ihrem Netz verfängt. Die Barbarin war in so ein klebriges Netz gelaufen, und ich hatte sie mühselig wieder befreien müssen.

»Du hättest mich nicht zu schlagen brauchen«, sagte sie in tadelndem Ton.

»Halt den Mund, Sklavin!«

»Ja, Herr«, erwiderte sie.

Ein Herr brauchte keinen besonderen Grund, um seine Sklavin zu züchtigen – in diesem Falle aber war es wichtig gewesen, ihr lautes Jammern und Schluchzen zu beenden. Ich wollte nicht, daß Unbekannte auf unseren Aufenthalt im Wald aufmerksam gemacht wurden. Wir hatten keine Ahnung, wer außer uns noch in dem furchtbaren Dschungel unterwegs war.

Ich saß mit untergeschlagenen Beinen da und beobachtete Kisu, der den Streifen Stoff, etwa einen Fuß breit und fünf Fuß lang, in die Höhe hielt, damit Tende ihn betrachten konnte.

Das Mädchen aus Ukungu kniete vor ihrem Herrn. »Ich erbitte Kleidung, Herr«, sagte sie.

»Verdiene sie dir!« forderte Kisu.

»Ja, Herr«, antwortete sie eifrig und beugte sich zu ihm. Als sie fertig war, warf Kisu ihr den Streifen Stoff zu, den sie sich entzückt um die Hüften wand. Anschließend holte er ihr aus einem Sack, den wir im Kanu verstaut hatten, zwei bunte Ketten mit Holzperlen – Schmuck, den wir im Fischerdorf eingetauscht hatten.

»Danke, Herr«, sagte Tende atemlos und präsentierte sich ihm in neuer Schönheit.

Alice, die erste blonde Sklavin, betrachtete das Mädchen neidisch. Dann kroch sie mit gesenktem Kopf zu mir. »Ich erbitte Kleidung, Herr«, sagte sie leise.

Ich blickte sie an. »Bist du bereit, sie dir zu verdienen?« fragte ich.

»Ja, Herr«, sagte sie lächelnd.

»Dirne!« rief die blonde Barbarin.

»Geh Holz holen für das Feuer!« sagte ich zu ihr.

»Ja, Herr«, sagte sie bedrückt.

Dann nahm ich Alice in die Arme und küßte sie. Sie schloß die Augen und legte den Kopf zurück. Das Feuer war niedergebrannt.

Es war etwa zwei Ahn vor der ersten Morgendämmerung.

Alice lag dicht neben Tende und schlief. Um ihre Hüften zog sich der Wickelrock aus dunkelrotem Tuch, den sie sich verdient hatte. Ich hatte ihr das Stück persönlich zurechtgeschnitten. Ayari und Kisu schliefen ebenfalls.

Ich blickte zu der blonden Barbarin hinüber, die am Feuer saß.

»Herr?« fragte sie.

»Ja?«

»Soll ich keine Kleidung erhalten?« fragte sie.

»Bist du bereit, sie dir zu verdienen?« fragte ich.

»Wenn du es mir befiehlst, muß ich gehorchen. Ich bin Sklavin.«

»Und wenn ich dir keinen Befehl gebe – würdest du dann die Gelegenheit erbitten, dir einen solchen Rock zu verdienen?«

»Niemals!« rief sie. »Niemals!«

»Es ist Zeit zum Schlafengehen«, sagte ich.

»Ich kann den Rock nicht so erbitten«, schluchzte sie. »Ich bin eine Frau von der Erde.«

»Das gilt für Alice ebenso.«

»Sie ist Sklavin«, sagte die blonde Barbarin.

»Und was bist du?«

»Ja«, schluchzte das Mädchen.

»Du hattest Gelegenheit, mich zu bitten, dir Kleidung zu verdienen«, sagte ich. »Du hast dich geweigert. Vielleicht erhältst du diese Chance nie wieder.«

Sie blickte mich angstvoll an.

»Und jetzt schlaf!« befahl ich.

»Ja Herr«, sagte sie.

Anschließend setzte ich mich an das kleine Feuer. Ich wollte eine Zeitlang Wache halten und dann Kisu wecken. Auf diese Weise würde auch ich vor dem Morgen noch etwas schlafen können.

Mich interessierte die Tierwelt des Flusses und des Regenwaldes. Ich erinnerte mich an einige winzige Fische, die sich auf hochstehenden Wurzeln dicht am Fluß gesonnt hatten. Sie besaßen rundliche Augen, winzige Längsflossen und waren etwa sechs Zoll lang. Sie verfügten über Lungen und Kiemen. Die Fähigkeit, vom Wasser auf das Land zu wechseln, ermöglicht es ihnen, sich in heißen Sommern Flüsse zu suchen, die nicht ausgetrocknet sind. Natürlich können sie sich damit auch vor Wasser-Raubtieren in Sicherheit bringen und vom Land ins Wasser zurückzukehren, sollte sich auch dort eine Gefahr zeigen. Normalerweise bleiben diese Wesen dicht beim Wasser. Manchmal sonnen sie sich sogar auf dem Rücken ruhender oder schlafender Tharlarion. Taucht so ein Geschöpf unter, wandern die winzigen Fische oft mit und halten sich in seiner Nähe, ohne sich jedoch an das Maul heranzuwagen. Die Nähe zu den Tharlarion bietet interessanterweise einen wirksamen Schutz vor den meisten natürlichen Feinden, insbesondere vor dem schwarzen Aal, der sich den geschmeidigen Reptilien nicht nähert. Und die winzigen Fische vermögen gut zu leben von den Überresten der Mahlzeiten des Tharlarion. Sie verscheuchen sich sogar gegenseitig von ›ihrem‹ Tharlarion und achten sehr darauf, daß territoriale Rechte auf dem Rücken des Ungeheuers nicht verletzt werden. Der Schildfisch und der Hai unterhalten in mancher Beziehung auf ihre Weise eine ähnliche Verbindung. Diese winzigen Fische, von denen hier die Rede ist, heißen übrigens Gint.

Ich stocherte im Feuer.

»Kisu«, sagte ich dann leise. »Wach auf! Übernimm die Wache.«

Während er sich zu regen begann, legte ich mich nieder. Ich dachte an den Fluß und war bald eingeschlafen.

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