4

»Wie lange wird sie schon vermißt?« fragte ich.

»Gut eine Ahn«, antwortete ein Mann. »Der Alarm ist aber erst jetzt geläutet worden.«

Wir standen in der Nähe des hohen Pults, an dem der Pier-Praetor seines Amtes waltete.

»Es schien kein Grund zu bestehen, früher darauf aufmerksam zu machen«, sagte der Mann. »Man konnte davon ausgehen, daß Wächter oder die Besatzung der Schendi-Palme sie recht bald aufspüren würden.«

»Sie sollte an Bord dieses Schiffes gehen?« fragte ich.

»Ja«, entgegnete der Mann. »Jetzt muß man ihr wohl die Füße abhacken.«

»Ist es ihr erster Fluchtversuch?« erkundigte sich jemand.

»Keine Ahnung«, lautete die Antwort.

»Was soll die ganze Aufregung um eine geflohene Sklavin?« rief ein Mann mit zerrissener Kleidung dem ein Ohr blutete. »Mich hat man ausgeraubt! Was tust du dagegen?«

»Geduld!« sagte der Pier-Praetor. »Wir kennen das Pärchen. Seit Wochen suchen wir nach den beiden.« Der Praetor reichte einem seiner Wächter ein Stück Papier. Etliche Männer standen in unserer Gruppe. Ein anderer Wächter hörte auf, die Alarmstange zu schlagen, die auf einem benachbarten Lagerhaus an einem Mast hing.

»Haltet nach einer geflohenen Sklavin Ausschau!« rief der Wächter. »Sie ist blond und hat blaue Augen. Sie ist eine Barbarin. Als man sie zuletzt sah, war sie nackt.«

Ich nahm nicht an, daß es lange dauern würde, sie wieder einzufangen. Es war dumm von ihr, die Flucht zu wagen. Für ein Mädchen wie sie gab es kein Entkommen. Andererseits trug sie noch kein Brandzeichen und keinen Sklavenkragen. Es mochte problematisch sein, sie sofort zu finden.

»Wie ist sie denn entkommen?« fragte ich einen Mann neben mir.

»Varts Helfer hat sie auf der Pier abgeliefert«, lautete die Antwort. »Er ließ sie inmitten der Fracht niederknien, die auf die Schendi-Palme verladen werden sollte. Man gab ihm eine Quittung für sie, und dann zog er wieder ab.«

»Er hat sie nicht an Händen und Füßen gefesselt?« fragte ich.

»Nein«, antwortete der Mann. »Aber wer hätte das auch für nötig gehalten?«

Ich nickte. Seine Worte waren logisch. Innerlich aber lächelte ich. Sie hatte einfach die Ladezone verlassen, sobald niemand mehr auf sie achtete, sie hatte sich unbemerkt entfernt. Wären ihre Kenntnisse über Gor ausgedehnter gewesen, hätte sie es nicht ohne weiteres gewagt zu fliehen. Sie begriff noch nicht, daß sie jetzt eine Sklavin war. Sie hatte noch nicht erfaßt, daß die Flucht einem Wesen wie ihr für alle Zeit verboten war.

»Bringt das Mädchen zum Praetor dieser Pier zurück!« setzte der Wächter seine Ausrufung fort.

»Was ist mit den beiden, die mich ausgeraubt haben?« rief der Mann mit der zerrissenen Kleidung und dem blutigen Ohr.

»Du bist nicht der erste«, sagte der Praetor von der Höhe seines Pultes herab. »Auf sie gibt es längst einen Steckbrief.«

»Wer hat dich ausgeraubt?« fragte ich den Mann.

»Ich glaube, es waren zwei«, antwortete er. »Ein dunkelhaariges Urt-Mädchen in einer braunen Tunika. Ich wurde von hinten niedergeschlagen. Anscheinend hat sie einen männlichen Komplizen.«

»Sie verwickelte dich in ein Gespräch?« fragte ich. »Und als du dann abgelenkt warst, wurdest du von hinten angegriffen?«

»Ja«, antwortete der Mann mürrisch.

»Ich habe vorhin zwei Personen gesehen, auf die die Beschreibung paßt«, sagte ich. »Und zwar auf dem Nordweg des Rand-Kanals, der ganz in der Nähe dieser Pier mündet.«

»Wir schicken zwei Wächter los«, sagte der Praetor. »Vielen Dank für die Information, Bürger!«

»Sicher sind sie längst fort«, meinte der Überfallene.

»Vielleicht noch nicht«, mutmaßte ich.

Der Praetor schickte zwei Mann los, die sich schnellen Schrittes in Richtung Rand-Kanal entfernten.

»Haltet nach einer entflohenen Sklavin Ausschau!« rief der Wächter über die Menge hinweg. Ich hörte, wie er weitere Informationen hinzufügte, die ihm offenbar soeben von einem Pier-Läufer übermittelt worden waren. Sie umfaßten aber kaum mehr als die Maße des Mädchens, die Varts Verkaufsunterlagen entnommen werden konnten.

Ich schritt bis zum Ende der Pier, etwa hundert Meter entfernt, wo die Schendi-Palme vertäut war. Hafenarbeiter, die schwere Ballen auf den Schultern trugen, gingen in langen Reihen an Bord und verschwanden unter Deck. Das Kommando führte der Zweite Offizier des Schiffes. Das erste graue Licht füllte den Himmel. Noch war der goldene Rand Tor-tu-Gors nicht auszumachen, des Lichts auf dem Heimstein, das sich im Osten der Stadt erhob.

»Fahrt ihr nach Schendi?« fragte ich den Offizier.

»Ja«, gab er zurück und hob den Blick von seiner Ladeliste.

»Ich würde gern bei euch eine Passage buchen«, sagte ich.

»Wir nehmen keine Passagiere mit«, sagte er.

»Ich könnte bis zu einem Silber-Tarsk zahlen«, sagte ich. Daß ich mir mehr leisten konnte, wollte ich lieber nicht verlauten lassen. Wenn es gar nicht anders ging, konnte ich mit irgendeinem anderen Schiff fahren. Ein eigenes Schiff zu mieten, war nicht ratsam – das hätte bestimmt Verdacht erweckt. Es wäre auch nicht klug gewesen, eines meiner eigenen Schiffe, beispielsweise die Dorna oder die Tesephone, in den Süden zu holen. Man mochte sie identifizieren. Goreanische Seeleute erkennen Schiffe ebensoleicht wie Gesichter. Das gilt natürlich für Seeleute aller Länder und aller Welten.

»Wir nehmen keine Passagiere mit«, wiederholte der Zweite Offizier.

Achselzuckend wandte ich mich ab. Natürlich hätte ich es vorgezogen, mit diesem Schiff zu fahren, denn dort würde sich auch das Mädchen befinden, sollte man sie wieder einfangen. Ich durfte nicht riskieren, ihre Spur zu verlieren.

Ich blickte zum hohen Deck der Schendi-Palme empor. Dort entdeckte ich Kapitän Ulafi im Gespräch mit einem Mann, den ich für den Ersten Offizier hielt. Die beiden beachteten mich nicht.

Ich verweilte einige Sekunden lang und betrachtete die anmutig geschwungene Wandung der Schendi-Palme. Sie war ein mittelgroßes Schiff, dessen Verhältnis von Länge zu Breite etwa sechs zu eins betrug, während Langschiffe etwa im Verhältnis acht zu eins gebaut werden. Das Schiff wies an jeder Seite zehn Ruder auf, besaß zwei Steuerruder und zwei Festmasten mit Lateinersegeln. Die meisten goreanischen Schiffe wurden mit Doppelrudern gesteuert. An Bord von Rundschiffen sind die Masten gewöhnlich fest angebracht, während sich der eine Mast eines Langschiffes vor dem Kampf entfernen läßt. Die meisten goreanischen Schiffe besitzen Lateinersegel; damit lassen sie sich dichter vor den Wind steuern. Außerdem bietet das lange dreieckige Segel ein sehr ansprechendes Bild.

Ich wandte dem Schiff den Rücken. Ich wollte nicht dabei auffallen, daß ich es mir zu gründlich anschaute. Nach den Gezeitentabellen würde die Flut sechs Ehn nach der siebten Ahn ihren Höhepunkt erreichen.

Ich stellte mir die Frage, ob Ulafi auch ohne die blonde Barbarin ablegen würde. Ich nahm es nicht an. Ich hoffte, daß er den Silber-Tarsk für sie nicht nur deswegen bezahlt hatte, weil sie ihm irgendwie gefiel. Das wäre sehr ärgerlich. Ich war überzeugt, er würde warten, bis man sie wieder eingefangen hatte. Wenn er dadurch jedoch die Flut verpaßte, würde ihn das bestimmt nicht freuen.

Am Pult des Pier-Praetors schien sich etwas ereignet zu haben, und ich kehrte dorthin zurück.

»Sie ist es!« sagte der überfallene Mann und deutete auf das kleine dunkelhaarige Mädchen. Sie stand gefesselt vor dem hohen Tisch des Praetors. Neben ihr, ebenfalls gesichert, stand ihr Komplize. Beide waren durch eine Halsschlinge miteinander verbunden. Interessanterweise trug das Mädchen keine Tunika mehr; ich hatte ihr das Kleidungsstück lediglich über die Hüfte hochgeschoben. Es erschien mir nicht wahrscheinlich, daß der Wächter sie entblößt hatte, da ich sie nach wie vor für eine freie Frau hielt. Jetzt aber war sie nackt.

»Die beiden waren wie Vulos aneinandergebunden«, sagte ein Wächter lachend.

»Wer mag das nur gewesen sein?« fragte jemand.

»Wächter waren es nicht«, sagte einer der Uniformierten. »Wir hätten die beiden sofort abgeliefert.«

»Sieht so aus, als hätten sich die beiden das falsche Opfer ausgesucht«, meinte jemand.

»Sie ist es!« wiederholte der Mann mit dem blutigen Ohr. »Sie hat mich abgelenkt, während der andere, so vermute ich, mich niederschlug.« Er deutete auf den Mann.

Das Mädchen schüttelte den Kopf. Anscheinend wollte sie etwas sagen.

»Was hast du da im Mund, Mädchen?« fragte der Praetor.

Einer der Wächter öffnete ihr unsanft die Lippen und holte die große Münze heraus. Zehn solcher Münzen ergeben einen Kupfer-Tarsk. Hundert Kupfer-Tarsk sind ein Silber-Tarsk.

Der Praetor legte die Münze auf seinen hohen Tisch, der zudem noch durch eine Sichtkante vor dem Antragsteller abgeschirmt wurde.

»Gib mir meine Münze zurück!« forderte das Mädchen. »Still!« sagte der Wächter.

»Sie hat dich also mit dem Mann zusammen überfallen?« fragte der Praetor und deutete auf das gefesselte Mädchen.

»Ja«, antwortete der Mann.

»Nein!« rief das Mädchen. »Ich habe ihn nie zuvor gesehen!«

»Ich verstehe«, sagte der Praetor, der das Mädchen zu kennen schien.

»Ha!« rief der Mann, der sie beschuldigte.

»Wie kommt es, daß du hilflos gefesselt am Kanal lagst?« fragte der Praetor.

Das Mädchen blickte sich nervös um. »Räuber haben uns überfallen und gefesselt«, sagte sie.

Gelächter wurde laut.

»Ihr müßt mir glauben! Ich bin eine freie Frau!«

»Untersucht den Beutel des Mannes«, ordnete der Praetor an.

Einer der Wächter öffnete den Beutel und fuhr mit den Fingern durch die Münzen, die sich darin befanden.

Verblüfft starrte das Mädchen auf den Beutel. Anscheinend hatte sie nicht gewußt, daß er soviel Geld enthielt. Zornig wanden sich ihre kleinen Hände in den Fesseln.

»Es sieht so aus«, sagte der Praetor lächelnd, »als hätte der Mann, der euch überfiel, euer Geld gar nicht mitgenommen.«

Der Gefesselte schwieg. Mürrisch blickte er zu Boden.

»Außerdem hinterließ er dir einen kleinen Tarsk«, wandte sich der Praetor an das Mädchen.

»Mehr habe ich nicht gespart«, sagte sie leise.

Wieder lachten die Umstehenden.

»Beraubt worden bin ich nicht«, sagte der Gefesselte. »Doch unerklärlicherweise schlug man mich von hinten nieder. Dann fesselte man mich an dieses kleine Urt-Mädchen. Anscheinend ist sie auf den Piers als Gaunerin bekannt. Feinde wollten mich offensichtlich mit ihrer Schuld in Verbindung bringen. Ich habe aber nichts mit ihr zu tun.«

»Turgus!« rief sie.

»Ich habe sie in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen«, fuhr er fort.

»Turgus!« rief sie. »Nein, Turgus!«

»Hast du gesehen, wie ich dich niederschlug?« wandte sich der Mann, der den Namen Turgus zu tragen schien, an den Überfallenen.

»Nein«, antwortete dieser. »Nein, das habe ich nicht gesehen.«

»Ich war es nicht«, sagte der Gefesselte daraufhin. »Bindet mich los, denn ich bin unschuldig. Es liegt auf der Hand, daß ich das Opfer einer Verschwörung geworden bin.«

»Er hat mir gesagt, was ich tun soll!« rief das Mädchen. »Er hat mir alles aufgetragen!«

»Wer bist du schon, du kleine Herumtreiberin?« fragte der Gefesselte. »Es liegt doch auf der Hand«, wandte er sich an den Praetor, »daß dieses Urt-Mädchen mich in ihre Machenschaften verstricken will, um selbst besser davonzukommen.«

»Ich versichere dir«, sagte der Praetor lächelnd, »daß sie keine Rücksicht erfahren soll.«

»Vielen Dank, Offizier!« sagte der Mann.

Das Mädchen stieß einen Wutschrei aus und versuchte nach dem Mann zu treten. Ein Wächter hielt sie fest.

»Wie heißt du?« fragte der Praetor.

»Sasi«, antwortete sie.

»Lady Sasi?« fragte er.

»Ja«, gab sie zurück. »Ich bin frei!«

Die Männer lachten. Aufgebracht blickte sie sich um. Ich nahm nicht an, daß sie sich um ihre Freiheit noch groß Gedanken machen mußte.

»Normalerweise trägt eine freie Frau mehr als Fesseln«, sagte der Praetor lächelnd.

»Als ich gefesselt dalag, wurde mir mein Gewand gestohlen«, antwortete sie. »Jemand riß es mir ab.«

»Wer mag das gewesen sein?« fragte der Praetor. »Ein vorbeikommender Mann, der deinen Körper sehen wollte?«

»Ein Mädchen raubte mir die Tunika!« rief sie zornig. »Ein blondes Mädchen. Sie war nackt. Sie stahl mir mein Gewand, woraufhin ich nackt war! Wenn es dir um das Gesetz geht, solltest du sie suchen lassen! Ich bin bestohlen worden! Du solltest die kleine Diebin verfolgen und nicht mich hier festhalten. Ich bin eine ehrliche Bürgerin!«

Wieder lachten die Umstehenden.

»Würdest du mich jetzt freilassen, Offizier?« fragte der Gefesselte. »Hier hat es einen Irrtum gegeben.«

Der Praetor wandte sich an zwei Wächter. »Schaut euch in der Gegend um, wo diese beiden gefunden wurden«, sagte er. »Ich glaube, unsere vermißte Sklavin wird sich im Gewand dieses Urt-Mädchens wieder anfinden.«

Zwei Wächter machten sich sofort auf den Weg. Die Vermutung des Praetors erschien mir begründet. Andererseits würde sich das Mädchen nicht an dem Ort herumtreiben, an dem sie die elende kleine Tunika des Urt-Mädchens an sich gebracht hatte. Nun ja, vielleicht ließ sich ihre Spur aufnehmen.

»Ich verlange Gerechtigkeit!« rief das Mädchen.

»Die sollst du bekommen, Lady Sasi«, sagte der Praetor.

Sie erbleichte.

»Wenigstens muß sie für das Brandeisen nicht erst noch entkleidet werden«, sagte ein Mann grinsend neben mir.

»Ist dies das Mädchen, das dich in ein Gespräch verwickelte, ehe du überfallen wurdest?« wandte sich der Praetor an den Betroffenen.

»Ja.«

»Ich wollte ihn nur um einen Tarsk anbetteln«, sagte sie. »Ich wußte nicht, daß der da dich niederschlagen wollte.«

»Warum hast du ihn nicht auf die Annäherung des Mannes aufmerksam gemacht?« fragte der Praetor.

»Ich habe nicht gesehen, wie der Mann näherkam.«

»Aber eben hast du doch gesagt, du wußtest nicht, daß er den Mann niederschlagen würde. Also mußt du ihn doch gesehen haben.«

»Laß mich bitte frei!« flehte sie.

»Niemand hat gesehen, wie ich den Mann niederschlug«, sagte der Mann, den das Mädchen als Turgus identifiziert hatte. »Ich bin unschuldig. Gegen mich gibt es keinen Beweis. Mit der kleinen Schlampe könnt ihr tun, was ihr wollt. Ich aber muß freigelassen werden.«

Das Mädchen senkte den Kopf. »Laß mich bitte frei!« sagte sie.

»Mir wurde ein Gold-Tarn gestohlen«, sagte der Überfallene.

»So eine Münze befindet sich hier im Beutel«, stellte ein Wächter fest.

»Auf meiner Goldmünze hatte ich meine Initialen eingekratzt – Ba-Ta Shu, Bem Shandar – und auf die andere Seite die Trommel des Tabor geritzt.«

Der Wächter hielt dem Praetor die Münze hin. »Stimmt!« sagte dieser.

Plötzlich bäumte sich der Gefangene in seinen Fesseln auf. Zwei Wächter mußten ihn festhalten. »Er ist kräftig!« sagte einer.

»Die Münze wurde mir in den Beutel geschmuggelt«, behauptete der Mann. »Man will mich hereinlegen.«

»Du bist eine Urt, Turgus!« rief das Mädchen.

»Nein, du bist hier das Urt-Mädchen!« fauchte er zurück.

»Man hat euch zusammen erwischt«, sagte der Praetor und begann einige Papiere auszufüllen. »Wir suchen schon lange nach euch.«

»Ich bin unschuldig«, sagte der Mann.

»Wie nennst du dich selbst?« fragte der Praetor.

»Turgus.«

Der Beamte trug den Namen in die Unterlagen ein und unterzeichnete sie.

Dann blickte er auf Turgus hinab. »Wie kommt es, daß du gefesselt warst?« erkundigte er sich.

»Mehrere Männer fielen über mich her«, antwortete der andere. »Ich wurde von hinten niedergeschlagen.«

»Dein Gesicht sieht mir aber nicht danach aus.«

Turgus’ Züge boten keinen hübschen Anblick. Ich hatte seinen Kopf seitlich gegen das Pflaster geschmettert.

»Turgus aus Port Kar«, sagte der Praetor, »in Anbetracht der hier ermittelten Tatsachen und des auf dich ausgesetzten Steckbriefs ergeht hiermit gegen dich das Urteil der Verbannung. Wirst du nach Sonnenuntergang noch in der Stadt angetroffen, fällst du der Aufspießung anheim. Bindet ihn los!«

Die Wächter kamen der Aufforderung nach.

Turgus ließ sich keine Gefühlsregung anmerken. Er drehte sich um und schritt durch die Menge. Dabei fiel sein Blick auf mich.

Er erbleichte, machte kehrt und floh.

Ich bemerkte den interessierten Blick eines in der Nähe stehenden dunkelhäutigen Seemannes – es war der Mann, der mich vor einiger Zeit auf meinem Weg in den Hafen überholt hatte.

Das Mädchen blickte zu dem Praetor empor.

»Die Lady Sasi«, sagte dieser, »wird in Anbetracht der hier ermittelten Tatsachen und des auf sie ausgestellten Steckbriefes zur Sklaverei verurteilt.«

»Nein, nein!« kreischte sie.

»Das Mädchen soll zur nächsten Schmiede gebracht und gebrandmarkt werden. Anschließend ist sie vor der Werkstatt fünf Ehn lang auszustellen und dem erstbesten Interessenten für die Kosten der Brandung zu veräußern. Wird sie in dieser Zeit nicht verkauft, kommt sie auf den öffentlichen Markt.«

Das Mädchen musterte den Praetor stumm.

»Diese Tarsk-Münze«, fuhr der Beamte fort und deutete auf das Geldstück, das man ihr abgenommen hatte, »geht in den Besitz der Hafenbehörden über.«

Ich bemerkte, daß Ulafi, der Kapitän der Schendi-Palme, mit seinem Ersten Offizier in der Menge stand. Ich schob mich neben die beiden.

»Ich würde gern an Bord der Schendi-Palme mitfahren«, sagte ich leise.

»Du bist kein Metallarbeiter«, bemerkte Ulafi zu mir.

Ich zuckte die Achseln. »Ich möchte eine Passage buchen«, wiederholte ich.

»Wir nehmen keine Passagiere mit«, sagte er. Er und der Erste Offizier wandten sich daraufhin ab. Ich blickte den beiden nach.

Der Praetor unterhielt sich nun mit Bem Shandar aus Tabor. Papiere wurden ausgefüllt, mit deren Hilfe der Mann sein gestohlenes Gut zurückerhalten würde.

»Kapitän!« rief ich.

Ulafi drehte sich um. Die Menschenmenge lief bereits auseinander.

»Ich könnte für die Passage einen Silber-Tarsk zahlen«, sagte ich.

»Es scheint dir sehr daran zu liegen, aus Port Kar wegzukommen«, sagte er.

»Mag sein«, gab ich zurück.

»Wir befördern keine Passagiere«, informierte er mich und wandte sich ab. Sein Erster Offizier folgte ihm.

Ich näherte mich einem Wächter nahe der Praetor-Station. »Welche Anstrengungen werden unternommen, die geflohene Sklavin wiederzufinden?« fragte ich.

»Gehörst du zur Schendi-Palme?« fragte er.

»Ich hoffe, an Bord dieses Schiffes eine Passage zu finden«, erwiderte ich. »Ich fürchte, der Kapitän wird die Abreise so lange hinauszögern, bis das Mädchen gefunden ist.«

»Wir suchen nach ihr«, sagte der Wächter.

»Vielleicht trägt sie das Gewand eines Urt-Mädchens«, sagte ich.

»Das wissen wir, Bürger!«

»Ich«, sagte ein Wächter, der unser Gespräch belauscht hatte, »habe ein Mädchen, auf das die Beschreibung paßt, vor kurzem angehalten. Sie trug die Tunika eines Urt-Mädchens, doch als ich sie zwang, mir ihren Oberschenkel zu zeigen, war dort kein Brandmal zu sehen.«

»Wo hast du so ein Mädchen gefunden?« fragte ich.

»In der Nähe der Gewürz-Pier«, lautete die Antwort.

»Vielen Dank, Wächter!«

Instinktiv mochte das Mädchen das Richtige tun – sie würde sich möglichst gut zu verstecken suchen, ohne den Bereich des Hafens zu verlassen; der Rest der Stadt war sicher zu fremd für sie. Es gab verschiedene Möglichkeiten. Sie konnte sich zwischen Kisten und Ballen auf den Piers verbergen, sie mochte in Kisten, unter Planen oder in großen Taurollen Schutz suchen. Natürlich waren den Wächtern solche Möglichkeiten bekannt, die systematisch jeden Winkel absuchen würden.

Ich hatte mich zur Gewürz-Pier begeben.

Ich nahm nicht an, daß das Mädchen sich so wenig einfallsreich verstecken würde – sie würde dafür sorgen, daß man sie nicht gleich als Verdächtige ansehen mußte, denn zweifellos war sie hochintelligent. Schließlich hatte man sie zur Kur-Agentin gemacht.

Ich packte ein dunkelhaariges Urt-Mädchen am Arm. »Laß mich los!« kreischte sie. »Ich habe nichts getan!«

»Wo finden sich die Urt-Mädchen zusammen?« fragte ich.

»Laß mich los!« forderte sie erneut, doch ich schüttelte sie kräftig durch. »Oh! Oh!« rief sie.

Ich hielt sie fest und blickte sie starr an. Sie senkte den Kopf.

»Einige Mädchen treffen sich hinter den Paga-Tavernen am Nordufer der Band-Gasse.«

Der Band-Kanal gehörte zu den besseren Wasserstraßen Port Kars. Ein schmalerer Kanal, der südlich davon abgeht, wird Band-Gasse genannt. Die Nacht war angebrochen, und die Tavernen, die mit der Rückfront an den schmalen Kanal stießen, warfen jetzt bestimmt den Unrat der letzten Nacht hinaus. An solchen Orten kommen zuweilen die Urt-Mädchen zusammen, um sich an den Überresten zahlreicher Feste schadlos zu halten.

Bis zum Höhepunkt der Flut war es nur noch knapp eine Stunde. Hastig überquerte ich zwei Brücken, die Kanäle überspannten. Dann ging ich in östlicher Richtung, bog einmal links und einmal rechts ab und befand mich am Nordufer der Band-Gasse. Die meisten kleineren Kanäle – so auch die Band-Gasse – führten nicht direkt ins Thassa, sondern waren nur Nebenarme. Die größeren Kanäle in Port Kar sind übrigens selten überbrückt. Und wenn es doch Brücken gibt, handelt es sich meistens um Drehbrücken, die sich, von Schwimmelementen getragen, zur Seite ziehen lassen. Auf diese Weise können sich Handelsschiffe mit unbeweglichen Masten auch in der Stadt bewegen. Militärisch gesehen, können Kanäle andererseits blockiert oder auch als Teile von Befestigungsanlagen für bestimmte Stadtteile verwendet werden.

Ich entdeckte sie in Gesellschaft mehrerer anderer Mädchen auf dem Hinterhof des Silbernen Kragens. Die Mädchen wühlten Drahtbehälter durch, die offenbar Abfall enthielten. Es waren hübsche Mädchen mit ansprechenden Beinen – allerdings waren sie zerlumpt und verdreckt. Das blonde Mädchen sah nicht anders aus – eins unterschied sie jedoch von ihren sechs Begleiterinnen: ihre offensichtliche Abscheu vor dem Unrat und die Feindseligkeit der anderen.

Die Blonde entdeckte mich. Im ersten Augenblick reagierte sie ängstlich; dann schien sie sich einzureden, daß ich sie unmöglich kennen konnte. Schließlich war sie eines unter vielen Urt-Mädchen. Sie trug kein Brandzeichen.

Sie tat, als hätte sie mich nicht bemerkt, und näherte sich dem Abfallkorb. Dabei versuchte sie den typischen Schlenderschritt der Urt-Mädchen nachzuahmen. Dann überwand sie sich dazu, die Hand in den frischen, feuchten Unrat zu schieben. Dabei blickte sie zu mir herüber und bemerkte, daß ich sie noch immer beobachtete. Ihre Hand umfaßte eine halbe gelbe goreanische Birne, in der die Überreste eines halbmondförmigen Verrkäses steckten. Ohne den Blick von mir zu wenden, hob sie ihren Fund an den Mund. Ich nahm nicht an, daß der Bissen schlecht schmeckte. Dabei sah sie so aus, als müßte sie sich jeden Moment übergeben.

Urplötzlich wurde sie am Handgelenk gepackt. Ein großgewachsenes Mädchen in einer kurzen weißen Tunika fuhr die Blonde an: »Was willst du? Du gehörst nicht zu uns!« Sie nahm der Fremden ihren Fund ab. »Du hast dich nicht mit den Paga-Helfern eingelassen wie wir«, fuhr sie fort. »Verschwinde!« rief das Mädchen in Weiß. Die Urt-Mädchen waren bereit, für ihren Hunger alles zu tun.

Mit einer gewissen Erleichterung, ohne allerdings zu verstehen, was da eben gesagt worden war, zog sich die blonde Barbarin zurück. Gegen ihren Willen erschauderte sie, als das Mädchen in der weißen Tunika achtlos in das Stück Birne mit dem Käse biß. Dann blickte sie zu mir herüber.

Sie hatte keine Chance. Das Mädchen stand gefesselt vor dem Tribunal des Praetors.

»Ist dies deine Sklavin?« wandte sich der Hafenbeamte an Ulafi aus Schendi.

»Ja«, antwortete er.

»Woher soll ich wissen, daß sie Sklavin ist?« fragte der Praetor. »Ihr Bein ist nicht gebrandmarkt. Ihre abweisende Haltung deutet darauf hin, daß sie eine freie Frau ist.«

»Sie wurde als freie Frau von Bejar an Bord der Blüte von Telnus gefangengenommen«, antwortete Ulafi. »Sie weiß noch nicht, was mit ihr geschehen ist.«

»Ist Bejar anwesend?« fragte der Praetor.

»Nein!« rief ein Mann. Bejar war gestern zu neuer Fahrt ausgelaufen, zu neuen Abenteuern auf dem schimmernden Thassa.

»Ihre Maße entsprechen der der Sklavin«, sagte Ulafi. »Ich habe hier ihre Sklavenpapiere, die mir heute früh von Varts Helfer ausgehändigt wurden.« Er reichte dem Praetor die Unterlagen.

Der Beamte sah die Papiere durch. »Ist jemandem hier bekannt, daß diese Frau Ulafi gehört und Sklavin ist?« fragte er.

Ich wollte dazu nichts sagen, denn damit hätte ich offenbaren müssen, daß ich beim Verkauf anwesend gewesen war. Es war mir lieber, wenn diese Tatsache nicht bekannt wurde.

»Man hätte sie brandmarken sollen«, stellte der Praetor fest. »Sie hätte gleich den Kragen bekommen müssen.«

»Ich habe einen Kragen hier«, sagte Ulafi und hob ein Stahlband, auf dem fünf Palmen dargestellt waren wie auch das Symbol Schendis, Kette und Krummsäbel. »Ich möchte mit der Flut auslaufen«, fuhr der Kapitän fort. »In weniger als einer halben Ahn haben wir Hochwasser.«

»Tut mir leid«, sagte der Praetor.

»Hat man nicht nach Vart geschickt, der meine Behauptung bestätigen kann?«

»Ja«, entgegnete der Praetor. »Trotzdem muß ich diese Frau wohl freilassen«, fuhr er fort und blickte auf das Mädchen hinab. »Schade, denn sie ist sehr hübsch.«

»Nein!« sagte Ulafi.

»Moment!« rief ein Mann. »Da kommt Vart!«

Das Mädchen trat bedrückt einen Schritt zurück.

»Kennst du dieses Mädchen?« wandte sich der Praetor an den Sklavenhändler.

»Natürlich«, sagte Vart. »Sie wurde gestern abend als Sklavin an diesen Kapitän verkauft. Er hat einen Silber-Tarsk für sie bezahlt.«

Der Wächter neben der Blonden zwang die Sklavin in die Knie.

»Die Sklavin wird hiermit Ulafi aus Schendi zugesprochen«, verkündete der Praetor.

Die Anwesenden brachen in Jubelgeschrei aus und applaudierten auf goreanische Weise, indem sie sich mit der rechten Hand gegen die linke Schulter schlugen.

»Vielen Dank, Praetor!« sagte Ulafi und erhielt vom Magistraten die Sklavenpapiere.

»Kapitän Ulafi«, sagte der Beamte. »Du solltest sie brandmarken lassen, ehe du den Hafen verläßt.«

»Ja, Praetor!« antwortete Ulafi und wandte sich an seinen Ersten Offizier. »Zum Auslaufen alles vorbereiten. Wir haben noch zwanzig Ahn.«

»Jawohl, Kapitän!« antwortete der Mann. Dann wandte er sich an zwei Seeleute von seinem Schiff, die im Hintergrund gewartet hatten. »Peitscht sie aus, damit sie begreift, daß sie jetzt Sklavin ist und zu gehorchen hat! Anschließend bringt ihr sie zur Metallschmiede. Ich erwarte euch dort. Bringt außerdem eine Stange und einen Käfig mit.«

»Jawohl, Kapitän!« sagte einer der Männer.

»Und du kannst mich gern begleiten, wenn du möchtest«, sagte Ulafi zu mir.

Ich folgte ihm zur Metallschmiede. Vor der Werkstatt stand frisch gebrandmarkt und mit einem Halskragen verziert das Mädchen, das bis vor kurzem noch Sasi geheißen hatte. Ein Wächter behielt sie im Auge. Sie war eine billige Sklavin, aber hübsch. Als sie mich erblickte, versuchte sie ihre Blöße zu verdecken und sich zusammenzuducken. Ich lächelte. Begriff sie nicht, daß sie das Brandzeichen trug?

»Mach das Eisen heiß!« sagte Ulafi zu dem Metallarbeiter, einem muskulösen Burschen mit einer Lederschürze.

»Wir haben stets mehrere Eisen im Feuer«, sagte der Mann, nachdem er uns gebührend begrüßt hatte.

»Wir nehmen das ganz normale Kajira-Zeichen«, sagte Ulafi.

Minuten später wurde das Mädchen gebracht. Offenbar konnte sie nicht mehr gehen, denn einer der Männer hatte sie sich über die Schulter geworfen. Sie stand unter Schockeinwirkung.

Sie hatte zu fliehen versucht. Sie hatte vor dem Praetor gelogen. Doch weder waren ihr die Füße abgehackt noch Ohren oder Nase abgeschnitten worden. Man hatte ihr die große Gnade erwiesen, sie lediglich auszupeitschen. Natürlich hatte es sich um erstmalige Verfehlungen gehandelt, war sie doch eine ahnungslose Barbarin. Inzwischen jedoch wußte sie bestimmt, daß goreanische Männer nichts durchgehen lassen und daß wiederholte Verfehlungen nicht so rücksichtsvoll geahndet werden würden.

Das Mädchen war in das Brandungsgestell eingeschlossen worden und konnte sich nicht mehr rühren. Schluchzend starrte sie um sich.

»Das Eisen ist bereit«, meldete der Schmied.

Ulafi warf dem Mann einen Kupfer-Tarsk zu. »Mein Freund hier«, sagte er und deutete auf mich, »wird das Eisen führen.«

Ich blickte ihn an, und er lächelte. »Du bist doch Metallarbeiter, oder nicht?« fragte er.

»Vielleicht«, gab ich zurück. Zuvor hatte er behauptet, ich gehöre dieser Kaste wohl nicht an.

»Wir sind zum Ablegen bereit!« meldete Ulafis Erster Offizier, der in diesem Augenblick die Werkstatt betrat.

»Gut«, antwortet Ulafi.

Ich zog Lederhandschuhe an, drehte das Eisen im Feuer und hielt es hoch.

»Nein!« flehte das Mädchen. »Bitte berühr mich damit nicht!«

Ich blickte sie an. Ich sah sie in diesem Augenblick nicht als Agentin der Kurii – sondern lediglich als schöne Frau, des Brandzeichens würdig.

Ich brandete sie.

»Ausgezeichnete Arbeit!« sagte Ulafi.

Während das Mädchen noch schluchzte und schrie, befreite der Schmied sie aus dem Gestell. Ulafi ließ sie sofort als Sklavin fesseln und in den mitgebrachten Käfig stecken, der von zwei Männern an einer Stange getragen wurde.

Ich nahm nicht an, daß sie noch einmal fliehen würde. Ich war überzeugt, sie würde mich ohne weiteres zu Shaba führen, dem Geographen aus Anango. In meinem Seesack ruhten auf ihn ausgestellte Kreditbriefe, die bei Schendi-Bankiers eingelöst werden konnten. Zwischen diesen Papieren lag auch der falsche Ring, den das Mädchen bei sich gehabt hatte.

»Ich bin dir dankbar, daß du meine Sklavin zurückgebracht hast«, sagte Ulafi.

»Ach, das war nichts«, gab ich zurück.

»Du hast sie außerdem vorzüglich gebrandet«, fuhr er fort. »Es wird der Augenblick kommen, da sie stolz sein wird auf dieses Zeichen.«

Ich zuckte die Achseln. »Kapitän«, sagte ich.

»Ja?«

»Ich möchte noch immer eine Passage an Bord deines Schiffes buchen – nach Schendi.«

Er lächelte. »Das sei dir gern gestattet.«

»Vielen Dank!«

»Es kostet dich einen Silber-Tarsk«, fuhr er fort.

»Oh!« machte ich.

Er zuckte die Achseln. »Ich bin Kaufmann«, erklärte er.

Ich gab ihm einen Silber-Tarsk, und er machte kehrt und ging auf das Schiff zu.

»Ich wünsche dir alles Gute«, sagte ich zu dem Schmied.

»Ich dir ebenfalls«, antwortete er.

Ich fragte mich, wieviel Ulafi wußte. Daraufhin verließ ich ebenfalls die Schmiede.

Draußen war der Wächter im Begriff, seinen Schützling loszubinden, der früher den Namen Sasi getragen hatte.

»Du hast sie in der vorgeschriebenen Zeit nicht verkaufen können?« fragte ich.

»Wer will schon ein Urt-Mädchen?« gab er zurück. »Ich bringe sie jetzt auf den öffentlichen Sklavenmarkt.«

Das Mädchen blickte mich an und erschauderte.

»Was willst du für sie haben?« fragte ich.

»Das Branden hat einen Kupfer-Tarsk gekostet«, antwortete er.

Ich blickte sie an. Sie erwiderte zitternd meinen Blick und schüttelte abwehrend den Kopf.

Ich warf dem Mann einen Kupfer-Tarsk zu.

»Sie gehört dir«, sagte er.

Er nahm ihr die Halsfessel ab.

»Unterwirf dich!« forderte ich.

Sie kniete vor mir nieder und senkte den Kopf. Ich hielt ihr einen geöffneten Sklavenkragen hin, den ich aus meinem Seesack genommen hatte.

»Kannst du lesen?« fragte ich sie.

»Nein, Herr«, antwortete sie.

»Hier steht: ›Ich bin das Mädchen Tarls aus Teletus.‹«

»Ja, Herr!« gab sie zurück.

Dann schloß ich den Kragen um ihren Hals. Ich hatte mir ausgerechnet, daß ein Mädchen – beispielsweise eine in Schendi gekaufte Sklavin – meine Rolle als Metallarbeiter von der Insel Teletus echter gestalten konnte. Diesem Zweck mochte dieses kleine Wesen ohne weiteres dienen. Es bestand kein besonderer Grund, mit dem Erwerb der Sklavin bis Schendi zu warten. Außerdem mochte sie Ulafi, der einigermaßen mißtrauisch war, durch den Kragen überzeugen lassen, daß ich ein ehrlicher Bursche war. Ich reiste mit einem Mädchen, das einen Namenkragen trug.

»Sind Papier auf sie ausgestellt?« fragte ich den Wächter.

»Nein«, antwortete dieser. Die meisten goreanischen Sklaven haben keine Papiere. Brandzeichen und Kragen werden als ausreichende Identifikation angesehen.

Ich zerrte die kleine Sklavin hoch und deutete auf die Schendi-Palme.

»Siehst du das Schiff?«

»Ja, Herr«, antwortete sie.

»Lauf dorthin, so schnell dich deine kleinen Beine tragen!« sagte ich. »Sag den Männern, sie sollen dich in einen Käfig stecken!«

Ich warf mir meinen Seesack über die Schulter und folgte ihr. Kaum war ich über die Planke an Bord getreten, da wurde die Brücke zum Land eingezogen. Männer schlossen und sicherten die Reling.

Die kleine dunkelhaarige Sklavin wurde in einen Käfig gestoßen. Nebenan war die blonde Barbarin untergebracht. »Du!« rief das dunkelhaarige Mädchen erstaunt. Die Blonde wich zurück. »Kajira!« fauchte das dunkelhaarige Mädchen aufgebracht. Die Blonde hatte ihr die Tunika gestohlen, während sie gefesselt am Kanal lag.

Die Leinen wurden losgeworfen.

An der Backbordreling stellten sich drei Seeleute auf und schoben die Schendi-Palme mit Stangen vom Kai fort. Von den langen, schrägen Segelbäumen fiel die Leinwand herab.

Die beiden Steuerleute hatten ihre Position eingenommen.

Der Erste Offizier befehligte die Besatzung. Kapitän Ulafi stand auf dem hohen Achterdeck.

»Fertig!« rief der Zweite Offizier.

Auf jeder Seite schoben zehn Seeleute ihre Ruder nach draußen.

»Ziehen!« rief der Zweite Offizier.

Die langen Ruder wurden in das Thassa getaucht und hoben sich tropfend aus dem grünlichen Wasser. Langsam setzte sich das Schiff in Bewegung, löste sich vom Land. Eine Brise, die über Port Kar hinweg aus dem Osten herbeiwehte, füllte die Segel.

»Ruder einziehen!« rief der Zweite Offizier.

Die Steuerleute lenkten das Schiff auf die rechte Seite der Kette roter und weißer Bojen, die aus dem Hafen führte.

Ich sah zu, wie Port Kar langsam hinter uns kleiner wurde. Der Himmel war sehr blau.

Die Segel knatterten im Wind über meinem Kopf. Masten und Planken knackten. Ich empfand den salzigen Geruch des schimmernden Thassa. Ein Seemann begann ein Schendi-Lied zu singen, und sehr bald fielen andere ein.

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