12

»Ich bin gekommen, um wegen des Ringes zu verhandeln«, sagte ich.

»Hast du den falschen Ring und die Kreditbriefe bei dir?« fragte Shaba.

»Nein«, antwortete ich.

»Sind sie in Schendi?« wollte Shaba wissen.

»Vielleicht«, erwiderte ich. »Hast du den Ring bei dir?«

»Vielleicht«, sagte Shaba lächelnd.

Ich bezweifelte nicht, daß er den Ring bei sich trug. Das Schmuckstück war viel zu wertvoll, als daß man es ungeschützt herumliegen ließ. Da er den Ring bei sich hatte, war er natürlich auch äußerst gefährlich.

»Kommst du zu uns als Agent Bejars, eines Kapitäns aus Port Kar?« fragte Shaba weiter.

»Vielleicht«, sagte ich.

»Nein«, stellte Shaba fest, »das stimmt nicht, denn du kennst den Wert des Rings, der Bejar unbekannt sein müßte.« Er musterte mich. »Auf ähnliche Weise könnte man beweisen, daß du kein einfacher Spekulant bist, der sich für den Weiterverkauf der Kreditbriefe interessiert.«

Ich zuckte die Achseln. »In dem Fall könnte man immer darauf warten, daß sie für ungültig erklärt und neu ausgestellt werden«, sagte ich.

»Ja«, sagte er, »vorausgesetzt, sie würden neu ausgestellt und wir hätten viel Zeit zu verschenken.«

»Du hast ein Projekt im Sinn?« fragte ich.

»Vielleicht«, meinte Shaba.

»Und du möchtest es schnellstens in Gang bringen?«

»Ja.«

»Was ist das für ein Projekt?« fragte ich.

Msaliti musterte den Mann neugierig.

»Eine persönliche Sache«, sagte Shaba.

»Ich verstehe«, sagte ich.

»Da du weder von Bejar kommst noch ein einfacher Spekulant bist«, fuhr Shaba fort, »können wir wohl davon ausgehen, daß du einen von zwei Ausgangspunkten hast. Entweder wurdest du von den Kurii zu uns geschickt – oder von den Priesterkönigen.«

Ich warf einen unbehaglichen Blick auf die beiden stämmigen Männer mit den Schilden und dem Federschmuck, die dicht bei uns standen.

»Sei unbesorgt!« sagte Msaliti. »Meine Askaris sprechen kein Goreanisch.« Das Wort ›Askari‹ stammt aus dem Binnenland und läßt sich etwa mit ›Soldat‹ und ›Wächter‹ übersetzen.

»Einmal abgesehen davon, aus welchem Lager ich komme«, sagte ich, »du hast auf jeden Fall, was wir wollen – den Ring.«

»Der Ring«, sagte Msaliti, »darf um keinen Preis den Priesterkönigen zurückgegeben werden. Er muß an die Kurii gehen.«

»Wenn ich zurückkehre«, sagte ich, »bringe ich natürlich den falschen Ring mit, damit er ins Sardargebirge geschafft wird.«

»Er gehört zu uns«, sagte Msaliti. »Kein Agent der Priesterkönige würde wollen, daß der falsche Ring ins Sardargebirge kommt.«

Damit bestätigte er mir Samos’ Verdacht, daß sich mit dem falschen Ring irgendeine Drohung oder Gefahr verband.

»Du wirst also als Agent der Priesterkönige den Ring ins Sardargebirge bringen«, sagte ich zu Shaba.

»Meinst du nicht, daß es dafür ein wenig zu spät ist?« fragte dieser.

»Wir müssen es versuchen«, sagte ich.

»Ja, so war es geplant«, äußerte Msaliti ernsthaft.

»Du mußt deinen Teil der Vereinbarungen einhalten«, sagte das dunkelhaarige Mädchen.

Shaba wandte sich zu ihr um.

»Halt den Mund!« sagte Msaliti zornig zu ihr.

Aufgebracht trat sie einen Schritt zurück.

»Du siehst nicht aus wie ein Mann, der den Kurii dienen würde«, sagte Shaba lächelnd zu mir.

»Du siehst nicht aus wie jemand, der die Priesterkönige verrät«, gab ich zurück.

»Ah«, sagte er leise und lehnte sich zurück. »Wie schwierig und verwickelt ist doch die menschliche Natur!« meinte er nachdenklich.

»Wie hast du uns hier gefunden?« erkundigte sich das Mädchen.

»Natürlich ist er dir gefolgt, kleine Närrin!« erwiderte Msaliti. »Warum mußtest du wohl noch einen weiteren Abend in Pembes Taverne arbeiten?«

»Ihr hättet es mir sagen können«, sagte sie.

Msaliti antwortete ihr nicht.

»Woher wußtet ihr, daß ich auf dem Dach war?« fragte ich. Die Askaris hatten mir aufgelauert.

»Ein alter Schendi-Trick«, antwortete Shaba. »Schau dort hinauf. Siehst du die kleinen Fäden herabhängen?«

»Ja«, sagte ich. Mehrere Fäden, jeweils etwa einen Fuß lang, baumelten an der Decke des Zimmers. An jedem Ende war ein kleines rundes Gebilde befestigt.

»Es ist nicht ungewöhnlich, daß Einbrecher durch die Lüftungsroste eindringen«, erklärte Shaba. »Du siehst dort oben getrocknete Erbsen an Fäden. Sie werden an der Decke unter bestimmten Brettern angebracht oder in bestimmte Risse gesteckt. Wenn dann jemand auf das Dach tritt, werden die Erbsen durch die Bewegung der Dachbalken freigegeben. Dann weiß man sofort, daß jemand auf dem Dach ist oder war.«

»Eine lautlose Warnung!« sagte ich.

»Ja«, fuhr er fort. »Der Hauseigentümer kann sich dann überlegen, ob er den Dieb abschrecken oder festnehmen will, sobald er in das Haus eindringt.«

»Was ist, wenn die Hausbewohner schlafen?« fragte ich.

»An einzelnen Streben der Roste werden Glocken befestigt, die dicht über dem Lager der Schlafenden hängen. Versucht jemand, die Schnüre zu durchtrennen oder die Glocken hochzuziehen, genügt meistens der Lärm, die Hausbewohner zu wecken.«

»Sehr raffiniert!« stellte ich fest.

»Du hast dich eigentlich recht gut geschlagen«, sagte Shaba. »Nur wenige Erbsen sind herabgefallen. Du hast einen leichten Schritt. Im Grunde wurden wir erst gewarnt, als du das Dach verließest.«

Ich nickte. Es stimmte, bei meinem Rückzug hatte ich weniger Vorsicht walten lassen als zuvor. Ich war relativ unbesorgt gewesen, hatte ich doch mit keinen weiteren Gefahren gerechnet. Von dem einfachen Trick mit den Fäden und den Erbsen hatte ich keine Ahnung gehabt.

»Warum hat man mir nicht gesagt, daß ich verfolgt werden sollte?« fragte das Mädchen.

»Sei still!« forderte Msaliti.

Zornig richtete sie sich auf.

»Du bist mir im Goldenen Kailiauk, in Pembes Taverne, auf raffinierte Weise entwischt«, sagte ich zu Msaliti. »Es war sehr geschickt, wie du die beiden Mädchen ausgetauscht hast.«

Er zuckte die Achseln und lächelte. »Natürlich war dazu die Mithilfe Shabas und des Ringes erforderlich.«

»Natürlich«, sagte ich.

»Ich habe meine Rolle ebenfalls gut gespielt«, sagte das Mädchen.

»Ja«, sagte ich.

Triumphierend schaute sie die Männer an.

»Du brachtest das Mädchen in die Taverne und bedecktest sie mit deiner Aba, damit sie sich nicht bewegte. Geschützt durch die Unsichtbarkeit des Ringes, gab Shaba das Mittel in meinen Paga. Als ich abgelenkt war, verschleppte er das blonde Mädchen, woraufhin dann diese Frau, wie vorher vereinbart, ihren Platz einnahm.«

»Ja«, sagte Shaba.

»Das Mittel, das mir in den Paga getan worden war, hatte Auswirkungen, die verhinderten, daß ich Shaba verfolgte.«

»Es handelte sich um eine einfache Mischung aus Sajel, einem Pustelerreger, und Gieron, einem ungewöhnlichen Allergen. Zusammen erzeugen sie die äußerlichen Symptome der Bazi-Pest.«

»Der Mob hätte mich umbringen können«, sagte ich.

»Ich nahm nicht an, daß man gern dicht an dich heranrücken würde«, sagte Shaba.

»Du wolltest also nicht, daß ich ums Leben kam?« fragte ich.

»Auf keinen Fall«, erwiderte Shaba. »Wäre das mein Ziel gewesen, hätte ich deinem Getränk ohne weiteres auch Kanda beimengen können, anstatt nur Sajel und Gieron zu nehmen.«

»Da hast du recht«, sagte ich.

»Wir wollten nur sichergehen, daß du dich nicht mit uns in Verbindung setztest, ehe unsere Pläne im einzelnen feststanden. Weißt du, wir hatten ja keine Ahnung, wer du warst! Wir wollten zunächst das Mädchen verhören und möglichst viel aus ihr herausholen. Vielleicht wäre es ja überflüssig gewesen, mit dir in Kontakt zu treten.«

»Die dumme Sklavin aber wußte gar nichts!« sagte das dunkelhaarige Mädchen.

»Wenn ich heute abend euer Hauptquartier nicht gefunden hätte, wärt ihr zu mir gekommen?« fragte ich.

»Natürlich«, sagte Shaba. »Morgen. Wir rechneten aber damit, daß du uns heute finden würdest. Wir sagten uns, du würdest die Rolle des Mädchens bei uns herausfinden oder dir zusammenreimen und sie als Spur benutzen, die zu uns führte. Diese Möglichkeit wurde bestätigt, als du beim Bettler Kipofu auf dem Utukufu-Platz Erkundigungen einzogst.«

»Du warst dort!« sagte ich.

»Natürlich«, antwortete er. »In der Deckung des Ringes. Leider konnte ich nicht so dicht heran, wie ich mir gewünscht hätte, denn Kipofu besitzt ein unnatürlich scharfes Gehör. Als meine Gegenwart entdeckt war, zog ich mich zurück.«

»Warum hast du mich nicht direkt angesprochen?« fragte ich.

»Aus zwei Gründen«, erwiderte Shaba. »Wir wollten die blonde Sklavin noch ein zweites Mal verhören, ehe wir Kontakt aufnahmen, außerdem waren wir neugierig festzustellen, ob du uns auch allein finden würdest. Das gelang dir. Unseren Glückwunsch dazu! Offensichtlich bist du dafür geeignet, im Namen der Kurii Geschäfte durchzuführen.«

»Wie lange wußtest du schon, daß ich in Schendi bin?« fragte ich.

»Seit der Ankunft der Schendi-Palme«, erwiderte er. »Zuerst konnten wir natürlich nicht wissen, ob dein Eintreffen nicht etwa nur ein Zufall war. Sehr bald erwies es sich jedoch, daß unsere Sorge berechtigt war. Du erschienst im Markt des Uchafu. Du verfolgtest Msaliti von dort weiter. Du rührtest dich im Goldenen Kailiauk nicht von der Stelle.«

»Man hat mich beobachtet, seit ich in Schendi eintraf«, stellte ich fest.

»Ja«, entgegnete Shaba, »zumindest von Zeit zu Zeit.«

»Dann kennt ihr zweifellos auch meine neue Unterkunft«, sagte ich, »den Raum, den ich nach Verlassen der Schendi-Höhle bezogen habe.«

Ich hatte mir ein großes Erdgeschoßzimmer gemietet, hinter der Werkstatt eines Tucharbeiters, dicht bei der Straße der Gewebe. In Msalitis Aba gehüllt, damit Gesicht und Augen nicht zu erkennen waren, Sasi in eine Decke gewickelt über die Schulter geworfen, hatte ich meiner neuen Wirtin einen Kupfer-Tarsk als Trinkgeld gegeben. »Vergnüg dich gut!« hatte sie gesagt und auf die zusammengerollte Decke geblickt.

»Wenn wir wüßten, wo du wohnst«, sagte Shaba, »wären meine Männer in diesem Augenblick damit beschäftigt, dein Zimmer nach den Kreditbriefen und dem Ring zu durchwühlen.«

»Natürlich«, sagte ich.

»Du hast schnell reagiert«, fuhr Shaba fort. »Als ich die blonde Sklavin hierhergebracht hatte und zur Schendi-Höhle zurückgekehrt war, hattest du dich bereits empfohlen.«

»Ich verstehe«, sagte ich und war froh, daß ich mich so beeilt hatte.

»Inzwischen sind wir ja Freunde«, fuhr Shaba fort. »Wir alle.«

»Natürlich«, sagte ich.

»Wann lieferst du uns die Kreditbriefe aus?« fragte er.

»Und den falschen Ring«, hakte Msaliti nach.

»Morgen abend«, sagte ich.

»Du willst die Dunkelheit nutzen?« erkundigte sich Shaba.

»Ich halte das für ratsam«, sagte ich.

»Na schön«, meinte Shaba. »Dann also morgen abend, zur neunzehnten Ahn. Du kommst hierher. Bring die Kreditbriefe und den falschen Ring mit. Ich halte dann den echten Ring für den Austausch bereit.«

»Ich werde zur Stelle sein«, versprach ich.

»Dann ist unser Anliegen also endlich erledigt«, sagte das dunkelhaarige Mädchen, und ihr Gesicht rötete sich vor Freude.

»Trinken wir etwas«, sagte Shaba, »um dieses langerwartete Zusammentreffen zu feiern!« Dann lächelte er mich an. »Ich hoffe, du hast keine Angst, mit uns den Kelch zu heben.«

»Natürlich nicht«, erwiderte ich. »Hast du Paga aus Ar, aus der Brauerei des Temus?«

»Ich bin bekümmert«, erwiderte Shaba lächelnd. »Wir haben hier nur Schendi-Paga, der aber auch recht gut sein dürfte. Natürlich ist das Geschmackssache.«

»Einverstanden«, sagte ich.

»Ohne Sajel und Gieron wird er dir auch besser schmecken«, sagte er.

»Das ist beruhigend«, äußerte ich.

»Die Symptome, die sich im Goldenen Kailiauk bei dir äußerten, hätten am folgenden Morgen verschwunden sein müssen«, fuhr er fort.

»Stimmt«, sagte ich.

»Meine Liebe«, wandte sich Shaba an das dunkelhaarige Mädchen, »würdest du uns Paga bringen?«

Sie erstarrte.

»Hol Paga, Frau!« forderte Msaliti. »Du bist in unserem Kreis die Geringste.«

»Warum bin ich die Geringste?« fragte sie.

»Verzeih uns, meine Liebe!« sagte Shaba.

»Ich bringe den Paga«, sagte sie.

Nach wenigen Augenblicken kehrte sie mit einer Flasche Schendi-Paga und vier Kelchen zurück. Sie schenkte ein.

»Verzeih mir!« sagte ich zu Shaba und ergriff den Kelch, den sie vor ihm abgestellt hatte.

Er lächelte und breitete die Hände aus. »Natürlich«, sagte er.

Dann hoben wir die Kelche und führten die Ränder zusammen.

»Auf den Sieg!« sagte Shaba.

»Auf den Sieg!« antworteten wir und tranken. Es machte mir nichts, auf diesen Trinkspruch einzugehen. Durchaus möglich, daß nicht jeder von uns auch denselben Sieg meinte.

»Ich bin dieser lieblichen Agentin noch nicht vorgestellt worden«, sagte ich anschließend und blickte das dunkelhaarige Mädchen an.

»Verzeih mir – wie achtlos von mir!« sagte Shaba. »Ich wollte nicht unhöflich sein. Wenn meine Erkundigungen in Schendi zum richtigen Ergebnis geführt haben, reist du unter dem Namen Tarl aus Teletus«, fuhr er fort.

»Stimmt«, sagte ich. »Dieser Name reicht durchaus, meine wahre Identität zu verbergen.«

»Viele Agenten benutzen Kodebezeichnungen«, sagte Shaba.

»Ja«, stimmte ich ihm zu.

»Tarl aus Teletus«, fuhr er fort, »dürfte ich dir Lady E. Ellis vorstellen? Lady E. Ellis, dies ist Tarl aus Teletus.«

Wir neigten voreinander die Köpfe.

»Ist ›E.‹ eine Initiale oder ein Name?« fragte ich.

»Eine Initiale«, antwortete sie, »die Abkürzung für Evelyn. Dieser Name gefällt mir aber nicht. Er ist zu weiblich. Nenn mich ›E.‹!«

»Ich werde dich Evelyn nennen«, sagte ich.

»Das steht dir natürlich frei«, erwiderte sie.

»Ich sehe, du weißt, wie man eine Frau behandelt«, sagte Shaba. »Du zwingst ihr deinen Willen auf.«

»Ist Evelyn Ellis dein richtiger Name?« fragte ich lächelnd.

»Ja«, antwortete sie. »Warum lächelst du?«

»Ach, nichts!« sagte ich.

Msaliti und Shaba lächelten ebenfalls. Es amüsierte mich zu sehen, daß sich das Mädchen einbildete, einen Namen zu haben.

»Ich bewundere die Klarsicht der Kur-Anwerber«, sagte ich. »Offensichtlich bist du hochintelligent und sehr schön.«

»Vielen Dank«, antwortete sie.

»Sie ist bestens ausgebildet worden«, sagte Msaliti.

»Ich bin nicht nur gut ausgebildet«, sagte sie, »sondern sogar sehr gründlich. Nichts wurde dem Zufall überlassen. Die unwichtigsten Einzelheiten wurden berücksichtigt. Damit ich meine Rolle noch wirksamer spielen kann, habe ich es sogar zugelassen, daß mein Körper gebrandmarkt wurde.«

»Ja, ich erinnere mich«, sagte ich. Ich hatte sie im Goldenen Kailiauk in Vergnügungsseide gesehen.

Sie warf mir einen aufgebrachten Blick zu.

»Meine Ehrfurcht vor der Klugheit und Gründlichkeit der Kurii in der Organisation ihrer Spionagegruppen kennt keine Grenzen«, fuhr ich fort. »Ich muß zugeben, daß meine Bewunderung für die Ergebnisse ihrer Schulung, so auch in diesem Fall, jedes Maß übersteigt.«

Geschmeichelt errötete sie.

Ich leerte meinen Kelch.

»Ich hätte gern noch weitere Beweise deines Könnens gesehen«, fuhr ich fort. »Ich habe keinen Paga mehr.«

Sie griff nach der Flasche.

»Nein«, sagte ich. »Hat man dich nicht gelehrt, Paga wie eine Paga-Sklavin zu servieren?«

»Natürlich.«

»Dann zeig’s mir.«

»Schön«, sagte sie und wollte meinen Kelch ergreifen.

»Für eine Paga-Sklavin bist du aber seltsam gekleidet«, sagte ich und deutete auf ihre Holzsandalen, die enge Hose und die zugeknöpfte Bluse.

»Soll ich Vergnügungsseide anlegen?« fragte sie eisig.

»Nein«, erwiderte ich. »In vielen goreanischen Tavernen bedienen die Paga-Sklavinnen nackt.«

»Ja«, sagte sie gedehnt.

»Ich hätte gern gesehen, wie gut man dich ausgebildet hat«, fuhr ich fort.

»Na schön«, sagte sie zornig, aber doch in ihrer Eitelkeit herausgefordert.

Sie zog die Füße aus den Holzpantoffeln. Sie streifte die schwarze Hose herunter und zog das schwarze Oberteil aus. Gleich darauf hatte sie auch Höschen und Büstenhalter abgelegt. Sie war wütend, doch spürte man deutlich, daß die Szene sie erregte. Nackt stand sie vor bekleideten Männern. Dies kann für eine Frau sehr anregend sein. Unter solchen Umständen fällt es ihr schwer, sie nicht als ihre Herren zu sehen und sich selbst als Sklavin. Ich betrachtete die Sklavin, die sich unbewußt auf die Unterlippe biß. Sie bot einen lieblichen Anblick.

»Moment noch«, sagte Msaliti, »es fehlt eine Kleinigkeit, um die Wirkung zu vervollständigen!«

»Natürlich«, sagte Shaba.

Er verließ den Raum und kehrte gleich darauf mit dem Sklavenkragen zurück. »Oh!« seufzte sie, als er ihr das Metall von hinten um den Hals legte und zuschnappen ließ. Mir fiel auf, daß er den Schlüssel in die Tasche steckte. Ich nahm nicht an, daß das Mädchen den Kragen so schnell wieder loswerden würde.

Msaliti kehrt zu uns an den Tisch zurück.

Das Mädchen stand mit hochmütig erhobenem Kopf vor uns. »Gefalle ich meinen Herren?« fragte sie lächelnd.

»Servier uns Paga, Sklavin!« befahl Msaliti.

Sie erstarrte und lächelte verkrampft. »Ja, Herr!« sagte sie.

Ich lächelte ebenfalls. Sie bildete sich sichtlich ein, eine Rolle zu spielen. Wußte sie nicht, daß sie wirklich gebrandmarkt und dadurch wahrhaftig zur Sklavin gemacht worden war? Ich spürte, daß ihr Sklavendasein, das bis jetzt noch nicht wirksam gewesen war, bald wahrhaftig beginnen sollte. Es hatte sogar schon begonnen – nur wußte sie das noch nicht. Sie hielt sich für eine freie Frau, die uns als Sklavin bediente. Sie wußte nicht, daß sie längst wirklich Sklavin war, die sich amüsanterweise für frei hielt. Ein hübscher Spaß auf Kosten des Mädchens!

»Paga, Herr?« fragte sie und kniete vor mir nieder, den Kelch hoch erhoben.

»Ja«, sagte ich.

Das Mädchen erbebte unter meinem Blick und nahm sich dann zusammen. Anschließend bediente sie Msaliti und Shaba. Ich beobachtete sie. Vermutlich würde sie in einer Paga-Taverne überleben können, auch wenn der Vorwand des Rollenspiels wegfiel, der sie während ihrer Zeit in Pembes Taverne, im Goldenen Kailiauk, motiviert hatte. Anfangs würde sie zweifellos oft Prügel beziehen, weil sie sich so ungeschickt anstellte.

Als das Mädchen Shaba bedient hatte, richtete sie sich auf und kam um den Tisch, wo ihr Kelch stand.

Sie griff danach, doch Msaliti schob das Getränk außer Reichweite. Sie blickte ihn verwirrt an.

»Trinkt eine Paga-Sklavin am Tisch ihrer Herren?« fragte er.

»Natürlich nicht«, antwortete sie und lachte.

»Für so etwas könntest du die Peitsche zu spüren bekommen«, fuhr Msaliti fort.

»Trotzdem bin ich gut ausgebildet worden«, sagte sie.

»Niemand hat dir das Sprechen gestattet«, sagte Msaliti.

Sie musterte ihn ratlos.

»Es ist beinahe Zeit, daß du in Pembes Taverne zurückkehrst, meine Liebe!« fuhr Msaliti fort.

»Nein!« rief sie. »Du hast doch gesagt, heute abend hätte ich zum letzten Mal dort meinen falschen Dienst versehen.«

»Stimmt!« gab er zurück. »Zugleich ist es der erste Abend, an dem du dort richtig bedienen wirst.«

»Das verstehe ich nicht«, sagte sie.

Zornig stand sie auf und wollte den kleinen Vorraum aufsuchen. Aber die beiden Askaris stellten sich ihr in den Weg. Sie fuhr zu uns herum. »Ich möchte gern den Schlüssel haben«, sagte sie zornig, »damit ich diesen – Kragen abnehmen kann!«

»Ich habe den Schlüssel hier«, sagte Msaliti und hob ihn in die Höhe.

»Oh!« rief sie. Dann kam sie auf uns zu.

»Du darfst dich nicht ohne Erlaubnis nähern«, sagte Msaliti.

Etwa fünf Fuß vom Tisch entfernt blieb sie stehen.

»Knie nieder!«

»Ich verstehe nicht, was das soll!«

»Knie nieder!« Ich registrierte, daß er seinen Befehl wiederholt hatte – etwas, das ein Sklavenherr sehr selten tut.

Sie gehorchte. »Ich verstehe das nicht«, wiederholte sie.

Ich nahm nicht an, daß es ihr an Intelligenz fehlte. Ihr irdischer Verstand konnte lediglich nicht begreifen, daß künftig gewisse neue Beurteilungsmaßstäbe für sie gelten sollten.

»Gib mir den Schlüssel!« forderte sie.

»Wessen Kragen trägst du?« fragte Msaliti.

»Natürlich den Pembes«, erwiderte sie.

»Und was willst du damit tun?«

»Na, ihn abnehmen!«

»Es ist aber Pembes Kragen – es läge also an ihm zu entscheiden, ob er abgenommen wird oder nicht.«

»Was soll das heißen?«

»Sind alle Frauen deiner früheren Heimat so begriffsstutzig wie du?« fragte er.

»Was meinst du damit – ›meine frühere Heimat‹?«

»Genau das, was die Worte ausdrücken«, antwortete Msaliti, »die Heimat, die dir früher einmal gehört hat. Du dürftest inzwischen begriffen haben, daß Gor jetzt deine Heimat ist.«

»Nein!« schrie sie.

»Du bist eine goreanische Sklavin«, sagte er betont.

»Nein! Nein!« rief sie, sprang auf und eilte zur Tür. Die beiden Askaris packten sie jedoch und zwangen sie vor uns in die Knie.

»Ich bin keine Sklavin!« protestierte sie.

»O doch!« gab Msaliti zurück. »Du wurdest zur Sklavin, als das Brandzeichen deine Haut markierte, nur wußtest du es bisher nicht.«

»Nein! Nein!« wiederholte sie immer wieder. »Ich habe euch doch gut gedient!«

»Ja«, sagte Msaliti, »aber jetzt wirst du nicht mehr gebraucht.«

»Ich bin eure Kollegin!« sagte sie.

»Du warst nie etwas anderes als unsere Sklavin, kleine weißhäutige Närrin!« sagte Msaliti.

»Was ist, wenn deine Vorgesetzten davon erfahren?«

»Ich handle nach ihren Anweisungen«, sagte Msaliti lachend. »Du bildest dir doch nicht etwa ein, eine Frau wie du würde mit anderer Absicht nach Gor gebracht, als ihr letztlich den Kragen umzulegen?«

»Nein!« rief sie wieder. »Shaba, hilf mir doch!«

»Deine Dienste werden nicht mehr benötigt, meine Liebe«, sagte dieser.

»Nein!« rief sie erneut.

Msaliti wandte sich an seine Askaris und reichte einem von ihnen den Schlüssel zum Kragen des Mädchens.

»Schon vor mehreren Tagen«, sagte er zu dem Mädchen, das vor ihm kniete, »wurde dein Verkauf an Pembe arrangiert. Heute abend wirst du an ihn ausgeliefert.«

Sie schaute ihn bedrückt an.

»Anscheinend hat er dich irgendwie in sein Herz geschlossen«, fuhr Msaliti fort. »Er scheint anzunehmen, daß du Talent zum Paga-Mädchen besitzt. Ich weiß nicht, ob das stimmt oder nicht. An deiner Stelle würde ich mir größte Mühe geben, seine Erwartungen nicht zu enttäuschen. Pembe ist nicht sehr geduldig.«

»Ja, Herr«, sagte sie. »Darf ich etwas sagen?«

»Bitte!«

»Herr«, sagte sie, »was hast du für mich bekommen?«

»Ah, die typische Eitelkeit der Sklavin!« rief er. »Ein gutes Zeichen! Vielleicht findest du dich in deinem neuen Leben sogar zurecht. Du hast mir vier Kupfer-Tarsk gebracht.«

»So wenig?« fragte sie bedrückt.

»Meiner Meinung nach ist das mehr, als du wert bist«, antwortete Msaliti und gab den Askaris ein Zeichen, sie fortzubringen.

Ich stand auf. »Dann sehe ich euch morgen abend«, sagte ich.

»Vergiß nicht, den falschen Ring und die Kreditbriefe mitzubringen!« sagte Shaba.

»Und du solltest den echten Ring bei dir haben«, erwiderte ich.

»Ich bringe ihn mit«, sagte er. Ich zweifelte nicht daran.

In einer Ecke hatte Msaliti damit begonnen, sich in den Bettler Kungumi zurückzuverwandeln. Schon hatte er sich das Buckelpolster unter die Tunika geschoben und die Schnüre geschlossen, die das Gebilde festhielten. Vor dem Spiegel war er jetzt damit beschäftigt, die braune Paste der Narbe aufzutragen.

»Was ist mit dieser Sklavin?« fragte ich Msaliti und deutete auf die blonde Barbarin.

Msaliti zuckte die Achseln. »Für uns ist sie wertlos«, sagte er.

»Was hast du Uchafu für sie bezahlt?«

»Fünf Silber-Tarsk«, sagte er.

»Ich gebe dir sechs«, sagte ich.

»Sie ist willig«, bemerkte Msaliti.

»Hast du sie schon dem Test unterzogen?«

»Nein. Aber ich nehme sechs Tarsk, wenn es dir ernst ist.«

Ich gab Msaliti sechs Silber-Tarsk für das Mädchen. Ab diesem Augenblick gehörte sie mir.

Msaliti der seine Maske beendet hatte, bückte sich und nahm der blonden Barbarin die Fesseln ab. Er öffnete den Kragen an ihrem Hals und zerrte sie hoch. Sie trug noch immer die Augenmaske, war ansonsten aber unbekleidet und ungefesselt, als er sie dann in meine Richtung schob. Erschrocken klammerte sie sich an mich, denn sie konnte nichts sehen.

»Du gehörst jetzt mir«, sagte ich.

»Ja, Herr«, erwiderte sie.

Sie hob die Hände, um die Gesichtsmaske abzunehmen.

»Nicht!« sagte ich.

»Die Maske schenke ich dir«, sagte Msaliti lächelnd. »Sie soll sie umbehalten, bis ihr ein gutes Stück fort seid.«

»Schön«, sagte ich. Natürlich sollte sie den Weg zu diesem Haus nicht wiederfinden können.

»Bis morgen abend dann!« sagte Msaliti daraufhin und hob die Hand.

»Bis morgen abend!« erwiderte ich.

Er ging.

»Wir sind jetzt allein«, sagte ich zu Shaba. Das Mädchen zählte dabei natürlich nicht. Sie war Sklavin.

»Ja«, sagte Shaba und erhob sich hinter dem Tisch.

Ich maß die Entfernung zu ihm mit den Augen.

»Wer bist du wirklich?« fragte er.

»Ich glaube, du hast den Ring jetzt schon bei dir. Du würdest es nicht wagen, ihn irgendwo zu hinterlegen.«

»Du bist ein kluger Mann«, sagte Shaba und hob die linke Hand, an deren Zeigefinger sich ein Zahnring befand. Er ballte die linke Hand zur Faust und bewegte mit dem Daumen einen winzigen Schalter am Ring. Der Zahn aus hohlem Stahl sprang empor und zeichnete sich deutlich ab.

»Darin befindet sich Kanda?« fragte ich.

»Ja.«

»Es wird dir wenig nützen, wenn du damit nicht zuschlagen kannst«, sagte ich.

»Ein kleiner Kratzer genügt«, sagte er.

»Zuweilen muß man Risiken eingehen«, sagte ich.

»Ich glaube, daß ich die Risiken mühelos vervielfachen kann«, erwiderte er. Mit der rechten Hand griff er unter seine Robe. Gleich darauf schien er zu verschwimmen. Als das Licht-Ablenkungsfeld voll aktiviert war, konnte ich ihn nicht mehr sehen: Er war verschwunden.

»Morgen werde ich den falschen Ring und die Kreditbriefe bringen«, kündigte ich an.

»Ausgezeichnet«, sagte Shaba. »Ich glaube, wir verstehen einander recht gut.«

»Ja«, sagte ich.

»Es ist mir ein Vergnügen, mit einem so ehrlichen Burschen wie dir Geschäfte zu machen.«

»Ähnliche Gefühle bewegen mich, wenn ich dich anschaue«, erwiderte ich.

Dann machte ich kehrt, packte die Sklavin am Arm und verließ den Raum.

Gleich darauf befand ich mich im Freien.

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