»Seht doch, wie groß es ist!« sagte Ayari.
»Ich glaube nicht, daß es ein Kanu angreift«, sagte Kisu.
Ayari schob das Wesen mit seinem Paddel fort. Mit einem Schwanzschlag verschwand es unter Wasser.
»Ich habe so etwas schon einmal gesehen«, sagte ich, »allerdings waren die Wesen da nur etwa sechs Zoll lang.«
Die Kreatur, die neben uns aufgetaucht war, war etwa zehn Fuß lang und tausend Pfund schwer und besaß Schuppen und große, vorspringende Augen. Außerdem verfügte es über Kiemen, atmete aber hörbar Luft, während es uns betrachtete. Es ähnelte den winzigen Lungenfischen, die ich zuvor am Fluß bemerkt hatte, den Geschöpfen, die sich an den Wurzeln der Uferbäume festklammerten und sich oft auch auf dem Rücken von Tharlarion sonnten – in der kleinen Form wurden sie Gint genannt.
»Ach, ihr Männer!« rief eine Stimme. »Ihr Männer! Bitte helft mir! Habt Mitleid mit mir! Helft mir!«
»Sieh doch, Herr!« rief Alice. »Dort, dicht am Ufer. Ein weißes Mädchen!«
Sie besaß schlanke Beine und dunkle Haare. Sie trug ein kurzes Fell. Sie lief zum Wasser herab. Ihre Hände waren nicht gefesselt, doch von jedem Arm hing ein festgeknotetes Stück Seil herab. Es sah aus, als wäre sie gefesselt gewesen und hätte sich irgendwie befreien können.
»Bitte rettet mich!« rief sie. »Helft mir!«
Ich schaute mir das Fellstück an, das sie trug. Ich bemerkte, daß an ihrem Arm ein goldener Reifen funkelte und um ihren Hals eine Kette aus Klauen lag. Um ihre Hüfte führte ein Gürtel mit einer Dolchscheide, die jetzt aber leer war.
»Rettet mich bitte, ihr edlen Herren!« rief sie. Sie watete einige Fuß ins Wasser heraus. In einer unterwürfigen Geste streckte sie die Arme aus. Sie war sehr schön.
Ich betrachtete den Wald hinter ihr. Die Bäume bildeten eine dichte Mauer, das Unterholz am Fluß war undurchdringlich.
Kisu und ich tauchten die Paddel ein.
»Herr!« rief Janice. »Du kannst sie doch nicht hier zurücklassen!«
»Still, Sklavin!« sagte ich zu ihr.
»Ja, Herr«, antwortete sie und unterdrückte ein Schluchzen. Gehorsam paddelte sie weiter.
»Bitte, bitte, helft mir doch!« hörten wir das Mädchen rufen.
Dann waren wir an ihr vorbei.
»Seht!« rief Alice. »Dort ist ein anderes Mädchen!«
Am Ufer stand ein zweites Mädchen an einem Pfosten. Schwere Ketten hielten sie fest. »Bitte helft mir!« rief auch sie und versuchte sich von den Ketten zu befreien. Wie das erste Mädchen trug sie ein knappes Fell und ein Arm- und Halsband.
Wir nahmen die Paddel aus dem Wasser.
»Ein hübsches Mädchen«, stellte Kisu fest.
Ich stimmte ihm zu.
»Bitte helft mir!« rief das Mädchen. »Rettet mich! Habt Mitleid mit mir: Man hat mich hier ausgesetzt, damit ich sterbe. Habt Mitleid! Helft!«
»Bitte habt Mitleid mit ihr, ihr Herren!« flehte Janice. »Ihr könnt sie hier doch nicht einfach sterben lassen!«
»Ich glaube, wir haben uns hier schon lange genug aufgehalten«, sagte Kisu und sah sich um. »Dies ist ein gefährlicher Ort.«
»Ich bin ganz deiner Meinung«, sagte ich.
»Bitte fahrt nicht ohne sie weiter«, flehte Alice, und Janice tat es ihr nach. »Bitte, Herr!« bat auch Tende für das Mädchen am Ufer.
»Wie dumm ihr doch seid!« rief Kisu. »Merkt ihr nicht, daß das eine Falle ist?«
»Herr?« fragte Tende verständnislos.
»Sie sprechen Goreanisch«, erklärte ich. »Folglich sind sie nicht hier im Dschungel geboren worden. Das müßtest du allein an ihrer weißen Hautfarbe sehen. Denkt an das erste Mädchen zurück. Allein die Länge der Fesseln war ungewöhnlich. So wird eine Sklavin niemals gebunden. Außerdem waren die Enden des Seils nicht abgerissen, sondern sauber geschnitten worden. Wie soll das wohl zugegangen sein?«
»Das weiß ich nicht, Herr«, sagte Janice.
»Außerdem war auffallend, daß sie noch den Gürtel und die Dolchscheide hatte. Bei jeder richtigen Gefangennahme wäre sie so etwas auf der Stelle losgeworden, ganz zu schweigen von ihrer Kleidung. Wozu braucht eine gefangene Frau so etwas?«
»Außerdem zeigte ihre Haut keine Spuren der Gefangennahme«, sagte Kisu.
»Es gibt weitere Hinweise, daß diese Mädchen nicht das sind, was sie zu sein vorgeben«, fuhr ich fort. »Zum Beispiel die Art der Fesselung des Mädchens am Pfosten. Woher haben Waldbewohner Ketten?«
»Helft mir!« rief das Mädchen.
»Wie lange stehst du schon am Pfosten?« rief ich ihr zu.
»Zwei Tage!« schluchzte sie. »Bitte hab Mitleid mit mir!«
»Zweifelst du noch?« fragte ich Janice. »Sie ist bei bester Verfassung. Sie kann unmöglich schon zwei Tage hier stehen.«
»Nein, Herr«, sagte Janice leise.
»Und wenn sie über Nacht hier gestanden hätte, wären sicher die Tharlarion längst über sie hergefallen. Mir bereitet die ganze Szene Unbehagen. Der Dschungel zu beiden Seiten ist so dicht, daß sich ohne weiteres gefährliche Horden darin verbergen können.«
»Vielleicht sollten wir uns beeilen«, sagte Tende und blickte sich um.
»Nimm deine Paddel«, sagte Kisu. »Paddele weiter.«
»Bitte haltet an!« rief das Mädchen am Pfosten.
Als wir langsam weiterglitten, schauten wir zurück. »Ihnen nach!« rief das Mädchen plötzlich. Ihre Ketten glitten zu Boden. Sie beugte sich ins Gras und ergriff einen leichten Speer. Im Unterholz ringsum erschienen zahlreiche ähnlich gekleidete und bewaffnete Mädchen. Kanus wurden ins Wasser geschoben.
»Vielleicht wirst du jetzt etwas lebhafter paddeln«, sagte ich.
»Ja, Herr!« rief Janice.
Acht Kanus nahmen die Verfolgung auf. In jedem Kanu saßen fünf bis sechs Mädchen. Im Bug des ersten Fahrzeugs hockte das blonde Mädchen, das die Angekettete gespielt hatte. Das zweite Boot wurde von der dunkelhaarigen Schönheit kommandiert, die wir zuerst gesehen hatten. Noch immer baumelten ihr die Seilenden an den Armen.
»Können sie uns einholen?« rief Alice nervös.
»Vermutlich nicht«, sagte ich. »In keinem Kanu sitzen mehr als sechs Paddlerinnen. Wir sind ebenfalls zu sechst, und drei davon sind Männer.«
In weniger als einer Viertel-Ahn hatten wir den Vorsprung vor unseren Verfolgerinnen erheblich ausgebaut.
»Erinnerst du dich, Janice?« fragte ich. »In einem der Dörfer, die wir vor langer Zeit besuchten, erkundigte sich ein Mann, ob du eine Taluna wärst.«
»Ja«, sagte sie.
»Die Mädchen hinter uns«, erklärte ich, »sind Talunas.«
Nach einer halben Ahn waren die Kanus der Verfolgerinnen weit zurückgefallen. Nach wenigen weiteren Ehn gaben sie die Verfolgung auf.
»Ich habe keine Kraft mehr, Herr«, sagte Alice.
Janice und Tende konnten den Rhythmus ebenfalls nicht mehr durchhalten. Sie atmeten schwer und vermochten kaum noch die Arme zu heben. »Das Paddel fühlt sich wie Eisen an«, seufzte Janice. Tende schluchzte. »Verzeih mir, Herr«, wandte sie sich an Kisu. Ihr Paddel prallte gegen die Bordwand und wäre ihr beinahe aus der Hand gefallen. Sie senkte den Kopf.
»Ruh dich aus«, sagte Kisu.
»Ruht euch aus«, sagte ich zu Janice und Alice.
Die Mädchen legten die Paddel ins Kanu. Alice und Janice mußten sich erbrechen. Zitternd und keuchend legten sie sich nieder.
Ayari, Kisu und ich paddelten weiter.