»Hast du den Dolch?« flüsterte Msaliti mir zu.
»O ja«, antwortete ich, »in der Ärmelscheide.«
Er ließ mich allein stehen. Mehr als zweihundert Personen standen im großen Hofsaal, Männer und Frauen hohen Standes, wie auch etliche einfache Untertanen, die ein Anliegen hatten. Anwesend waren außerdem Wächter, Häuptlinge und Gesandte. Die Roben bestanden vorwiegend aus Tierhäuten, von denen einige auf prächtige Weise verziert worden waren. Viel Gold- und Silberschmuck wurde getragen. Arm- und Beinreifen aus Federn waren weit verbreitet. Die Frisuren der Männer und Frauen waren verschieden gestaltet. Es zeigte sich teilweise sehr aufwendiger Kopfschmuck, in der Regel aus Fell und Federn. In den Lippen einiger Männer steckten Messingstöpsel. In vielen Dörfern waren Gesichtstätowierungen üblich. Die Vielfalt und Pracht an Bila Hurumas Hof war beeindruckend. Ich war sicher, daß der Aufwand, der bei manchem Ubar des Nordens getrieben wurde, dagegen verblaßt wäre. Am Hofe zeigten sich Abgesandte verschiedener Rassen, doch sie waren überwiegend schwarz. Ich war der einzige Weiße im Saal. Allerdings machte ich einige braunhäutige Burschen aus Bazi aus, und einen Orientalen, bei dem es sich um einen Arzt handelte. Selbst bei ansonsten sehr ähnlichen schwarzen Rassentypen gab es große Unterschiede in Kleidung, Tätowierung und Frisur. Hierin sah ich Unterschiede in kulturellen und stammesbezogenen Entwicklungen. Zu den großen Problemen in Bila Hurumas Ubarat gehörte eben diese Vielfalt der Rassen und Stämme. Zum Glück sprachen die meisten dieser Menschen, die vorwiegend aus der Ushindi-Region stammten, Dialekte, die miteinander verwandt waren. Diese Vielfalt war gewiß eine Herausforderung für das Ubarat Bila Hurumas; und daß sein Regime so stabil war, wie behauptet wurde, ging vermutlich zu gleichen Teilen auf die Intelligenz seiner Entscheidungen wie auf die Rücksichtslosigkeit seiner Aktionen und die Unbeugsamkeit seines Willens zurück.
Als ich den großen Saal betrat, hatte sich Bila Huruma soeben den Bericht seiner Offiziere über die Schlacht gegen Kisus Mannen angehört. Dieser Kampf hatte interessanterweise in den Sümpfen weit westlich des Ngao-Sees stattgefunden, nur wenige Pasang von der Baustelle des Kanals entfernt. Es erwies sich, daß Kisu mit seiner kleinen Truppe unglaublicherweise gegen Bila Huruma anmarschiert war. So mutig und pathetisch hätte eine Ameise sich auf einen Riesen stürzen können. Ich zweifelte nicht an Kisus Mut; weniger sicher war ich mir allerdings in der Frage, ob er den gesunden Menschenverstand und die Weisheit besaß, die von einem Mfalme erwartet wurden.
Einige Offiziere stellten dem Herrscher Männer vor, die für ihre mutigen Taten während der Schlacht belobigt wurden.
Goldringe und neue Rangabzeichen, Federn und Halsbänder wurden verteilt.
Einmal hob Bila Huruma die Hand und sagte: »Gut!« Der so angesprochene Soldat wäre daraufhin wohl lieber tausend Tode gestorben, als seinen Ubar nur einmal zu verraten. Über solche Kleinigkeiten spotten wohl Menschen, die den Krieg und die Menschen nicht begreifen; sie mögen darin eine lächerliche Beeinflussung sehen, und doch ist es ein kleines Lob dieser Art, wenn es angebracht und ernst gemeint ist, einigen Männern mehr wert als die materiellen Schätze, von denen sich jene beflügeln lassen, die sich für überlegen halten. Jeder Mann soll seine eigenen Schätze erstreben. Der zynische Kaufmannsverstand wird nie begreifen, was den Soldaten bewegt. Der Soldat hat mit seinen Kameraden in der Kampflinie gestanden und den Gegner zurückgeschlagen. Ich glaube nicht, daß er dieses Erlebnis gegen jene verächtlich vorgetäuschte Weisheit jener eintauschen würde, die er beschützt und die ihn eher noch verlachen möchten. Er ist auf seinem Posten geblieben. Vielleicht können aber doch einige verstehen, was ich meine – vielleicht sogar jemand, der nicht an einem klaren, windigen Morgen mit seinen Kameraden singend durch den Schlamm marschiert ist, einen Speer auf der Schulter. Warum keckert die nibbelnde Urt und lacht den Larl an? Weil sie selbst kein Larl ist – oder weil sie seine Klaue fürchtet?
Ich blickte zu der hohen, konischen Decke aus miteinander verwobenen Ästen und Grashalmen empor. Sie befand sich etwa siebzig Fuß über unseren Köpfen. Der große runde Raum maß hundert Fuß von Wand zu Wand.
Msaliti hängte sich bei mir unter. »Bist du bereit?« fragte er.
»Ja«, antwortete ich.
Bila Huruma sollte jetzt Recht sprechen, in Fällen, die für ihn ausgewählt worden waren.
Vielleicht würde eines Tages der Krieger im Menschen sterben – und somit der Kämpfer, der Wanderer, der Frager, der Forscher, der Abenteurer, der Herumstreuner, der, der etwas tut und erhofft. Die Tage der Einsamen, der Zupackenden, der Suchenden wären vorbei. Der Mensch würde dann, wie es sich manche wünschten, dem Vieh und den Blumen ähneln, frei, seine Tage mit ruhigem Fressen zu verbringen, bis er im Schein der fernen, brennenden, unerreichbaren Sonnen starb.
Es war schwierig zu wissen, was der Dunst des Morgens bringen würde.
Ich gab mich mit dem Gedanken zufrieden, daß Dinge getan worden waren, die jetzt in ihrer Gänze und Wahrheit im Gewebe der Ewigkeit verankert waren – wie immer man sie auch später sah oder ob man sich ihrer überhaupt erinnerte oder nicht. Sie hatten stattgefunden. Gleichgültig, was auch passierte, nichts konnte daran etwas ändern. Die Bedeutung der Geschichte liegt nicht in der Zukunft, sondern im Augenblick. Sie befindet sich zu keiner Zeit an einem anderen Ort als in unseren eigenen Händen. Und wenn sich die Geschichte des Menschen nach ihrem Abschluß lediglich als kurzes Aufflackern inmitten eines achtlosen Nichts erweisen sollte, so möge sie wenigstens des kurzen Moments würdig gewesen sein, den sie loderte. Vielleicht aber erwies sie sich auch als Funken, der mit der Zeit ein ganzes Universum erleuchten konnte.
Man weiß eben nicht, was der Nebel des Morgens bringt.
Viel hängt davon ab, was der Mensch ist.
Viel hängt von dem Bild ab, das er sich von sich selbst macht.
»Bist du bereit?« fragte Msaliti drängend.
»Ja, ja«, sagte ich. »Ich bin bereit für das, was ich plane.«
Daraufhin entfernte er sich erneut von mir. In der Gruppe von Leuten, die Bila Huruma umgab, erblickte ich Shaba.
Der erste Fall des Ubars betraf eine Witwe, die von einem Gläubiger betrogen worden war. Der Bursche wurde schreiend aus dem Saal gezerrt. Die Hände sollten ihm abgehackt werden, wie es jedem gewöhnlichen Dieb widerfuhr. Sein Besitz sollte beschlagnahmt und zur Hälfte der Witwe und zur Hälfte, wie nicht anders zu erwarten, dem Staat zugesprochen werden.
Der nächste Mann war ein richtiger Dieb, ein Junge, der Gemüse gestohlen hatte. Es stellte sich heraus, daß er hungrig gewesen war und im Garten des Bestohlenen sogar um Arbeit nachgesucht hatte. »Niemand, der in meinem Ubarat arbeiten will«, sagte Bila Huruma, »soll Hunger leiden.« Er befahl, dem Jungen sei, wenn er es wollte, in seinen ausgedehnten Gärten Arbeit zu geben. Wer nicht arbeiten wollte, so vermutete ich, mußte Hunger leiden. Bila Huruma hatte für Faulenzer offensichtlich nichts übrig. Fairneß in der Behandlung seiner Untergebenen ist eine Zentralthese für jeden guten Regierungschef.
Nun wurden zwei Mörder vorgeführt. Der erste, ein einfacher Mann, hatte einen Bootsmann aus Schendi erschlagen. Der zweite, ein Askari, hatte einen anderen Askari umgebracht. Es wurde angeordnet, dem einfachen Mann die Finger abzuschneiden und ihn dann an einen Tharlarionmast in den Ushindi-See zu stellen. Daß er die Finger verlieren sollte, galt als Gnadenakt des Ubars, weil er sich auf diese Weise nicht so lange an dem Pfosten festhalten konnte und somit früher von seinem Leiden erlöst sein würde. Er hatte keinen Bürger des Ubarats getötet, sondern einen Mann aus Schendi; sein Verbrechen galt daher als weniger scheußlich. Der Askari wurde dazu verurteilt, durch einen Angehörigen seiner Familie aufgespießt zu werden. Damit wurde seine Ehre gerettet, und es bestand keine Gefahr, daß sich zwischen beteiligten Familien eine Blutfehde entwickelte. Der Askari äußerte jedoch die Bitte, im Kampf gegen die Feinde des Ubarats sterben zu dürfen. Dieses Anliegen wurde mit der Begründung abgelehnt, daß er seinem Mordopfer, einem Kampfgefährten, dieses Privileg auch nicht zugebilligt hätte. Der Askari nahm dieses Urteil ohne weitere Widerworte an. »Aber bin ich nicht mit mir selbst verwandt, ein Ubar?« fragte er. »Ja«, antwortete Bila Huruma darauf. Der Mann wurde nach draußen gebracht. Man würde ihm einen kurzen Stoßspeer geben, damit er sich in die Klinge stürzen konnte.
Der nächste Angeklagte war hinsichtlich seiner Steuern unehrlich gewesen. Man würde ihm einen Haken durch die Zunge spießen und ihn auf dem nächsten Markt aufhängen. Sein Besitz sollte beschlagnahmt und verteilt werden – zur Hälfte an Bewohner seines Dorfes, zur Hälfte an den Staat. Man nahm an, daß er künftig mit seiner Buchführung ehrlicher sein würde, wenn er vom Haken heruntergenommen wurde und dann noch lebte.
Von draußen vernahm ich den Schrei des Askari. Er hatte die Gerechtigkeit des Bila Huruma an sich selbst vollstreckt.
Als nächstes erschienen zwei Angehörige des Adelstandes vor dem Ubar, ein Mann und seine Gefährtin. Er beklagte sich, sie sei nicht bereit gewesen, ihm zu Gefallen zu sein. Mit einem Wort und einer senkrechten Handbewegung schied Bila Huruma die Gefährtenschaft. Anschließend ordnete er an, dem Mann Frauenkleidung anzulegen und ihn aus dem Palast zu prügeln. Dies geschah. Dann gab er Befehl, die Frau zu entkleiden und ihr eine Weinranke um den Hals zu legen. Anschließend wurde sie dazu verurteilt, ein Jahr lang in einer Baracke der Askaris zu dienen, um zu lernen, Männern zu gefallen.
Nun wurde der Rebell Kisu in Ketten vor Bila Huruma geführt. Man zwang ihn vor dem Herrscher in die Knie. Er wurde dazu verurteilt, an die Gaunerkette gelegt zu werden und am Kanal zu arbeiten. Auf diese Weise sollte er endlich seinem wahren Herrscher Bila Huruma dienen. Kisu, der sich nicht wieder aufrichten durfte, wurde seitlich aus dem Saal geschleppt. Nun trat Mwoga auf, Botschafter der Ukungu-Dörfer, Abgesandter des hohen Häuptlings Aibu, der die Ukungu-Häuptlinge gegen Kisu geeint und den Mann abgesetzt hatte. Er überreichte Bila Huruma Geschenke, Federn, Häute, Messingringe und Tharlarionzähne, und schwor ihm die ewige Treue der Ukungu-Dörfer. Um diese politischen Abmachungen zu besiegeln, bot er dem Ubar in Aibus Namen die Tochter des hohen Häuptlings an, Aibus eigene Tochter, ein Mädchen namens Tende.
»Ist sie schön?« fragte Bila Huruma.
»Ja«, antwortete Mwoga.
Bila Huruma zuckte die Achseln. »Egal«, sagte er. Vermutlich war es ihm wirklich gleichgültig. Zweifellos gab es in seinem Haus viele Frauenhöfe. Dem Vernehmen nach besaß er bereits mehr als zweihundert Gefährtinnen und dazu vielleicht noch die doppelte Anzahl von Sklavinnen, die gefangen oder gekauft oder ihm als Geschenke übergeben worden waren. Wenn Tende ihm gefiel, konnte er Thronerben mit ihr zeugen. Wenn nicht, konnte er sie vergessen, dann würde sie als abgelegtes Staatsgeschenk irgendwo dahinvegetieren, ein Mädchen von vielen, das in den Harems des Palasts verschwand.
»Darf ich mit unserem Gefangenen sprechen?« fragte Mwoga.
»Ja«, sagte Bila Huruma.
»Ist Tende nicht schön?« fragte Mwoga.
»Ja«, antwortete Kisu, »und sie ist nicht minder stolz und kühl.«
»Schade, daß sie keine Sklavin ist«, sagte Bila Huruma. »Man könnte sie dann dazu bringen, herumzukriechen und vor Leidenschaft zu schreien.«
»Sie ist es wert, Sklavin zu sein«, sagte Kisu. »Sie ist die Tochter des Verräters Aibu!«
Bila Huruma hob die Hand. »Bringt ihn fort!« befahl er, und der Gefangene wurde gegen seinen Willen aus dem Saal gezerrt.
Kurze Zeit später empfahl sich Mwoga mit tiefen Verbeugungen und rückwärts gehend.
Schon erschien Msaliti wieder neben mir. Sanft schob er mich durch die Menge nach vorn. »Halte dich bereit!« sagte er.
Bila Huruma und seine Begleiter, zu denen auch Shaba gehörte, musterten mich. Shaba ließ sich nicht anmerken, daß er mich erkannte. Wenn er hier offenbarte, daß ich nicht der war, der ich zu sein vorgab, mochte es Fragen darüber geben, woher er sein Wissen hatte. Von dort war es dann noch ein kleiner Schritt zu der Offenbarung, daß er mit dem Ring zu tun hatte. Ein solches Schmuckstück würde den Ubar Bila Huruma zweifellos sehr interessieren. Es war weder in Shabas Interesse noch in dem meinen oder dem Msalitis, den Herrscher dieses ausgedehnten Äquator-Ubarats auf die Eigenschaften des Ringes aufmerksam zu machen.
Sobald ich in Bila Hurumas Nähe kam, sollte ich den Dolch ziehen, Shaba töten und dann sofort von Askari-Wächtern verhaftet werden. Unterdessen sollte sich Msaliti von Shabas Leiche den Ring beschaffen. Für später waren mir dann hundert Gold-Tarn und meine Freiheit versprochen worden. Ich lächelte.
»Bist du bewaffnet?« fragte Msaliti in der Binnensprache wie auch auf Goreanisch.
»Aber ja doch«, sagte ich freundlich, offenbarte die Ärmelscheide und reichte ihm den Dolch.
Eine Sekunde lang blitzte in Msalitis Augen eine unglaubliche Wut auf. Dann nickte er, ergriff den Dolch und reichte ihn einem Askari weiter.
Ich zeigte Bila Huruma, der sich dafür interessierte, die Ärmelscheide. Solche Aufbewahrungsorte für Waffen gab es oft in der Tahari. Hier im Landesinneren, wo die meisten Leute mit bloßen Armen gehen, schien es sich um eine interessante Neuheit zu handeln.
Bila Huruma sagte etwas zu einem Helfer. Es ging wohl darum, daß ihm eine Robe gemacht werden sollte, die eine solche Scheide enthielt.
»Sei gegrüßt, großer Ubar!« sagte ich. »Dieser Gruß gilt auch allen hier anwesenden ehrenwerten Herren.« Ich lächelte Shaba an. »Ich überbringe euch Grüße des Kaufmannsrats von Teletus, des Rates, der über jene Insel gebietet. In dem Bewußtsein des Reichtums und der gewaltigen Projekte des Ubarats ist es unser Bestreben, die Grundlage für gegenseitige Handelsbeziehungen zu legen. Sollte der große Kanal vollendet werden, so wissen wir durchaus, daß dieses Ubarat zu einem entscheidenden Bindeglied werden wird zwischen dem äquatorialen Westen und Osten. Wie zweifellos auch viele andere Handelsstaaten, etwa unsere Schwestern Schendi und Bazi möchten wir dir unsere besten Wünsche überbringen und deine Gunst erbitten für unsere Kaufleute und Schiffe, damit sie dir bei deinen künftigen Unternehmungen zu Hilfe kommen dürfen.«
Msaliti gab sich Mühe, meine Worte zu übersetzen, obwohl er keine große Lust dazu hatte.
Ich verfolgte mit meinen Äußerungen verschiedene Ziele. Erstens hielt ich es für möglich, daß außer Shaba und Msaliti noch einige andere Schwarze hier im Saal Goreanisch verstanden. Es kam mir darauf an, wirklich wie ein Gesandter von Teletus aufzutreten. Zweitens mochte es amüsant sein, mich einmal an der Erprobung diplomatischer Schwülstigkeit zu versuchen. Dazu hatte ich nur selten Gelegenheit, obwohl mich solches Gerede hin und wieder beeindruckt hatte. Den Blicken der Umstehenden entnahm ich, daß meine Worte den zumeist nichtssagenden Äußerungen entsprachen, die bei solchen Gelegenheiten getan wurden. Das gefiel mir. Drittens machte es mir Spaß, Msaliti auf den Nerven herumzutrampeln.
Msaliti gab einem Mann ein Zeichen, der die Geschenke für Bila Huruma nach vorn brachte und die kleine Truhe vor dem Thron abstellte.
Der Herrscher bedankte sich, dann wurden die Gaben zur Seite gestellt. Durch Msaliti erfuhr ich von dem Ubar, daß die Grüße aus Teletus entgegengenommen wurden, daß sein Ubarat den Inselbewohnern Ähnliches wünschte, daß sein Ubarat unser Interesse an seiner Zukunft zu schätzen wisse und daß sein Handelswesir innerhalb der nächsten zehn Tage mit mir sprechen würde. Daraufhin empfahl ich mich, wie ich es bei anderen gesehen hatte: Lächelnd verbeugte ich mich und trat zurück.
Der nächste Gesandte kam von Bazi. Er präsentierte Bila Huruma vier Kisten Gold und zehn schwarzhäutige nackte Sklavinnen in goldenen Ketten.
Dies gefiel mir nicht sonderlich. Ich sagte mir, daß sich Msaliti für Teletus ein wenig mehr hätte anstrengen können. Ich bekam mit, daß der Gesandte aus Bazi schon innerhalb von fünf Tagen eine Audienz beim Handelswesir erhalten sollte.
Kurz nach der Verabschiedung des Bazi-Abgesandten ging die große Audienz zu Ende. Ich glaubte, eine der Sklavinnen hatte ihm gefallen. Hoffentlich war sie gut ausgebildet. Er war Ubar. Ihm zu gefallen, konnte nicht einfach sein.
Msaliti und ich waren in dem großen runden Saal und schließlich allein.
Ich steckte den Dolch fort, den der Askari mir zurückgegeben hatte, sobald der Ubar den Saal verlassen hatte.
Er war außer sich vor Wut. »Warum hast du Shaba nicht getötet?« fragte er. »Das war doch der Plan!«
»Es war dein Plan, nicht der meine«, antwortete ich. »Ich habe einen anderen.«
»Ich lasse dich sofort an den Kanal zurückschicken«, sagte er aufgebracht.
»Das dürfte dir schwerfallen«, erwiderte ich. »Du hast am Hofe selbst dafür gesorgt, und dafür bin ich dir dankbar, daß ich als Botschafter aus Teletus anerkannt werde.«
Er stieß einen Wutschrei aus.
»Du hast doch nicht im Ernst angenommen, ich würde tun, was du von mir verlangst«, sagte ich. »Sobald Shaba tot gewesen wäre, hättest du dafür gesorgt, daß die Askaris mich im allgemeinen Gewirr umbrächten. Damit hättest du mich aus dem Weg gehabt – denn schließlich weiß ich über den Ring Bescheid und darüber, wie an den Ring zu gelangen wäre.«
»Du hast ehrlich angenommen, ich würde dich verraten?« fragte Msaliti.
»Aber ja doch«, sagte ich. »Und du hättest mich verraten, oder nicht?«
»Ja«, sagte er.
»Ich dachte es mir«, gab ich zurück. »Weißt du, in dir steckt irgendwo ein ehrlicher, wahrheitsliebender Bursche.«
Ich lockerte das Messer in der Ärmelscheide.
»Es wird dir nichts nützen, wenn du mich tötest«, sagte er.
»Ich probiere nur mal die Scheide aus«, sagte ich und steckte die Klinge wieder zurück.
»Anscheinend müssen wir zusammenarbeiten«, meinte er.
»Wir müssen schnell handeln«, sagte ich. »Wir wissen nicht, wieviel Zeit wir haben. Bila Hurumas Handelswesir dürfte bald merken, daß ich wenig weiß über die Kaufleute und Angelegenheiten Teletus’. Wir müssen schnell handeln.«
»Was hast du vor?« fragte er.
»Ganz einfach«, erwiderte ich. »Shaba hat den Ring. Zeig mir seine Unterkunft, dann hole ich das Schmuckstück noch heute nacht.«
»Shaba weiß, daß du im Palast bist«, meinte Msaliti. »Er wird sich bestimmt in acht nehmen.«
»Dann schick einen anderen!« sagte ich.
»Nur wir beide und Shaba wissen von dem Ring«, meinte er.
»Genau.«
»Ich zeige dir heute nacht seine Gemächer«, sagte Msaliti.
»Gut.«
»Wie soll ich wissen, daß du mich anständig behandeln wirst?« fragte er. »Woher weiß ich, daß du mit dem Ring nicht einfach verschwindest?«
»Das weißt du eben nicht.«
»Oh, das ist ja wirklich ein schöner Aspekt unseres Plans!« rief er gereizt.
»Ich finde ihn ganz ordentlich«, räumte ich ein. »Wenn du die Expedition in die Gemächer Shabas gern selbst unternehmen möchtest, sei dir das freigestellt.«
»Wenn es mir nicht gelänge, wäre es mit meiner Position bei Hofe vorbei«, sagte er.
»Damit hast du sicher recht«, sagte ich. »Solltest du außerdem an Shabas Zahnring gelangen, dann wäre es nicht nur mit deiner Position aus. Die Spitze enthält Kanda, wenn ich richtig informiert bin.«
»Offenbar gibt es nur wenige vernünftige Alternativen zu deinem Plan«, stellte er fest.
»Weißt du, schließlich bin ich derjenige, der den Ring zurückbringen sollte«, sagte ich.
»Ich weiß, ich weiß.«
»Du traust mir hoffentlich«, sagte ich und spielte den Gekränkten.
»Ich traue dir so sehr wie meinem eigenen Bruder.«
»Ich wußte gar nicht, daß du einen Bruder hast«, sagte ich.
»Er hat mich betrogen«, erläuterte Msaliti. »Ich sorgte dafür, daß er in einem Fall von Staatsverrat als Schuldiger dastand, und ließ ihn wegen Verrats gegen das Ubarat hinrichten.«
»Es war ein Fehler, einem solchen Burschen zu vertrauen«, sagte ich.
»Genau«, meinte er.
»Bis heute abend!«
»Im Grunde ist es Bila Huruma, der die Zurückgewinnung des Ringes stört. Er ist Shabas Mäzen, sein Beschützer. Wenn Bila Huruma nicht mehr wäre, müßte es ein leichtes sein, Shaba zu verhaften und den Ring an sich zu bringen.«
»Das mag so sein oder nicht«, erwiderte ich. »Für mich ist aber Shaba der Mann mit dem Ring. Von ihm müssen wir das so wenig greifbare Stück zu gewinnen trachten.«
»Shaba wird den Ring nicht herausrücken wollen«, sagte Msaliti.
»Ich hoffe doch sehr, daß ich ihn dazu bringen kann«, sagte ich.
»Würdest du bitte den Dolch wieder in die Scheide stecken?« fragte er. »Das Ding macht mich nervös.«
»Schön«, sagte ich und ließ den Stahl verschwinden.
»Was hältst du von unserem Ubar?« erkundigte sich Msaliti.
»Er ist ein großer Bursche«, antwortete ich, »doch im Grunde habe ich ihn kaum richtig wahrgenommen.« In der Tat, Bila Huruma war ein sehr großer Mann gewesen, der über lange Arme verfügte. Er hatte auf einem Thron aus lackiertem schwarzen Holz gesessen, der auf überkreuzt festgebundenen Kailiaukhörnern angebracht war. Arme und Beine waren nackt gewesen, glänzend von Öl. Er hatte Arm- und Beinreifen aus Gold getragen. Seine Hüften waren von einem Fell des gelben Panthers bedeckt gewesen, dessen Zähne zugleich seinen Hals verzierten. Hinter und rings um ihn hatte ein riesiger Mantel aus gelben und roten Federn gelegen, die von bunten Vögeln des Regenwaldes stammten. Bei der Herstellung dieses Mantels waren von jedem Vogel nur zwei Brustfedern genommen worden. So dauert es zuweilen hundert Jahre, bis ein solcher Mantel fertiggestellt ist. Natürlich ist er nur für den Gebrauch durch einen Ubar bestimmt. Bila Hurumas Kopf war von einem komplizierten Schmuck gekrönt, vorwiegend aus den langen, krummen weißen Federn des Ushindi-Fischers gekrönt, eines langbeinigen Stelzvogels. Die Krone, wenn man sie so nennen wollte, glich gewissermaßen dem Kopfschmuck, den viele Askaris trugen. Bis auf die Länge der Federn und die prächtige Verzierung des Leders und der Perlenreihen, mit denen die Federn befestigt waren, hätte es auch ein Askari-Schmuck sein können. Dadurch wurde deutlich gemacht, daß er, der Ubar, Bila Huruma persönlich, einer von ihnen war, ein Askari wie seine Soldaten. Sein Gesicht war breit, die Augen standen weit auseinander. Auf den Wangen und an den Nasenwurzeln hatten sich in wirbelnden Kurven die Punkte der Tätowierungen erstreckt, die Spuren seiner Mannbarwerdung vor vielen Jahren.
»Du mußt ihn doch deutlich gesehen haben«, sagte Msaliti, »du bist ihm doch vorgestellt worden.«
»Mir sind nur Äußerlichkeiten aufgefallen«, sagte ich, »und ich erinnere mich an die sichtbaren Zeichen seines Amtes, von denen du sprachst, meine Aufmerksamkeit galt aber mehr Shaba und dir als dem Ubar. Ich sah ihn, nahm ihn aber nicht wirklich wahr.«
»Du warst abgelenkt«, sagte Msaliti.
»Ja.«
»Vielleicht ist es ganz gut, daß du ihm nicht zu tief in die Augen geschaut hast«, sagte Msaliti.
»Einen Ubar wirklich wahrzunehmen«, sagte ich, »ihm ins Herz zu schauen – das kann eine furchteinflößende Sache sein.«
»Nur einer kann auf dem Thron sitzen«, sagte er.
»Das ist ein Sprichwort aus dem Norden«, meinte ich.
»Ich weiß«, antwortete er. »Aber es ist auch östlich von Schendi bekannt.«
»Selbst östlich von Schendi ist der Thron ein einsamer Ort«, stellte ich lächelnd fest.
»Wer auf dem Thron sitzt, so heißt es, ist der einsamste aller Menschen«, sagte Msaliti.
Ich nickte. Vielleicht war es wirklich ganz gut, daß ich mir Bila Huruma nicht zu gründlich angesehen hatte. Es ist nicht immer ratsam, einem Ubar zu tief in die Augen zu schauen.
»Bis heute abend dann!« sagte Msaliti und zog sich zurück.
»Bis heute abend!« sagte ich.