Kisu und ich mühten uns am Heck des Kanus, das steil in die Höhe zu wuchten war. Ayari und die Mädchen zerrten an Tauen, die wir vorn am Gefährt festgemacht hatten. Das Kanu neigte sich empor und kippte nach vorn, als wir es nun in beladenem Zustand auf ebenes Terrain schleppten.
Das Rauschen des Wasserfalls, der neben uns etwa vierhundert Fuß in die Tiefe stürzte, war ohrenbetäubend.
Es fällt schwer, die Pracht der Ua-Landschaft jemandem zu beschreiben, der sie nicht aus eigener Anschauung kennt. Da ist zum einen die Breite des Flusses, der sich wie eine mächtige Straße erstreckt, sich hin und her windend, gelegentlich von grünen Inseln unterbrochen, hier behäbig fließend, dort beschleunigt durch Stromschnellen oder Katarakte, manchmal unterbrochen von strömenden Wasserkaskaden, hier nur wenige Fuß hoch, an anderen Stellen wieder viele hundert Fuß. Und ringsum der Dschungel in seiner immensen Ausdehnung, erfüllt von reichhaltigem Leben.
»Ich bin froh«, sagte Kisu zufrieden und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Warum?« fragte ich.
»Komm mal her!« forderte er mich auf.
»Sei vorsichtig!« warnte ich. Er watete ins Wasser hinaus.
»Komm!« wiederholte er.
Ich watete vierzig bis fünfzig Fuß weit in die Strömung. Das Wasser ging uns hier nur bis zu den Knien.
»Schau doch!« sagte er und hob den Arm.
Von der Höhe des Wasserfalls vermochten wir viele Pasang weit flußabwärts zu schauen. Es war nicht nur ein prächtiger Ausblick, sondern auch eine sehr vorteilhafte strategische Position.
»Ich wußte, daß es so kommen würde!« rief er und klatschte sich vor Freude auf die Knie.
Ich folgte dem ausgestreckten Zeigefinger mit den Blicken und spürte, wie sich meine Nackenhaare aufrichteten.
»Tende! Tende!« rief Kisu. »Komm mal her!«
Das Mädchen watete mit vorsichtigen Bewegungen zu uns heraus. Kisu packte sie am Nacken und drehte sie flußabwärts. »Siehst du das, meine hübsche Sklavin?« fragte er.
»Ja, Herr«, erwiderte sie erschrocken.
»Er ist’s!« sagte Kisu. »Er kommt dich holen!«
»Ja, Herr«, sagte sie.
»Eilig jetzt ans Ufer!« befahl er. »Mach ein Feuer an, bereite das Essen, Sklavin!«
»Ja, Herr«, sagte sie und hastete aus dem Wasser, um ihre Aufträge zu erledigen.
Ich blickte flußabwärts in die Ferne und kniff vor dem Glanz, der auf dem Wasser lag, die Augen zusammen.
Viele Pasang entfernt, klein, aber deutlich auszumachen, bewegte sich eine Flotte aus Kanus und Flußbooten in unsere Richtung. Es mußten ungefähr hundert Einheiten sein, geruderte Flußgaleeren, der Rest der Flotte, der für Shabas ursprünglich geplante Expedition auf dem Ua vorgesehen war, und vielleicht noch einmal genauso viele Kanus. Wenn die Galeeren eine Besatzung von jeweils fünfzig Mann hatten und in jedem Kanu fünf bis zehn Leute saßen, dann zählte die Streitmacht hinter uns zwischen fünf- und sechstausend.
»Bila Huruma!« rief Kisu triumphierend.
»Deshalb hast du mich also den Ua entlang begleitet«, sagte ich.
»Ich wäre sowieso mit dir gekommen, um dir zu helfen, denn du bist mein Freund«, sagte Kisu. »Glücklicherweise führte uns das Schicksal aber dieselben Wege. Ist das nicht ein großartiger Zufall?«
»Ja, großartig«, sagte ich lächelnd.
»Du begreifst jetzt, wie mein Plan aussah?«
»Dein geheimnisvoller Plan?« fragte ich grinsend.
»Ja«, sagte er zufrieden.
»Ich habe mir so etwas gedacht«, erwiderte ich. »Aber ich meine, daß du dich vielleicht verrechnet hast.«
»Im Kampf konnte ich Bila Huruma nicht schlagen«, sagte Kisu. »Seine Askaris waren meinen Dorfkämpfern überlegen. Jetzt aber habe ich seine vorgesehene Gefährtin Tende entführt und ihn in den Dschungel gelockt. Ich brauche ihn nur immer weiter hinter mir herzuziehen, bis er im Dschungel umkommt oder sich, seiner Männer und Vorräte beraubt, zum Kampf Mann gegen Mann stellen muß, Krieger gegen Krieger.«
Ich schaute ihn an.
»So werde ich, indem ich Bila Huruma vernichte, sein Reich zerstören«, sagte Kisu.
»Ein intelligenter und kühner Plan«, sagte ich, »aber ich glaube, du hast dich vielleicht verrechnet.«
»Inwiefern?« fragte Kisu.
»Glaubst du wirklich«, fragte ich, »Bila Huruma, der etwa hundert Frauen besitzt oder in Gefährtenschaft zugesprochen erhält, würde dich unter großen Gefahren für sich und sein Reich in den Dschungel verfolgen, um sich ein Mädchen zurückzuholen, das – wie er selbst weiß – zweifellos inzwischen von dir versklavt worden ist und folglich keinen politischen Wert mehr für ihn hat, ein Mädchen, das außerdem von Anfang an nicht mehr für ihn war als eine kleine politische Geste gegenüber einem unwichtigen Winkel seines Reiches am Ngao-See?«
»Ja«, sagte Kisu. »Das ist für ihn eine Sache des Prinzips.«
»Für dich mag es eine Sache des Prinzips sein«, sagte ich, »aber ich glaube nicht, daß es das für Bila Huruma im gleichen Maße ist. Es gibt Prinzipien und Prinzipien. Für einen Mann wie Bila Huruma steht das Prinzip, sein Reich zu erhalten, sicher über solchen unbedeutenden persönlichen Belangen.«
»Aber Bila Huruma ist auf dem Fluß«, sagte Kisu.
»Anzunehmen«, sagte ich.
»Folglich irrst du dich.«
»Mag sein.«
»Meinst du etwa, er verfolgt dich?« fragte Kisu.
»Nein«, sagte ich, »ich bin für ihn ganz unwichtig.«
»Also hat er es auf mich abgesehen«, stellte Kisu fest.
»Mag sein«, antwortete ich. »Vielleicht hast du recht.«
Kisu machte kehrt und watete zufrieden ans Ufer zurück. »Zieh dein Gewand aus!« sagte Kisu zu Tende. »Dann folgst du mir.«
»Ja, Herr.«
»Ihr anderen dürft auch mitkommen«, sagte er.
Wir folgten Kisu und Tende in die Mitte des Flusses, wo sich oberhalb der Fälle ein flacher Felsen befand. Wir erstiegen die sichere Fläche. Von hier konnten wir flußabwärts schauen und viele Pasang entfernt die Kanuund Galeerenflottille des Ubars Bila Huruma erkennen.
»Was hast du mit mir vor, Herr?« fragte Tende.
»Ich werde dich nackt tanzen lassen«, antwortete er und schob sie auf dem Felsen nach vorn, so daß sie in Strömungsrichtung blickte.
Zitternd, nur in ihre Sklavenkette gekleidet, verharrte Tende auf dem Felsen.
»Bila Huruma!« rief Kisu. »Ich bin Kisu!« Er deutete auf das Mädchen. »Das ist Tende, die deine Gefährtin werden sollte! Ich habe sie dir genommen! Ich habe sie zu meiner Sklavin gemacht!«
Sollte Bila Huruma, wie Kisu vermutete, bei der Flotte sein, konnte er ihn natürlich nicht hören. Die Entfernung war zu groß. Außerdem hätte man Kisus Stimme selbst aus fünfzig Metern Distanz kaum hören können, so laut war das Brausen der Wasserfälle. Ich hatte keinen Zweifel, daß wir von den Booten überhaupt nicht gesehen werden konnten. Wir konnten die Flotte insbesondere wegen der Größe der Galeeren und ihrer Zahl an kleinen und großen Booten ausmachen, wobei die kleineren Einheiten im einzelnen kaum zu unterscheiden waren. Hätte uns nur ein einziges Kanu verfolgt, wäre es nicht zu sehen gewesen. Von der Flotte aus mußten wir auf ähnliche Weise nur Punkte vor einem unruhigen Hintergrund sein – und folglich so gut wie unsichtbar. Im Palast des Bila Huruma waren mir Ferngläser der Hausbauer nicht aufgefallen. Shaba dagegen würde ein solches Gerät sein eigen nennen. Die Annäherung an ihn würde nicht einfach sein.
»Das ist Tende!« rief Kisu seinem fernen Feind zu und versuchte das Brüllen der Katarakte zu übertönen. »Sie sollte deine Gefährtin werden. Ich habe sie dir genommen! Ich nahm sie in Besitz! Ich führe sie dir jetzt unbekleidet vor – als meine Sklavin!«
»Er kann dich nicht hören oder sehen!« rief Ayari.
»Macht nichts!« lachte Kisu. Er versetzte Tende einen fröhlichen Schlag auf das Hinterteil.
»Oh!« rief sie.
»Tanz, Tende!« befahl er und begann zu singen und in die Hände zu klatschen, wobei er flußabwärts schaute.
Anmutig streckte Tende die Arme aus und tanzte auf dem flachen Felsen im Ua-Fluß, begleitet von dem Gesang und Händeklatschen Kisus – so tanzte sie vor dem fernen Bila Huruma, dem Feind ihres Herrn, dem sie gestohlen worden war.
Sie tanzte gut.
Ich beobachtete die Augen der blonden Barbarin, die neben Alice auf dem Stein kniete. Diese Augen zeigten Erregung. Wie schön Tende aussah! Und wie aufregend war für die blonde Sklavin die Erkenntnis, daß ein Mann eine Frau zu so etwas bringen konnte.
Kisu klatschte in die Hände und sang immer weiter.
Tänzerinnen bringen auf Gor gute Preise. Einige Sklavenhändler sind auf Tänzerinnen spezialisiert und kaufen und verkaufen sie nicht nur, sondern verleihen sie auch. In Ar fallen mir dazu die Häuser von Kelsius und Aurelius ein. Es wird behauptet, die besten Tänzerinnen Gors wären in Ar zu finden; andere meinen, daß sie in Port Kar anzutreffen sind, wieder andere finden dieses Ideal in der Tahari oder in Turia verwirklicht. Solche Gegensätze sind nach meinem Dafürhalten sinnlos. Ich bin schon in vielen Städten gewesen und habe überall wunderbare Tänzerinnen angetroffen.
»Genug!« rief Kisu fröhlich. Tende hörte auf zu tanzen. Kisu führte sie zum Ufer zurück. Wir folgten ihm, und ich warf einen letzten Blick auf die winzigen Gebilde, die noch weit entfernt waren und die zahlreiche Männer enthielten.
Kisu und ich schoben das Kanu ins flache Wasser. Ich hielt es fest, während Kisu Tende darin niederknien ließ und fesselte.
»Warum fesselst du mich, Herr?« fragte sie.
»Bila Huruma ist hinter uns«, erwiderte er. »Du wirst auf keinen Fall zu ihm zurücklaufen.«
Sie legte den Kopf in den Nacken und lachte. »O Herr!« rief sie.
»Was stimmt denn nicht?« fragte er.
»Ich möchte gar nicht fortlaufen«, sagte sie.
»Oh?«
Sie blickte ihn an. »Weißt du nicht längst, mein Herr, daß Tende deine eroberte Sklavin ist?«
»Trotzdem gehe ich mit dir kein Risiko ein, Sklavin!« sagte er.
»Wie mein Herr es wünscht«, sagte sie und senkte den Kopf.
Ich erkannte in diesem Augenblick, daß die stolze Tende, die einmal so herablassend-kühl gewesen war, sich in eine Liebessklavin verwandelt hatte, die ihrem Schicksal ergeben war. Ich lächelte. In der Tat – politisch hatte sie ihren Wert verloren.
»Was ist mit den Resten der Feuerstelle?« fragte Ayari. »Sollten wir nicht alle Spuren beseitigen?«
»Nein«, sagte Kisu. »Laß alles so, wie es ist.«
»Aber das zeigt doch deutlich, welchen Weg wir genommen haben«, widersprach Ayari.
»Natürlich«, sagte Kisu. »Das ist auch meine Absicht.«
Anschließend wateten wir neben dem Kanu in die Flußmitte hinaus. Nur Tende befand sich in dem kleinen Boot.
Kisu, hüfttief im Wasser stehend, blickte noch einmal über die Fälle. Er hob die Faust und schüttelte sie. »Folge mir, Bila Huruma!« rief er. »Folge mir, Bila Huruma, wenn du es wagst!«
Seine Stimme war im Rauschen des Wassers kaum zu hören. Er senkte die Faust, stieg ins Kanu und nahm seine Position am Heck ein. Ayari und Alice folgten seinem Beispiel. Ich stieg als nächster ein, faßte die blonde Barbarin unter die Arme und zog sie hinter mir her. Ich ließ sie nicht sofort wieder los. Sie wandte den Kopf über die Schulter zurück.
»Hast du gesehen, wie sie nackt getanzt hat?« fragte sie.
»Natürlich«, erwiderte ich. »Sie ist ja nur eine Sklavin – wie du.«
»Ja, Herr.«
Ich schob sie nach vorn auf ihren Platz, und wir griffen nach den Paddeln.
Einmal blickte sie zu mir zurück. Ich sah, daß die Sklavin in ihr bereit war, freigelassen zu werden. Ich nahm an, daß sie noch diese Nacht zu mir kommen würde.