50

»Er ist so riesig«, sagte Ayari.

»Er muß größer sein als der Ushindi- oder Ngao-See«, meinte Turgus.

Wir lenkten unser Kanu über die schimmernde Fläche eines weiten Sees.

»Hier muß der Quell des Ua liegen«, sagte ich.

»Tausend Ströme müssen sich in diesen See ergießen«, sagte Kisu.

Vor zwei Wochen hatten wir einen weiteren Wasserfall erreicht, der sogar noch höher war als der, von dem wir vor langer Zeit die nachfolgenden Streitkräfte Bila Hurumas entdeckt hatten. Angesichts der Länge des Flusses, der zahlreichen steilen Katarakte und der vielen Plateaus und Anhöhen, die wir erklommen hatten, mußten wir uns viele tausend goreanische Fuß über der Meeresoberfläche befinden, oberhalb der Mündungen des Kambas und des Nyoka in das grüne Wasser des Thassa. Von den Wasserfällen am Rand dieses namenlosen Sees aus hatten wir weit ins Land hinter uns blicken können, ohne auf dem Fluß etwas auszumachen.

Hier und dort ragten riesige Steinfiguren aus dem See, die Körper und Köpfe von Männern, die Schilde an den Armen trugen und Speere in den Händen. Die Gestalten waren verwittert, bedeckt mit den roten und grünen Ablagerungen der Zeit. Flechten und Moose bildeten Kolonien auf dem Gestein; Lianen rankten sich darum. Vögel saßen auf den Köpfen und Schultern der eindrucksvollen Gestalten. Auf Felserhebungen dicht am Wasser sonnten sich Schildkröten und Tharlarion.

»Wie alt sind diese Gebilde?« fragte Janice.

»Keine Ahnung«, antwortete ich.

Ich betrachtete die riesigen Statuen. Sie ragten dreißig bis vierzig Fuß hoch aus dem Wasser. Im Vergleich dazu wirkte unser Kanu winzig. Ich schaute mir die Gesichter näher an.

»Dies waren Männer deiner Rasse – oder einer Rasse, die mit der deinen eng verwandt ist, Kisu«, sagte ich.

»Möglich«, sagte Kisu. »Es gibt sehr viele schwarze Völker.«

»Wohin sind die Erbauer dieser Denkmäler verschwunden?« fragte Ayari.

»Ich weiß es nicht«, antwortete ich.

»Fahren wir weiter«, sagte Kisu und tauchte sein Paddel in das stille Wasser. »Was für ein schöner Anblick!« rief Janice.

»Dort an der Pier ist eine Flußgaleere festgemacht«, sagte Ayari.

»Es ist die dritte Galeere«, stellte Turgus fest, »die letzte Galeere Shabas.«

Vor uns, am Ostufer des Sees, erstreckte sich eine gut vierhundert Meter breite und hundert Meter tiefe befestigte Kaimauer. Riesige Poller erhoben sich darauf, daran Eisenringe, an denen Schiffe festgemacht werden konnten. An den hinteren Teil der Kai-Fläche schlossen sich auf voller Breite Treppenfluchten an, die in zahlreichen Etappen nach oben führten. Am Ende dieser Treppen, ein gutes Stück vom Seeufer entfernt, ragten die Ruinen eines mächtigen Bauwerks empor, umgeben von Treppen und weißen Säulen. Dahinter erstreckte sich eine Ruinenstadt, angefüllt mit verwitterten Mauerresten. Von unserer Position aus vermochten wir die Ausdehnung dieser Anlage nicht abzuschätzen. Ein Tharlarion ließ sich von der Kaimauer ins Wasser klatschen. Lianen und andere Gewächse bedeckten das Pflaster.

Hier und dort, besonders links und rechts des großen Gebäudes oben an der Treppe, ragten weitere Kriegerstatuen mit Schilden und Speeren auf.

»Shaba muß hier sein«, stellte Turgus fest.

»Er hat den Quell des Ua als erster erreicht«, sagte Kisu.

Ich wickelte den Schutz von einer Panga und lockerte einen der Speere, die wir vor langer Zeit den Eingeborenen abgenommen hatten.

»Lenken wir das Kanu näher dorthin«, sagte ich. »Wir machen es nahe der Galeere fest.«

»Mein Freund Tarl«, sagte Kisu, »deine lange Reise ist nun endlich zu Ende.«

Ich trat auf den Kai hinaus. Ich steckte mir die Panga in den Hüftgurt. Den Speer hielt ich in der Hand.

»Warum suchst du Shaba?« fragte Turgus. »Deine Augen verraten, daß du das Anliegen eines Kriegers hast.«

»Kümmere dich nicht darum«, antwortete ich.

»Du willst doch Shaba nichts antun, oder?« fragte er weiter.

»Vermutlich wird es erforderlich sein, ihn zu töten.«

»Das kann ich nicht zulassen«, gab Turgus zurück. »Ich stand in Shabas Diensten.«

»Dein Dienst gilt jetzt Kisu und mir«, erwiderte ich.

»Shaba hat mich gut behandelt«, sagte er. »Mir und anderen stellte er frei, ihn zu verlassen.«

»Besitzt du eine Ehre, obwohl du ein Brigant bist?« fragte ich.

»Nenn es, wie du willst«, erwiderte er zornig.

Kisu versetzte Turgus mit dem Speerschaft einen Hieb zwischen die Schulterblätter. Anschließend zerrten wir den halb Betäubten auf den Kai. Dort warf Kisu ihn auf den Bauch und fesselte ihm die Hände hinter dem Rücken. Anschließend steckte er ihm einen Knebel in den Mund.

Ich wandte mich zu den Sklavinnen um, die wir aneinanderfesselten. So begann schließlich unser Marsch. Kisu folgte mir, dicht hinter ihm Ayari, der Turgus an der Fessel mitführte. Ihm schlossen sich die fünf gefesselten Sklavinnen an.

Загрузка...