16

»Zurück!« brüllte ich und schlug mit der Schaufel zu. Die scharfe Kante des Werkzeugs prallte seitlich gegen die Schnauze. Das Wesen fauchte. Das Geräusch ist unglaublich laut – oder hört sich zumindest so an, wenn man ganz in der Nähe steht. Ich bemerkte die spitze Zunge, die aufgedehnten Kiefer, das Maul gut einen Meter hoch, gefüllt mit vielen Reihen nach hinten geneigter Reißzähne.

Es war mir gelungen, den Fuß auf den Unterkiefer zu stellen und mit der Schaufel das Maul aufzustemmen, wodurch das Wesen gezwungen war, Ayaris blutendes Bein loszulassen, der hastig zurückwich. Ich spürte den Zug seiner Halsfessel an der Kette.

Wieder ließ ich die Schaufel vorzucken, diesmal gegen den Oberkiefer, und versuchte das Geschöpf brüllend zurückzudrängen.

Andere Männer rechts von Ayari und links von mir brüllten ebenfalls los und schlugen mit Schaufeln auf den Angreifer ein.

Mit blitzenden Augen wich er zurück, und die krummen, kurzen Beine mit den stummeligen Klauenfüßen schlugen ins Wasser. Der Riesenschwanz fuhr herum, traf einen Mann und schleuderte ihn ein Dutzend Fuß weit zur Seite. Das Wasser ging mir bis zu den Oberschenkeln. Erneut übte ich mit der Schaufel Druck aus. Die durchsichtigen Augenlider des Ungeheuers öffneten und schlossen sich unter den schuppigen Brauen. Wieder fauchte es, und die Zunge leckte Ayaris Blut auf, das im Maul verblieben war.

»Zurück!« rief der Askari in der Sprache der Binnenländer und stieß dem Ungeheuer seine Fackel ins Maul.

Das Tier brüllte vor Schmerzen auf. Dann wand es sich fauchend, zuckend, schwanzpeitschend durch das flache Wasser rückwärts. Augen und Schnauze und die weit geöffneten Nüstern befanden sich über der Wasseroberfläche.

»Fort! Fort!« brüllte der Askari und schwenkte die Fackel. Neben ihm stand ein zweiter Askari, der seine Lanze mit beiden Händen packte und sich brüllend bereithielt, seinem Kollegen zu helfen.

Interessanterweise störte der Zwischenfall die Arbeit kaum. Ich vermochte Hunderte von Arbeitern und Askaris zu sehen, wie auch zahlreiche Flöße, die zum Teil mit Vorräten, mit Baumstämmen und Werkzeugen beladen waren, zum Teil aber auch mit dem Schlamm, den wir aus dem Sumpfgebiet gegraben hatten, Schlamm und Erde, die dazu dienen sollten, die flankierenden Barrikaden aufzuschütten, um dieses Gebiet zu entwässern. Ziel des Unternehmens war es, dann später hier den Kanal auszuheben.

»Alles in Ordnung?« fragte ich Ayari.

Er fegte sich die Fliegen vom Kopf. »Ich glaube, ich bin krank«, sagte er.

Das Wasser rings um sein Bein färbte sich blutigrot.

»Weitermachen!« sagte der Askari mit der Fackel und watete auf uns zu.

»Da bist du aber knapp mit dem Leben davongekommen«, sagte ich zu Ayari.

Er erbrach sich ins Wasser.

»Kannst du arbeiten?« fragte der Askari.

Ayaris Bein schien die Last nicht mehr tragen zu können. Er schwankte und wäre beinahe ins Wasser gefallen. »Ich kann nicht stehen«, sagte er.

Ich stützte ihn.

»Nur gut, daß ich an der Kette der Gauner hänge«, sagte Ayari grinsend. »Nie zuvor war ich so glücklich über meinen Beruf. Wäre ich nicht angekettet gewesen, hätte mich das Biest bestimmt fortgezerrt.«

»Das ist durchaus möglich«, sagte ich.

Ayari stammte aus Schendi und war dort als Dieb verhaftet worden. Man hatte ihn in die Gruppe der Arbeiter gesteckt, die für Bila Huruma am Kanal arbeiten mußten. Schendi nutzte die lästige Verpflichtung, sich mit Arbeitskräften an dem Projekt zu beteiligen, um sich seiner weniger gern gesehenen Bürger zu entledigen. Vermutlich konnte man das dem Kaufmannsrat nicht verübeln. Da er aus Schendi stammte, sprach Ayari natürlich Goreanisch. Für mich war es ein Glück, daß er zugleich die Sprache beherrschte, die am Hof Bila Hurumas gesprochen wurde. Sein Vater war vor vielen Jahren aus einem Dorf des Binnenlandes geflohen, am Nordufer des Ushindi-Sees gelegen. Das Dorf hieß Nyuki und war wegen seines Honigs berühmt. Es war dabei um den Diebstahl mehrerer Melonen vom Feld des Häuptlings gegangen. Sein Vater war etwa fünf Jahre später zurückgekehrt, um seine Mutter zu kaufen. Anschließend hatte die Familie in Schendi gelebt. Zu Hause hatte man sich in der Sprache des Binnenlandes verständigt. Es wird geschätzt, daß fünf bis acht Prozent aller Bürger Schendis die Binnensprache kennen.

»Kannst du arbeiten?« fragte der Askari noch einmal.

Dank Ayaris Unterricht vermochte ich solche einfachen Sätze inzwischen zu verstehen.

Noch mehr beeindruckte mich allerdings Ayaris Fähigkeit, die Botschaften der Trommeln zu entziffern, obwohl behauptet wird, daß dies für jemanden, der die Binnensprache fließend beherrscht, kein großes Problem ist. Ähnlichkeiten zu den wichtigsten Vokallauten der Binnensprache finden sich in bestimmten Trommeltönen, die variiert werden können, indem der ausgehöhlte Trommelstamm an verschiedenen Stellen bearbeitet wird. Natürlich ist der Rhythmus der Trommelbotschaft identisch mit dem Rhythmus der Sprache, da sich mit der Trommel gewissermaßen Vokale und Betonung von Sätzen der Binnensprache nachahmen lassen. Fügte man gewisse zusätzliche Trommelsignale hinzu, die bestimmte andere Zeichen und Konsonantenlaute wiedergeben, so verfügte man über eine raffinierte Möglichkeit, über weite Strecken Informationen zu vermitteln, denn natürlich wurden die Trommelbotschaften über zahlreiche Relaisstationen weitergegeben. So läßt sich mit Hilfe der Trommeln eine Nachricht in weniger als einer Ahn über viele hundert Pasang befördern. Ich muß nicht betonen, daß Bila Huruma dieses Signalgerät übernommen und verbessert hatte, das für die Wirksamkeit seines Militärs und der Verwaltung seines Ubarats von großer Bedeutung war. Als Kommunikationsmittel war es den Rauchzeichen des Nordens eindeutig überlegen. Soweit ich wußte, ließ sich auf Gor nichts damit vergleichen, wenn man einmal von den fortschrittlichen technologischen Geräten absah, die den Priesterkönigen und Kurii zur Verfügung standen, Gerätschaften, die den meisten Goreanern im Rahmen der Waffen- und Kommunikationsgesetze verboten waren. Ich fand es erstaunlich – und nehme an, daß dies für die meisten Goreaner galt, sogar für die Bewohner Schendis –, daß ein Ubarat von der Größe und Entwicklung des Huruma-Reiches im äquatorialen Landesinneren zu existieren vermochte. Eines der erstaunlichsten Anzeichen für den weitreichenden Ehrgeiz dieses Landes war das Projekt, an dem ich hier gegen meinen Willen teilnahm, der visionäre Versuch, die Ushindi- und Ngao-Seen, die gut vierhundert Pasang voneinander entfernt waren, durch einen großen Kanal miteinander zu verbinden, einen Kanal, der den geheimnisvollen Ua-Fluß über den Ngao-See, den Ushindi, dann den Nyoko- und Kamba-Fluß mit dem schimmernden Thassa verbinden würde – eine Verbindung, die der zivilisierten Welt die Reichtümer des Landesinneren erschließen würden, Reichtümer, die sodann durch das Ubarat Bila Hurumas geschafft werden mußten.

»Kannst du arbeiten?« fragte der Askari noch einmal.

»Nein«, antwortete Ayari.

»Dann muß ich dich töten lassen«, stellte der Askari fest.

»Ich habe mich soeben erholt«, sagte Ayari.

»Gut«, meinte der Askari und watete weiter, wobei er seine Fackel hoch über das Wasser hielt. Der zweite Askari, der seine Tharlarionlanze geschultert hatte, begleitete ihn.

Minuten später wurde das Schlammfloß aus Baumstämmen, die mit Lianen verknüpft waren, wieder in unsere Nähe geschoben. Es war beladen mit dem Schlamm, den wir mühsam ausgehoben hatten.

»Kannst du graben?« fragte ich Ayari.

»Nein«, sagte er.

»Ich grabe für dich«, sagte ich.

»Das würdest du tun?« fragte er.

»Ja.«

»Ich grabe selbst.«

»Wie geht es deinem Bein?«

»Es ist noch vorhanden«, antwortete er.

Die meisten Kanalarbeiter waren nicht angekettet. Die meisten waren freie Männer, die zum Dienst gepreßt worden waren.

Wasser, das aus dem Ngao-See abfloß, gelangte in den ausgedehnten Sumpf zwischen Ngao- und Ushindi-See und wanderte von dort über den Kamba- und den Nyoka-Fluß ins schimmernde Thassa, das Meer. Bila Hurumas Ingenieure hatten nun vor, zwei parallele Wälle zu errichten, zwischen fünf und sechs Fuß hoch, etwa zweihundert Meter voneinander entfernt. Das Gebiet zwischen diesen Wällen, von dem das Sumpfwasser mittels der Wälle ferngehalten wurde, sollte dann entwässert und auf den Aushub des eigentlichen Kanals vorbereitet werden. Für diese Arbeit sollten Zug-Tharlarion und riesige Bagger eingesetzt werden, die man aus dem Norden holte, ganz abgesehen von den Heerscharen der Arbeiter. Sollte, wie vermutet wurde, der Zentralkanal nach seiner Fertigstellung nicht ausreichen, den Abfluß aus dem Ngao-See aufzunehmen, plante man die Anlage von Nebenkanälen. Letztlich liefen Bila Hurumas Pläne darauf hinaus, nicht nur die Regenwälder des Landesinneren kommerziell und militärisch zu erschließen und damit das unbekannte System des Ua-Flusses und seiner Zuläufe, sondern auch die Sümpfe zwischen den beiden großen Seen trockenzulegen, ein Territorium von vielen tausend Quadrat-Pasang, das sich irgendwann einmal landwirtschaftlich nutzen ließ. Bila Huruma wollte nicht nur sein Ubarat befestigen, sondern eine ganze Zivilisation gründen.

Ich schlug nach lästigen Insekten.

»Arbeitet!« rief ein vorbeiwatender Askari.

Ich schaufelte eine neue Ladung Schlamm aus dem Sumpf und beförderte sie auf das Floß.

»Arbeitet, arbeitet!« rief der Askari den anderen Gefangenen an unserer Kette zu.

Ich sah mich um, ich schaute auf die vielen hundert Männer, die ich ausmachen konnte. »Ein eindrucksvolles Projekt«, sagte ich zu Ayari.

»Sicher können wir uns freuen, unser Scherflein zu einem so gewaltigen Unternehmen beizutragen«, sagte er nachdenklich.

»Da hast du wohl recht«, erwiderte ich.

»Andererseits wäre ich bereit, meine Rolle in diesem edlen Schauspiel anderen zu überlassen, die würdiger sind als ich.«

»Ich auch«, pflichtete ich ihm bei.

»Grabt!« sagte ein Askari.

Wir schaufelten Schlamm auf das Floß.

»Unsere einzige Hoffnung«, sagte ein Mann zu meiner Linken, der wie Ayari aus Schendi stammte, »sind die feindlichen Eingeborenenstämme dieser Gegend.«

»Eine schöne Hoffnung!« stellte Ayari fest. »Wenn die Askaris nicht wären, würden sie mit ihren tödlichen Messern über uns herfallen.«

»Es muß doch Widerstand gegen den Kanal geben«, sagte ich.

»Zum Beispiel in den Dörfern der Ngao-Region, am Nordufer«, sagte Ayari. »Dort braut sich etwas zusammen.«

»Das ist der bestorganisierte Widerstand«, sagte der Mann links von mir.

»Der Kanal ist teuer. Ich bin sicher, daß er sich in den Ubaratskassen Bila Hurumas unangenehm bemerkbar macht. Daraus folgert, daß es auch am Hofe Unzufriedenheit geben müßte. Ferner dürften die Dörfer etwas dagegen haben, Arbeitskolonnen abstellen zu müssen.«

»Die Bürger Schendis«, sagte Ayari, »sind auch nicht gerade glücklich über das Vorhaben.«

»Sie haben Angst vor Bila Huruma«, stellte ich fest.

»Ja«, sagte Ayari.

»Man sieht die Sache in Schendi mit gemischten Gefühlen«, sagte der Mann zu meiner Linken. »Natürlich brächte es der Stadt auch Vorteile, würde der Kanal vollendet.«

»Das stimmt«, sagte Ayari.

Weiter vorn gab es Geschrei.

Askaris liefen los.

»Heb mich hoch!« sagte Ayari. Er war nicht groß.

Ich setzte ihn mir auf die Schultern.

»Was ist?« fragte der Mann links von mir.

»Nichts«, sagte Ayari. »Eine kleine Gruppe Eingeborene, drei oder vier Mann. Sie haben ihre Speere geworfen und sind geflohen. Die Askaris nehmen die Verfolgung auf.«

Ich setzte Ayari wieder im Wasser ab.

»Ist jemand ums Leben gekommen?« fragte der Mann von links.

»Nein«, antwortete Ayari. »Die Arbeiter haben die Angreifer rechtzeitig gesehen und zogen sich zurück.«

»Gestern nacht«, sagte der Mann, »sind zehn Mann getötet worden.« Er blickte uns an. »Von diesen Opfern war keines angekettet.«

»Es stimmt«, erwiderte Ayari, »daß wir den Eingeborenen hilflos ausgeliefert wären.«

»Ich glaube aber nicht«, warf ich ein, »daß solche Aktionen eine andere Wirkung haben könnten, als die Fertigstellung des Kanals lediglich hinauszuzögern.«

»Ja«, sagte Ayari.

»Könnte man die Arbeitsmannschaften nicht befreien und mit Waffen versehen?« fragte der Mann zu meiner Linken.

»Die Arbeiter bei uns kommen nicht aus den Stämmen, die hier leben«, sagte Ayari. »Du denkst wie ein Mann aus Schendi nicht wie ein Binnenländer.« Ayari deutete auf die Reihen der Männer hinter uns. »Außerdem sind die meisten Männer hier auf ihre Weise getreue Untertanen Bila Hurumas. Wenn ihre Arbeits-Periode beendet ist, kehren sie in ihre Dörfer zurück. Die meisten wären für die nächsten zwei oder drei Jahre vor einer erneuten Arbeitsverpflichtung sicher.«

»Ah!« sagte der Mann links von mir angewidert.

»Es gibt zwei klare Möglichkeiten, Bila Huruma aufzuhalten«, sagte Ayari. »Man müßte ihn im Kampf besiegen. Oder ihn umbringen.«

»Die erste Möglichkeit«, sagte ich, »kommt mir ziemlich unwahrscheinlich vor, wenn ich mir seine Armee und ihren Ausbildungsstand ansehe. In diesem Terrain gibt es nichts, was im offenen Kampf gegen seine Streitmacht eine Chance hätte.«

»Vergiß die Rebellen am Nordufer des Ngao-Sees nicht!« wandte der Mann ein.

»Wieso sind das Rebellen?« fragte ich.

»Bila Huruma beansprucht nach den Entdeckungen Shabas alle Gebiete im Bereich des Ngao-Sees. Wer sich ihm widersetzt, ist folglich ein Rebell.«

»Ah, jetzt verstehe ich!« sagte ich. »Die Feinheiten der Staatskunst sind mir manchmal nicht ganz begreiflich.«

»Im Grunde ist es ganz einfach«, sagte Ayari. »Man legt fest, was man beweisen will, und arrangiert dann die eigenen Prinzipien so, daß die gewünschte Schlußfolgerung sich als demonstrierbare Folge ergibt.«

»Aha«, sagte ich.

»Die Logik ist so neutral wie ein Messer«, bemerkte er.

»Aber was ist mit der Wahrheit?« wollte ich wissen.

»Die Wahrheit macht schon mehr Kummer«, räumte er ein.

»Ich glaube, du gäbst einen ausgezeichneten Diplomaten ab«, sagte ich.

»Ich bin mein ganzes Leben lang ein Betrüger und Scharlatan gewesen«, sagte Ayari. »Da würde es also gar keine Veränderung geben.«

»Vor fünf Tagen«, sagte der Mann links von mir, »sind Hunderte von Askaris in Kanus an uns vorbeigefahren, und zwar nach Osten. Das war, ehe du zu uns an die Kette kamst.«

»Und was hatten sie vor?«

»Sich den Rebellenstreitkräften Kisus zum Kampf zu stellen, des früheren Mfalme der Ukungu-Dörfer.«

»Wenn sie Erfolg haben«, sagte Ayari, »ist es mit dem organisierten Widerstand gegen Bila Huruma vorbei.«

»Sie werden siegen«, sagte der Mann.

»Warum hast du gesagt, ›des früheren Mfalme‹?« wollte ich wissen.

»Bila Huruma«, erklärte er, »das ist allgemein bekannt, hat die Häuptlinge der Ukunga-Region bestochen. Ihr Rat hat Kisu abgesetzt und den eigenen Anführer, einen Mann namens Aibu, an die Macht gebracht. Daraufhin zog sich Kisu mit etwa zweihundert Kriegern, die ihm treu ergeben waren, in die Sümpfe zurück, um seinen Kampf gegen Bila Huruma fortzusetzen.«

»In der Kunst der Politik ist Gold heimtückischer als Stahl«, sagte Ayari selbstgefällig.

»Er wollte in den Wäldern verschwinden und dort weiterkämpfen«, sagte ich.

»Der Krieg im Wald«, sagte Ayari, »bringt nur etwas, wenn es gegen einen schwachen oder fairen Gegner geht. Dem schwachen Feind fehlt die Kraft, die Waldbevölkerung auszulöschen. Der faire Feind wird so etwas nicht tun. Leider dürfte Bila Huruma weder schwach noch fair sein.«

»Aber er muß doch irgendwie aufgehalten werden«, sagte ich.

»Vielleicht kann man ihn umbringen«, meinte Ayari …

»Sicher wird er gut bewacht«, meinte der Mann zu meiner Linken.

»Sicher«, sagte Ayari.

»Unsere einzige Hoffnung ist also ein Sieg von Kisus Armee«, sagte der Mann.

»Vor fünf Tagen«, sagte Ayari, »sind die Askaris in den Osten gefahren, um sich ihm zum Kampf zu stellen.«

»Vielleicht hat die Schlacht inzwischen stattgefunden«, mutmaßte der Mann.

»Nein«, sagte ich. »Dazu ist es bestimmt zu früh.«

»Warum?« wollte Ayari wissen.

»Kisus Streitmacht befindet sich zahlenmäßig erheblich im Nachteil«, sagte ich. »Er würde sich die bestmögliche Position aussuchen müssen. Den Zeitpunkt der Auseinandersetzung müßte er sich sorgfältig überlegen.«

»Es sei denn, der Kampf würde ihm aufgezwungen«, sagte Ayari.

»Wie sollte das geschehen?« fragte ich.

»Du darfst die Tüchtigkeit der Askaris des Bila Huruma nicht unterschätzen«, sagte Ayari.

»Du redest«, sagte ich, »als handelte es sich um Berufssoldaten unter ganz straffer Generalsführung, erfahren im Kundschaften, im Umgehen, im Abschneiden des Rückzugs.«

»Hört doch!« sagte Ayari. Er hob die Hand.

»Ich höre es«, sagte ich. »Weißt du, was das ist?«

»Still!« forderte Ayari. »Ich horche!«

Die Laute waren noch etwa zwei Pasang entfernt und kamen näher. Gleich darauf wurde die Botschaft jedoch hinter uns aufgegriffen, etwa vier Pasang weiter unten an der Baustelle, zum Ushindi-See hin. Von Station zu Station würde die Nachricht dann schnell in den Graspalast Bila Hurumas weiterwandern.

»Die Streitkräfte Kisus sind im Kampf besiegt worden«, sagte Ayari. »So lautet die Trommelbotschaft.«

Ringsum hoben Askaris die Waffen über die Köpfe und schrien ihre Freude hinaus.

Weiter unten am Kanalaushub stimmten andere Männer ein stolzes Geschrei an, und viele schwangen ihre Schaufeln.

»Seht doch!« sagte Ayari.

Schon war das Wasserfahrzeug auszumachen – eine flache entmastete Barke. Sie wurde von vielen Dutzend Männern geschleppt, die, in ihre Seile gestemmt, durch den Sumpf wateten. Sie trugen Sklavenkragen. In Gruppen zu acht oder zehn Mann waren sie am Hals zusammengekettet. Flankiert wurden sie von Askaris, einige zu Fuß, andere in Kanus fahrend. Die Askaris waren in Siegerlaune und boten in ihren Fellen und prächtigen Federn und Hals- und Armreifen einen großartigen Anblick. Sie schwangen die schmalen pelzgesäumten Schilde und kurzen Stoßspeere. Auf dem Vorderdeck der Barke hatte man eine Baumtrommel installiert. Darauf ließ ein Askari mit zwei langen Schlegeln immer wieder die Siegesnachricht erklingen. Zahlreiche weitere Askaris fuhren an Bord der Barke mit, vorwiegend Offiziere, wie man an der Anordnung ihres Gold und Federschmucks erkennen konnte – Rang-Symbole, die ich allerdings nicht im einzelnen zu deuten wußte. Der Barke folgten, teils zu Fuß, teils in Kanus, gut tausend Askaris. Anstelle des Masts der Barke war eine Art T-Gebilde angebracht, daran hatte man einen Mann angekettet. Die Arme lagen über und hinter der Querstrebe des Gebildes, die Hände von einer Kette gesichert, die vor seinem Körper herumführte und ihn festhielt. Seine Füße ruhten auf einer kleineren Querstrebe weiter unten. Die Beine hatte man ihm ebenfalls mit einer Kette umwickelt. Es war ein großer Mann, dessen Haut zahlreiche Tätowierungen aufwies. Anscheinend war er verwundet und offensichtlich auch reichlich geschunden worden. Zuerst hielt ich ihn für tot, doch als die Barke näherkam, sah ich, wie er – anscheinend durch das Geschrei aufmerksam gemacht – den Kopf hob. Sofort richtete er sich auf und gab sich stolz, so gut er es vermochte, den Kopf erhoben, den Blick offen auf uns gerichtet.

Die Askaris richteten ihre Speere auf ihn, drehten sich zu uns um und brüllten etwas.

Es gab keinen Zweifel, welchen Namen sie brüllten.

»Kisu!« riefen sie. »Kisu! Kisu!«

»Es ist Kisu«, sagte Ayari.

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