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»Kannst du die Botschaft der Trommeln entziffern?« fragte ich. »Ayari? Kisu?«

»Nein«, antwortete Ayari.

»Nein«, sagte auch Kisu.

»Der Rhythmus der Trommeln weist weder auf die Ushindi- noch auf die Ukungu-Sprache hin«, sagte Ayari.

Vor zwei Tagen hatten wir das Land der kleinen Menschen verlassen, in dem wir Turgus wiedergefunden und zwei neue Sklavinnen in unserer Gruppe aufgenommen hatten.

Eine Ahn später waren die Trommeln noch immer zu hören, vor uns wie auch hinter dem Boot.

»Weiterpaddeln«, sagte ich zu Janice.

»Ja, Herr«, antwortete sie.

Wir hatten neue Paddel geschnitzt, damit jedes Mitglied unserer Gruppe mit zupacken konnte. Sollte es erforderlich sein, schnell davonzuziehen, sollte jeder, der im Boot saß, mit seinen Körperkräften zur Arbeit beitragen können. Normalerweise jedoch paddelten jeweils nur vier oder fünf von uns, zwei Männer und zwei oder drei Sklavinnen. Auf diese Weise hatten wir nicht nur stets eine frische Mannschaft in der Hinterhand, sondern konnten auch eine längere Zeit des Tages auf dem Fluß verbringen. Neben den neuen Paddeln für Turgus und die beiden neuen Sklavinnen hatte Kisu ein Ersatzpaddel geschnitzt, so daß wir insgesamt zwei Paddel in Reserve hatten – eine durchaus übliche Vorsichtsmaßnahme auf dem Fluß.

Ayari sah sich um und lauschte auf die Trommeln. »Der Dschungel lebt«, sagte er.

Plötzlich schrie Alice auf: »Seht doch!« rief sie und streckte den Arm aus. Über dem Wasser baumelte, am Hals aufgehängt, ein Mann. Er war mit blauen Fetzen bekleidet, die darauf hinwiesen, daß er einmal der Kaste der Schriftgelehrten angehört hatte.

»Ist es Shaba?« fragte Kisu.

»Nein«, erwiderte ich.

»Es ist einer seiner Männer«, sagte Turgus ernst.

»Dort ist noch einer!« rief Alice. Etwa hundert Meter hinter dem ersten Gehängten erblickten wir auf der gleichen Flußseite einen zweiten Toten. Er baumelte ebenfalls an einem Ast. Er trug zerfetzte braungrüne Kleidung.

»Der gehörte ebenfalls zu Shabas Leuten«, stellte Turgus fest. »Ich halte es für ratsam umzukehren.«

Aus dem Dschungel dröhnten die Trommeln. Ihr Klang schien aus allen Richtungen zu kommen.

»Weiter«, sagte ich.

Innerhalb weniger Ehn kamen wir an sechs weiteren Toten vorbei.

»Schaut, dort am Ufer!« rief Ayari.

Wir lenkten das Kanu zum Ufer und zogen es zwischen Wurzeln und Unterholz an Land.

»Das ist eine von Shabas Galeeren, oder?« wandte ich mich an Turgus.

»Ja«, antwortete er. Das Holz war zum Teil verbrannt. Die Schiffswandung wies Einkerbungen auf, die von Waffen stammen mußten. In den Kiel waren mit Pangas oder Äxten große Löcher geschlagen worden. Überall lagen zerbrochene Ruder.

»Ich glaube nicht, daß Shaba seine Expedition von hier aus noch fortgesetzt hat«, meinte Turgus.

Die beiden neuen Sklavinnen, das blonde und das dunkelhaarige Mädchen, blieben im Kanu. Sie hatten die Paddel quer über die Bordwände gelegt und beugten sich erschöpft darüber.

»Es waren ursprünglich drei Galeeren«, sagte ich.

»Der Klang der Trommeln gefällt mir gar nicht«, warf Ayari ein.

»Ja, es waren drei Galeeren«, sagte Turgus nachdenklich.

»Wir haben weiter unten am Fluß Wrackteile der ersten Galeere gefunden, dies wäre also die zweite.«

»Ich kann mir aber nicht vorstellen, daß Shaba weiter flußaufwärts gezogen ist«, meinte Turgus. »Hör dir doch die Trommeln an.«

»Es gab eine dritte Galeere«, stellte ich fest.

»Ja«, sagte Turgus.

»Meinst du, Shaba würde umkehren?« fragte ich.

»Er war krank«, erwiderte Turgus. »Zweifellos hat er viele Männer verloren. Welche Hoffnung wäre ihm noch geblieben?«

»Glaubst du, er würde umkehren?« wiederholte ich.

»Nein.«

»Dann fahren wir weiter«, bestimmte ich.

Wir kehrten zum Kanu zurück und schoben es in das bewegte Wasser des breiten Ua-Flusses.

Im Laufe der nächsten Ahn kamen wir an über sechzig Gehängten vorbei, die am Flußufer einen grausigen Anblick boten. Shaba aber war nicht darunter. Um einige Leichen kreisten Aasvögel, manchen Toten hatten sich bereits die kleinen gelbflügeligen Jards auf die Schultern gesetzt. Ein Mann wurde sogar von Zads angegriffen, die sich mit ihren langen gelben Schnäbeln daran zu schaffen machten. Es waren Dschungel-Zads, die weniger gefährlich sind als die Wüsten-Zads, da sie im allgemeinen weniger aggressiv auftreten.

»Vielleicht geht es in der Botschaft der Trommeln gar nicht um uns«, meinte ich.

»Warum sagst du das?« fragte Ayari.

»Als wir sie zuerst hörten, kamen sie aus der Ferne, von oben am Fluß. Die Botschaft, worum es sich dabei auch handeln mochte, wurde dann flußabwärts weitergegeben.«

»Und wie sähe diese Botschaft aus?« fragte Ayari.

»Ich fürchte«, warf Turgus ein, »sie betrifft die Vernichtung Shabas.«

»Was meinst du, Kisu?« fragte ich.

»Ich finde, du hast recht – der Ruf der Trommeln betrifft nicht uns«, antwortete Kisu, »und zwar aus den von dir genannten Gründen. Ich meine aber, wenn es dabei um die Vernichtung Shabas ginge, dann hätten wir auch schon gestern und vorgestern Getrommel hören müssen, als vermutlich die zweite Galeere zerstört wurde. Warum sollten die Trommeln erst jetzt zu sprechen beginnen?«

»Dann lebt Shaba vielleicht noch«, sagte ich.

»Wer weiß?« fragte Kisu.

»Was bedeutet also das Getrommel?« ließ Ayari nicht locker.

»Ich glaube, ich weiß es«, sagte ich.

»Ich ahne es ebenfalls«, sagte Kisu mit ernstem Gesicht.

»Hört doch!« rief Ayari. Wir hörten auf zu paddeln.

»Ja«, sagte ich.

»Ja«, sagte auch Kisu.

Von vorn war leiser Gesang zu hören, der über das Wasser herangeweht wurde.

»Schnell!« sagte ich. »Führen wir das Kanu nach links, die Flußinsel dort bietet uns Deckung!«

Wir lenkten das Kanu mit schnellen Paddelschlägen zu einer länglichen Flußinsel, einem schmalen, bewaldeten Streifen, an dem zu beiden Seiten in ruhigem Tempo der breite Ua entlangströmte.

Kaum hatten wir das Kanu angelandet und ins Unterholz gezogen, als die ersten von vielen Kanus um die Südspitze der Insel kamen.

»Unglaublich!« flüsterte Ayari.

»Runter, ihr Sklavinnen«, befahl ich den beiden neuen Mädchen, die sich prompt im Boot niederkauerten. Wir übrigen lagen im Gras der Insel und betrachteten das Schauspiel.

»Wie viele sind das wohl?« fragte Ayari.

»Unzählige«, antwortete ich.

»Das hatte ich gehofft«, sagte Kisu.

Hunderte von Kanus kamen an der kleinen Insel vorbei. Es handelte sich um lange Kriegskanus, die fünfzehn bis zwanzig Mann Platz boten. Sie paddelten im exakten Takt und sangen dabei. Die Männer hatten sich mit bunten Federn geschmückt. Ihre Körper waren mit wilden Zeichen in weißer und gelber Farbe bedeckt.

»Der Anführer der kleinen Menschen erzählte mir davon«, sagte ich. »Dies ist die Streitmacht der Flußvölker, die sich zum Kampf zusammengefunden hat.«

Noch immer glitten die Kanus an uns vorbei. Wir hörten im Hintergrund die Trommeln, die weiter ihre Botschaft verbreiteten. Sie vermochten das Singen nicht mehr zu übertönen.

Nach etwa einer halben Ahn waren die letzten Kanus den Fluß hinab verschwunden.

Kisu und ich standen auf. Tende folgte unserem Beispiel.

»Nun also«, sagte ich zu Kisu, »es sieht so aus, als hättest du Bila Huruma in sein Verhängnis gelockt. Er ist dieser Armada mindestens zehn zu eins unterlegen. Diesen Zusammenstoß kann er nicht überleben. Dein Plan scheint sich zu erfüllen. In deiner Auseinandersetzung mit dem Ubar scheinst du nun doch den Sieg davonzutragen.«

Kisu blickte den Fluß hinab. Dann legte er Tende den Arm um die Schulter. »Heute nacht werde ich dich nicht mehr fesseln, Tende«, sagte er.

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