John Norman Die Erforscher von Gor

1

Sie war wunderschön.

Sie kniete an dem niedrigen kleinen Tisch, hinter dem ich saß. Wir befanden uns im großen Saal des Samos, der uns, ebenfalls im Schneidersitz hockend, Gesellschaft leistete. Es war früher Abend in Port Kar, und ich hatte mit Samos gegessen, dem Ersten Kapitän des Kapitänsrates, jener hohen Vereinigung, die in Port Kar die Macht innehatte. Brennende Fackeln erleuchteten den großen Raum, der das riesige Landkartenmosaik enthielt.

Das Abendessen war uns von der Sklavin gebracht worden, die jetzt in unserer Nähe kniete.

Ich betrachtete sie. Sie trug eine einteilige Reptuch-Tunika, an den Beinen hoch eingeschnitten, um sie besser zur Geltung zu bringen, um den Hals einen Schließkragen aus Stahl und am Bein das Brandzeichen, das übliche Kajira-Zeichen Gors, der erste Buchstabe des Wortes Kajira, etwa anderthalb Zoll hoch und einen halben Zoll breit.

»Haben die Herren noch Wünsche an Linda?« fragte das Mädchen.

»Nein«, antwortete Samos.

Mit gesenktem Kopf zog sie sich zurück. Sie nahm das kleine Tablett von dem Gestell am Tisch. Es enthielt das Gefäß mit dem dicken süßen Likör aus dem fernen Turia, dem Ar des Südens, und die beiden winzigen Gläser, aus denen wir getrunken hatten. Ebenfalls stand darauf das Metallgefäß, in dem sich der dampfende, bitter schmeckende Wein des fernen Thentis befunden hatte, einer Stadt, die berühmt war wegen ihrer Tarn-Schwärme. Außerdem befanden sich darauf die dazugehörigen Trinkgefäße wie auch die weichen, feuchten Tücher, mit denen wir uns die Hände abgewischt hatten.

Es war eine vorzügliche Mahlzeit gewesen.

Sie stand auf, das Tablett in den Händen. Der schimmernde Kragen schmiegte sich ihr an den Hals.

Ich erinnerte mich, daß sie vor etlichen Monaten noch einen einfachen Eisenkragen getragen hatte, von brutalen Hammerschlägen festgemacht.

Sie blickte Samos an. Ihre Lippen bebten.

Sie war das Mädchen, welches die Botschaft der Scytale ins Haus des Samos gebracht hatte, ein speziell markiertes Haarband, das man um einen Speerschaft wickeln mußte, um die Nachricht sichtbar werden zu lassen. Zarendargar, auch Halb-Ohr genannt, Kriegsherr der Kurii, hatte mir ausrichten lassen, daß er mich am ›Ende der Welt‹ sehen wolle. Meine Vermutung, daß er damit den Pol der nördlichen Gor-Halbkugel gemeint hatte, erwies sich als richtig. An jenem Ort war ich Halb-Ohr in einem riesigen Komplex entgegengetreten, in einem ausgedehnten Versorgungsdepot, das Waffen, Treibstoff und andere Vorräte enthielt, mit denen die geplante Invasion Gors, der Gegenerde, unterstützt werden sollte.

Das Mädchen, das uns heute abend bedient hatte, wußte damals nicht, daß es eine Botschaft beförderte.

Wie anders erschien sie mir heute! Als sie in Samos’ Haus gebracht wurde, trug sie noch die barbarische Kleidung der Erde, jene männerimitierende Aufmachung, die so sehr von ihrer Weiblichkeit ablenkte. Samos hatte die Bedeutung des Halsbandes sofort erkannt und mich aufgefordert zu kommen. Ich hatte das Mädchen ebenfalls verhört, das damals nur Englisch verstand. Ich wußte noch, wie arrogant sie gewesen war, bis sie erfuhr, daß sie sich nicht mehr unter Männern befand, wie sie sie von der Erde gewohnt war. Samos hatte sie in den Keller bringen und brandmarken lassen, und dann hatten sich die Wächter mit ihr vergnügt. Ich hatte gedacht, er würde sie verkaufen, doch er hatte sie behalten. Sie war bei ihm im Haus geblieben und wußte inzwischen, was es bedeutete, den Kragen zu tragen.

»Du kannst dich zurückziehen«, sagte Samos zu dem Mädchen.

»Herr!« flehte sie mit tränenerstickter Stimme.

Vor wenigen Monaten hatte sie das Goreanische noch nicht beherrscht, jetzt sprach sie es fließend und in allen Nuancen. Mädchen stellen sich schnell auf die Sprache ein, die ihr Herr spricht.

Samos blickte zu ihr auf. »Bring die Sachen in die Küche und erwarte meine weiteren Befehle«, sagte er.

»Ja, Herr«, erwiderte sie und wandte sich ab.

Samos war sicher einer der strengsten Männer auf Gor. Das Mädchen hatte einen rücksichtslosen, wenig kompromißbereiten Herrn gefunden.

»Aber sprechen wir nicht mehr von Sklavinnen«, sagte ich, »die dem Vergnügen der Männer dienen, sondern von ernsteren Dingen!«

»Einverstanden«, meinte er. »Es gibt allerdings wenig Neues zu berichten.«

»Die Kurii sind sehr ruhig«, sagte ich.

»Ja.«

»Hüte dich vor einem ruhigen Feind!« sagte ich lächelnd.

»Natürlich.«

»Es ist ungewöhnlich, daß du mich in dein Haus einlädst, um mir zu sagen, daß du mir nichts mitzuteilen hast.«

»Meinst du, du bist der einzige, der ab und zu im Interesse der Priesterkönige tätig ist?«

»Wohl nicht«, gab ich zurück. »Aber was soll die Frage?«

»Wie wenig wir doch von unserer Welt wissen!« seufzte Samos.

»Ich verstehe nicht, was du meinst.«

»Erzähl mir, was du über den Cartius weißt.«

»Eine wichtige subäquatoriale Wasserstraße«, erklärte ich. »Er verläuft in nordnordwestlicher Richtung, durchströmt die Regenwälder und mündet in den Ushindi-See, von dem dann die Flüsse Kamba und Nyoka abzweigen. Der Kamba mündet direkt ins Thassa. Der Nyoka mündet in den Hafen der Stadt Schendi und fließt von dort weiter ins Thassa.« Schendi war ein Freihafen in der Äquatorzone Gors und auf dem ganzen Planeten bekannt. Es war zugleich der Heimathafen der Liga der Schwarzen Sklavenhändler.

»Es wurden einmal Mutmaßungen angestellt, der eigentliche Cartius sei ein Zufluß des Vosk«, bemerkte Samos.

»So hat man mir erzählt«, bemerkte ich.

»Wir wissen inzwischen aber, daß der Thassa-Cartius und der subäquatoriale Cartius nicht ein und derselbe Fluß sind.«

»Man hatte angenommen und auf zahlreichen Landkarten festgehalten«, sagte ich, »daß der subäquatoriale Cartius nicht nur in den Ushindi-See mündet, sondern im Norden wieder hervortritt und das geneigte Flachland im Westen durchquert, um bei Turmus in den Vosk zu münden. Turmus war der letzte große Flußhafen am Vosk, ehe die beinahe unüberwindlichen Sümpfe des Mündungsdeltas begannen.

Der schwarze Geograph von der Insel Anango hatte berechnet, daß die beiden Flüsse in Anbetracht der Höhenunterschiede nicht identisch sein können. Sein Schüler Shaba war der erste, der den Ushindi-See umfuhr. Er stellte fest, daß der Cartius – wie bekannt – in den Ushindi-See mündet, daß aber nur zwei Flüsse diesen See wieder verlassen, der Kamba und der Nyoka. Die Quelle des Vosk-Nebenflusses, jetzt Thassa-Cartius geheißen, wurde fünf Jahre später von dem Forscher Ramus von Tabor gefunden, der sich neun Monate lang mit seiner kleinen Expedition unter den Flußstämmen umtat und über die sechs Katarakte hinaus in das Ven-Hochland vordrang. Der Thassa-Cartius entwässert mit seinen Nebenflüssen dieses Hochgebiet und die davon abfallenden Ebenen.«

»Das weiß ich seit gut einem Jahr«, sagte ich. »Warum sprichst du jetzt davon?«

»Wir wissen ja so viele Dinge nicht«, sagte Samos nachdenklich.

Ich zuckte die Achseln. Es gab auf Gor noch viele Gebiete, die unerforscht waren. Nur wenige Menschen kannten sich beispielsweise in den Territorien östlich der Voltai- und Thentisberge aus oder westlich der entlegeneren Inseln bei Cos und Tyros. Noch unbefriedigender war natürlich der Umstand, daß noch nördlich Schendis, im Süden des Vosk und westlich Ars weite, unerschlossene Gebiete lagen. »Es gab gute Gründe anzunehmen, daß der Cartius über den Ushindi-See zum Vosk führt«, sagte ich.

»Ich weiß«, gab Samos zurück. »Die Tradition – und die Richtung, die die Flüsse nahmen. Wer hätte in den Städten schon begreifen können, daß es nicht ein und derselbe Strom war?«

»Selbst die Bootsführer auf dem subäquatorialen Cartius und jene des weit im Norden liegenden Thassa-Cartius dachten, es wäre nur ein Fluß.«

»Ja«, sagte Samos. »Bis Ramani seine Berechnungen anstellte und Shaba und Ramus ihre Expeditionen durchführten – wer hätte da Grund gehabt, etwas anderes anzunehmen?«

»Die Regenwälder haben den meisten zivilisierten Menschen den echten Cartius von Süden her verschlossen«, sagte ich, »und was an Handel getrieben wurde, beschränkte sich auf die Ubarate am Südufer des Ushindi-Sees. Damals begnügte sich der Handel damit, das Thassa über den Kamba oder den Nyoka zu erreichen.«

»Niemand fand eine Notwendigkeit, von Ushindi aus eine Nordwestpassage zu finden«, sagte Samos.

»Zumal man die Feindseligkeit der Stämme an jenem Fluß kannte, der jetzt Thassa-Cartius genannt wird.«

»Gewiß«, meinte Samos.

»Aber sicher hat man doch vor der Expedition Shabas nach dem Austritt des Cartius aus dem Ushindi-See gesucht«, meinte ich.

»Womöglich sind solche Kundschafter von den Stämmen am Nordufer des Sees erschlagen worden«, bemerkte Samos.

»Wie kommt es dann, daß Shabas Expedition erfolgreich gewesen ist?«

»Hast du schon einmal von Bila Huruma gehört?« fragte Samos.

»Flüchtig.«

»Er ist ein schwarzer Ubar«, erklärte Samos, »blutrünstig und genial, ein mächtiger, weitblickender Mann, der am Südufer des Ushindi sechs Ubarate vereinigte – mit Hilfe von Messer und Speer. Sein Reich erstreckt sich inzwischen bis zum Nordufer, wo er der Konföderation der hundert Dörfer Tribut, Kailiauk-Zähne und Frauen abfordert. Shabas neun Boote trugen an ihren Masten solche haarigen Schilde, wie Bila Hurumas Abgesandte sie als Amtszeichen verwenden.«

»Damit war ihre Sicherheit garantiert«, sagte ich.

»Sie wurden mehrmals angegriffen«, fuhr Samos fort, »kamen aber mit dem Leben davon. Ich meine allerdings auch, daß sie ohne die Autorität Bila Hurumas ihre Mission nicht hätten vollenden können.«

»Bila Hurumas Einfluß an der Nordküste ist also groß, aber nicht allumfassend«, stellte ich fest.

»Und es gibt großen Widerstand dagegen«, stellte Samos fest, »und zwar zu schließen aus der Tatsache, daß auf Shabas Expedition Überfälle verübt wurden.«

»Er muß ein mutiger Mann sein«, meinte ich.

»Es gelang ihm, sechs Boote durchzubringen und den größten Teil seiner Leute.«

»Ich finde es beeindruckend«, sagte ich, »daß ein Mann wie Bila Huruma daran interessiert war, eine geographische Expedition zu unterstützen.«

»Es ging ihm darum, die Nordwestpassage zu finden«, meinte Samos. »Das hätte ihm etliche neue Märkte erschlossen, es hätte allgemein die Wirtschaft gefördert, weil sich nämlich für die Waren des Nordens und die Produkte des Südens ein wertvoller neuer Handelsweg geöffnet hätte.«

»Damit ließe sich natürlich auch die Gefahr einer Verschiffung auf dem Thassa vermeiden«, fügte ich hinzu, »und … nun ja … das Tor aufstoßen für die Eroberung neuer Territorien!«

»Ja«, sagte Samos und ergänzte: »Du denkst wie ein Krieger.«

»Shabas Arbeit aber«, fuhr ich fort, »ergab doch, daß eine solche Passage nicht existiert.«

»Ja«, entgegnete Samos. »Das ist ein Ergebnis seiner Expedition. Wenn du aber schon nichts über die Rolle Bila Hurumas in dieser Angelegenheit weißt, so hast du doch sicher von den weiteren Entdeckungen Shabas gehört.«

»Im Westen des Ushindi-Sees gibt es Flutgebiete und Sümpfe, durch die erhebliche Wassermengen in den See abgegeben wurden. Unter erheblichen Mühen, unter Beschränkung auf vierzig Männer und zeitweise nur zwei Boote, die in Richtung Osten durch die Sümpfe mehr gezerrt und geschoben werden mußten, erreichte Shaba nach zwei Monaten das Westufer eines Sees, den wir inzwischen als Ngao-See kennen.«

»Ja«, sagte Samos.

»Er ist so groß wie der Ushindi-See, wenn nicht gar größer«, sagte ich, »der zweite der großen Äquatorseen.«

Es mußte ein großartiger Moment für Shaba und seine Leute gewesen sein, als sie nach langen Mühen ihre Schiffe zur Weite des Ngao-Sees transportiert hatten. Anschließend waren sie erschöpft zu den restlichen Booten und Leuten zurückgekehrt, die am Ostufer des Ushindi-Sees auf sie gewartet hatten.

»Shaba setzte die Umfahrung des Ushindi-Sees sodann fort«, erklärte Samos. »Zum ersten Mal erfaßte er die Mündung des eigentlichen Cartius, des subäquatorialen Cartius, auf einer Karte. Anschließend fuhr er weiter nach Westen, bis er die sechs Ubarate und das Kernreich Bila Hurumas erreichte.«

»Zweifellos wurde er dort wie ein Held begrüßt«, bemerkte ich.

»Ja«, gab Samos zurück, »und das ist kein Wunder.«

»Im nächsten Jahr«, fuhr ich fort, »begab er sich mit elf Booten und tausend Leuten auf eine neue Expedition, die, so darf ich vermuten, von Bila Huruma finanziert wurde, mit dem Ziel, den Ngao-See auf ähnliche Weise zu erfassen.«

»Genau«, sagte Samos.

»Und dort stellte er fest, daß der Ngao-See unglaublicherweise lediglich durch einen großen Fluß an seinem Ostende gespeist wurde. Dieser Strom war so breit, daß er sogar dem Vosk den Rang streitig machen konnte – ein Fluß, den Shaba Ua nannte.«

»Ja«, bestätigte Samos.

»Wegen seiner zahlreichen Stromschnellen und Katarakte ist er allerdings unpassierbar.«

»Es ist unbekannt«, bestätigte Samos, »wie ausgedehnt diese Hindernisse sind oder ob Straßen oder Nebenkanäle angelegt werden können.«

»Shaba vermochte dem Fluß mit seinen Männern und Booten nur ungefähr hundert Pasang weit zu folgen«, sagte ich, »mußte jedoch vor großen Katarakten umkehren.«

»Die Bila Huruma-Fälle, wie er sie taufte«, äußerte Samos.

»Die Boote waren zu groß zum Tragen.«

»Sie waren auch nicht darauf eingerichtet, auseinandergenommen zu werden«, berichtete Samos. »So zwangen die Steilheit des Geländes, der Dschungel und die Feindseligkeit einiger Binnenstämme zum Rückzug.«

»Die Expedition des Shaba kehrte daraufhin zum Ngao-See zurück, beendete die Umschiffung und fuhr später durch die Sümpfe zum Ushindi-See und in die sechs Ubarate zurück.«

»Ja«, äußerte Samos.

»Ein bemerkenswerter Mann«, stellte ich fest.

»Sicherlich einer der führenden Geographen und Forscher Gors«, meinte Samos, »und ein Mann, dem höchstes Vertrauen entgegengebracht wird.«

»Ach?«

»Shaba ist Agent der Priesterkönige.«

»Das wußte ich nicht«, erwiderte ich.

»Du mußt doch ab und zu vermutet haben, daß auch andere der Sache der Priesterkönige dienen.«

»Davon ausgehen mußte ich schon«, entgegnete ich. Allerdings hatte ich Samos in dieser Angelegenheit nie bedrängt. Es erschien mir besser, nicht von zu vielen Agenten der Priesterkönige zu wissen. Im allgemeinen arbeiteten wir unabhängig voneinander – eine grundsätzliche Sicherheitsmaßnahme. Sollte einer von uns gefangen und gefoltert werden, konnte er im Notfall nicht verraten, was er nicht wußte. Natürlich war mir bekannt, daß die meisten Agenten vordringlich Beobachtungen vornahmen und Informationen sammelten. Das Haus des Samos war ein Hauptquartier, zu dem die meisten dieser Agenten direkt oder indirekt Bezug hatten und dem sie Bericht erstatteten. Von hier wurde die Tätigkeit zahlreicher Agenten geleitet und koordiniert. Zugleich war es eine Sammelstelle für Informationen, die in bearbeiteter Form ins Sardargebirge weitergeleitet wurden.

»Warum erzählst du mir das alles?« fragte ich.

»Komm mit!« forderte Samos mich auf und verließ seinen Platz.

Er führte mich aus dem Zimmer. Ich folgte ihm. Wir kamen an den Wächtern vorbei, die an der Tür des großen Saals standen. Samos sagte nichts weiter. Ich folgte ihm mehrere Minuten lang. Er schritt durch etliche große Säle und stieg dann über Rampen und Treppen in die Tiefe. An verschiedenen Punkten, meistens vor Portalen, wurden Zeichen und Gegenzeichen ausgetauscht. An den dicken Wänden begann sich Feuchtigkeit zu zeigen. Immer tiefer drangen wir in die Unterwelt des Bauwerks vor, wobei wir zuweilen Gänge beschritten, die über Käfige hinwegführten. Die hübschen Bewohnerinnen dieser Käfige blickten erschrocken zu uns empor. In einem Korridor kamen wir an zwei nackten Mädchen vorbei, die auf Händen und Knien den Boden schrubbten, bewacht von einem Mann mit Peitsche. In immer tiefere Ebenen führte unser Weg – dabei offenbarte sich uns die ganze Welt des Sklavenhandels.

Es dauerte nicht mehr lange, da hatten wir das unterste Kellergeschoß erreicht, eine Ebene schärfster Sicherheit für die Gefangenen. An den Mauern rieselte Wasser herunter. Hier und dort blinkten Pfützen zwischen den Bodenplatten. Eine Urt verschwand in einer Maueröffnung.

Samos blieb vor einer dicken Eisentür stehen; ein schmaler Fensterschlitz wurde geöffnet, und Samos äußerte die Losung dieses Abends und erhielt die passende Antwort. Die Tür öffnete sich. Zwei Wächter standen dahinter.

Vor der achten Zelle links blieben wir stehen. Samos gab den beiden Männern ein Zeichen. Sie traten vor. Neben der Tür lagen Seile und Haken und etliche Fleischstücke.

»Du darfst drinnen nicht sprechen«, forderte Samos mich auf und reichte mir eine Haube mit Augenlöchern.

»Kennt die oder der Gefangene dieses Haus oder seine Angehörigen?«

»Nein«, entgegnete Samos.

Ich setzte die Kapuze auf, und auch Samos verhüllte sein Gesicht. Die beiden Wächter machten sich gleichfalls unkenntlich. Dann öffneten sie den Beobachtungsschlitz in der Tür, warfen einen Blick hinein und ließen die Tür aufschwingen. Die Türfüllung bewegte sich nach innen. Ich wartete neben Samos. Die beiden Wächter griffen nun nach Ketten, die oberhalb der Tür befestigt waren, und senkten einen schweren Holzsteig auf das Wasser. Der ganze große Raum schien eine einzige Wasserfläche zu sein, die sich in Schwellenhöhe erstreckte. Der Holzsteig schwamm, von den Ketten festgehalten, auf dem Wasser. An den Seiten war der Gang durch einen sechs Zoll hohen Rand abgesichert. Ich hörte es leise gegen das Metall kratzen, ich glaubte unmerkliche Bewegungen am Metall festzustellen, als stießen zahlreiche winzige Körper dagegen.

Samos blieb in der Nähe der Tür stehen und hob eine Fackel. Die beiden Wächter traten auf den Steig hinaus, der etwa zwanzig Fuß lang war. Die überflutete Zelle war rund und besaß einen Durchmesser von ungefähr fünfundvierzig Fuß. In der Mitte der Zelle ragte ein metalleingefaßter Mast etwa vier Fuß hoch aus dem Wasser. Dieser Pfeiler stützte eine kleine runde Plattform, die ebenfalls mit Metall bedeckt war, etwa zehn Zoll breit, ungefähr acht Zoll über dem Wasser.

Einer der Wächter stieß einen langen Holzpfahl ins Wasser, das demnach etwa acht Fuß tief sein mußte. Daraufhin befestigte der andere Mann ein schweres Fleischstück an einem der Haken, an dem ein Seil befestigt war, hielt das Fleisch ein Stück von der Plattform weg und tauchte es ins Wasser. Beinahe sofort geriet das Wasser in der Nähe des Fleisches ins Schäumen. Ich spürte, wie mir Feuchtigkeit an die Beine spritzte, obwohl ich ein gutes Stück entfernt stand. Schon zog der Wächter den Haken wieder aus dem Wasser. Das Fleisch war verschwunden. Winzige Tharlarion, ähnlich den Exemplaren, die in dem Sumpfwäldern südlich Ars gefunden wurden, fielen zuschnappend von dem blanken Haken. Solche Tharlarion, zu Tausenden angreifend, vermögen einem Ehn in kürzester Zeit das Fleisch von den Knochen zu reißen.

Das Mädchen auf der Plattform, das sich nackt an den Pfosten klammerte und einen Metallkragen um den Hals trug, warf den Kopf in den Nacken und schrie jämmerlich auf.

Die beiden Wächter zogen sich zurück. Kapuzenbewehrt trat Samos nun auf den Holzsteig hinaus, der von den Ketten gestützt wurde. Ich folgte ihm. Er hob die Fackel.

Die Gefangene, wenige Zoll über den tödlichen Tharlarion hockend, blickte uns bedrückt entgegen. Hilflos klammerte sie sich an dem Pfosten fest. »Bitte, bitte, bitte!« murmelte sie immer wieder.

Sie sprach Englisch.

Wie Samos’ anderes Erdenmädchen, Linda, hatte sie blaue Augen und blondes Haar. Sie war ein wenig schlanker als Linda. Sie hatte hübsche Fesseln, an denen sich ein Beinring gut machen würde. Ich bemerkte, daß sie noch kein Brandzeichen trug.

Samos gab mir das Signal zum Rückzug. Ich machte kehrt und verließ den Holzsteig vor ihm. Hinter uns zogen die Wächter den Holzgang wieder hoch, sicherten ihn, knallten die Tür zu und schlossen den Beobachtungsschlitz. Das Schloß rastete ein.

Draußen steckte Samos die Fackel wieder in den Ring. Wir nahmen die Kapuzen ab. Ich folgte Samos schließlich aus den unteren Ebenen des Hauses zurück in seinen Saal.

»Ich verstehe nicht, was das alles soll, Samos!« sagte ich.

»Hier spielen sich tiefgreifende Dinge ab, die nicht nur dir große Sorgen bereiten, sondern auch mir«, sagte Samos.

»Warum hast du mir das Mädchen in der Zelle gezeigt?« wollte ich wissen.

»Was hältst du von ihr?« fragte Samos.

»Ich würde sie auf einem viertklassigen Markt mit etwa fünf Kupfertarsk einschätzen, vielleicht sogar als ein Mädchen, das nur für einen Gruppenverkauf in Frage kommt. Sie ist schön, aber nichts Überragendes. Offensichtlich ist sie ahnungslos und nicht ausgebildet. Sie hat allerdings hübsche Fesseln.«

»Sie spricht die Erdensprache Englisch, nicht wahr?« fragte Samos.

»Offenkundig. Soll ich sie für dich verhören?«

»Nein.«

»Versteht sie das Goreanische überhaupt?« fragte ich.

»Nur wenige Worte.«

»Dann scheint mir die Sache ziemlich klar auf der Hand zu liegen«, meinte ich.

»Erklär mir deine Gedanken!« forderte Samos mich auf.

»Sie ist ein einfaches Mädchen, das von Sklavenhändlern der Kurii nach Gor gebracht wurde.«

»Ach?«

»Ja, den Eindruck habe ich. Als Kur-Agenten ausgebildete Frauen verstehen normalerweise sehr gut Goreanisch.«

»Sie ist deiner Meinung nach aber nicht so hübsch wie die Durchschnittssklavin, die von der Erde importiert wird?« erkundigte sich Samos.

»Das ist sicher subjektiv. Ich habe aber eine hohe Meinung von dem Geschmack der Kur-Sklavenhändler«, sagte ich. »Sie vermögen in jeder Frau die Sklavin zu erkennen. Meines Wissens haben sie sich bisher noch nie geirrt.«

»Selbst die weiblichen Kur-Agenten scheinen gleich im Hinblick auf ihr Potential als Sklavinnen ausgewählt worden zu sein, denk nur an Pepita, Elicia und Arlene.«

»Zweifellos sollten sie irgendwann einmal männlichen Kur-Agenten zum Geschenk gemacht werden«, meinte ich.

»Jetzt gehören sie uns«, sagte Samos. »Was ist mit der Sklavin Vella?« fragte er nach kurzem Zögern.

»Für mich war sie genaugenommen nie eine Agentin der Kurii«, antwortete ich.

»Sie hat die Priesterkönige verraten«, meinte er, »und in der Tahari den Kurii gedient.«

»Richtig«, sagte ich.

»Gib sie mir!« sagte Samos.

»Sie gehört mir«, erwiderte ich. »Wenn sie gestraft werden muß, werde ich das tun.«

»Wie du willst.«

»Übrigens meine ich«, fuhr ich fort, »daß das Mädchen unten in der Tharlarionzelle zu nichts anderem bestimmt war, als einem goreanischen Herrn als Sklavin zu dienen. Allerdings trägt sie noch kein Brandzeichen – also dürfte sie von den Kurii noch gar nicht an einen Goreaner verkauft worden sein.«

»Das ist klug überlegt«, sagte Samos.

»Wie ist sie in deine Gewalt geraten?«

»Rein zufällig«, antwortete Samos. »Kennst du Kapitän Bejar?«

»Natürlich«, antwortete ich. »Er gehört dem Rat an. Am 25. Se’Kara war er bei uns.« Dies war das Datum einer großen Seeschlacht, die im ersten Jahr der Herrschaft des Kapitänsrates von Port Kar stattfand. Nach anderer Rechnung hatte es sich um das Jahr 10 120 C.A. (Contasta Ar, also seit der Gründung Ars) gehandelt. Im Augenblick schrieben wir das Jahr 7 der Herrschaft des Kapitänsrates von Port Kar, nach Ar-Zeitrechnung also das Jahr 10 126 C.A. Bei jener historischen Seeschlacht waren die vereinigten Flotten von Cos und Tyros vor Port Kar zurückgeschlagen worden. Bejar, Samos, ich und viele andere hatten an den Kämpfen teilgenommen. Übrigens hatte sich Port Kar in jenem Jahr zum erstenmal einen Heimstein zugelegt.

»Auf hoher See brachte Bejar ein Schiff auf Cos auf«, fuhr Samos fort.

Ich spitzte die Ohren. Cos und Tyros, zwei Insel-Ubarate in unsicherer Allianz – das eine unter der Herrschaft des großäugigen Chendar, des Meeres-Sleen, das andere von dem widerlichen Lurius aus Jad gelenkt –, standen offiziell mit Port Kar im Krieg. Seit mehreren Jahren jedoch hatte es keine großen Schlachten mehr gegeben. Seit längerer Zeit hatte Cos mit Auseinandersetzungen am Vosk zu tun – dabei ging es um wirtschaftliche und politische Interessenkonflikte im Bereich des großen Flusses wie auch in den benachbarten Tälern der Nebenflüsse. Die Produkte und Märkte dieser Gegend sind ziemlich wichtig. Zwar sind die meisten Städte am Fluß kleine Freistaaten, doch können sie es sich nicht leisten, Großmächte wie Cos und dessen Hauptkonkurrenten Ar zu ignorieren. Cos und Ar stehen im Wettbewerb miteinander, die Flußstädte unter Vertrag zu nehmen, den Verkehr zu kontrollieren und den Handel und Wandel am Fluß zu ihrem Vorteil zu beeinflussen. Ar ist eine Binnenmacht und verfügt über keine Marine. Es hat sich aber eine ganze Flotte von Flußschiffen zugelegt, die sich oft mit den Cos-Schiffen anlegt, die auf Cos gebaut und über Land zum Fluß geschafft worden sind, der ein viele tausend Quadrat-Pasang umfassendes Mündungsgebiet besitzt, das allerdings wegen der starken Versumpfung mit Schiffen nicht passierbar ist.

»Es war ein rücksichtsloser Kampf«, fuhr Samos fort. »Aber schließlich fielen Schiff, Besatzung, Passagiere und Fracht doch an Bejar.«

»Ah, jetzt verstehe ich – das Mädchen gehörte zur Sklavinnenfracht dieses Schiffes.«

Samos lächelte. »Sie war als freie Frau gekleidet und befand sich unter den Passagieren«, erklärte er. »Entkleidet wurde sie erst, als sie auf Bejars Planken stand und zu den anderen gefangenen Frauen in Ketten gelegt wurde.«

»Sie war Passagier an Bord!« rief ich.

»Ja.«

»Und ihre Reisepapiere waren in Ordnung?«

»Ja.«

»Interessant.«

»Das dachte ich mir.«

»Wie kommt es, daß ein Erdenmädchen, das kaum Goreanisch spricht, in Freiheit und ohne Brandzeichen auf einem Cos-Schiff reist?«

»Ich meine«, äußerte Samos, »daß das auf jeden Fall mit den anderen zu tun hat, den Kurii.«

»So darf man vermuten«, sagte ich.

»Bejar«, fuhr Samos fort, »kennt mich gut und wußte natürlich, daß ich mich sehr für ein ungebrandetes Barbarenmädchen interessieren würde. So machte er mich auf sie aufmerksam. Ich ließ sie in Maske aus seinen Gehegen zu mir bringen.«

»Ein interessantes kleines Rätsel«, sagte ich. »Möchtest du ganz bestimmt nicht, daß ich sie in ihrer Muttersprache verhöre?«

»Nein – jedenfalls nicht im Augenblick.«

»Wie du willst.«

»Setz dich!« forderte Samos mich auf und deutete auf einen Platz an dem kleinen Tisch, an dem wir zu Abend gegessen hatten.

Ich kam seiner Aufforderung nach, und er setzte sich mir gegenüber.

»Weißt du, was das ist?« fragte er, griff unter seine Tunika und zog ein kleines Lederpaket hervor, das er für mich auffaltete. Der Inhalt bestand aus einem großen Ring, nicht zu groß für die Finger eines Menschen. Er legte das Schmuckstück auf den Tisch.

»Natürlich«, erwiderte ich. »Es ist der Ring, den ich in der Tahari an mich brachte, der Ring, der das Licht-Ablenkungsfeld steuert und seinen Träger im sichtbaren Bereich des Spektrums unsichtbar macht.«

»Ach, wirklich?«

Ich betrachtete den Ring. Ich nahm ihn zur Hand. Er bestand aus Gold und war mit einem Silberplättchen verziert. An der Außenseite des Ringes, der Fassung gegenüber, gab es einen eingelassenen kreisförmigen Schalter. Trug ein Kur den Ring an einem Glied seiner linken Pfote und drehte die Ringfassung nach unten, lag der Schalter griffbereit außen. Er konnte ihn dann mit einem Teil seiner rechten Pfote drücken.

»Ich nehme es jedenfalls an«, sagte ich.

Ich betrachtete den Ring. Vor langer Zeit, kurz nach meiner Rückkehr aus der Tahari, hatte ich Samos den Ring gegeben, damit er ihn zur Analyse ins Sardargebirge schickte. Ich war der Ansicht, daß ein solches Gebilde den Agenten der Priesterkönige nützen konnte. Es verwirrte mich, daß der Ring von den Kurii nicht öfter eingesetzt wurde. Ich hatte seither nichts mehr von dem Ring gehört.

»Bist du ganz sicher«, fragte Samos, »daß dies der Ring ist, den du mir zur Weiterleitung ins Sardargebirge gegeben hast?«

»Er sieht jedenfalls ganz so aus.«

»Ist es derselbe Ring?«

»Nein«, sagte ich schließlich, nachdem ich mir das Stück noch einmal genau angesehen hatte. »Der Ring aus der Tahari hatte an der Ecke der Silberplatte einen winzigen Kratzer.«

»Ich hatte es auch nicht angenommen«, meinte Samos.

»Wenn dies ein Unsichtbarkeitsring ist, so können wir von Glück sagen, daß er uns zugefallen ist«, sagte ich.

»Meinst du wirklich, ein solcher Ring würde einem menschlichen Agenten anvertraut?«

»Wahrscheinlich nicht«, antwortete ich.

»Ich gehe davon aus, daß dieser Ring kein Unsichtbarkeitsfeld verbreitet.«

»Aha!«

»Bitte drück den Knopf nicht!« forderte Samos mich auf.

»Nein.«

»Ich will dir von fünf Ringen erzählen«, sagte Samos. »Und zwar sind das Informationen, die ich erst in letzter Zeit aus dem Sardargebirge erhalten habe, die aber auf uralten Erkenntnissen basieren – zurückgehend auf die Äußerungen eines betrunkenen Kur-Kommandanten, bestätigt durch Dokumente, die in verschiedenen Wracks gefunden wurden. Die jüngsten dieser Unterlagen sind etwa vierhundert Jahre alt. Vor langer Zeit, womöglich vor vierzigtausend Jahren, verfügten die Kurii über eine Technologie, die das bei weitem übersteigt, was sie jetzt besitzen. Die Technologie, die sie heute so gefährlich macht, stellt nur den Überrest eines technischen Wissensstandes dar, der in den eigenen Stammesfehden weitgehend zum Opfer gefallen ist, – bei Auseinandersetzungen, die zur Vernichtung der Kur-Heimatwelt führten. Die Unsichtbarkeitsringe waren das Produkt eines großen Kur-Wissenschaftlers, den wir zur eigenen Bequemlichkeit Prasdak von der Karrash-Klippe nennen wollen. Er war ein ziemlich verschlossener Bursche und vernichtete vor seinem Tod sämtliche Pläne und Unterlagen. Allerdings hinterließ er fünf Ringe. Bei der Eroberung seiner Stadt – dies ereignete sich etwa zwei Jahre nach seinem Tod – wurden die Ringe gefunden.«

»Was wurde aus den Ringen?«

»Zwei wurden im weiteren Verlauf der Kur-Geschichte zerstört«, antwortete Samos. »Einer ging vor drei- bis viertausend Jahren auf dem Planeten Erde vorübergehend verloren. Ein Hirte namens Gyges nahm ihn einem getöteten Kur-Kommandanten ab. Der Hirte benutzte die Kraft des Ringes, um den Thron eines Lydia genannten Landes an sich zu bringen, das damals auf der Erde existierte.«

Ich nickte. Lydia war dann an die Perser gefallen, und zwar im sechsten Jahrhundert vor Christi, um eine der auf der Erde gebräuchlichen Zeitrechnungen zu erwähnen. Natürlich war das lange nach Gyges’ Herrschaft.

»Unwillkürlich muß man an den Flußhafen an der Lauriusmündung denken«, sagte Samos.

»Ja«, äußerte ich. Die Hafenstadt hieß Lydius.

»Vielleicht gibt es da eine Verbindung«, überlegte Samos.

»Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht.«

»Später holten sich die Kurii den Ring zurück«, fuhr Samos fort. »Gyges wurde ermordet. Der Ring selbst wurde kurze Zeit später bei einer Explosion vernichtet.«

»Interessant«, bemerkte ich.

»Somit waren noch zwei Ringe übrig«, stellte Samos fest.

»Einer dieser beiden war zweifellos der aus der Tahari.«

»Zweifellos.«

Ich betrachtete den Ring, der auf dem Tisch lag. »Meinst du, dies ist der fünfte Ring?« fragte ich.

»Nein«, gab Samos zurück. »Ich glaube, der fünfte Ring wäre zu wertvoll, um von der Stahlwelt fortgebracht zu werden, auf der er aufbewahrt wird. Ich nehme nicht an, daß man ihn hier unten aufs Spiel setzen würde.«

»Vielleicht vermag man die Ringe inzwischen nachzubauen«, mutmaßte ich.

»Das erscheint mir aus zwei Gründen unwahrscheinlich«, erwiderte Samos. »Wenn es erstens möglich gewesen wäre, den Ring nachzubauen, so wäre das im Lauf der Geschichte der Kurii garantiert geschehen, insbesondere vor dem erheblichen Technologie-Abstieg und dem Rückzug auf die Stahlwelten. Zweitens muß man die Geheimniskrämerei des Ring-Erbauers bedenken, jenes Prasdak von der Karrash-Klippe. Und so vermute ich, daß es einen zusätzlichen Grund gibt, der die Zerlegung und den anschließenden Nachbau des Rings unmöglich macht.«

»Dieses Geheimnis könnte zweifellos von den Bewohnern des Sardargebirges gelöst werden«, sagte ich. »Welchen Fortschritt hat man fortan mit dem Ring aus der Tahari gemacht?«

»Der Tahari-Ring ist nie im Sardargebirge eingetroffen«, antwortete Samos. »Das erfuhr ich erst vor einem Monat.«

Ich bezwang meine Zunge. Wie betäubt saß ich hinter dem Tisch.

»Wem hattest du den Ring anvertraut, um ihn ins Sardargebirge zu bringen?«

»Einem unserer zuverlässigsten Agenten«, erwiderte Samos.

»Wem?«

»Shaba, dem Geographen aus Anango, dem Erforscher des Ushindi-Sees, dem Entdecker des Ngao-Sees und Ua-Flusses.«

»Zweifellos ist ihm etwas Übles zugestoßen«, sagte ich.

»Ich nehme es nicht an.«

»Ich verstehe nicht, was du meinst.«

»Dieser Ring«, antwortete Samos und deutete auf das Schmuckstück vor uns, »wurde in der Habe des Mädchens gefunden, das sich jetzt unten in der Tharlarionzelle befindet. Sie hatte den Ring in Besitz, als Bejar ihr Schiff kaperte.«

»Dann ist es bestimmt nicht der fünfte Ring.«

»Aber was will man damit?« fragte Samos.

Ich zuckte die Achseln. »Keine Ahnung!«

»Schau mal«, sagte Samos und legte die Hand auf einen flachen schwarzen Kasten von der Art, wie sie oft zur Aufbewahrung von Papieren verwendet werden. In den Kasten war ein Tintenfaß und eine Rinne für Schreibfedern eingebaut. Er öffnete das Behältnis und zog mehrere zusammengefaltete Papiere heraus, Briefe, deren Siegel erbrochen waren.

»Diese Papiere wurden ebenfalls bei unserer blonden Gefangenen gefunden«, sagte Samos.

»Was sind das für Dokumente?« fragte ich.

»Hier haben wir Reisepapiere«, antwortete er, »und eine Cos-Bürgerschaftsbescheinigung zweifellos gefälscht. Am wichtigsten aber sind Empfehlungsbriefe und Kreditbriefe auf verschiedene Banken in Schendis Straße der Münzen.«

»An wen sind die Empfehlungsschreiben gerichtet?« fragte ich. »Und auf wen lauten die Kreditbriefe?«

»Ein Brief ist an einen gewissen Msaliti gerichtet«, antwortete Samos, »und der andere an Shaba.«

»Und die Kreditbriefe?«

»Sie lauten auf Shaba.«

»Dann sieht es ganz so aus«, sagte ich, »als hätte Shaba die Absicht, den Agenten der Kurii den Brief auszuhändigen, dafür ein Honorar entgegenzunehmen und dann den Ring, den wir vor uns liegen haben, ins Sardargebirge weiterzubefördern.«

»Ja«, sagte Samos.

»Die Priesterkönige würden aber beim Drücken des Schalters sofort merken, daß der Ring falsch ist«, sagte ich. »Ach so!« fügte ich hinzu.

»Ja, das befürchte ich auch«, sagte Samos. »Ich nehme an, wenn der Schalter gedrückt wird, ereignet sich eine Explosion.«

»Der Ring dürfte eine Bombe sein.«

Samos nickte. Infolge von Gesprächen mit mir und seiner Arbeit für das Sardargebirge war er natürlich mit bestimmten technologischen Möglichkeiten vertraut. Wie die meisten Goreaner hatte er jedoch noch nie eine Detonation selbst erlebt.

»Es wäre wohl wie ein Blitz«, sagte er langsam.

»Es könnten Priesterkönige ums Leben kommen«, sagte ich.

»Ein Keil des Mißtrauens könnte sich zwischen Menschen und Priesterkönige schieben«, erklärte Samos.

»Und dafür hätten die Kurii den Ring zurück, und Shaba wäre ein reicher Mann.«

»Sieht so aus«, sagte Samos.

»Das Schiff hatte Schendi zum Ziel?«

»Natürlich.«

»Glaubst du, das Mädchen da unten weiß von diesen Dingen?«

»Nein«, gab Samos zurück, »ich glaube, sie ist sorgfältig dafür ausgesucht worden, den Ring und die Papiere zu überbringen und sonst nichts. Wahrscheinlich warten in Schendi schon erfahrenere Kur-Agenten, um den Ring, sobald er ausgehändigt worden ist, in Empfang zu nehmen.«

»Vielleicht sogar Kurii«, sagte ich.

»Das Klima würde einem Kur sehr zu schaffen machen«, meinte er, »aber unmöglich ist es nicht.«

»Bestimmt hat Shaba sich versteckt«, fuhr ich fort. »Ich halte es nicht für wahrscheinlich, daß ich ihn ausfindig machen kann, indem ich einfach nach Schendi reise.«

»Wahrscheinlich kann man ihn über Msaliti aufspüren«, sagte er.

»Das mag eine schwierige Sache werden«, vermutete ich.

Samos nickte. »Shaba ist ein sehr intelligenter Mann. Msaliti weiß vermutlich nicht, wo er steckt. Allerdings können wir davon ausgehen, daß Shaba sich mit Msaliti in Verbindung setzt und nicht umgekehrt – und wenn Shaba einen Verdacht schöpft, läßt er sich vielleicht nicht mehr blicken.«

»Folglich ist das Mädchen der Schlüssel zum Aufenthaltsort Shabas«, sagte ich. »Und das ist auch der Grund, warum ich sie nicht verhören durfte. Das ist der Grund, warum sie nicht einmal wissen darf, daß sie in deiner Gewalt gewesen ist.«

»Genau«, sagte Samos. »Sie darf keinerlei Informationen über ihre derzeitige Gefangenschaft haben.«

»Es ist bekannt oder wird sich bald herumsprechen, daß Bejar ihr Schiff aufgebracht hat«, fuhr ich fort. »Zweifellos liegt es längst als Prise an seiner Pier. So kann man sie nicht einfach freilassen und wegschicken. Niemand würde das glauben. Man würde vielmehr gleich eine List vermuten, man würde sie als Lockvogel für Shaba ansehen.«

»Wir müssen versuchen, den Ring zurückzubekommen«, sagte Samos, »oder schlimmstenfalls verhindern, daß er in die Hände der Kurii fällt.«

»Shaba wird Wert auf die Kreditbriefe legen«, sagte ich, »während es den Kurii auf den Ring ankommt. Ich glaube, er oder sie oder beide werden sehr daran interessiert sein, mit unserer hübschen Gefangenen in Kontakt zu kommen.«

»Genau das habe ich mir auch gesagt«, meinte Samos.

»Es dürfte bald bekannt sein, daß sie von Bejar gefangengenommen wurde«, sagte ich. »Wenn seine anderen weiblichen Gefangenen zur Auktion kommen, sollte sie als eine unter vielen mit dabei sein.«

»Die Gefangenen werden als Sklavinnen verkauft«, sagte Samos. »Ich lasse das Mädchen in einen Sklavensack stecken und zu Bejar zurückschicken.«

»Richtig. Und ich nehme verkleidet an dem Verkauf teil«, sagte ich, »und beobachte, wer sie ersteht.«

»Das könnte irgend jemand sein«, sagte Samos. »Vielleicht wird sie von einem Urt-Jäger oder einem Rudermacher gekauft. Was dann?«

»Na, dann gehört sie eben einem Urt-Jäger oder einem Rudermacher«, sagte ich. »Wenn es dazu kommt, legen wir uns einen neuen Plan zurecht.«

»Gut«, sagte Samos und reichte mir den Ring und die Papiere.

»Die Sachen brauchst du vielleicht«, sagte er, »falls du Shaba begegnest. Vielleicht kannst du dich als Kur-Agent ausgeben – er kennt dich ja nicht – und die Kur-Kreditbriefe gegen den echten Ring eintauschen. Wir könnten dann das Sardargebirge warnen, damit man auf Shaba mit dem falschen Ring gefaßt ist und mit ihm nach Belieben verfährt.«

»Ausgezeichnet«, sagte ich. »Diese Unterlagen verbreitern natürlich die Grundlage für unsere Strategie.« Ich brachte Ring und Papiere in meiner Robe unter.

»Ich bin optimistisch«, sagte Samos.

»Ich auch«, gab ich zurück.

»Aber hüte dich vor Shaba!« meinte er. »Er ist ein gewiefter Mann. Er läßt sich bestimmt nicht so ohne weiteres hinters Licht führen.«

Samos und ich standen auf.

»Seltsam«, sagte ich, »daß die Ringe nie nachgebaut wurden.«

»Dafür gibt es sicher einen Grund«, meinte Samos.

An der Tür blieb Samos stehen.

»Du darfst nicht über Schendi hinaus ins Landesinnere vordringen«, sagte er. »Das ist Bila Hurumas Reich.«

»Soviel ich weiß, ist er ein großer Ubar.«

»Er ist aber auch ein sehr gefährlicher Mann«, gab Samos zurück, »und wir leben in schwierigen Zeiten.«

»Er ist ein Mann mit Weitblick«, sagte ich.

»Und läßt sich von einer Gier lenken, die kein Erbarmen kennt.«

»Aber sein Weitblick führt immerhin dazu, daß er den Ushindi- und den Ngao-See mit einem Kanal durch die Sümpfe verbinden will, die dadurch trockengelegt werden, nicht wahr?«

»Die Arbeit an einem solchen Projekt ist bereits im Gange«, sagte Samos.

»Das nenne ich Weitblick und Ehrgeiz«, sagte ich.

»Natürlich«, erwiderte Samos. »Ein solcher Kanal wäre von unschätzbarem wirtschaftlichen und militärischen Wert. Der Ua, der die Geheimnisse des Landesinneren trägt, strömt in den Ngao-See, der dann über einen Kanal mit dem Ushindi-See verbunden wäre. In den Ushindi mündet der subäquatoriale Cartius. Aus dem Ushindi gehen die Flüsse Kamba und Nyoka hervor, die zum Thassa strömen.«

»Ja, es wäre eine unglaubliche Leistung«, sagte ich.

»Hüte dich vor Bila Huruma!« warnte Samos.

»Ich rechne damit, daß ich mit ihm zu tun bekomme«, sagte ich.

»Viel Glück, Kapitän!« sagte Samos.

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