43 Entscheidungen und Erscheinungen

Die Aes Sedai schien zu wissen, was Loial meinte, aber sie sagte nichts dazu. Loial sah zu Boden und rieb sich mit einem dicken Finger unter der Nase, als sei er von seinem eigenen Ausbruch peinlich berührt. Niemand wollte etwas sagen.

»Warum?« fragte Rand schließlich. »Warum würden wir sterben? Was sind die Kurzen Wege?«

Loial sah Moiraine an. Sie wandte sich ab und stellte einen Stuhl vor den Kamin. Die kleine Katze streckte sich — die Krallen kratzten über den Stein des Kaminunterbaus -, und dann tapste sie gelangweilt herüber, um ihren Kopf an ihren Beinen zu reiben. Moiraine kraulte sie mit einem Finger hinter dem Ohr. Das Schnurren der Katze bildete einen seltsamen Gegensatz zu der gleichmäßigen Stimme der Aes Sedai. »Es ist dein Wissen, Loial. Die Kurzen Wege stellen für uns den einzigen Weg in die Sicherheit dar, den einzigen Weg, um dem Dunklen König zuvorzukommen, wenn auch nur für kurze Zeit, doch es ist an dir, dies zu erklären.«

Den Ogier schien das, was sie sagte, nicht gerade zu beruhigen. Er rutschte ungeschickt auf seinem Stuhl hin und her, bevor er begann. »Während der Zeit des Wahns, als die Welt noch immer zerstört wurde und die Erde sich aufbäumte, wurde die Menschheit wie Staubkörner im Wind verstreut. Auch wir Ogier wurden verstreut, aus den Steddings vertrieben, hinein ins Exil und die Lange Wanderung, als das Sehnen sich in unsere Herzen grub.«

Er blickte wieder Moiraine von der Seite her an. Seine langen Augenbrauen zogen sich zu zwei Punkten zusammen. »Ich werde versuchen, mich kurz zu fassen, aber das ist keine Sache, die man so kurz erzählen kann. Ich muß nun von den anderen erzählen, den wenigen Ogiern, die in ihren Steddings blieben, obwohl um sie herum die Welt zerrissen wurde. Und von den Aes Sedai« — diesmal vermied er es, Moiraine anzusehen — »den männlichen Aes Sedai, die starben, während sie in ihrem Wahn die Welt zerstörten. Diesen Aes Sedai — denen, die bis dahin dem Wahn entgangen waren — machten die Steddings das Angebot, in ihnen Zuflucht zu suchen. Viele nahmen dieses Angebot an, denn in den Steddings waren sie vor dem Fluch des Dunklen Königs, der ihre Art ausrottete, geschützt. Aber sie waren auch von der Wahren Quelle abgeschnitten. Es war nicht nur, daß sie die Eine Macht nicht mehr benützen oder die Quelle berühren konnten, nein, sie konnten noch nicht einmal mehr fühlen, daß die Quelle überhaupt existierte. Am Ende konnte keiner diese Isolation ertragen, und einer nach dem anderen verließen sie die Steddings. Sie hofften, daß der Fluch mittlerweile verflogen sei. Das war eine Täuschung.«

»Einige in Tar Valon«, sagte Moiraine ruhig, »behaupten, daß die Hilfe der Ogier die Zerstörung verlängerte und noch schlimmer machte. Andere sagen, wenn man all diesen Männern gestattet hätte, auf einmal dem Wahn zu verfallen, wäre von der Welt nichts übriggeblieben. Ich gehöre zu den Blauen Ajah, Loial. Im Gegensatz zu den Roten Ajah teilen wir die zweite dieser Meinungen. Die Zuflucht half, alles zu retten, was gerettet werden konnte. Fahr bitte fort.«

Loial nickte dankbar. Er war erleichtert, erkannte Rand.

»Wie ich schon sagte«, fuhr der Ogier fort, »verließen uns die Aes Sedai — die männlichen Sedai — wieder. Aber bevor sie gingen, gaben sie den Ogiern zum Dank für die gebotene Zuflucht ein Geschenk. Die Kurzen Wege. Betrete ein Wegetor, laufe einen Tag lang weiter, und du kannst den Weg wieder durch ein anderes Wegetor verlassen, das hundert Meilen von dem entfernt ist, durch das du kamst. Oder fünfhundert. Zeit und Entfernung verhalten sich bei den Kurzen Wegen anders. Verschiedene Wege, verschiedene Brücken, führen zu unterschiedlichen Orten, und wie lange man braucht, um dorthin zu gelangen, hängt vom gewählten Weg ab. Es war ein wundervolles Geschenk, das mit der Zeit immer wertvoller wurde, denn die Kurzen Wege sind kein Teil der Welt, die wir sehen, und vielleicht auch kein Teil irgendeiner anderen Welt außer der eigenen. Nicht nur, daß die Ogier, die dieses Talent besaßen, künftig nicht mehr durch die Welt draußen reisen mußten — wo die Menschen sogar nach der Zerstörung noch wie die Tiere um ihr Leben kämpften -, um ein anderes Stedding zu erreichen, nein, innerhalb der Wege gab es keine Zerstörung. Das Gebiet zwischen zwei Steddings konnte sich zu tiefen Schluchten aufspalten oder zu neuen Bergen türmen, aber im Kurzen Weg zwischen ihnen änderte sich nichts.

Als die letzten Aes Sedai ein Stedding verließen, gaben sie den Ältesten einen Schlüssel, einen Talisman, der benützt werden konnte, weitere Wege wachsen zu lassen. In gewisser Weise sind es lebende Geschöpfe: die Kurzen Wege und die Wegetore. Ich verstehe es nicht, und kein Ogier hat das je verstanden. Man hat mir gesagt, selbst die Aes Sedai hätten es vergessen. Mit den Jahren endete für uns die Zeit des Exils. Wenn die Ogier, die von den Aes Sedai so beschenkt worden waren, ein Stedding fanden, zu dem Ogier nach der Langen Wanderung zurückgekehrt waren, dann ließen sie einen Kurzen Weg dorthin wachsen. Mit Hilfe der Kunst der Steinbearbeitung, die wir im Exil erlernt hatten, bauten wir Städte für die Menschen und pflanzten die Haine an, damit die beim Bau beschäftigten Ogier sich wohlfühlten und die Sehnsucht sie nicht überkam. Zu diesen Hainen ließ man Kurze Wege wachsen. Es gab einen Hain und ein Wegetor in Mafal Dadaranell, aber diese Stadt wurde während der Trolloc-Kriege geschleift. Kein Stein blieb auf dem anderen, und der Hain wurde gefällt und in Trollocfeuern verheizt.« Er ließ keinen Zweifel daran, welches das größere Verbrechen gewesen war.

»Wegetore sind fast unzerstörbar«, sagte Moiraine, »und die Menschheit nicht viel weniger Es leben immer noch Menschen in Fal Dara, wenn auch nicht in der großen, von Ogiern erbauten Stadt, und auch das Wegetor steht noch.«

»Wie haben sie die denn gemacht?« fragte Egwene. Ihr verblüffter Blick erfaßte gleichzeitig Moiraine und Loial. »Die Aes Sedai, die Männer. Wenn sie in einem Stedding die Eine Macht nicht benützen konnten, wie konnten sie dann die Kurzen Wege machen? Oder haben sie die Macht vielleicht überhaupt nicht benützt? Ihr Teil der Wahren Quelle war befleckt. Ist immer noch befleckt. Ich weiß noch nicht soviel darüber, was Aes Sedai leisten können. Vielleicht ist es eine dumme Frage.«

Loial erklärte: »Jedes Stedding hat an der Grenze ein Wegetor, aber außerhalb! Deine Frage ist keineswegs dumm. Du hast den wunden Punkt getroffen, warum wir es nicht wagen, die Kurzen Wege zu benützen. Kein Ogier hat während meines Lebens und auch schon vorher die Wege benützt. Es war ein Beschluß der Ältesten, aller Ältesten aller Steddings, daß es keinem gestattet wird, weder Ogier noch Mensch.

Die Kurzen Wege wurden von Männern geschaffen, die eine vom Dunklen König befleckte Macht benützten. Vor ungefähr tausend Jahren, während einer Zeit, die ihr Menschen den Hundertjährigen Krieg nennt, begannen sich die Wege zu verändern. Zu Anfang geschah das so langsam, daß es niemand richtig bemerkte. Sie wurden feucht und trüb. Dann kam Dunkelheit über die Brücken. Einige, die hineingingen, wurden nie wieder gesehen. Reisende erzählten davon, daß sie aus dem Dunkel heraus beobachtet wurden. Die Anzahl der Verschwundenen wuchs, und einige, die herauskamen, waren dem Wahnsinn verfallen. Sie phantasierten etwas von Machin Shin, dem Schwarzen Wind. Aes-Sedai-Heiler konnten einigen von ihnen helfen, aber trotz der Hilfe durch die Aes Sedai wurden sie nie wieder ganz hergestellt. Und sie erinnerten sich nicht mehr an das, was vorgefallen war. Und doch war es, als sei die Dunkelheit in ihre Knochen eingesickert. Sie lachten nie wieder und fürchteten das Heulen des Windes.«

Einen Augenblick lang herrschte Stille, nur vom Schnurren der Katze neben Moiraines Stuhl unterbrochen und natürlich dem Prasseln und Knacken des Feuers, wenn die Funken stoben. Dann brach es zornig aus Nynaeve heraus: »Und du erwartest, daß wir dir dorthinein folgen? Du mußt wahnsinnig sein!«

»Was würdest du statt dessen vorschlagen?« fragte Moiraine ruhig. »Die Weißmäntel in Caemlyn oder die Trollocs draußen? Denke daran, daß allein meine Gegenwart schon einen gewissen Schutz gegen die Untaten des Dunklen Königs darstellt.«

Nynaeve lehnte sich mit einem ergebenen Seufzer zurück. »Du hast mir immer noch nicht erklärt«, sagte Loial, »warum ich die Regel der Ältesten brechen soll.

Und ich verspüre auch keinerlei Wunsch, die Wege zu betreten. Auch wenn sie oft schlammig sind, so haben mir doch die von Menschen gemachten Straßen bisher gut genug gedient, seit ich das Stedding Schangtai verließ.«

»Ob Menschheit oder Ogier, alles was lebt befindet sich im Krieg mit dem Dunklen König«, sagte Moiraine. »Der größere Teil der Welt weiß das noch nicht einmal, und die meisten jener, die es wissen, kämpfen in bloßen Geplänkeln und glauben, es seien Schlachten. Solange die Welt sich weigert, an diesen Krieg zu glauben, befindet sich der Dunkle König am Rande des Sieges. Das Auge der Welt enthält genug Macht, um sein Gefängnis zu öffnen. Falls der Dunkle König irgendeinen Weg gefunden hat, um das Auge der Welt seinem Willen zu unterwerfen... «

Rand wünschte, die Lampen im Raum wären entzündet worden. Der Abend kroch über Caemlyn dahin, und das Feuer im Kamin gab nicht genug Licht. Er wollte keine Schatten im Raum.

»Was können wir tun?« platzte Mat heraus. »Warum sind wir so wichtig? Warum müssen wir in die Fäule gehen? Die Fäule!«

Moiraine erhob die Stimme keineswegs, doch sie füllte den Raum und appellierte an sie. Ihr Stuhl beim Feuer erschien ihnen plötzlich wie ein Thron. In diesem Moment wäre sogar Morgases Pracht in ihrer Gegenwart verblaßt. »Eines können wir tun: Wir können es versuchen. Was wie Zufall aussieht, ist oft einfach das Muster. Drei Schicksalsfäden haben sich hier getroffen, und jeder enthielt eine Warnung: das Auge. Das kann kein Zufall sein, das ist ein Muster! Ihr drei habt nicht gewählt; ihr wurdet vom Muster erwählt. Und ihr befindet euch hier, wo die Gefahr bekannt ist. Ihr könnt euch drücken und vielleicht die Welt dem Untergang preisgeben. Wegrennen und Verstecken wird euch nicht vor dem Weben des Musters bewahren. Oder eben, ihr versucht es. Ihr könnt zum Auge der Welt gehen, drei ta'veren, drei Herzstücke des Musters, um dort zu sein, wo die Gefahr liegt. Laßt das Muster sich dort um euch herum formen, und ihr könnt möglicherweise die Welt vor dem Schatten bewahren. Es liegt bei euch. Ich kann euch nicht zum Gehen zwingen.«

»Ich gehe«, sagte Rand und bemühte sich dabei, entschlossen zu klingen. So sehr er auch versuchte, das Nichts heraufzubeschwören — immer huschten störende Bilder durch seinen Kopf. Tam und der Hof und die Herde auf der Weide. Es war ein gutes Leben gewesen; er hatte niemals wirklich höher hinaus gewollt. Es half ein wenig — sehr wenig -, daß Perrin und Mat dem zustimmten. Sie klangen, als seien ihre Münder genauso ausgetrocknet wie seiner.

»Ich schätze, Egwene und ich haben auch keine andere Wahl«, sagte Nynaeve.

Moiraine nickte. »Auch ihr seid ein Teil des Musters, ihr beide, auf gewisse Weise jedenfalls. Vielleicht nicht ta'veren — vielleicht -, aber auf jeden Fall sehr stark. Das weiß ich seit Baerlon. Und zweifellos wissen das mittlerweile auch die Blassen. Und Ba'alzamon. Und doch steht ihr zumindest vor der gleichen Wahl wie die jungen Männer: Ihr könntet hier bleiben und nach Tar Valon weiterziehen, sobald wir anderen weg sind.«

»Zurückbleiben!« rief Egwene. »Euch alle in die Gefahr hineinrennen lassen, während wir uns hier unter der Bettdecke verstecken? Nein danke!« Der Blick der Aes Sedai traf sie, und sie schreckte ein wenig zurück, aber ihr Widerstandsgeist verflog nicht. »Das werde ich nicht«, murmelte sie stur.

»Ich schätze, das bedeutet, wir beide werden euch begleiten.« Nynaeves Stimme klang nach Resignation, aber ihre Augen blitzten, als sie hinzufügte: »Ihr braucht noch immer meine Kräuter, Aes Sedai, außer ihr habt plötzlich noch eine Fertigkeit entwickelt, die ich nicht kenne.« In ihrer Stimme schwang eine Herausforderung mit, die Rand nicht verstand, aber Moiraine nickte bloß und wandte sich dem Ogier zu.

»Also, Loial, Sohn des Arent, Sohn des Halan?«

Loial öffnete zweimal den Mund, und seine behaarten Ohren zuckten, bis er endlich antwortete: »Ja, nun gut. Der Grüne Mann. Das Auge der Welt. Sie werden natürlich in den Büchern erwähnt, aber ich glaube nicht, daß irgendein Ogier sie seit, oh, eben seit sehr langer Zeit gesehen hat. Ich denke... Aber müssen es wirklich die Kurzen Wege sein?« Moiraine nickte, und seine langen Augenbrauen sackten herunter, bis ihre Enden seine Wangen berührten. »Also gut dann. Ich glaube, dann muß ich euch führen. Der Älteste Haman würde sagen, ich hätte auch nichts anderes verdient, wenn ich schon immer so vorschnell bin.«

»Dann haben wir uns also entschieden«, sagte Moiraine. »Und nun, da das abgeklärt ist, müssen wir uns entscheiden, was zu tun ist und wie wir es anpacken.«

Sie planten bis lange in die Nacht hinein. Moiraine arbeitete am härtesten. Loial beriet sie, was die Wege anbetraf, aber sie hörte auch die Fragen und Vorschläge aller. Sobald die Dunkelheit anbrach, kam auch Lan dazu und fügte seine Kommentare in seinem typischen stahlgefärbten Tonfall hinzu. Nynaeve machte eine Liste, welche Vorräte sie brauchten. Sie stippte mit ruhiger Hand ihre Feder in das Tintenfaß, wobei sie immer wieder vor sich hinmurmelte.

Rand wünschte, er könne alles so selbstverständlich nehmen wie die Seherin. Er konnte nicht aufhören, hin und her zu gehen, als habe er zuviel Energie, die aus ihm herauswollte. Er wußte, daß sein Entschluß feststand, wußte, daß ihm bei seinem Wissensstand nichts anderes übrigblieb, aber deshalb gefiel es ihm noch lange nicht. Die Fäule. Shayol Ghul befand sich irgendwo in der Fäule, jenseits der Versengten Länder.

Er konnte die gleichen Sorgen an Mats Augen ablesen, die gleiche Angst, von der er wußte, daß sie sich auch in seinen Augen zeigte. Mat saß mit gefalteten Händen da. Die Knöchel waren weiß vor Anstrengung. Wenn er losließe, dachte sich Rand, dann würde er wieder den Dolch aus Shadar Logoth ergreifen.

Auf Perrins Gesicht zeigte sich dagegen überhaupt kein Unbehagen, doch dafür etwas Schlimmeres: Es war eine Maske erschöpfter Resignation. Perrin wirkte, als habe er gegen etwas gekämpft, bis er nicht mehr konnte und nur noch darauf wartete, daß es mit ihm Schluß mache. Und doch, manchmal...

»Wir tun, was sein muß, Rand«, sagte er. »Die Fäule...« Einen Moment lang blitzte in diesen gelben Augen Eifer auf. Sie durchbrachen die starre Erschöpfung seines Gesichts, als führten sie ein Eigenleben — getrennt von dem des großen Schmiedlehrlings. »Die Jagd am Rand der Fäule entlang ist gut«, flüsterte er. Dann schauderte er, als habe er gerade erst bemerkt, was er da sagte, und wieder wirkte sein Gesicht resigniert.

Und Egwene. An einem Punkt zog Rand sie zur Seite, hinüber zum Kamin, wo die anderen, die am Tisch saßen und planten, sie nicht hören konnten. »Egwene, ich... « Ihre Augen, die ihn wie zwei große, dunkle Seen in sich aufnahmen, ließen ihn innehalten und schlucken.

»Ich bin es, hinter dem der Dunkle König her ist, Egwene. Mat und Perrin und ich. Es ist mir gleich, was Moiraine Sedai sagt. Morgen früh können Nynaeve und du die Heimreise antreten oder nach Tar Valon ziehen oder wo auch immer ihr hinwollt, und niemand wird versuchen, euch davon abzuhalten. Keine Trollocs, keine Blassen, niemand. Solange ihr nicht bei uns seid. Geh heim, Egwene. Oder geh nach Tar Valon. Aber vor allem — geh!«

Er wartete darauf, daß sie ihm entgegenhielt, sie habe das gleiche Recht wie er, hinzugehen, wo sie wolle, und daß er kein Recht habe, ihr zu sagen, was sie zu tun habe. Zu seiner Überraschung lächelte sie und berührte seine Wange.

»Danke, Rand«, sagte sie sanft. Er blinzelte und schloß den Mund, als sie weitersprach: »Aber du weißt, daß ich nicht kann. Moiraine Sedau erzählte uns, was Min damals in Baerlon sah. Du hättest mir sagen sollen, wer Min ist. Ich dachte... Na ja, Min behauptet, auch ich sei ein Teil dieses Ganzen. Und Nynaeve. Vielleicht bin ich nicht ta'veren«, sie stolperte über dieses Wort, »aber das Muster schickt auch mich zum Auge der Welt, wie es scheint. Was immer dich betrifft, betrifft auch mich.«

»Aber, Egwene... «

»Wer ist Elayne?«

Eine Minute lang blickte er sie einfach nur an, und dann sagte er schlicht die Wahrheit: »Sie ist die TochterErbin des Thrones von Andor.«

Ihre Augen schienen Feuer zu fangen. »Wenn du nicht einmal eine Minute lang ernst bleiben kannst, Rand al'Thor, dann will ich nicht mit dir sprechen.«

Ungläubig sah er zu, wie sie mit steifem Kreuz zum Tisch zurückkehrte und sich neben Moiraine auf ihre Ellenbogen stützte, um zu hören, was der Behüter sagte. Ich muß mit Perrin sprechen, dachte er. Er weiß, wie man mit Frauen umgeht.

Meister Gill kam mehrmals herein — zuerst, um die Lampen zu entzünden, dann, um selbst das Essen hereinzutragen, und später, um zu berichten, was draußen vorging. Weißmäntel hielten die Schenke in beiden Richtungen die Straße hinunter unter Beobachtung. Am Tor zur Innenstadt hatte es Ausschreitungen gegeben, und die königliche Garde hatte sowohl weiße als auch rote Abzeichenträger festgenommen. Irgend jemand hatte versucht, den Drachenzahn auf die Eingangstür zu kritzeln, und war dafür von Lambgwins Stiefel wegbefördert worden. Falls der Wirt es eigenartig fand, daß Loial bei ihnen war, dann ließ er sich das nicht anmerken. Er beantwortete die wenigen Fragen, die ihm Moiraine stellte, ohne zu versuchen herauszufinden, was sie planten, und jedesmal, wenn er kam, klopfte er an die Tür und wartete, bis Lan sie ihm öffnete, gerade so, als seien das nicht seine Schenke und seine Bibliothek. Bei seinem letzten Erscheinen gab ihm Moiraine das Blatt Pergament, das mit Nynaeves sauberer Schrift bedeckt war.

»Das wird um diese Zeit in der Nacht nicht leicht werden«, sagte er und schüttelte den Kopf, während er die Liste überflog, »aber ich werde mich um alles kümmern.«

Moiraine fügte einen kleinen Beutel aus Waschleder hinzu, in dem es klimperte, als sie ihn an den Schnüren hielt und ihn ihm reichte. »Gut. Und sorgt bitte dafür, daß wir vor Tagesanbruch geweckt werden. Dann werden die Beobachter am wenigsten wachsam sein.«

»Wir werden sie eine leere Schachtel bewachen lassen, Aes Sedai.« Meister Gill grinste.

Rand gähnte, als er schließlich zusammen mit den anderen aus dem Raum schlurfte und nach Bad und Bett suchte.

Als er sich mit einem rauhen Lumpen in der einen und einem großen Brocken gelber Seife in der anderen Hand abschrubbte, wanderte sein Blick hinüber zu dem Hocker neben Mats Badewanne. Das Ende des in eine goldene Scheide gesteckten Dolches aus Shadar Logoth lugte unter dem Zipfel von Mats sauber zusammengefaltetem Mantel hervor. Auch Lan blickte von Zeit zu Zeit dorthin. Rand fragte sich, ob er wirklich nun so unschädlich sei, wie Moiraine behauptete.

»Denkst du, daß mein Pa mir das jemals glauben wird?« Mat lachte und schrubbte sich den Rücken mit einer langstieligen Bürste. »Ich und die Welt retten? Meine Schwestern werden sich nicht entscheiden können, ob sie lachen oder weinen sollen.«

Es klang nach dem alten Mat. Rand wünschte, er könne den Dolch vergessen.

Es war pechschwarze Nacht, als er und Mat endlich ihr Zimmer unter den Dachbalken betraten. Die Sterne wurden von Wolken verdeckt. Zum ersten Mal nach langer Zeit zog sich Mat aus, bevor er ins Bett ging. Aber er steckte auch ganz selbstverständlich den Dolch unter sein Kopfkissen. Rand pustete die Kerze aus und kroch in sein Bett. Er konnte spüren, daß sich im anderen Bett etwas Böses verbarg — nicht Mat jedoch; es kam durch sein Kopfkissen. Er machte sich immer noch Sorgen deswegen, als ihn der Schlaf überfiel.

Gleich von Beginn an wußte er, daß es ein Traum war, einer von der Sorte, die nicht nur Träume waren. Er stand da und sah die Holztür an, deren Oberfläche dunkel und rissig und von Splittern bedeckt wirkte. Die Luft war kalt und feucht, und der Geruch nach Fäulnis durchzog sie. In einiger Entfernung tropfte Wasser. Das Klatschen der Tropfen warf ein hohles Echo in den Steingängen.

Widerstehe. Widerstehe ihm, und seine Macht versagt.

Er schloß die Augen und konzentrierte sich auf Der Königin Segen, auf sein Bett und auf sich selbst, wie er schlafend im Bett lag. Wenn er die Augen öffnete, war die Tür immer noch da. Das hallende Klatschen der Tropfen kam im Rhythmus seines Herzschlags, als ob sein Puls die Sekunden für sie zähle. Er suchte Flamme und Nichts, wie Tam es ihm beigebracht hatte, und fand innere Ruhe, doch außerhalb seines Geistes änderte sich nichts. Langsam öffnete er die Tür und ging hinein.

Alles war gleich geblieben in dem Raum, der aus dem Fels selbst herausgebrannt schien. Hohe Bogenfenster führten auf einen Balkon ohne Geländer, und dahinter strömten die Schichtwolken wie ein Fluß bei Hochwasser. Die Lampen aus schwarzem Metall schimmerten schwarz, und doch silbrig hell. Ihre Flammen leuchteten zu hell, als daß er sie direkt hätte anblicken können. Das Feuer in dem furchterregenden Kamin prasselte, gab aber keine Wärme ab. Jeder Stein des Kamins erinnerte schwach an ein vor Qual verzerrtes Gesicht.

Alles war gleich, bis auf eine Sache. Auf der glänzenden Tischoberfläche standen drei kleine Statuen -die rohen, unbehauenen Gestalten menschenähnlich, als sei der Bildhauer zu schnell mit seinem Ton umgegangen. Neben der einen stand ein Wolf. Die gut erkennbaren Einzelheiten betonten noch die Grobheit der menschlichen Formen. Eine andere hielt einen winzigen Dolch, auf dessen Griff ein roter Punkt leuchtete. Die letzte hielt ein Schwert. Seine Nackenhaare sträubten sich. Er näherte sich der Figur, bis er das in allen Einzelheiten sichtbare Reiherzeichen auf der winzigen Klinge sehen konnte.

Sein Kopf fuhr in plötzlicher Panik hoch, und er blickte direkt in den einzigen Spiegel des Raumes. Immer noch war sein Spiegelbild verschwommen zu sehen, aber nicht so sehr wie zuvor. Beinahe konnte er seine Gesichtszüge erkennen. Wenn er sich vorstellte, daß er die Augen zusammengekniffen hatte, konnte er fast erkennen, wer es war.

»Du hast dich zu lange vor mir verborgen.«

Er wirbelte vor dem Tisch herum. Der Atem rasselte in seiner Kehle. Einen Moment zuvor war er noch allein im Raum gewesen, aber nun stand Ba'alzamon vor den Fenstern. Wenn er sprach, dann ersetzten Flammenhöhlen seine Augen und seinen Mund.

»Zu lang, aber nicht mehr lange.«

»Ich widerstehe dir«, sagte Rand heiser. »Ich bestreite, daß du Macht über mich besitzt. Ich bestreite, daß du existierst.«

Ba'alzamon lachte. Es war ein volles Lachen, das ihn vom Feuer her überrollte. »Glaubst du, es sei so leicht? Aber das hast du ja immer geglaubt. Jedesmal, wenn wir uns so gegenüberstanden, hast du geglaubt, du könntest mir widerstehen.«

»Was meinst du damit — jedesmal? Ich widerstehe dir!«

»Das tust du immer, jedenfalls zu Beginn. Diese Auseinandersetzung zwischen uns hat sich schon unzählige Male abgespielt. Jedesmal trägst du ein anderes Gesicht und einen anderen Namen, aber du bist doch immer derselbe.«

»Ich verweigere mich dir.« Es war ein verzweifeltes Flüstern.

»Jedesmal setzt du deine Zwergenkräfte gegen mich ein, und jedesmal weißt du zum Schluß, wer von uns der Meister ist. Zeitalter auf Zeitalter kniest du schließlich vor mir, oder du stirbst und wünschst dir dabei, du hättest noch die Kraft, niederzuknien. Armer Narr, du kannst mich niemals besiegen.«

»Lügner!« schrie er. »Vater der Lügen! Vater der Narren, wenn du nichts Besseres vorbringst als das! Die Menschen fanden dich im letzten Zeitalter, im Zeitalter der Legenden, und banden dich dort, wo du hingehörst.«

Ba'alzamon lachte wieder und immer wieder höhnisch, bis Rand sich die Ohren bedecken wollte, um es nicht mehr hören zu müssen. Er drückte sich gewaltsam die Hände an die Seiten. Ob er das Nichts heraufbeschwor oder nicht: Seine Hände zitterten, als das Gelächter endlich aufhörte.

»Du Wurm, du weißt überhaupt nichts. So unwissend wie ein Käfer unter einem Stein und genauso leicht zu zerdrücken. Dieser Kampf hat seit dem Augenblick der Schöpfung stattgefunden. Immer glauben die Menschen, es sei ein neuer Krieg, aber es ist nur derselbe wie vorher, den sie wiederentdeckt haben. Nur jetzt ergreift eine Veränderung die Winde der Zeit. Veränderung.

Diesmal wird es kein Zurück mehr geben. Diese stolzen Aes Sedai, die glauben, sie könnten dich gegen mich stellen. Ich werde sie in Ketten kleiden und nackt herumrennen lassen, um meine Forderungen zu erfüllen, oder ich werde ihre Seelen in die Hölle schicken, wo sie in Ewigkeit schreien werden. Alle außer denen, die mir bereits dienen. Sie werden nur eine Stufe unter mir stehen. Du kannst dich entscheiden, neben ihnen zu stehen und die Welt zu deinen Füßen kriechen zu sehen. Ich biete es dir noch einmal an, ein letztes Mal. Du kannst über ihnen stehen, über jeder Macht und jeder Herrschaft außer meiner. Es hat Zeiten gegeben, da du dich so entschieden hast und wo du lange genug lebtest, um deine Macht zu erkennen.«

Widerstehe ihm! Rand griff nach allem, dem er widersprechen konnte. »Dir dienen keine Aes Sedai. Wieder eine Lüge!«

»Haben sie dir das erzählt? Vor zweitausend Jahren führte ich meine Trollocs über die Welt, und selbst unter den Aes Sedai fand ich jene, deren Verzweiflung groß genug war, die wußten, daß die Welt Shai'tan nicht widerstehen kann. Zweitausend Jahre lang haben die Mitglieder der Schwarzen Ajah unentdeckt in den Schatten unter den anderen gelebt. Vielleicht sogar diejenigen, die behaupten, dir zu helfen.«

Rand schüttelte den Kopf und bemühte sich, damit auch die in ihm aufsteigenden Zweifel abzuschütteln, all die Zweifel in bezug auf Moiraine, was die Aes Sedai mit ihm anstellen wollten und was sie für ihn plante. »Was willst du von mir?« rief er. Widersteh ihm! Licht, hilf mir, ihm zu widerstehen!

»Knie nieder!« Ba'alzamon deutete auf den Boden vor seinen Füßen. »Knie nieder, und erkenne mich als deinen Herrn an. Schließlich wirst du es doch tun. Du wirst zu meiner Kreatur, oder du stirbst.«

Das letzte Wort hallte durch den Raum, kehrte als Echo zurück, wieder und wieder, bis Rand die Arme hochriß, als wolle er seinen Kopf gegen einen Schlag schützen. Er taumelte zurück, bis er gegen den Tisch prallte, und schrie, um den Klang in seinen Ohren zu übertönen: »Neeeeeiiiiin!«

Bei diesem Aufschrei fuhr er herum und fegte die Figuren zu Boden. Etwas stach in seine Hand, doch er beachtete es nicht und stampfte den Ton zu formlosen Klumpen zusammen. Aber als sein Schrei verflog, war das Echo immer noch da und wurde stärker: stirb-stirb-stirb-stirb-stirb-Stirb-Stirb-Stirb-Stirb-Stirb-STIRB-STIRB-STIRB-STIRB-STIRB. Der Klang zog ihn an wie ein Wasserwirbel, zog ihn in sich hinein und zerfetzte das Nichts in seinen Gedanken. Das Licht verdüsterte sich, und er blickte wie in einen dunklen Tunnel, an dessen Ende Ba'alzamon im letzten Fleckchen Lichtschein stand. Der Tunnel schrumpfte zur Größe seiner Hand zusammen, zur Größe eines Fingernagels, verschwand. Das Echo riß ihn in einem Strudel hinunter in Schwärze und Tod.

Sein dumpfer Aufschlag am Boden weckte ihn auf. Er kämpfte immer noch darum, aus dieser Dunkelheit auftauchen zu können. Das Zimmer war dunkel, aber nicht so dunkel wie diese andere Dunkelheit in ihm. Verzweifelt bemühte er sich, die Flamme heraufzubeschwören, die Angst hineinzuleeren, doch das Nichts zerrann. Ein Beben durchlief seine Arme und Beine, aber er konzentrierte sich so lange auf das Bild der einzelnen Flamme, bis das Blut nicht mehr in seinen Ohren pochte.

Mat warf sich auf seinem Bett hin und her und stöhnte im Schlaf. »... widerstehe dir, gib mich nicht hin, widerstehe... « Es verschwamm zu undeutlichem Stöhnen.

Rand faßte hinüber, um ihn wachzurütteln. Bei der ersten Berührung fuhr Mat mit einem würgenden Röcheln hoch. Eine Minute lang blickte er wild um sich, dann atmete er lang und zittrig ein und senkte den Kopf in seine Hände. Plötzlich drehte er sich um, steckte die Hand unter sein Kopfkissen und sank dann zurück. Er hielt den Dolch mit dem Rubingriff in beiden Händen vor seiner Brust. Er drehte den Kopf, um Rand anzublicken. Sein Gesicht war durch Schatten verborgen. »Er ist wieder da, Rand.«

»Ich weiß.«

Mat nickte. »Da waren diese drei Figuren... « »Ich habe sie auch gesehen.«

»Er weiß, wer ich bin, Rand. Ich nahm die eine mit dem Dolch in die Hand, und er sagte: ›Also, das bist du.‹ Und als ich wieder hinschaute, hatte die Figur mein Gesicht. Mein Gesicht, Rand! Es wirkte wie Fleisch und Blut. Es fühlte sich wie Fleisch an. Licht, hilf mir, ich konnte fühlen, wie meine eigene Hand mich ergriff, als sei ich die Statue.«

Rand schwieg einen Moment lang. »Du mußt ihn weiterhin verleugnen, Mat.«

»Das tat ich, und er lachte. Er erzählte ständig von einem ewigen Krieg und behauptete, wir hätten uns so schon tausendmal gegenübergestanden und... Licht, Rand, der Dunkle König kennt mich.«

»Er hat mir das gleiche erzählt. Ich glaube nicht, daß er uns kennt«, fügte er bedächtig hinzu. »Ich glaube nicht, daß er weiß, welcher von uns...« Welcher von uns was ist?

Als er sich aufrichtete, stach ein scharfer Schmerz durch seine Hand. Er ging zum Tisch, brachte es beim dritten Versuch fertig, die Kerze zu entzünden, und öffnete seine Hand in ihrem Licht. In seiner Handfläche steckte ein dicker Splitter aus dunklem Holz, auf einer Seite glatt und glänzend. Er starrte ihn an, und der Atem stockte ihm. Dann schnaufte er laut und zupfte ungeschickt und hastig an dem Splitter. »Was ist los?« fragte Mat.

»Nichts.«

Schließlich bekam er ihn zu fassen und riß ihn mit einem Ruck heraus. Mit einem angeekelten Knurren ließ er ihn fallen, doch das Knurren erstarb ihm in der Kehle. Sobald der Splitter aus seinem Finger heraus war, verschwand er. Allerdings hatte er immer noch die Wunde in seiner Hand, und sie blutete. In einem irdenen Krug befand sich Wasser. Er füllte damit die Waschschüssel. Seine Hände zitterten so stark, daß er Wasser auf dem Tisch verschüttete. Eilig wusch er sich die Hände. Er knetete seine Handfläche durch, bis unter seinem Daumen noch mehr Blut emporquoll, und dann wusch er sie nochmals. Der Gedanke daran, daß auch nur ein kleiner Splitter in seinem Fleisch zurückgeblieben sein könnte, ängstigte ihn. »Licht«, sagte Mat, »ich fühlte mich auch so schmutzig bei ihm.« Aber er lag noch immer wie vorher dort und umklammerte den Dolch mit beiden Händen.

»Ja«, sagte Rand. »Schmutzig.« Er kramte in dem Stapel neben der Waschschüssel nach einem Handtuch. Es klopfte an die Tür, und er erschrak. Es klopfte nochmals. »Ja?« sagte er.

Moiraine steckte den Kopf ins Zimmer. »Ihr seid schon wach? Gut. Zieht euch schnell an und kommt runter. Wir müssen vor Anbruch der Morgendämmerung weg sein.«

»Jetzt schon?« stöhnte Mat. »Wir haben kaum eine Stunde lang geschlafen.«

»Eine Stunde?« sagte sie. »Es waren vier Stunden. Jetzt beeilt euch; wir haben nicht viel Zeit.«

Rand wechselte einen verwirrten Blick mit Mat. Er konnte sich ganz deutlich an jede Sekunde des Traumes erinnern. Er hatte begonnen, sobald er die Augen geschlossen hatte, und er hatte nur Minuten lang gedauert.

Etwas an ihren Blicken mußte sich auch Moiraine mitgeteilt haben. Sie blickte sie durchdringend an und kam nun ganz herein. »Was ist geschehen? Die Träume?«

»Er weiß, wer ich bin«, sagte Mat. »Der Dunkle König kennt mein Gesicht.«

Rand hob wortlos die Hand, so daß sie die Handfläche sehen konnte. Selbst in dem düsteren Licht der einen Kerze war das Blut klar zu erkennen.

Die Aes Sedai trat vor und ergriff seine hochgehaltene Hand. Ihr Daumen bedeckte die Wunde. Kälte schnitt ihm bis in die Knochen. Es war so kalt, daß sich seine Finger verkrampften und er sich anstrengen mußte, um die Hand offen zu lassen. Als sie ihre Finger wegnahm, verschwand auch die Kälte.

Dann drehte er wie betäubt die Hand um und rubbelte den dünnen Blutschmierer weg. Die Wunde war verschwunden. Langsam hob er den Blick und sah der Aes Sedai in die Augen. »Beeilt euch«, sagte sie leise. »Es bleibt nicht viel Zeit.«

Er wußte, sie sprach nicht mehr von der Zeit für ihre Abreise.

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