32 Vier Könige unter dem Schatten

Das Dorf war größer als die meisten anderen, aber immer noch ein viel zu schäbiges Kaff, um den Namen Vier Könige zu verdienen. Wie gewöhnlich führte die Straße nach Caemlyn mitten durch den Ortskern, aber vom Süden her mündete eine andere vielbenutzte Straße ein. Die meisten Dörfer waren vor allem Märkte und Treffpunkte für die Bauern der Gegend, aber hier waren nicht viele Bauern zu sehen. Vier Könige überlebte als Haltepunkt für die Wagenzüge der Kaufleute auf dem Weg nach Caemlyn und zu den Bergwerksorten in den Verschleierten Bergen jenseits von Baerlon und den Dörfern zwischendrin. Die Straße aus dem Süden war die Hauptschlagader des Handels von Lugard mit den Bergwerken im Westen; die Kaufleute aus Lugard, die nach Caemlyn wollten, benutzten einen kürzeren Weg. Im Umland fand man wenige Bauernhöfe, kaum genug, um sich selbst und die Stadt zu versorgen, und im Ort selbst standen die Kaufleute und ihre Wagen im Mittelpunkt, dazu die Männer, die sie fuhren, und die Verladearbeiter.

Überall in Vier Könige fand man freie Plätze, auf denen der blanke Boden zu Staub zermahlen war, und dort hatte man die Wagen Rad an Rad geparkt. Sie standen verlassen da, nur von ein paar gelangweilten Wächtern behütet. Die Straßen wurden gesäumt von Stallungen und eingezäunten, niedergetrampelten Wiesen für die Pferde. Sie waren alle breit genug für die durchfahrenden Wagen und zeigten tiefe, von zu vielen Wagenrädern hinterlassene Furchen. Es gab kein Dorfgrün, und die Kinder spielten in den Furchen. Sie mußten ständig den Wagen und den Flüchen der Fahrer ausweichen.

Die Dorffrauen trugen Kopftücher, hatten den Blick gesenkt und schritten schnell durch die Straßen. Manchmal wurden sie von den Fahrern der Wagen auf eine Art angepöbelt, daß Rand errötete; sogar Mat fuhr bei manchen dieser Äußerungen zusammen. Es waren keine Frauen zu sehen, die über den Zaun hinweg mit der Nachbarin klatschten. Verwahrloste Holzhäuser standen Seite an Seite. Zwischen ihnen befanden sich lediglich ganz schmale Gäßchen. Wo irgend jemand tatsächlich die verwitterten Bretterwände weiß getüncht hatte, verblaßte die Farbe schnell und wirkte, als sei sie jahrelang nicht nachgestrichen worden. Schwere Fensterläden waren offensichtlich so lange schon nicht mehr geöffnet worden, daß ihre Scharniere zu festen Rostklumpen verbacken waren. Über allem hing Lärm; das Hämmern der Hufschmiede, Rufe der Wagenfahrer, rauhes Gelächter aus den Schenken.

Rand schwang sich vom hinteren Ende eines Planwagens herunter, als sie an einer grellbemalten Schenke vorbeikamen — grün und gelb -, die schon von weitem unter all den bleifarbenen Häusern auffiel. Der Wagenzug fuhr weiter. Keiner der Fahrer schien zu bemerken, daß er und Mat weg waren. Die Abenddämmerung senkte sich über die Stadt, und sie dachten alle nur daran, die Pferde auszuspannen und in eine Schenke zu gehen. Rand stolperte in einer Furche und sprang dann flink zur Seite, um einem schwerbeladenen Wagen auszuweichen, der in der Gegenrichtung heranklapperte. Der Fahrer schrie ihm einen Fluch zu, als der Wagen vorbeirollte. Eine Dorffrau wich ihm aus und eilte weiter, ohne ihn anzusehen.

»Ich bin mir bei diesem Ort nicht sicher«, sagte er. Er glaubte, durch all diesen Lärm hindurch Musik hören zu können, wußte aber nicht, woher sie kam. Vielleicht aus der Schenke, aber es war schwer einzuschätzen. »Es gefällt mir hier nicht. Vielleicht sollten wir diesmal doch weitergehen.«

Mat warf ihm einen verächtlichen Blick zu und hob dann die Augen himmelwärts. Oben türmten sich dunkle Wolken. »Und heute nacht unter einer Hecke schlafen? Bei dem Wetter? Ich bin wieder an Betten gewöhnt.« Er hielt den Kopf schief, um zu lauschen, und brummte dann: »Vielleicht gibt es in einer dieser Schenken keine Musikanten. Außerdem könnte ich wetten, daß sie keinen Jongleur haben.« Er schob sich den Bogen über die Schulter und ging in Richtung der hellgelben Tür, wobei er alles mit zusammengekniffenen Augen genau betrachtete. Rand folgte ihm zweifelnd.

Drinnen befanden sich Musikanten. Ihre Zither- und Trommelklänge gingen fast in dem rauhen Gelächter und angetrunkenen Geschrei unter. Auch in den nächsten beiden Schenken spielten Musikanten, und es erklang die gleiche betäubende Dissonanz. Männer in Arbeitskleidung füllten die Tische und taumelten dazwischen herum. Sie winkten mit Bierkrügen und versuchten, die Kellnerinnen zu betatschen, die ihnen mit starrem, leidgewohntem Lächeln auswichen. Die Gebäude zitterten von dem Getöse, und der Geruch war säuerlich — der Gestank alten Weins und ungewaschener Körper. Es war nichts von Kaufleuten in Seide und Samt und Spitzen zu sehen; ihre Ohren und Nasen wurden durch die Wände privater Speisesäle im Obergeschoß geschützt. Er und Mat steckten lediglich die Köpfe kurz hinein und gingen dann wieder. Er kam allmählich zu dem Schluß, daß sie diesmal wohl keine andere Wahl hätten, als weiterzuziehen.

In der vierten Schenke, dem Tanzenden Fahrer, war alles ruhig.

Sie war so auffallend bemalt wie die anderen Schenken, gelb, mit leuchtendem Rot und giftigem Grün eingerahmt, aber hier hatte die Farbe bereits Sprünge und schälte sich ab. Rand und Mat traten ein.

An den Tischen im Schankraum saßen nur etwa ein halbes Dutzend Männer über ihre Weinkrüge gebeugt und in trübe Gedanken versunken. Das Geschäft ging offensichtlich schlecht, war aber offenbar einst besser gewesen. Genauso viele Kellnerinnen wie Gäste drückten sich in dem Raum herum. Es hätte genug für sie zu tun gegeben — der Fußboden war schmutzverkrustet, und in den Ecken hingen Spinnweben -, aber die meisten taten nichts wirklich Nützliches. Sie bewegten sich eben nur, damit man sie nicht herumstehen sah.

Ein knochiger Mann mit schulterlangem, strähnigem Haar drehte sich um und sah sie mürrisch an, als sie eintraten.

Das erste lange Donnergrollen erklang über Vier Könige. »Was wollt ihr?« Er wischte sich die Hände an einer schmierigen Schürze ab, die ihm bis auf die Knöchel herabhing. Rand fragte sich, ob er mehr Schmutz von seiner Schürze an die Hände wischte oder umgekehrt. Es war der erste magere Wirt, den Rand je gesehen hatte. »Also? Sagt, was ihr wollt, kauft euch was zu Trinken oder haut ab! Seh ich aus wie ein Raritätenkabinett?«

Rand errötete und begann mit seiner üblichen Rede, die er nun schon oft genug in anderen Schenken erprobt hatte. »Ich spiele Flöte, und mein Freund jongliert, und Ihr werdet im nächsten Jahr niemand Besseres zu sehen bekommen. Für ein gutes Zimmer und eine gute Mahlzeit werden wir diesen Schankraum mit Gästen füllen!« Er dachte an die vollen Schankräume, die er an diesen Abend bereits gesehen hatte, besonders an den Mann in der letzten Schenke, der sich direkt vor ihm erbrochen hatte. Er hatte schnell zur Seite springen müssen, um seine Stiefel zu retten. Er kam ins Stocken, fing sich aber wieder und fuhr fort: »Wir werden Eure Schenke mit Männern füllen, die Euch das bißchen, was wir kosten, zwanzigfach mit Essen und Trinken wieder einbringen. Warum solltet... «

»Ich habe einen Mann, der Zither spielt«, sagte der Wirt mürrisch.

»Ihr habt einen Säufer, Saml Hake«, sagte eine der Kellnerinnen. Sie kam gerade mit einem Tablett und zwei Krügen vorbei und blieb kurz stehen, um Rand und Mat anzulächeln. »Meistens kann er nicht mal mehr genug sehen, um den Schankraum überhaupt zu finden«, vertraute sie ihnen vernehmlich flüsternd an. »Hab ihn schon zwei Tage lang nicht mehr gesehen.«

Ohne den Blick von Rand und Mat zu wenden, schlug ihr Hake ganz beiläufig mit dem Handrücken ins Gesicht. Sie keuchte überrascht und fiel schwerfällig auf den ungefegten Fußboden. Einer der Krüge zerbrach, und der auslaufende Wein bildete Rinnsale im Schmutz. »Den Wein und das zerbrochene Geschirr ziehe ich dir vom Lohn ab. Hol ihnen neue Getränke. Und beeil dich. Die Männer zahlen nicht fürs Warten, während du dich herumdrückst.« Seine Stimme klang genauso beiläufig, wie es der Schlag gewesen war. Keiner der Gäste blickte von seinem Wein auf, und die anderen Kellnerinnen sahen betont zur Seite.

Die mollige Frau rieb sich die Wange und warf Hake einen mörderischen Blick zu, aber dann sammelte sie die Scherben und den leeren Krug auf und trug sie wortlos auf ihrem Tablett weg. Hake sog nachdenklich die Luft durch die Zähne und beäugte Rand und Mat. Sein Blick ruhte auf dem Schwert mit dem Reiherzeichen. Er riß ihn wieder los und sagte schließlich: »Ich sag euch was. Ihr könnte ein paar Strohsäcke in einem leeren Lagerraum hinten haben. Die Zimmer sind zu teuer zum Verschenken. Ihr eßt, wenn alle weg sind. Es wird schon was übrigbleiben.«

Rand sehnte eine andere Schenke in Vier Könige herbei, bei der sie es noch nicht versucht hätten, aber es gab wohl keine. Seit sie Weißbrücke verlassen hatten, waren sie auf Reserviertheit, Gleichgültigkeit und offene Feindseligkeit getroffen, aber nirgendwo hatte er ein solches Unbehagen empfunden wie bei diesem Mann und an diesem Ort. Er sagte sich, daran seien einfach nur der Schmutz, die Verwahrlosung und der Lärm schuld, aber sein Unbehagen wich deshalb noch nicht. Mat beobachtete Hake, als vermute er irgendwo eine Falle, aber er schien trotzdem den Tanzenden Fahrer nicht aufgeben und ein Bett unter einer Hecke vorziehen zu wollen. Donner rüttelte an den Fenstern. Rand seufzte.

»Die Strohsäcke sind schon in Ordnung, falls sie sauber und genug saubere Decken vorhanden sind. Aber essen werden wir zwei Stunden nach Einbruch der Dunkelheit, nicht später, und das Beste, das Ihr habt. Hier. Wir werden Euch zeigen, was wir können.« Er griff nach dem Flötenkasten, aber Hake schüttelte den Kopf.

»Nicht wichtig. Diese Bande hier kann man mit jeder Art von Geräusch zufriedenstellen, solange es nur ein wenig nach Musik klingt.« Sein Blick berührte noch einmal Rands Schwert; sein dürftiges Lächeln umspielte nur kurz die Lippen. »Eßt, wann Ihr wollt, aber wenn Ihr hier keine Menge Leute reinbringt, fliegt Ihr raus.« Er deutete mit einem Nicken nach hinten auf zwei Männer mit harten Gesichtern, die an der Wand saßen. Sie tranken nichts, und ihre Arme waren so stark, daß es auch für Beine gereicht hätte. Als Hake ihnen zunickte, sahen sie Rand und Mat ausdruckslos an.

Rand legte eine Hand auf den Knauf seines Schwertes und hoffte, daß sie das flaue Gefühl in seinem Magen nicht von seinem Gesicht ablesen konnten. »Solange wir bekommen, was wir abgemacht haben«, sagte er mit ruhiger Stimme.

Hake blinzelte und schien selbst einen Moment lang unsicher zu werden. Doch dann nickte er. »Wie ich sagte, ganz klar. Also, dann fangt mal an. Ihr werdet niemanden hereinlocken, wenn ihr bloß da rumsteht.« Er stolzierte mit finsterer Miene weg und schrie die Kellnerinnen an, als würden sie mindestens fünfzig Gäste vernachlässigen.

Am hinteren Ende des Raums, in der Nähe des rückwärtigen Ausgangs, befand sich ein kleines, leicht erhöhtes Podium. Rand schleppte eine Bank hinaus und legte seinen Umhang, die Deckenrolle und Thoms Bündel darauf und schließlich das Schwert obenauf.

Er fragte sich, ob es klug gewesen sei, das Schwert offen zu tragen. Schwerter sah man genug, doch das Reiherzeichen erregte Aufmerksamkeit und ließ Vermutungen aufkommen. Nicht jeder bemerkte es, aber jedes bißchen Aufmerksamkeit machte ihn nervös. Es könnte sein, daß er dem Myrddraal eine eindeutige Spur hinterließ — falls Blasse solche Spuren überhaupt benötigten. Es schien ja nicht so. Andererseits zögerte er, es abzulegen. Tam hatte es ihm gegeben. Sein Vater. Solange er das Schwert trug, bestand noch eine Verbindung zwischen Tam und ihm, eine Nabelschnur, die ihm das Recht gab, Tam immer noch Vater zu nennen. Jetzt ist es zu spät, dachte er. Er war sich nicht einmal sicher, was er damit meinte, aber es war schon wahr. Zu spät.

Beim ersten Ton von ›Hahn des Nordens‹ hob das halbe Dutzend Gäste im Schankraum die Köpfe und stierte nicht mehr in die Weinkrüge. Selbst die beiden Rausschmeißer richteten sich etwas auf. Sie klatschten alle Beifall, als er fertig war — selbst die beiden Schläger -, und dann ließ Mat wieder einen Schwarm farbiger Bälle über seinen Händen tanzen. Draußen grollte der Himmel erneut. Der Regen hielt sich noch zurück, doch der Druck der Feuchtigkeit wuchs fühlbar; je länger es noch dauerte, desto härter würde der Regen herunterprasseln. Es sprach sich herum, und als es draußen dunkel war, war die Schenke voll von lachenden und sich unterhaltenden Menschen. Es war so laut, daß Rand kaum hören konnte, was er spielte. Nur der Donner übertönte noch den Lärm des Schankraums. In den Fenstern sah man Blitze aufzucken, und wenn es mal einen Moment still war, konnte man leise den Regen auf das Dach trommeln hören. Männer, die jetzt noch hereinkamen, hinterließen nasse Spuren auf dem Fußboden.

Wenn er eine Pause einlegte, erhoben sich Stimmen, die durch den Lärm hindurch nach bestimmten Melodien verlangten. Eine ganze Menge der Titel erkannte er nicht. Wenn er allerdings jemanden dazu brachte, einen Teil der Melodie zu summen, fand er häufig heraus, daß er das Lied unter einem anderen Titel kannte. Das war vorher auch schon anderswo so gegangen. ›Der fröhliche Jaim‹ hieß hier ›Rheas Flirt‹, und bei einem früheren Halt hatte er es als ›Die Farben der Sonne‹ kennengelernt. Einige Titel waren gleich geblieben, andere änderten sich alle zehn Meilen. Er lernte auch neue Lieder dabei. ›Der betrunkene Händler‹ war einer davon, den man andernorts auch ›Kesselflicker in der Küche‹ nannte. ›Zwei Könige bei der Jagd‹ wurde zu ›Zwei Pferde im Galopp‹ und führte noch einige weitere Titel. Er spielte, was er so kannte, und die Männer trommelten auf die Tische und verlangten nach mehr.

Andere forderten Mat immer wieder zum Jonglieren auf. Manchmal gab es kleine Raufereien zwischen Männern, die Musik hören wollten, und solchen, denen das Jonglieren besser gefiel. Einmal blitzte ein Messer auf, und eine Frau schrie. Ein Mann taumelte mit blutüberströmtem Gesicht von einem Tisch weg. Jak und Strom, die beiden Rausschmeißer, kamen schnell herüber und warfen total unparteiisch alle Beteiligten mit Beulen am Kopf auf die Straße hinaus. So machten sie es grundsätzlich, wenn Probleme auftauchten. Unterhaltung und Gelächter gingen weiter, als sei nichts geschehen. Niemand sah sich auch nur um, außer denen, die von den Rausschmeißern auf dem Weg zur Tür angerempelt wurden.

Viele Gäste liebten es auch, die Kellnerinnen zu betatschen, wenn eine gerade nicht aufpaßte. Mehr als einmal mußten Jak oder Strom einer der Frauen zur Hilfe kommen. Sie beeilten sich allerdings nicht gerade dabei. Hake schrie die entsprechende Frau dann auch noch an und schüttelte sie. Er gab ihnen grundsätzlich die Schuld daran, und sie fanden sich unter Tränen und gestammelten Entschuldigungen mit seiner Auffassung ab. Die Frauen sprangen schon, wenn Hake nur die Augenbrauen hochzog, selbst wenn er irgendwo anders hinblickte. Rand fragte sich, warum sie sich das gefallen ließen.

Hake lächelte, wenn er Rand und Mat ansah. Nach einer Weile wurde es Rand aber klar, daß Hake nicht sie anlächelte. Das Lächeln bezog sich auf das, was hinter ihnen auf der Bank lag: das Schwert mit dem Reiherzeichen. Einmal, als Rand die mit Gold und Silber verzierte Flöte neben seinen Hocker legte, lächelte er auch die Flöte an.

Beim nächsten Platztausch mit Mat auf dem Podium beugte er sich hinüber und sagte Mat etwas ins Ohr. Sogar auf diese geringe Entfernung hin mußte er laut sprechen, doch bei dem Hintergrundlärm bezweifelte er, daß irgend jemand mithören konnte. »Hake wird versuchen, uns auszurauben.«

Mat nickte, als habe er das schon erwartet. »Wir müssen unsere Tür heute nacht verbarrikadieren.«

»Unsere Tür verbarrikadieren? Jak und Strom könnten eine Tür mit bloßen Fäusten einschlagen. Hauen wir lieber ab!«

»Warte zumindest bis nach dem Essen. Ich habe Hunger. Hier drin können sie uns nichts tun«, fügte Mat hinzu. Der vollgestopfte Schankraum rief ihnen ungeduldig zu, endlich weiterzumachen. Hake sah sie böse an. »Wollt Ihr heute nacht draußen schlafen?« Ein besonders starker Blitz ließ alles andere erblassen. Einen Augenblick lang war das Licht von draußen heller als das der Lampen.

»Ich will hier nur mit heilem Kopf herauskommen«, sagte Rand, doch Mat schlich schon wieder zu seinem Hocker zurück, um eine Pause einzulegen. Rand seufzte und begann mit ›Die Straße nach Dun Aren‹. Das schien einer Menge Leute zu gefallen. Er hatte es schon viermal gespielt, und sie wollten es immer noch hören. Das Dumme war, daß Mat soweit durchaus recht hatte. Er hatte auch Hunger. Und er konnte sich nicht vorstellen, wie Hake ihnen Schwierigkeiten bereiten sollte, solange der Schankraum voll war, und er wurde ja immer noch voller. Für jeden Gast, der die Schenke verließ oder durch Jak und Strom hinausgeworfen wurde, kamen zwei von der Straße herein. Sie verlangten, daß Mat jonglierte, oder riefen nach einem bestimmten Lied, waren aber ansonsten vor allem am Trinken interessiert und daran, die Kellnerinnen zu belästigen. Ein Mann machte allerdings eine Ausnahme.

Er hob sich allenthalben von der Menge im Tanzenden Fahrer ab. Die Kaufleute interessierten sich offensichtlich nicht für die heruntergekommene Schenke. Soweit er das beurteilen konnte, gab es für sie nicht einmal private Speiseräume. Die Gäste trugen alle grobe Kleidung, und ihre Haut ließ darauf schließen, daß sie ständig in Sonnenschein und Wind arbeiteten. Dieser Mann wirkte wohlgenährt, seine Hände sahen weich aus, und um die Schultern trug er einen Samtmantel und darüber einen mit blauer Seide besetzten Umhang aus dunkelgrünem Samt. Alle seine Kleidungsstücke sahen maßgeschneidert aus. Seine Schuhe — keine Stiefel, sondern weiche Samthalbschuhe — waren nicht für die gefurchten Straßen von Vier Könige angefertigt oder, besser gesagt, überhaupt nicht für irgendwelche Straßen.

Er kam eine ganze Weile nach Einbruch der Dunkelheit herein, schüttelte den Regen von seinem Umhang ab, während er sich mit einem vor Abscheu verzogenen Mund umblickte. Er sah sich einmal im Raum um und wandte sich dann wieder zum Gehen, doch plötzlich fuhr er hoch — Rand konnte nicht sehen, warum — und setzte sich an einen Tisch, von dem gerade zuvor Jak und Strom aufgestanden waren. Eine Kellnerin blieb an seinem Tisch stehen und brachte ihm dann einen Krug Wein, den er aber auf die Seite schob und nicht mehr anrührte. Sie schien es sehr eilig zu haben, seinen Tisch wieder zu verlassen, obwohl er keineswegs versuchte, sie zu belästigen — er sah sie nicht einmal an. Was er auch an sich haben mochte, daß sie sich in seiner Nähe nicht wohlfühlte, das bemerkten offensichtlich auch andere, die sich ihm näherten. Obwohl er so sanft wirkte, genügte ein Blick, um jeden Wagenfahrer mit schwieligen Händen zu vertreiben, der sich an seinen Tisch setzen wollte. Er saß da, als gebe es im ganzen Raum niemanden sonst — nur ihn, Rand und Mat. Er beobachtete sie über gefaltete Hände hinweg. An jedem Finger glitzerte ein Ring. Er beobachtete sie mit einem Lächeln, das Wiedererkennen und Selbstzufriedenheit ausdrückte.

Rand murmelte Mat etwas zu, als sie wieder die Plätze tauschten, und Mat nickte. »Ich habe ihn gesehen«, äußerte er sich. »Wer ist das? Ich habe das Gefühl, daß ich ihn kenne.«

Das war auch Rand bereits aufgefallen. Etwas nagte in seinem Gedächtnis, aber er konnte einfach nicht herausfinden, was es war. Und doch war er sicher, daß er gerade dieses Gesicht noch nie zuvor gesehen hatte.

Als sie, soweit Rand das schätzen konnte, etwa zwei Stunden lang aufgetreten waren, steckte er die Flöte in ihren Behälter und Mat und er lasen ihre Besitztümer auf. Als sie von dem niedrigen Podium heruntertraten, kam Hake mit vor Zorn verzerrtem Gesicht angewuselt. »Es wird Zeit, daß wir essen«, kam ihm Rand zuvor, »und wir wollen nicht, daß unsere Sachen gestohlen werden. Würdet Ihr dem Koch Bescheid sagen?« Hake zögerte. Er war noch immer wütend und bemühte sich vergebens, den Blick von dem fernzuhalten, was Rand in den Armen trug. Beiläufig nahm Rand das Bündel in den einen Arm, so daß er eine Hand frei hatte, um sie auf den Griff des Schwerts zu legen. »Ihr könnt ja auch versuchen, uns hinauszuwerfen.« Er betonte das mit voller Absicht und fügte hinzu: »Der Abend ist noch jung, und wir können noch lange auftreten. Wir brauchen Kraft, wenn wir gut genug sein wollen, um diese Menge Leute dazu zu bringen, ihr Geld auszugeben. Was glaubt Ihr, wie lange dieser Raum noch voll bleiben wird, wenn wir vor Hunger umfallen?«

Hakes Blick zuckte über den Raum voller Menschen hinweg, die ihm Geld in die Taschen stopften, und dann drehte er sich um und rief durch die Hintertür: »Gebt ihnen was zu essen!« Er wandte sich wieder Rand und Mat zu und fauchte sie an: »Braucht nicht den ganzen Abend dazu. Ich erwarte von euch, daß ihr dort droben bleibt, bis der letzte Gast weg ist.«

Einige Gäste riefen bereits nach dem Musiker und dem Jongleur, und Hake wandte sich nun ihnen zu, um sie zu beruhigen. Der Mann im Samtumhang gehörte zu den ganz eifrigen. Rand winkte Mat zu, ihm zu folgen.

Eine massive Tür trennte die Küche vom vorderen Teil der Schenke und außer, wenn sie gerade für eine Kellnerin geöffnet wurde, war das Trommeln des Regens in der Küche lauter zu hören als das Geschrei vom Schankraum her. Es war ein großer Raum, heiß und voller Dampf von den Herden und Backöfen, mit einem riesigen Tisch, auf dem halbfertige Gerichte neben bereits fertigen standen, die gleich serviert werden sollten. Ein paar der Kellnerinnen saßen auf einer Bank nahe dem Hinterausgang zusammen. Sie rieben sich die schmerzenden Füße und plauderten mit der fetten Köchin, die ihnen ständig ins Wort fiel und mit einem großen Kochlöffel herumfuchtelte, um ihre Meinung zu unterstreichen. Sie blickten alle auf, als Rand und Mat hereinkamen, unterbrachen aber ihre Unterhaltung keineswegs und massierten sich auch weiterhin die Füße.

»Wir sollten hier raus, solange wir noch eine Gelegenheit haben«, sagte Rand leise, aber Mat schüttelte den Kopf und sah nur auf die beiden Teller, die gerade von der Köchin mit Rindfleisch und Kartoffeln und Erbsen gefüllt wurden. Sie sah die beiden kaum an und unterhielt sich weiter mit den anderen Frauen, während sie mit den Ellenbogen Sachen beiseite schob und die beiden Teller auf den Tisch stellte. Gabeln legte sie auch daneben.

»Nach dem Essen ist noch genug Zeit.« Mat setzte sich auf eine Bank und begann damit, seine Gabel wie eine Schaufel zu benützen. Rand seufzte, tat es Mat aber schnell gleich. Seit dem vergangenen Abend hatte er nur eine Brotkruste gegessen. Sein Magen war so leer wie der Geldbeutel eines Bettlers, und der Geruch nach Essen, der sich durch die Küche zog, trug das seinige dazu bei. Er kaute hastig mit vollem Mund, aber bevor er seinen Teller zur Hälfte leer hatte, ließ Mat seinen bereits von der Köchin neu füllen.

Er wollte das Gespräch der Frauen nicht belauschen, aber einiges von dem, was sie sagten, ließ ihn dann doch die Ohren spitzen.

»Das hört sich verrückt an, finde ich.«

»Verrückt oder nicht, so hat man es mir jedenfalls erzählt. Er hat die Hälfte aller Schenken im Ort durchgemacht, bevor er hierher kam. Ist nur hereingekommen, hat sich umgeschaut und ist dann ohne ein Wort wieder hinausmarschiert, sogar aus der Königlichen Schenke. So, als ob es überhaupt nicht regnen würde.«

»Vielleicht hat er die hier für die bequemste gehalten.« Das rief einen Sturm von Gelächter hervor. »Wie ich gehört habe, ist er überhaupt erst nach Anbruch der Dunkelheit in Vier Könige angekommen, und seine Pferde müssen ganz schön fertig gewesen sein, so hart hat er sie rangenommen.«

»Wo ist der denn hergekommen, wenn er in der Dunkelheit noch draußen war? Nur Narren oder Verrückte verreisen, ohne richtig zu planen.«

»Na ja, vielleicht ist er ja ein Narr, aber ein reicher! Ich habe gehört, daß er noch eine zweite Kutsche hat, für seine Diener und das Gepäck. Da ist Geld zu holen, sage ich euch. Habt ihr seinen Umhang gesehen? Ich hätte nichts dagegen, wenn der mir gehörte.«

»Für meinen Geschmack ist er ein bißchen dick. Aber ich sage immer: Ein Mann kann gar nicht zu dick sein, wenn er dafür genug Gold hat.« Sie bogen sich alle vor Kichern, und die Köchin legte den Kopf in den Nacken und lachte schallend. Rand ließ seine Gabel auf den Teller fallen. In seinem Kopf bohrte ein Gedanke, der ihm gar nicht gefiel. »Ich bin gleich wieder zurück«, sagte er. Mat nickte kaum sichtbar und stopfte sich ein Stück Kartoffel in den Mund.

Rand nahm den Gürtel mit seinem Schwert und den Umhang. Er zog sich an und ging zum Hinterausgang. Niemand beachtete ihn.

Es goß in Strömen. Er legte sich den Umhang um und zog die Kapuze über den Kopf. Mit einer Hand hielt er den Umhang zu, während er über den Stallhof lief. Ein wahrer Wasservorhang verbarg alles, außer wenn es gerade blitzte, aber er fand doch, wonach er gesucht hatte. Man hatte die Pferde in den Stall gebracht, doch die beiden schwarzlackierten Kutschen standen glänzendnaß im Freien. Donner grollte, und ein Blitz zuckte über der Schenke auf. Der kurze Moment der Beleuchtung reichte ihm, um einen Namen in Goldschrift auf den Kutschentüren ausmachen zu können. Howal Gode.

Ohne auf den Regen zu achten, der auf ihn herunterprasselte, starrte er den Namen an, den er nicht einmal mehr sehen konnte. Er erinnerte sich daran, wo er zum letzten Mal schwarzlackierte Kutschen mit den Namen ihrer Eigentümer auf den Türen und dazu aalglatte, übergewichtige Männer in seidenbesetzten Samtumhängen und Samtschuhen gesehen hatte. Weißbrücke. Ein Kaufmann aus Weißbrücke konnte durchaus einen legitimen Grund haben, nach Caemlyn zu fahren. Einen Grund, der ihn dazu führt, die Hälfte aller Schenken im Ort abzuklappern und dann ausgerechnet dort einzukehren, wo du bist? Und dann starrt er dich an, als habe er gefunden, wonach er suchte?

Rand schauderte, und es wurde ihm bewußt, daß ihm Regenwasser den Rücken hinunterrann. Sein Umhang war wohl dicht, aber nicht für einen solch gewaltigen Regenguß geeignet. Er eilte zur Schenke zurück. Die Pfützen, durch die er platschte, wurden immer tiefer. Jak stand in der Tür, als er eintreten wollte.

»Na, na, na! Allein hier draußen im Dunklen. Die Dunkelheit ist gefährlich, Junge.«

Regennasse Haarsträhnen klebten an Rands Stirn. Bis auf sie beide war der Stallhof leer. Er fragte sich, ob Hake Schwert und Flöte unbedingt jetzt schon haben wollte und sogar riskierte, daß ihm die Menge im Schankraum weglaufen würde.

Mit einer Hand wischte er sich die Nässe von der Stirn und aus den Augen, die andere griff nach seinem Schwert. Auch naß war das Noppenleder noch ausgesprochen griffig. »Meint Hake etwa, die Leute blieben alle nur seines Bieres wegen und nicht, weil ihnen Unterhaltung geboten wird? Wenn das so ist, dann nehmen wir eben das Essen als Bezahlung für die geleistete Arbeit und machen uns wieder auf den Weg.«

Der grobschlächtige Mann, der im Trockenen stand, blickte in den Regen hinaus und schnaubte: »Bei dem Wetter?« Sein Blick glitt hinab zu Rands Hand auf dem Schwertgriff. »Weißt du, ich und Strom haben gewettet. Er denkt, du hast das deiner alten Großmutter gestohlen. Ich glaube aber, deine Oma würde dich mit dem Besen um den Schweinestall hetzen und dann zum Trocknen aufhängen.« Er grinste. Seine Zähne standen teilweise schief und waren ganz gelb. Das Grinsen ließ ihn noch bösartiger erscheinen. »Der Abend ist noch lang, Junge.«

Rand schob sich an ihm vorbei, und Jak ließ ihn mit einem häßlichen Auflachen ziehen. Drinnen warf er seinen Umhang zur Seite und ließ sich auf die Bank am Tisch fallen, die er erst Minuten vorher verlassen hatte. Mat hatte seinen zweiten Teller geschafft und ›arbeitete‹ an einem dritten. Er aß jetzt langsamer, aber sehr bewußt, als plane er, jeden Bissen zu verzehren, und wenn er auch platzte.

Jak stellte sich an die Tür zum Stallhof, lehnte sich an die Wand und beobachtete sie. Selbst die Köchin verspürte aber anscheinend kein Bedürfnis, sich mit ihm zu unterhalten.

»Er kommt aus Weißbrücke«, sagte Rand leise. Es war nicht nötig, zu sagen, wen er mit ›er‹ meinte. Mats Kopf drehte sich ihm zu. Ein auf die Gabel gespießtes Stück Rindfleisch hing auf halbem Weg zum Mund bewegungslos in der Luft. Rand war sich der Tatsache nur zu bewußt, daß Jak sie beobachtete, und so rührte er im Essen auf seinem Teller herum. Er hätte jetzt keinen Bissen mehr heruntergebracht, und wenn er am Verhungern gewesen wäre, aber er täuschte großes Interesse an seinen Erbsen vor, während er Mat von den Kutschen berichtete und was die Frauen gesagt hatten, falls Mat das nicht mitbekommen haben sollte.

Offensichtlich hatte er das nicht. Mat zwinkerte überrascht und pfiff durch die Zähne, blickte dann finster das Stück Fleisch an seiner Gabel an und warf es auf den Teller zurück. Rand wünschte, er würde sich wenigstens etwas Mühe geben, sich unverdächtig zu benehmen.

»Er ist hinter uns her«, sagte Mat, als er fertig war. Die Runzeln auf Mats Stirn vertieften sich. »Schattenfreund?«

»Vielleicht. Ich weiß nicht.« Rand sah nach Jak, und der grobschlächtige Mann streckte sich auffällig. Er hatte Schultern wie ein Hufschmied. »Glaubst du, wir kommen an dem vorbei?«

»Nicht, ohne daß er Trubel veranstaltet und uns Hake und den anderen auf den Hals hetzt. Ich wußte, wir hätten nicht hierbleiben sollen.«

Rand blieb vor Verblüffung der Mund offen, aber bevor er etwas herausbringen konnte, schob sich Hake durch die Tür zum Schankraum. Hinter ihm ragte Stroms große Gestalt auf. Jak stellte sich direkt vor die Hintertür. »Wollt ihr die ganze Nacht lang essen?« bellte Hake. »Ich hab euch nichts zu essen gegeben, damit ihr euch hier draußen auf die faule Haut legt!«

Rand sah seinen Freund an. Mat formte mit den Lippen das Wort ›später‹, und so packten sie unter den wachsamen Augen von Hake, Strom und Jak ihre Sachen. Sobald Rand und Mat erschienen, wurden durch den Lärm des Schankraums hindurch Rufe nach weiterem Jonglieren und die Titel neuer Lieder laut. Der Mann im Samtumhang — Howal Gode — schien immer noch alle anderen um sich herum zu ignorieren, aber er saß trotzdem gespannt auf der Stuhlkante. Bei ihrem Anblick lehnte er sich mit einem befriedigten Lächeln auf den Lippen zurück.

Rand war als erster vorn auf dem Podium an der Reihe. Er spielte ›Wasser aus dem Brunnen‹, doch er war nur mit halbem Herzen dabei. Keiner schien die wenigen falschen Töne zu bemerken. Er versuchte zu überlegen, wie sie wohl entkommen könnten, und zu vermeiden, Gode direkt anzusehen. Wenn er wirklich hinter ihnen her war, hatte es keinen Sinn, ihm zu zeigen, daß sie Bescheid wußten. Und was das Entkommen betraf...

Ihm war früher noch nie so klar geworden, welch gute Falle eine solche Schenke darstellte. Hake, Strom und Jak mußten sie nicht einmal ständig im Auge behalten; die Reaktion der Menge würde ihnen zeigen, wenn er oder Mat das Podium verließen. Solange der Schankraum voll von Gästen war, konnte Hake ihnen Jak und Strom nicht auf den Hals hetzen, aber sie konnten sich auch nicht davonmachen, ohne daß es Hake wußte. Und nun beobachtete auch noch Gode jede ihrer Bewegungen. Es war so komisch, daß er hätte lachen können, wenn ihm nicht so zum Heulen zumute gewesen wäre. Sie mußten also höllisch aufpassen und den richtigen Moment abwarten.

Als er den Platz mit Mat tauschte, stöhnte Rand innerlich. Mat funkelte Hake, Strom und Jak böse an und achtete nicht darauf, ob sie es bemerkten oder sich fragten, aus welchem Grund er so dreinblicken mochte. Wenn er gerade keine Bälle jonglierte, hatte er immer die Hand unter seinem Mantel. Rand zischte zu ihm herüber, doch er achtete nicht darauf. Wenn Hake auch noch den Rubin sah, wartete er vielleicht nicht mehr ab bis sie allein waren. Falls die Gäste im Schankraum ihn sahen, würde sich möglicherweise die Hälfte Hake anschließen.

Was am schlimmsten war: Mat starrte den Kaufmann aus Weißbrücke — den Schattenfreund? — derart an, daß Gode es bemerkte. Er konnte es gar nicht übersehen. Aber er ließ sich davon nicht im geringsten stören. Wenn überhaupt, dann wurde sein Lächeln noch breiter, und er nickte Mat wie einem alten Bekannten zu sah dann zu Rand hinüber und hob fragend eine Augenbraue. Rand wollte gar nicht wissen, was er damit fragen wollte. Er bemühte sich, den Mann nicht anzusehen, aber er wußte, es war bereits zu spät. Zu spät. Wieder zu spät.

Nur eine Sache brachte den Mann im Samtumhang aus dem Gleichgewicht: Rands Schwert. Er hatte es nicht abgenommen. Zwei oder drei Männer taumelten zu ihm hoch und fragten, ob er sein Spiel für so schlecht hielt, daß er sich schützen müsse, aber keiner davon hatte den Reiher auf dem Knauf bemerkt. Gode schon. Seine blassen Hände verkrampften sich, und er blickte das Schwert eine ganze Weile finster an, bevor sein Lächeln zurückkehrte. Und dann war es nicht mehr so überlegen wie vorher.

Wenigstens etwas Gutes hat das, dachte Rand. Wenn er glaubt, daß ich als Kämpfer das Reiherzeichen verdient habe, dann läßt er uns vielleicht in Ruhe. Dann müssen wir uns lediglich über Hake und seine Schläger den Kopf zerbrechen. Der Gedanke trug auch nicht viel zu seiner Beruhigung bei, und — Schwert oder nicht — Gode beobachtete sie weiterhin. Und lächelte.

Rand schien dieser Abend ein Jahr lang zu dauern. All diese Augen, die ihn anstarrten: Hake und Strom und Jak lauerten wie die Geier auf ein Schaf, das in einem Moorloch gefangen war. Gode wartete wie etwas noch Schlimmeres. Er bildete sich inzwischen ein, daß alle Gäste im Raum sie aus irgendeinem verborgenen Grund beobachteten. Saurer Weindunst und der Gestank ungewaschener, schwitzender Körper ließen seinen Kopf schwimmen, und das Stimmengewirr erschlug ihn, bis seine Augen schwammen und selbst der Klang des eigenen Flötenspiels seine Ohren schmerzen ließ. Das Donnergrollen schien aus dem Inneren seines Schädels zu kommen. Die Erschöpfung hing wie ein Bleigewicht an ihm.

Schließlich zog die Notwendigkeit, in der Morgendämmerung wieder aufstehen zu müssen, die Männer zögernd hinaus in die Dunkelheit. Ein Bauer konnte selbst bestimmen, was er wann tun mußte, aber die Kaufleute zeigten kein Mitgefühl, wenn ein von ihnen bezahlter Fahrer einen Kater hatte. Nach Mitternacht leerte sich so der Schankraum langsam, als sogar diejenigen, die oben ein Zimmer gemietet hatten, loswankten und nach ihren Betten suchten.

Gode war der letzte Gast. Als Rand gähnend nach dem Lederbehälter für die Flöte griff, stand Gode auf und legte sich seinen Umhang über den Arm. Die Kellnerinnen räumten auf und schimpften über den vielen verschütteten Wein und das zerbrochene Geschirr. Hake schloß die Vordertür mit einem großen Schlüssel ab. Gode stand einen Moment lang mit Hake in einer Ecke und sprach mit ihm. Hake rief eine der Frauen, die ihm ein Zimmer zuweisen sollte. Der Mann mit dem Samtumhang lächelte Rand und Mat verschwörerisch an, bevor er nach oben verschwand.

Hake sah Rand und Mat an. Jak und Strom standen neben ihm.

Rand hängte sich hastig den Rest seiner Sachen über die Schulter und hielt alles ungeschickt mit der Linken nach hinten zurück, so daß er sein Schwert erreichen konnte. Er griff nicht danach, aber er wollte sichergehen, daß er kampfbereit war. Er unterdrückte ein weiteres Gähnen; wie müde er wirklich war, brauchten die anderen nicht zu wissen.

Mat schulterte ungeschickt seinen Bogen und die anderen Habseligkeiten, aber er steckte die Hand unter seinen Mantel, als er sah, daß Hake und seine Schläger auf sie zukamen.

Hake trug eine Öllampe, und zu Rands Überraschung verbeugte er sich kurz und wies mit der Hand auf eine Tür an der Seite. »Eure Strohsäcke sind dort.« Nur ein leichtes Verziehen der Lippen verdarb seine schauspielerische Leistung.

Mat zeigte mit dem Kinn auf Jak und Strom. »Braucht Ihr die beiden, um uns unsere Betten zu zeigen?«

»Ich bin ein Mann von Besitz«, sagte Hake und strich sich die verschmutzte Schürze über dem Bauch glatt. »Und Männer von Besitz können nicht vorsichtig genug sein.« Ein Donnerkrachen ließ die Fenster erzittern. Er sah bedeutsam hinauf zur Decke und grinste sie dann breit an: »Wollt ihr eure Betten sehen oder nicht?«

Rand fragte sich, was geschähe, wenn sie sagten, sie wollten lieber gehen. Wenn du wirklich mehr vom Gebrauch eines Schwertes verstündest, als das, was dir Lan an ein paar Abenden gezeigt hat... »Nach Euch«, sagte er und bemühte sich, die Stimme hart klingen zu lassen. »Ich habe nicht gern jemanden im Rücken.«

Strom lachte durch die Nase, aber Hake nickte gelassen und wandte sich der Seitentür zu. Die beiden großen Männer stolzierten großspurig hinter ihm her. Rand holte tief Luft und blickte sehnsüchtig zur Küchentür hinüber. Wenn Hake den Hinterausgang bereits verschlossen hatte, würde Wegrennen sie nur in die Lage bringen, die er zu vermeiden hoffte. Trübselig folgte er dem Wirt.

An der Seitentür zögerte er, und Mat rempelte ihn von hinten an. Der Grund, warum Hake eine Lampe trug, war klar: Die Tür führte in einen unbeleuchteten Flur. Es war pechschwarz dort. Nur die von Hake hochgehaltene Lampe, in deren Schein sich Jak und Strom abzeichneten, gab ihm den Mut weiterzugehen. Wenn sie sich umdrehten, würde er es rechtzeitig sehen. Und was dann? Der Fußboden knarrte unter seinen Stiefeln.

Der Flur endete vor einer einfachen, nicht einmal gestrichenen Brettertür. Er hatte nicht sehen können, ob sich dazwischen noch andere Türen befanden. Hake und seine Schläger gingen hinein, und er folgte ihnen schnell, bevor sie Gelegenheit hatten, ihnen eine Falle zu stellen. Doch Hake hob lediglich seine Lampe und deutete damit in den Raum hinein. »Da sind wir.«

Einen alten Lagerraum hatte er ihn genannt, und so, wie er aussah, war er schon eine Weile nicht mehr benützt worden. Verwitterte Fässer und aufgebrochene Kisten bedeckten den halben Fußboden. Gleichmäßig tropfte es an mehr als einer Stelle von der Decke, und eine zerbrochene Scheibe im schmutzigen Fenster ließ den Regen herein. Auf den Regalen stand undefinierbarer Krimskrams herum. Fast alles war von einer dicken Staubschicht bedeckt. Daß tatsächlich die versprochenen Strohsäcke vorhanden waren, überraschte Rand.

Das Schwert macht ihn nervös. Er wird nichts unternehmen, bis wir tief schlafen. Rand hatte nicht die Absicht, unter Hakes Dach einzuschlafen. Sobald der Wirt draußen war, wollte er zum Fenster hinaus. »Es wird schon gehen«, sagte er. Er blickte unverwandt Hake an und wartete auf ein Signal an die beiden grinsenden Männer an der Seite des Wirts. Es kostete Rand Mühe, sich nicht ständig die Lippen zu befeuchten. »Laßt die Lampe hier.«

Hake brummte, schob die Lampe aber doch auf ein Regalbrett. Er zögerte, sah sie an, und Rand war sicher, daß er drauf und dran war, Jak und Strom das Zeichen zum Angriff zu geben. Doch dann blickte er berechnend auf Rands Schwert und wies die beiden großen Männer mit einer schnellen Kopfbewegung zur Tür. Über ihre breiten Gesichter huschte Überraschung, aber sie folgten ihm ohne einen Blick nach hinten aus dem Raum.

Rand wartete, bis das Knarren ihrer Schritte verklungen war, zählte dann bis fünfzig und streckte den Kopf aus der Tür. Die Dunkelheit im Flur wurde nur von einem rechteckigen Lichtstreifen unterbrochen, der ihm so fern wie der Mond erschien: dem Umriß der Tür zum Schankraum. Als er den Kopf wieder einzog, bewegte sich etwas Großes im Dunkel in der Nähe dieser Tür. Jak oder Strom. Einer stand Wache.

Eine kurze Untersuchung sagte ihm alles über die Tür, was er wissen mußte, allerdings nichts Gutes. Die Bretter waren stark und fest, aber es gab kein Schloß und keinen Riegel auf der Innenseite. Wenigstens öffnete sie sich in den Raum hinein.

»Ich dachte, jetzt gehen sie auf uns los«, sagte Mat. »Worauf warten sie noch?« Er hatte den Dolch herausgeholt und hielt ihn in einer Faust. Die Knöchel waren weiß vor Anstrengung. Das Licht der Lampe schimmerte auf der Klinge. Bogen und Köcher lagen vergessen am Boden.

»Daß wir einschlafen.« Rand kramte zwischen den Fässern und Kisten herum. »Hilf mir, etwas zu finden, um die Tür zu verbarrikadieren.«

»Warum? Du willst doch nicht wirklich hier schlafen, oder? Klettern wir aus dem Fenster, und dann nichts wie weg. Ich bin lieber naß als tot.«

»Einer von ihnen ist am Ende des Flurs. Wenn wir irgendein auffälliges Geräusch machen, sind sie innerhalb eines Wimpernschlags hier drinnen. Ich glaube, Hake wird eher riskieren, uns wach gegenüberzustehen, als uns laufenzulassen.«

Leise fluchend machte sich auch Mat auf die Suche, aber in dem Abfall auf dem Boden war nichts Brauchbares zu finden. Die Fässer waren leer, die Kisten zersplittert, und auch wenn sie einfach alles vor die Tür schichteten, würde das keinen daran hindern, sie zu öffnen. Dann entdeckte Rand etwas Bekanntes auf einem Regal: zwei Eisenkeile, rostig und mit Staub bedeckt. Er nahm sie grinsend herunter.

Eilig schob er sie unter die Tür, und als der nächste Donnerknall die Schenke erzittern ließ, trieb er sie schnell mit kurzen Fersentritten hinein. Der Donner verhallte, und er hielt die Luft an und lauschte. Er hörte nur das Trommeln des Regens auf dem Dach. Keine Bodenbretter, die unter rennenden Füßen quietschten. »Das Fenster«, sagte er.

Es war, der es umgebenden Schmutzkruste nach zu schließen, seit Jahren nicht mehr geöffnet worden. Sie stemmten sich gemeinsam dagegen und drückten mit aller Kraft. Rands Knie zitterten, bevor der Rahmen endlich nachgab und bei jeder Handbreit Öffnung knirschte. Als die Öffnung groß genug war, um sich hindurchzuzwängen, duckte er sich und hielt dann inne.

»Blut und Asche!« grollte Mat. »Kein Wunder, daß Hake sich keine Gedanken machen mußte, wir könnten hier herausschlüpfen.«

Eisenstäbe in einem eisernen Rahmen glänzten naß im Licht der Lampe. Rand drückte gegen das Gitter. Es war so fest wie ein Felsblock.

»Ich habe etwas gesehen«, sagte Mat. Er kramte hastig in dem Zeug auf den Regalen herum und kam mit einem rostigen Stemmeisen zurück. Er rammte das eine Ende unter den Eisenrahmen, und Rand fuhr zusammen.

»Denk an den Lärm, Mat!«

Mat verzog das Gesicht und fluchte wieder leise, wartete aber ab. Rand legte die Hände um das Stemmeisen und versuchte, mit den Füßen in der sich ständig erweiternden Pfütze auf dem Boden einen sicheren Halt zu finden. Donner grollte und sie stemmten sich wieder gegen das Eisen. Unter dem gequälten Quietschen von Nägeln, das Rand die Haare zu Berge stehen ließ, bewegte sich der Rahmen ein wenig — einen Fingerbreit vielleicht. Also nützten sie jedes Donnergrollen, jeden Blitzschlag, und stemmten sich ein ums andere Mal gegen das Eisen. Nichts. Ein Fingerbreit. Nichts. Eine Haaresbreite. Nichts. Nichts.

Plötzlich rutschte Rand in der Nässe aus, und sie fielen zu Boden. Das Stemmeisen klapperte wie ein Gong gegen das Gitter. Er lag in einer Pfütze, hielt den Atem an und lauschte. Stille — bis auf den Regen.

Mat rieb sich die angeschlagenen Knöchel und sah ihn böse an. »Wenn es so weitergeht, kommen wir nie hier raus.« Der Eisenrahmen war kaum so weit herausgedrückt, daß man zwei Finger drunterklemmen konnte. Und selbst diese Öffnung war von Dutzenden starker Nägel versperrt.

»Wir müssen es eben weiter versuchen«, sagte Rand und stand auf. Doch als er wieder das Stemmeisen unter die Kante des Rahmens schob, quietschte die Tür, als versuche jemand, sie zu öffnen. Die Keile hielten. Er tauschte einen besorgten Blick mit Mat. Mat zog wieder den Dolch heraus. Die Tür knarrte erneut.

Rand atmete tief ein und bemühte sich, seine Stimme fest erscheinen zu lassen. »Geht weg, Hake. Wir versuchen, zu schlafen.«

»Ich fürchte, das ist eine Verwechslung.« Die Stimme klang so aalglatt und von sich eingenommen, daß sie ihren Ursprung verriet: Howal Gode. »Meister Hake und seine... Lakaien werden uns nicht stören. Sie schlafen fest und werden am Morgen höchstens in der Lage sein, sich darüber zu wundern, wohin Ihr verschwunden seid. Laßt mich ein, meine jungen Freunde. Wir müssen miteinander sprechen.«

»Wir haben keinen Grund, mit Euch zu sprechen«, sagte Mat. »Geht und laßt uns schlafen.«

Godes Lachen klang bösartig. »Natürlich müssen wir uns über etwas unterhalten. Das wißt Ihr so gut wie ich. Ich habe es Euren Augen abgelesen. Ich weiß, was Ihr seid, vielleicht sogar besser als Ihr selbst. Ich kann fühlen, wie es in Wellen vor Euch herfließt. Ihr gehört jetzt schon halb meinem Herrn. Hört auf wegzulaufen und findet Euch damit ab. Dann wird alles viel leichter für Euch. Wenn Euch die Weiber von Tar Valon finden, dann werdet Ihr Euch noch wünschen, Ihr könntet Euch selbst die Kehle durchschneiden, und das, bevor sie mit Euch fertig sind. Aber Ihr könnt es nicht mehr. Nur mein Herr kann Euch vor ihnen beschützen.«

Rand hatte schwer zu schlucken. »Wir haben keine Ahnung, wovon Ihr sprecht. Laßt uns in Ruhe.« Der Fußboden im Flur knarrte. Gode war nicht allein. Wie viele Männer konnte er in zwei Kutschen mitgebracht haben?

»Hört auf, Euch wie Narren zu benehmen, meine jungen Freunde! Ihr wißt es doch. Ihr wißt es ganz genau. Der Große Herr der Dunkelheit hat Euch als sein eigen gezeichnet. Es steht geschrieben, wenn er erwacht, dann werden ihn die neuen Schattenlords erwarten, um ihm zu huldigen. Ihr müßt zwei davon sein, sonst wäre ich nicht ausgesandt worden, Euch zu finden. Denkt daran: ewiges Leben und mehr Macht, als Ihr Euch erträumen könnt.« Seine Stimme klang gepreßt, als hungere er selbst nach eben dieser Macht.

Rand sah zum Fenster hinaus, als gerade ein Blitz den Himmel zerriß, und er hätte beinahe laut gestöhnt. Der kurze Moment Helligkeit zeigte ihm, daß draußen Männer standen, die den Regen, der sie durchnäßte, einfach mißachteten und das Fenster beobachteten.

»Ich bin dieses Spiels müde«, verkündete Gode. »Ihr werdet Euch meinem Meister unterwerfen — Eurem Meister -, oder Ihr werdet unterworfen. Das wäre nicht angenehm für Euch. Der Große Herr der Dunkelheit herrscht über den Tod, und er kann Leben im Tod oder Tod im Leben gewähren, wie er es wünscht. Öffnet diese Tür. Auf die eine oder andere Weise ist Euer Wegrennen beendet! Öffnet sie, sage ich!«

Er mußte auch noch etwas anderes gesagt haben, denn plötzlich prallte ein schwerer Körper gegen die Tür. Sie bebte, und die Keile verschoben sich ein ganz klein wenig. Auf dem Holz zeigte sich eine Rostspur. Immer wieder wurde die Tür erschüttert, wenn Körper dagegenprallten. Manchmal hielten die Keile, manchmal gaben sie wieder etwas nach, und so wurde die Tür ganz allmählich, aber unaufhaltsam nach innen gedrückt.

»Ergebt Euch«, verlangte Gode vom Flur aus, »oder verbringt die Ewigkeit damit, Euch zu wünschen, Ihr hättet Euch ergeben!«

»Wenn wir keine andere Wahl haben... « Unter Rands Blick leckte sich Mat die Lippen. Sein eigener Blick huschte umher wie der eines Dachses in der Falle. Sein Gesicht war blaß, und er atmete schwer beim Sprechen. »Wir könnten einwilligen und später zu entkommen versuchen. Blut und Asche, Rand, es gibt keinen Weg nach draußen!«

Die Worte schienen Rand wie durch eine Schicht von Watte zu erreichen, die er sich in die Ohren gestopft hatte.

Kein Weg führt nach draußen. Oben donnerte es wieder, und ein weiterer Blitz zuckte über den Himmel. Muß einen Weg finden. Gode rief nach ihnen, forderte, bat; die Tür rutschte wieder ein Stückchen nach innen auf. Ein Ausweg!

Licht erfüllte den Raum, blendete alle Sicht. Die Luft schrie auf und brannte. Rand fühlte, wie er hochgehoben und gegen die Wand geschleudert wurde. Er rutschte wie ein Häufchen Elend zu Boden. In seinen Ohren rauschte es, und jedes Haar an seinem Körper stand zu Berge. Betäubt taumelte er hoch. Seine Knie gaben nach, und er stützte sich mit einer Hand an der Wand ab. Er sah sich erstaunt um.

Die Lampe, die umgekippt am Rand eines der wenigen übriggebliebenen Regalbretter lag, brannte noch immer und erhellte den Raum ein wenig. All die Fässer und Kisten lagen, teilweise rußgeschwärzt und qualmend, irgendwo herum, wohin sie eben geschleudert worden waren. Das Fenster mit dem Gitter davor und auch der größte Teil der Wand waren verschwunden und hatten lediglich ein ausgefranstes Loch hinterlassen. Das Dach war eingesackt, und an den gesplitterten Kanten der Öffnung kämpften Rauchfäden gegen den Regen an. Die Tür hing schief in den Angeln und hatte sich so in ihrem Rahmen verkeilt. Alles erschien ihm verschwommen unwirklich. Er stellte die Lampe wieder auf. Es schien ihm das wichtigste auf der Welt, sich zu vergewissern, daß sie nicht zerbrechen konnte.

Ein Kistenstapel wölbte sich plötzlich und brach auf. Mitten drin stand Mat auf. Er wankte, blinzelte und befühlte seinen Körper, als wolle er nachprüfen, ob noch alles an seinem Platz sei. Er spähte in Richtung Rand. »Rand? Bist du das? Du lebst. Ich dachte, wir seien beide... « Er brach ab, biß sich auf die Lippe und zitterte. Rand brauchte einen Augenblick, um zu erkennen, daß er lachte, allerdings am Rande der Hysterie.

»Was ist geschehen, Mat? Mat? Mat! Was ist geschehen?«

Mats Körper wurde von einem letzten Zittern durchgeschüttelt und dann war er ruhig. »Ein Blitz, Rand. Ich habe gerade aus dem Fenster geschaut, als er in das Gitter einschlug. Blitz. Ich kann mir nicht denken, was... « Er brach ab, schielte zu der schief in den Angeln hängenden Tür hinüber, und seine Stimme wurde scharf. »Wo ist Gode?«

Nichts bewegte sich in dem Korridor vor der Tür. Es war weder von Gode noch seinen Begleitern ein Anzeichen zu entdecken — auch kein Laut -, obwohl sich in dieser Dunkelheit alles verbergen konnte. Rand ertappte sich dabei, daß er hoffte, sie seien tot; er hätte jedoch den Kopf nicht in den Flur hinausgesteckt, um das nachzuprüfen, und wenn man ihm dafür eine Krone geboten hätte. Auch draußen in der Nacht jenseits der ehemaligen Wand bewegte sich nichts, doch anderswo waren Menschen auf den Beinen und rannten herum. Verwirrte Schreie kamen aus dem oberen Stockwerk der Schenke, und man hörte das Getrampel rennender Füße.

»Gehen wir, solange wir noch können«, sagte Rand.

Er half schnell, ihre Besitztümer aus dem Schutt herauszusuchen, packte Mat am Arm und zog ihn teils, teils führte er ihn durch das klaffende Loch in die Nacht hinaus. Mat klammerte sich an seinen Arm und stolperte mit vorgestrecktem Kopf, um etwas sehen zu können, neben ihm her.

Als der erste Regentropfen Rands Gesicht traf, zuckte ein gespaltener Blitz über die Schenke hinweg, und er blieb verkrampft stehen. Godes Männer waren noch da. Sie lagen mit den Füßen zu der Öffnung hin am Boden. Ihre Körper wurden vom Regen überschüttet, und ihre geöffneten Augen starrten in den Himmel.

»Was ist los?« fragte Mat. »Blut und Asche! Ich kann kaum meine eigene verdammte Hand sehen!«

»Nichts«, sagte Rand. Glück. Die im Licht wandeln... Tatsächlich? Zitternd führte er Mat um die Leichen herum. »Nur der Blitz.«

Es gab keine andere Beleuchtung als die Blitze, und er stolperte in den Furchen der Straße, als sie von der Schenke wegtorkelten. Da Mat fast nur an ihm hing, führte jedes Stolpern beinahe zum Sturz, aber sie rannten eben taumelnd und schwer atmend weiter.

Einmal blickte er zurück. Einmal, bevor der Regen zu einem dichten Vorhang wurde, der den Tanzenden Fahrer vor ihm verbarg. Im Blitzschein erkannte er die Silhouette eines Mannes am Hinterausgang der Schenke, der ihnen oder dem Himmel mit der Faust drohte. Gode oder Hake -er wußte es nicht, aber einer war ihm so lieb wie der andere. Der Regen ergoß sich derart vom Himmel, daß sie wie in einer Wasserwand gefangen waren. Er eilte durch die Nacht und lauschte im Brausen des Sturms nach irgendwelchen Verfolgern.

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