Als sie das weiße Steingebäude auf ihren nervös tänzelnden Pferden verließen, kam der eisige Wind in Böen, seufzte über die Dächer, peitschte Umhänge wie Flaggen und trieb dünne Wolkenfetzen über die feine Sichel des Mondes. Nach einem leisen Befehl, nahe beieinander zu bleiben, führte Lan sie die Straße hinunter an. Die Pferde bewegten sich unruhig und zogen an ihren Zügeln. Sie wollten schnell weg von diesem Ort.
Rand lugte mißtrauisch hinauf zu den Gebäuden, an denen sie vorbeikamen. Sie ragten hoch in die Nacht hinein, und ihre leeren Fenster wirkten wie die Augenhöhlen eines Schädels. Schatten schienen sich zu bewegen. Gelegentlich hörte man etwas klappern — Schutt, den der Wind zum Abrutschen gebracht hatte. Wenigstens sind die Augen weg. Es war nur eine kurze Erleichterung, die er da spürte. Warum sind sie weg?
Thom und die Emondsfelder hielten sich dicht beieinander. Sie waren sich so nahe, daß sie sich fast berühren konnten. Egwenes Schultern waren eingezogen, als bemühe sie sich, den Hufschlag Belas auf dem Pflaster noch leichter zu machen. Rand hätte am liebsten gar nicht geatmet. Geräusche könnten die Aufmerksamkeit auf sie lenken. Plötzlich wurde ihm klar, daß sich vor ihnen eine Lücke aufgetan hatte, die sie von dem Behüter und der Aes Sedai trennte. Die beiden waren nur als undeutliche Gestalten gute dreißig Schritte vor ihnen zu erkennen.
»Wir bleiben zurück«, murmelte er und klatschte mit den Stiefeln auf Wolkes Flanken, um diesen zu einer schnelleren Gangart zu bewegen. Ein dünner, silbergrauer Nebelfaden trieb in geringer Höhe über die Straße vor ihm. »Halt!« Das kam als ein unterdrückter Schrei von Moiraine, scharf und dringlich, aber so gehalten, daß er nicht weit hörbar war.
Unsicher hielt er Wolke an. Der Nebelsplitter lag nun quer über der Straße und wurde langsam dicker, als quölle immer mehr davon aus den Gebäuden zu beiden Seiten der Straße. Jetzt war er so dick wie der Arm eines ausgewachsenen Mannes. Wolke wieherte leise und versuchte, nach hinten auszuweichen, während Egwene und Thom und die anderen sie einholten. Auch ihre Pferde warfen die Köpfe hoch und wehrten sich dagegen, dem Nebel zu nahe zu kommen.
Lan und Moiraine ritten langsam auf den Nebel zu, der mittlerweile so stark wie ein Bein geworden war, und hielten dann auf der gegenüberliegenden Seite in einigem Abstand an. Die Aes Sedai betrachtete den Nebelarm, der sie trennte, ganz genau. Rand zuckte nervös, als sich zwischen seinen Schulterblättern ein Juckreiz, wohl aus Angst, bemerkbar machte. Der Nebel wurde von einem schwachen Leuchten umgeben, dessen Helligkeit zunahm, als der neblige Tentakel fetter wurde. Aber das Leuchten war trotzdem nicht viel stärker als der Mondschein. Die Pferde waren unruhig; sogar Aldieb und Mandarb.
»Was ist das?« fragte Nynaeve.
»Das Böse an Shadar Logoth«, antwortete Moiraine. »Mashadar. Es sieht nichts, denkt nicht und bewegt sich genauso ziellos durch die Stadt wie ein Wurm sich durch den Boden bohrt. Wenn es dich berührt, mußt du sterben.« Rand und die anderen ließen schnell ihre Pferde ein paar Schritte rückwärtstänzeln, aber nicht zu weit. So sehr sich Rand auch wünschte, die Aes Sedai los zu sein: Verglichen mit dem, was da vor ihnen lag, wirkte sie wie ein Hort der Sicherheit.
»Wie sollen wir dann zu Euch hinüberkommen?« fragte Egwene. »Könnt Ihr es töten... den Weg freimachen?«
Moiraines Lachen klang bitter und war kurz. »Mashadar ist riesengroß, Mädchen, so groß wie Shadar Logoth selbst. Der ganze Weiße Turm könnte es nicht töten. Wenn ich es in dem Maße verletze, wie es nötig ist, um Euch herüberkommen zu lassen, dann würde die verbrauchte Menge der Einen Macht wie ein Signalfeuer die Halbmenschen anlocken. Und Mashadar würde herbeistürzen, um den Schaden, den ich angerichtet hätte, zu heilen und uns vielleicht in seinem Netz zu fangen.«
Rand tauschte einen Blick mit Egwene und stellte dann ihre Frage nochmals. Moiraine seufzte, bevor sie antwortete.
»Es gefällt mir nicht, aber was sein muß, muß sein. Dieses Ding wird sich nicht überall oben aufhalten. Andere Straßen sollten frei sein. Seht Ihr diesen Stern?« Sie drehte sich im Sattel herum und deutete auf einen roten Stern, der sich in niedriger Höhe am Osthimmel zeigte. »Haltet auf diesen Stern zu, und er wird Euch zum Fluß führen. Was auch geschieht, ihr müßt versuchen, den Fluß zu erreichen. Reitet so schnell Ihr könnt, doch macht vor allem keinen Lärm. Die Trollocs sind auch noch da, denkt daran. Und vier Halbmenschen.«
»Aber wie finden wir Euch wieder?« wandte Egwene ein.
»Ich werde Euch finden«, sagte Moiraine. »Ihr könnt sicher sein, daß ich Euch finden kann. Jetzt reitet los. Dieses Ding hat wohl überhaupt keinen Verstand, aber es kann die Anwesenheit von Futter fühlen.« Tatsächlich hatten sich silbergraue Fäden aus dem größeren Nebelkörper gelöst. Sie trieben, die Richtung ständig wechselnd, durch die Luft wie die Tentakel eines Hundertarms am Grund eines Wasserwald-Teiches.
Als Rand von dem dicken Strang durchscheinenden Nebels aufblickte, waren der Behüter und die Aes Sedai fort. Er leckte sich die Lippen und sah seinen Gefährten in die Augen. Sie waren genauso nervös wie er. Und noch schlimmer: Sie schienen alle darauf zu warten, daß einer von ihnen die Führung übernahm. Nacht und Ruinen umgaben sie. Dort draußen irgendwo waren die Blassen und die Trollocs; vielleicht schon hinter der nächsten Ecke. Die Nebel-Tentakel trieben heran, waren schon auf halbem Weg zu ihnen und suchten nicht länger. Sie hatten ihre Beute ausgemacht. Plötzlich vermißte er Moiraine sehr.
Alle saßen immer noch auf den Pferden und beobachteten und fragten sich, welchen Weg sie wählen sollten. Er drehte Wolke um, und der Graue verfiel in einen leichten Trab. Er wehrte sich gegen die Zügel und wollte schneller rennen. Als habe ihn die Tatsache, daß er die Initiative ergriffen hatte, zu ihrem Anführer gemacht, folgten ihm alle.
Da Moiraine nicht dabei war, hatten sie niemanden, der sie beschützen konnte, sollte Mordeth wieder auftauchen. Und die Trollocs. Und... Rand zwang sich dazu, nicht mehr nachzugrübeln. Er würde dem roten Stern folgen. An den Gedanken konnte er sich klammern.
Dreimal mußten sie umkehren und sich einen neuen Weg suchen. Jedesmal war eine Straße komplett durch einen Schutthügel und lose Steine blockiert. Die Pferde konnten diese Hindernisse nicht überwinden. Rand konnte das Atmen der anderen hören; kurz und abgehackt, der Panik nahe. Er biß die Zähne zusammen, damit man sein Schnaufen nicht hörte. Du mußt sie wenigstens glauben machen, daß du keine Angst hast. Du leistest gute Arbeit, Wollkopf. Du wirst alle sicher hinausbringen.
Sie kamen um die nächste Ecke. Eine Nebelwand übergoß das zerborstene Pflaster mit einem Leuchten, das so hell war wie das des Vollmonds. Nebelfinger, so stark wie der Leib ihrer Pferde, lösten sich und trieben auf sie zu. Niemand wartete. Sie wirbelten herum und galoppierten in einer engen Traube los, ohne auf das Klappern der Hufe zu achten.
Zwei Trollocs traten vor ihnen auf die Straße, keine zehn Spannen entfernt.
Einen Augenblick lang starrten sich Menschen und Trollocs nur gegenseitig entgeistert an. Einer war überraschter als der andere. Ein weiteres Paar Trollocs erschien und noch eines und noch eines. Die hinteren rempelten die vor ihnen Stehenden an, und es entstand eine durch den Anblick der Menschen erschreckte Menge. Allerdings erstarrten sie eben nur diesen Augenblick lang. Kehliges Heulen hallte von den Gebäuden wider, und die Trollocs stürmten vorwärts. Die Menschen stoben auseinander wie aufgescheuchte Hühner. Rands Grauer brauchte nur drei Schritte, um in vollem Galopp loszujagen. »Hier entlang!« schrie er, doch er hörte den gleichen Ruf aus fünf weiteren Kehlen. Ein hastiger Blick nach hinten zeigte ihm, daß seine Begleiter jeder in eine andere Richtung verschwanden. Trollocs verfolgten alle.
Drei Trollocs blieben ihm auf den Fersen. Ihre schlingenbewehrten Stangen wedelten durch die Luft. Ihm sträubten sich die Haare, als er erkannte, daß sie Schritt für Schritt mit Wolke mithalten konnten. Er beugte sich tief über Wolkes Hals und trieb den Grauen voran, von kehligen Schreien gejagt.
Voraus verengte sich die Straße. Gebäude mit eingestürzten Dächern neigten sich gefährlich zur Straße hin. Langsam füllten sich die leeren Fenster mit silbrigem Leuchten. Ein dichter Dunst schob sich aus ihnen hervor. Mashadar.
Rand riskierte einen weiteren Blick zurück. Die Trollocs rannten ihm immer noch in etwa fünfzig Schritten Abstand hinterher; das Leuchten des Nebels reichte aus, um sie deutlich zu sehen. Hinter ihnen ritt nun ein Blasser, und sie schienen im gleichen Maße vor dem Halbmenschen zu fliehen, wie sie Rand verfolgten. Ein Stück vor Rand schob sich ein halbes Dutzend grauer Fühler schwankend aus den Fenstern, dann ein Dutzend. Sie prüften die Luft. Wolke warf den Kopf hoch und wieherte, doch Rand hieb ihm brutal die Fersen in die Flanken, und das Pferd stürmte wild vorwärts.
Die Fühler versteiften sich, als Rand zwischen ihnen hindurchgaloppierte, aber er beugte sich tief über Wolkes Hals und weigerte sich, sie anzusehen. Der Weg dahinter war frei. Wenn einer davon mich berührt... Licht! Er ließ Wolke noch härter die Stiefel fühlen, und das Pferd sprang vorwärts in die willkommenen Schatten hinein. In vollem Galopp blickte Rand zurück, sobald das Leuchten Mashadars nachließ.
Die schwankenden grauen Fühler Mashadars versperrten die halbe Straße, und die Trollocs wichen zurück, doch der Blasse riß eine Peitsche von seinem Sattelhorn und ließ sie wie einen Blitz über den Köpfen der Trollocs knallen. Funken stoben durch die Luft. Die Trollocs krümmten sich zusammen und stürmten wieder hinter Rand her. Der Halbmensch zögerte. Die schwarze Kapuze betrachtete Mashadars ausgestreckte Arme, bevor auch er seinem Pferd die Sporen gab.
Die sich verstärkenden Nebeltentakel schwangen einen Augenblick lang unsicher hin und her, und dann schlugen sie wie Vipern zu. Mindestens zwei saugten sich an jedem der Trollocs fest und übergossen sie mit grauem Leuchten; schnauzenbewehrte Köpfe legten sich in die Nacken, um zu heulen, doch der Nebel rollte in die geöffneten Mäuler und verschlang das Heulen. Vier beinstarke Tentakel wickelten sich um den Blassen, und der Halbmensch und auch sein Pferd wanden sich wie im Tanz, bis die Kapuze zurückfiel und das blasse, augenlose Gesicht enthüllte. Der Blasse kreischte.
Das Kreischen war völlig lautlos, genau wie bei den Trollocs, aber etwas kam doch durch: ein durchdringendes Schrillen gerade jenseits des Hörbereichs, wie das Surren aller Hornissen der Welt zusammengenommen, das in Rands Ohren drang und in ihm ein Höchstmaß an Angst erzeugte. Wolke krümmte sich, als habe auch er den Laut gehört, und er galoppierte noch schneller als zuvor. Rand hielt sich ächzend fest. Seine Kehle war trocken wie Sand.
Nach einer Weile wurde ihm klar, daß er den lautlosen Todesschrei des Blassen nicht mehr hören konnte, und plötzlich kam ihm das Hufegeklapper so laut vor, als ob er schrie. Er riß an den Zügeln, und Wolke blieb an einer zerbröckelnden Mauer stehen, genau an einer Straßenkreuzung. Ein namenloses Standbild erhob sich vor ihm in der Dunkelheit. Im Sattel zusammengesunken, lauschte er, aber es gab nichts zu hören als das Blut, das in seinen Schläfen pochte. Kalter Schweiß lief ihm über die Stirn, und er zitterte vor Kälte, als der Wind seinen Umhang flattern ließ.
Schließlich richtete er sich wieder auf. Sterne glitzerten am Himmel, wo sie nicht von den Wolken verdeckt wurden, und der rote Stern, der so niedrig im Osten stand, war leicht auszumachen. Lebt sonst noch irgend jemand, der ihn sehen kann? Waren sie frei oder den Trollocs in die Hände gefallen? Egwene, Licht blende mich, warum bist du mir nicht gefolgt? Wenn sie am Leben und frei waren, würden sie diesem Stern folgen. Wenn nicht... Die Ruinenfelder waren ausgedehnt. Er könnte tagelang suchen, ohne jemanden zu finden, falls er sich von den Trollocs fernhalten konnte. Und von den Blassen und Mordeth und Mashadar. Zögernd entschloß er sich, zum Fluß zu reiten.
Er ergriff die Zügel. Auf der Querstraße fiel ein Stein mit einem scharfen Klicken auf einen anderen. Er erstarrte; atmete nicht einmal. Er war im Schatten verborgen, nur einen Schritt von der Ecke entfernt. Verzweifelt überlegte er, ob er nach hinten ausweichen sollte. Aber was befand sich hinter ihm? Was konnte vielleicht ein Geräusch verursachen und ihn damit verraten? Er konnte sich an nichts erinnern und fürchtete sich davor, den Blick von der Ecke des Gebäudes zu wenden.
Die Dunkelheit an der Ecke beulte sich aus, und die längere Dunkelheit einer Stange stach daraus hervor. Eine Schlaufenstange! Im selben Moment, als dieser Gedanke durch Rands Kopf fuhr, hieb er auch schon Wolke die Fersen in die Flanken, und das Schwert flog aus seiner Scheide. Sein Angriff wurde von einem wortlosen Schrei begleitet, und er schwang das Schwert mit aller Kraft. Nur mit einer verzweifelten Anstrengung hielt er das Schwert zurück, bevor es auftraf. Mit einem Aufschrei taumelte Mat rückwärts, fiel beinahe vom Pferd und verlor fast seinen Bogen.
Rand atmete tief durch und senkte das Schwert. Sein Arm zitterte. »Hast du sonst noch jemanden gesehen?« brachte er heraus.
Mat schluckte schwer, bevor er sich wieder unbeholfen in den Sattel zog. »Ich... ich... Nur Trollocs.« Er legte eine Hand an seine Kehle und leckte sich die Lippen. »Nur Trollocs. Und du?«
Rand schüttelte den Kopf. »Sie werden versuchen, den Fluß zu erreichen. Wir sollten das auch tun.« Mat nickte schweigend, wobei er immer noch über seine Kehle strich, und sie starrten den roten Stern an. Bevor sie auch nur hundert Spannen weit gekommen waren, hörten sie den schrillen Ruf eines Trolloc-Horns hinter ihnen in den Tiefen der Stadt. Ein anderes antwortete von außerhalb der Stadtmauer.
Rand zitterte, doch er behielt die langsame Gangart bei und beobachtete die dunkleren Stellen, um sie nach Möglichkeit zu umgehen. Nach einem Ruck an seinen Zügeln, so, als ob er weggaloppieren wolle, tat Mat es ihm nach.
Keines der Hörner erklang nochmals, und so kamen sie in völliger Stille an eine Öffnung in der von Ranken überwachsenen Mauer, wo sich einst ein Tor befunden hatte. Nur die Türmchen waren geblieben und ragten nun mit abgebrochenen Spitzen in den schwarzen Himmel.
Mat zögerte an diesem Tor, doch Rand sagte leise: »Ist es hier drinnen sicherer als dort draußen?« Er ließ den Grauen weiterschreiten, und nach einem Augenblick folgte Mat ihm aus Shadar Logoth hinaus. Er versuchte wieder, nach allen Richtungen gleichzeitig zu schauen. Rand stieß die Luft langsam aus; sein Mund war trocken. Wir werden es schaffen. Licht, wir schaffen es!
Die Mauern verschwanden hinter ihnen, wurden von der Nacht und dem Wald verschluckt. Rand lauschte auf das kleinste Geräusch und behielt immer den roten Stern vor sich. Plötzlich galoppierte Thom von hinten her an ihnen vorbei. Er verlangsamte sein Tempo nur lang genug, um zu rufen: »Reitet, ihr Narren!« Einen Augenblick später verrieten Jagdrufe und Krachen im Unterholz hinter ihm die Anwesenheit von Trollocs, die ihn verfolgten.
Rand gab Wolke die Fersen, und das Pferd galoppierte hinter dem Wallach des Gauklers her. Was geschieht, wenn wir ohne Moiraine an den Fluß kommen? Licht, Egwene!
Perrin saß im Schatten auf seinem Pferd, beobachtete den offenen Torbogen, der sich in geringer Entfernung zeigte, und fuhr abwesend mit dem Daumen an der Schneide seiner Axt entlang. Er schien einen ungehinderten Weg aus der Ruinenstadt zu bieten, doch nun saß er schon fünf Minuten lang hier und hielt Ausschau. Der Wind spielte mit seinen verfilzten Locken und bemühte sich, seinen Umhang wegzuwehen, aber er zog ihn wieder um sich herum zusammen, ohne eigentlich zu bemerken, was er tat.
Er wußte, daß Mat und die meisten anderen Leute in Emondsfeld ihn für ziemlich langsam im Denken hielten. Zum Teil kam das daher, weil er so groß war und sich normalerweise bedächtig bewegte — er fürchtete immer, aus Versehen etwas zu zerbrechen oder jemanden zu verletzen, da er um so vieles größer war als die Jungen, mit denen er aufwuchs -, aber er zog es wirklich vor, die Dinge folgerichtig zu durchdenken, wenn er die Zeit hatte. Vorschnelle, leichtsinnige Entschlüsse hatten Mat ein ums andere Mal in Schwierigkeiten gebracht, und Mats Blitzentscheidungen hatten gewöhnlich Rand oder ihn oder sie beide mit in den Schlamassel hineingezogen. Sein Hals zog sich zusammen. Licht, jetzt bloß nicht soviel nachdenken! Er versuchte, sich wieder zu beruhigen. Sorgfältiges Überlegen war angesagt. Vor dem Tor hatte sich einst ein großer Platz befunden, in dessen Mitte ein riesiger Brunnen stand. Ein Teil des Brunnens war noch vorhanden; eine Gruppe abgebrochener Statuen stand in einem großen, runden Becken. Auch die Einfassung außenherum war rund. Um das Tor zu erreichen, mußte er fast einhundert Spannen weit reiten, nur durch die Nacht vor den Augen von Beobachtern geschützt. Auch das war kein angenehmer Gedanke. Er erinnerte sich noch zu gut an die unsichtbaren Beobachter.
Er dachte an die Hörner, die er kurze Zeit zuvor in der Stadt gehört hatte. Beinahe wäre er zurückgeritten bei dem Gedanken daran, daß vielleicht einige der anderen gefangengenommen worden waren, doch dann wurde ihm klar: In diesem Fall konnte er allein nichts ausrichten. Nicht gegen — was sagte Lan? — hundert Trollocs und vier Blasse. Moiraine Sedai sagte, wir sollten zum Fluß kommen.
Er wandte sich wieder dem Torbogen zu. Sorgfältiges Nachdenken hatte ihn nicht weitergebracht, doch sein Entschluß stand nun fest. Er ritt aus dem tieferen Schatten in die etwas lichtere Dunkelheit. In dem Moment erschien auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes ein anderes Pferd und verharrte. Er blieb ebenfalls stehen und fühlte nach seiner Axt; ein besonderes Gefühl der Sicherheit verlieh sie ihm allerdings nicht. Falls diese dunkle Gestalt ein Blasser war...
»Rand?« erklang ein leiser, zögernder Ruf.
Er atmete langsam und erleichtert aus. »Hier ist Perrin, Egwene«, rief er genauso leise zurück. In der Dunkelheit klang es immer noch zu laut. In der Nähe des Brunnens trafen sich die Pferde. »Hast du noch jemand anderes gesehen?« fragten sie beide gleichzeitig, und beide antworteten mit einem Kopfschütteln.
»Es wird ihnen schon gut gehen«, meinte Egwene und tätschelte Belas Hals. »Oder?«
»Moiraine Sedai und Lan werden sich um sie kümmern«, erwiderte Perrin. »Sie werden sich um uns alle kümmern, sobald wir den Fluß erreichen.« Er hoffte es zumindest.
Er fühlte sich erleichtert, als sie sich auf der anderen Seite des Torbogens befanden, selbst wenn sich wirklich Trollocs im Wald aufhielten. Oder Blasse. Er unterbrach diesen Gedankengang. Die kahlen Äste konnten nicht verhindern, daß er auf den roten Stern zuhielt, und letzten Endes befanden sie sich nun außerhalb der Reichweite von Mordeth. Der hatte ihm mehr Angst eingejagt als alle Trollocs zuvor.
Bald würden sie den Fluß erreichen und Moiraine treffen, und sie würde sie auch aus der Reichweite der Trollocs hinausbringen. Daran glaubte er, weil er diesen Glauben einfach brauchte. Der Wind ließ Äste gegeneinanderknirschen und die Blätter rascheln. Der einsame Ruf eines Nachtfalken schallte durch die Dunkelheit, und Egwene und er brachten ihre Pferde näher aneinander, als suchten sie Wärme. Sie waren sehr allein.
Ein Trolloc-Horn erklang irgendwo hinter ihnen -schnelle, klagende Töne — und forderte die Jäger zur Eile auf. Dann ertönte kehliges, halbmenschliches Heulen auf ihrer Spur, vom Horn angetrieben. Das Heulen wurde schärfer im Tonfall, als ihre Verfolger den Geruch von Menschen wahrnahmen.
Perrin ließ sein Pferd galoppieren und rief: »Komm! Los!« Egwene kam, und beide gaben ihren Pferden die Fersen, ohne auf das Geräusch der Hufe oder die Äste zu achten, die ihnen ins Gesicht klatschten.
Als sie so zwischen den Bäumen hindurchgaloppierten, gleichermaßen von ihrem Instinkt wie von dem düsteren Mondlicht geleitet, fiel Bela zurück. Perrin blickte nach hinten. Egwene trat die Stute und ließ die Zügel auf den Hals des Tieres klatschen, aber es half nicht viel. Den Geräuschen nach zu urteilen, kamen die Trollocs näher. Er ließ sein Pferd langsamer galoppieren, um sie nicht zurückzulassen. »Beeil dich!« schrie er. Er konnte die Trollocs nun erkennen, riesige, dunkle Gestalten, die zwischen den Bäumen einhersprangen und bellten und fauchten, daß einem das Blut gefrieren konnte. Er packte den Griff seiner Axt, die am Gürtel hing, so fest, daß seine Knöchel schmerzten. »Schnell, Egwene! Schnell!«
Plötzlich wieherte sein Pferd, und er stürzte, taumelte aus dem Sattel, als das Pferd unter ihm plötzlich wegsackte. Er breitete die Arme aus, um sich abzufangen, und klatschte mit dem Kopf voraus in eiskaltes Wasser. Er war geradewegs über die Kante einer steilen Klippe in den Arinelle geritten.
Der Schock des eisigen Wassers ließ ihn keuchen, und er schluckte eine ganze Menge, bevor er es schaffte, sich wieder an die Oberfläche zu kämpfen. Das andere Klatschen fühlte er mehr, als daß er es hörte. Er glaubte, Egwene müsse gleich nach ihm in den Fluß gestürzt sein. Schnaufend und prustend trat er Wasser. Es war nicht leicht, an der Oberfläche zu bleiben; Mantel und Umhang waren bereits durchnäßt, und seine Stiefel hatten sich mit Wasser gefüllt. Er sah sich nach Egwene um, doch er konnte nur das Glitzern des Mondscheins auf dem vom Wind gerippten schwarzen Wasser erkennen. »Egwene? Egwene!«
Ein Speer huschte gerade vor seinen Augen vorbei und spritzte ihm Wasser ins Gesicht. Weitere klatschten um ihn herum ins Wasser. Kehlige Stimmen stritten sich am Ufer herum, und es kamen keine Trolloc-Speere mehr geflogen, aber er gab es fürs erste auf, nach Egwene zu rufen.
Die Strömung trieb ihn flußabwärts, aber die gurgelnden Rufe und das Fauchen folgten ihm am Ufer, hielten Schritt mit ihm. Er löste seinen Umhang und überließ ihn dem Fluß — ein bißchen weniger Gewicht, das ihn hinunterziehen konnte. Verbissen begann er, auf das entfernte Ufer zuzuschwimmen. Dort waren keine Trollocs — hoffte er.
Er schwamm so, wie sie es zu Hause in den Seen des Wasserwalds taten, zog beide Arme durchs Wasser und schlug kräftig mit beiden Beinen aus, wobei der Kopf aus dem Wasser schaute. Zumindest versuchte er, den Kopf über Wasser zu halten; es war nicht leicht. Auch ohne seinen Umhang schienen Mantel und Stiefel zusammen genausoviel zu wiegen wie er selbst. Und die Axt zerrte an seiner Hüfte. Sie drohte, ihn herumzudrehen oder gar hinunterzuziehen. Er spielte mit dem Gedanken, sie auch dem Fluß zu opfern; mehrmals ging ihm das durch den Kopf. Es wäre leicht, viel leichter, als sich beispielsweise die Stiefel abzustreifen. Aber jedesmal, wenn ihm dieser Gedanke kam, stellte er sich vor, wie er auf das andere Ufer kroch und lauernden Trollocs in die Hände fiel. Die Axt könnte ihm im Kampf gegen ein halbes Dutzend Trollocs kaum viel helfen — vielleicht noch nicht einmal gegen einen -, aber es war immer noch besser, als mit bloßen Händen zu kämpfen.
Nach einer Weile war er sich nicht mehr sicher, ob er die Axt überhaupt noch schwingen konnte, falls dort Trollocs wären. Seine Arme und Beine wurden bleischwer; es kostete Mühe, sie zu bewegen, und sein Gesicht hob sich nicht mehr bei jedem Armzug aus dem Wasser. Er hustete, als ihm Wasser in die Nase kam. Kein Vergleich mit einem Tag in der Schmiede, dachte er erschöpft, und in diesem Augenblick traf sein Fuß auf irgend etwas Festes. Erst beim nächsten Schwimmzug erkannte er, was es gewesen war: der Grund. Er war in seichtem Wasser. Er war am anderen Ufer angelangt.
Er holte durch den Mund Luft und versuchte, zu stehen. Als seine Beine fast versagten, mußte er um sich schlagen. Er fuchtelte herum, bis er die Axt aus ihrer Schlaufe hatte, und stieg aus dem Fluß. Er zitterte im Wind. Trollocs sah er nicht. Er sah auch Egwene nicht. Nur ein paar vereinzelte Bäume am Ufer und einen Streifen Mondlicht auf dem Wasser.
Als er wieder zu Atem gekommen war, rief er wieder und wieder die Namen seiner Freunde. Schwach hörbare Rufe von der anderen Seite her antworteten ihm; sogar auf diese Entfernung konnte er die harten Stimmen von Trollocs erkennen. Seine Freunde antworteten dagegen nicht.
Der Wind frischte auf. Sein Heulen übertönte die Trollocs, und er zitterte. Es war nicht kalt genug, um das Wasser in seiner durchnäßten Kleidung gefrieren zu lassen, aber er fühlte sich trotzdem so; der Wind schnitt ihm mit einer eisigen Klinge bis auf die Knochen. Die Arme fest um den Oberkörper zu schlingen war nur eine Geste, die das Zittern nicht verhindern konnte. Einsam und müde erkletterte er die Uferböschung, um einen Schutz vor dem Wind zu suchen.
Rand tätschelte Wolkes Hals und flüsterte beruhigend auf ihn ein. Das Pferd warf den Kopf hoch und tänzelte leichtfüßig. Die Trollocs hatten sie hinter sich gelassen -so schien es jedenfalls -, aber Wolke spürte ihren Geruch noch in seinen Nüstern. Mat ritt mit einem Pfeil auf der Sehne und hielt Ausschau, um nicht aus der Nacht heraus überrascht zu werden, während Rand und Thom durch die Zweige spähten und nach dem roten Stern suchten, der ihnen die Richtung wies. Ihn im Auge zu behalten, war trotz der dichten Zweige über ihren Köpfen einigermaßen leicht gewesen, jedenfalls solange sie geradewegs auf ihn zu ritten. Aber dann waren weitere Trollocs vor ihnen aufgetaucht, und so galoppierten sie zur Seite weg; gefolgt von zwei heulenden Horden. Die Trollocs konnten mit einem Pferd Schritt halten, aber nur etwa hundert Schritte, und so ließen sie schließlich die Verfolger und das Heulen hinter sich. Doch bei all dem Zickzackreiten hatten sie ihren Leitstern aus den Augen verloren.
»Ich behaupte immer noch, er ist dort drüben«, sagte Mat und zeigte nach rechts. »Wir sind am Ende nach Norden geritten, und das bedeutet, wir müssen uns jetzt in östliche Richtung halten.«
»Da ist er«, sagte Thom plötzlich. Er deutete zwischen den verschlungenen Zweigen zu ihrer Linken hindurch genau auf den roten Stern. Mat fluchte unterdrückt.
Aus dem Augenwinkel bemerkte Rand die Bewegung, als ein Trolloc lautlos hinter einem Baum hervorsprang und seine Schlaufenstange schwang. Rand gab seinem Pferd die Fersen, und der Graue sprang vorwärts, gerade als zwei weitere aus dem Schatten hinter dem ersten herausstürmten. Eine Schlinge strich über Rands Nacken und jagte ihm einen Schauder über den Rücken.
Eine der Tierfratzen hatte plötzlich einen Pfeil im Auge, und dann war Mat an seiner Seite, als die Pferde durch den Wald galoppierten. Sie ritten auf den Fluß zu, das wurde ihm schnell klar, aber er war sich nicht sicher, ob ihnen das helfen wurde. Die Trollocs hetzten hinter ihnen her. Sie waren fast schon nahe genug, um nach den flatternden Pferdeschwänzen zu greifen. Wenn sie noch einen halben Schritt aufholten, dann konnten sie sie beide mit ihren Fangstangen aus den Sätteln holen.
Er beugte sich tief über den Hals des Grauen, um mehr Abstand zwischen seinen Hals und die Schlingen zu bringen. Mats Gesicht war beinahe in der Mähne seines Pferdes vergraben. Aber Rand fragte sich, wo Thom abgeblieben war. Hatte sich der Gaukler überlegt, daß er allein auf sich gestellt besser dran war, da alle drei Trollocs hinter den Jungen her waren?
Plötzlich galoppierte Thoms Wallach aus der Nacht heraus, direkt hinter den Trollocs. Die Trollocs hatten gerade noch Zeit, sich überrascht umzusehen, doch dann hoben sich die Arme des Gauklers und fuhren in blitzschneller Bewegung wieder nach unten. Mondschein schimmerte auf blankem Stahl. Ein Trolloc taumelte vorwärts und überschlug sich mehrmals, bevor er unbeweglich liegenblieb, während ein zweiter mit einem Schrei auf die Knie fiel und sich mit beiden Händen auf den Rücken griff. Der dritte knurrte und zeigte eine Schnauze voll scharfer Zähne, doch als seine Begleiter fielen, rannte er fort, in die Dunkelheit hinein. Thoms Hand wiederholte die peitschende Bewegung, und der Trollocs schrie, doch die Schreie verklangen schließlich in der Ferne.
Rand und Mat verhielten ihre Pferde und sahen den Gaukler an.
»Meine besten Messer«, brummte Thom, aber er machte sich nicht die Mühe, abzusteigen und sie wieder zu holen. »Der wird die anderen hierher führen. Ich hoffe, es ist nicht zu weit bis zum Fluß. Ich hoffe...« Statt zu sagen, was er noch hoffte, schüttelte er den Kopf und ritt in schnellem Trab los. Rand und Mat schlossen sich ihm an.
Bald erreichten sie eine niedrige Uferböschung, wo Bäume bis an den Rand des nachtschwarzen Wassers wuchsen, dessen vom Mondschein übergossene Oberfläche im Wind kleine Wellen schlug. Rand konnte das entfernte Ufer nicht erkennen. Ihm gefiel es nicht, in der Dunkelheit auf einem Floß den Fluß zu überqueren, aber hier auf dieser Seite zu bleiben, gefiel ihm noch weniger. Wenn ich muß, werde ich eben schwimmen.
Irgendwo, ein Stück vom Fluß entfernt, erklang ein Trolloc-Horn, scharf, schnell und drängend durch die Dunkelheit. Es war der erste Hörnerklang, seit sie die Ruinen verlassen hatten. Rand fragte sich, ob das bedeutete, daß einige der anderen gefangen worden waren. »Es hat keinen Zweck, die ganze Nacht hierzubleiben«, sagte Thom. »Wählt eine Richtung. Flußaufwärts oder flußabwärts?«
»Aber Moiraine und die anderen könnten überall sein«, protestierte Mat. »Jeder Weg, den wir wählen, führt uns vielleicht weiter von ihnen weg.«
»Das stimmt.« Thom schnalzte mit der Zunge und lenkte seinen Wallach flußabwärts am Ufer entlang. »Das stimmt.« Rand sah Mat an. Der zuckte die Achseln, und so ritten sie ihm nach.
Eine Zeitlang änderte sich nichts um sie herum. Die Uferböschung war an einigen Stellen höher, an anderen niedriger, die Bäume wuchsen dichter oder lichteten sich, aber die Nacht und der Fluß blieben gleich: kalt und schwarz. Und keine Trollocs. Das war eine Abwechslung, über die Rand froh war.
Dann sah er ein Licht voraus; nur einen einzelnen Lichtpunkt. Als sie näher kamen, konnten sie erkennen, daß sich das Licht in einiger Höhe über dem Fluß befand, als sei es in einem Baum. Thom beschleunigte den Trab und summte leise vor sich hin.
Schließlich konnten sie die Lichtquelle ausmachen: eine Laterne, die hoch am Mast eines Frachtkahns hing, der für die Nacht neben einer kleinen Lichtung am Ufer festgemacht hatte. Der Kahn, gut achtzig Fuß lang, schwankte leicht in der Strömung und zerrte an den an Bäumen befestigten Haltetauen. Die Takelage summte und knarrte im Wind. Die Laterne verdoppelte die Helligkeit des Mondes auf dem Deck, aber es war niemand in Sicht.
»Also«, sagte Thom beim Absteigen, »das ist ja wohl nun besser als das Floß einer Aes Sedai, oder?« Er stand da, die Hände in die Hüften gestützt, und sogar in der Dunkelheit konnte man seine Selbstgefälligkeit erkennen. »Es macht nicht den Eindruck, als sei dieses Schiff für Pferde geeignet, aber wenn man bedenkt, in welcher Gefahr er sich befindet, vor der wir ihn natürlich warnen werden, sollte der Kapitän eigentlich vernünftig sein. Laßt mich nur mit ihm reden. Und bringt für den Fall der Fälle eure Decken und Satteltaschen mit.«
Rand stieg ab und begann, die Sachen hinter seinem Sattel abzuschnallen. »Du denkst doch nicht daran, ohne die anderen abzufahren?«
Thom hatte keine Gelegenheit, zu sagen, was er vorhatte. Zwei Trollocs brachen aus dem Unterholz heraus auf die Lichtung, heulten und schwenkten ihre Fangstangen, und hinter ihnen kamen nochmals vier. Die Pferde bäumten sich auf und wieherten. Rufe in der Ferne zeigten ihnen, daß noch mehr Trollocs unterwegs waren.
»Auf das Schiff!« schrie Thom. »Schnell! Laßt alles zurück! Rennt!« Er hielt sich an seine eigenen Worte und rannte zu dem Kahn, wobei die Enden seines Flickenumhangs flatterten und die Instrumentenkästen auf seinem Rücken hüpften. »Ihr da auf dem Schiff!« schrie er. »Aufwachen, ihr Narren! Trollocs!«
Rand riß seine Deckenrolle und die Satteltasche von dem letzten Riemen los und war dem Gaukler im Nu auf den Fersen. Er warf sein Gepäck über die Reling und sprang mit einem Satz hinterher. Er hatte gerade noch Zeit, einen Mann zu bemerken, der zusammengerollt an Deck lag und sich aufzurichten begann, als sei er erst in diesem Moment erwacht, und dann trat er auch schon mit beiden Füßen auf den Burschen. Der Mann grunzte laut, Rand stolperte, und eine hakenbewehrte Fangstange krachte gerade dort auf die Reling, wo er darübergesprungen war. Auf dem ganzen Kahn wurden Rufe laut, und Füße trampelten über das Deck.
Haarige Hände erfaßten die Reling gleich neben der Fangstange, und ein Kopf mit Ziegenhörnern tauchte dazwischen auf. Aus dem Gleichgewicht geraten und stolpernd konnte Rand trotzdem noch sein Schwert ziehen und schwingen. Mit einem Schrei fiel der Trolloc wieder zurück.
Männer rannten überall auf dem Kahn herum, schrien und hackten mit Äxten auf die Haltetaue los. Der Kahn schwankte und schwang herum, als sei er froh, hier wegzukommen. Oben am Bug kämpften drei Männer mit einem Trolloc. Jemand stach mit einem Speer über die Bordwand, aber Rand konnte nicht erkennen, was er treffen wollte. Eine Bogensehne sang und sang nochmals. Der Mann, auf den Rand getreten war, kroch auf Händen und Knien von ihm weg und hob dann die Hände, als er sah, daß Rand ihn anblickte.
»Verschone mich!« rief er. »Nimm alles, was du willst, nimm das Schiff, nimm alles, aber verschone mich!«
Plötzlich schlug etwas auf Rands Rücken und schmetterte ihn auf das Deck. Das Schwert rutschte ihm aus der ausgestreckten Hand. Sein Mund war offen; er rang vergebens nach Luft und versuchte, das Schwert zu erreichen. Seine Muskeln reagierten mit schmerzerfüllter Langsamkeit; er wand sich wie eine Schnecke. Der Bursche, der verschont werden wollte, sah das Schwert kurz, ängstlich und gleichzeitig gierig an und verschwand dann im Schatten.
Unter Schmerzen brachte Rand es fertig, über seine Schulter nach oben zu blicken, und da wußte er, daß sein Glück versagt hatte. Ein Trolloc mit Wolfsschnauze stand auf der Reling, blickte auf ihn hinunter und hielt das abgebrochene Ende der Fangstange in der Hand, mit der er Rand zu Boden geschlagen hatte. Rand bemühte sich verzweifelt, das Schwert zu erreichen, sich überhaupt zu bewegen, doch seine Arme und Beine bewegten sich nur zuckend und nicht so, wie er wollte. Sie gaben nach und standen in unmöglichen Richtungen ab. Seine Brust schien zwischen Eisenreifen eingespannt zu sein, und vor seinen Augen schwammen silberne Flecken. Er suchte voller Verzweiflung nach einer Möglichkeit, zu entkommen. Die Zeit schien sich zu verlangsamen, als der Trolloc die zersplitterte Stange hob, um ihn damit aufzuspießen. Rand schien es, als bewege sich die Kreatur wie im Traum. Er beobachtete, wie sich der kräftige Arm nach hinten bewegte. Er konnte bereits den abgebrochenen Schaft durch sein Rückgrat stechen fühlen und den Schmerz, wenn er seinen Körper aufriß. Er glaubte, seine Lunge müsse bersten. Ich werde sterben! Licht hilf mir, ich werde...! Der Arm des Trollocs mit dem gesplitterten Schaft fuhr nach vorn, und Rand hatte genug Luft geholt, um zu schreien: »Nein!«
Plötzlich schwankte das Schiff stark, und aus dem Schatten schwenkte eine Segelstange heran und traf den Trolloc auf die Brust. Knochen barsten knackend, und er wurde über die Reling gefegt.
Einen Augenblick lang lag Rand keuchend da und betrachtete die Segelstange, die über ihm vor und zurück schwang. Jetzt habe ich all mein Glück verbraucht, dachte er. Danach kann ich nicht noch mehr haben. Zitternd stand er auf und hob sein Schwert auf. Diesmal hielt er es in beiden Händen, wie Lan es ihm beigebracht hatte, aber es war nichts mehr da, wogegen er hätte kämpfen können. Die mit schwarzem Wasser gefüllte Lücke zwischen dem Kahn und dem Ufer wurde schnell breiter; die Rufe der Trollocs verklangen hinter ihnen in der Nacht.
Als er sein Schwert in die Scheide steckte und sich an die Reling lehnte, schritt ein breitschultriger Mann in einem Mantel, der ihm bis an die Knie reichte, über das Deck auf ihn zu und sah ihn zornig an. Langes Haar, das ihm auf die breiten Schultern fiel, und ein Bart, der die Oberlippe frei ließ, umrahmten ein rundes Gesicht. Rund, aber nicht weich. Die Segelstange schwenkte wieder heran, und der Bärtige lenkte einen Teil seines Zornes darauf, als er sie abfing; sie klatschte in seine breite Handfläche.
»Gelb!« brüllte er. »Glück! Wo du sein, Gelb?« Er sprach so schnell und die Worte flossen alle ineinander, daß ihn Rand kaum verstehen konnte. »Du kann nicht verstecken vor mir auf eigenem Schiff! Bringt Floran Gelb her!«
Ein Besatzungsmitglied erschien mit einer runden Laterne, und zwei weitere schoben einen schmalgesichtigen Mann in deren Lichtkreis. Rand erkannte den Burschen, der ihm das Schiff angeboten hatte. Die Augen des Mannes blickten unruhig drein; er wechselte ständig die Blickrichtung und sah dem kräftigen Mann nicht in die Augen. Der Kapitän, dachte Rand. Auf Gelbs Stirn wuchs eine Beule, wo ihn einer von Rands Stiefeln erwischt hatte. »Sollen du nicht diese Rahe befestigen, Gelb?« fragte der Kapitän überraschend ruhig, wenn auch genauso schnell wie vorher.
Gelb blickte ehrlich überrascht drein. »Aber das habe ich getan. Hab sie richtig festgebunden. Ich geb' zu, Kapitän Domon, daß ich hier und da mal ein bißchen langsam bin, aber ich tue, was man mir aufgetragen hat.«
»Also sein du langsam, ja? Nicht so langsam im Schlafen. Schlafen, wenn du Wache solltest halten. Bei Wachsamkeit deiniges könnten wir alle ermordet sein.«
»Nein, Kapitän, nein! Das war er.« Gelb deutete geradewegs auf Rand. »Ich war auf Wache, wie man es von mir erwartete, und dann schlich er sich an und schlug mich mit einem Knüppel nieder.« Er berührte die Beule an seinem Kopf, zuckte zusammen und sah Rand böse an. »Ich habe gegen ihn gekämpft, aber dann kamen die Trollocs. Er arbeitet mit ihnen zusammen, Kapitän. Ein Schattenfreund. Mit den Trollocs verbündet.«
»Mit meiner Großmutter verbündet!« brüllte Kapitän Domon. »Nicht ich warnen dich letztes Mal, Gelb? In Weißbrücke verschwinden du! Aus meinen Augen jetzt, sonst ich dich gleich rausschmeißen!« Gelb eilte aus dem Lichtkreis der Laterne, während Domon noch dastand und die Hände öffnete und schloß, den Blick ins Leere gerichtet. »Diese Trollocs mir folgen. Warum sie mich nicht sein lassen können? Warum?«
Rand blickte über die Reling hinaus und bemerkte überrascht, daß das Ufer bereits außer Sicht war. Zwei Männer standen an dem langen Steuerruder, das am Heck hinunter ins Wasser stach, und an der einen Seite ruderten nun sechs Besatzungsmitglieder, um das Schiff wie einen Wasserfloh weiter auf den Fluß hinauszudrehen.
»Kapitän«, sagte Rand, »wir haben dort draußen noch Freunde. Wenn Ihr zurückkehrt und sie aufnehmt, bin ich sicher, sie werden Euch reich belohnen.«
Das runde Gesicht des Kapitäns wandte sich Rand zu, und als dann Thom und Mat auch noch erschienen, schloß er sie in seinen ausdruckslosen Blick mit ein.
»Kapitän«, begann Thom nach einer Verbeugung, »erlaubt mir... «
»Ihr kommen runter«, sagte Kapitän Domon, »wo ich sehen, was für eine Art Ding auf mein Deck gefallen sein. Kommt. Glück verlaß mich, jemand sichern diese hornverfluchte Rahe!« Als Besatzungsmitglieder herbeieilten, um die Rahe festzuzurren, stampfte er in Richtung Heck los. Rand und seine beiden Begleiter folgten.
Kapitän Domon hatte im Heck eine saubere und gut aufgeräumte Kabine, die sie über eine kurze Leiter erreichten, wo alles an seinem Platz war, bis hin zu den Mänteln und Umhängen, die auf der Rückseite der Tür an Haken aufgehängt waren. Die Kabine erstreckte sich über die ganze Breite des Kahns. An einer Seite war ein breites Bett eingebaut und an der anderen ein massiver Tisch. Es gab nur einen Stuhl mit hoher Lehne und dicken Armstützen, und den beanspruchte der Kapitän für sich. Er bedeutete den anderen, sich selbst Plätze auf verschiedenen Truhen und Bänken zu suchen, die das einzige Mobiliar darstellten. Ein lautes Räuspern hielt Mat davon ab, sich auf das Bett zu setzen.
»Also«, sagte der Kapitän, als sie sich alle gesetzt hatten, »mein Name sein Bayle Domon, Kapitän und Besitzer der Gischt, was sein dieses Schiff. Nun wer sein Ihr und was Ihr wollen hier in der Mitte von Nirgendwo und warum ich nicht sollen Euch werfen über Bord für Schwierigkeiten Ihr mir bringen?«
Rand hatte immer noch genausogroße Schwierigkeiten, Domon zu verstehen, wie zuvor. Er sprach dazu noch sehr schnell. Als ihm klar wurde, was der Kapitän zuletzt gesagt hatte, riß er überrascht die Augen auf. Uns über Bord werfen?
Mat sagte schnell: »Wir wollten Euch keine Ungelegenheiten bereiten. Wir sind auf dem Weg nach Caemlyn und dann nach...«
»Und dann, wohin uns der Wind immer treibt«, unterbrach ihn Thom gewandt. »So reisen wir Gaukler, wie Staub im Wind. Damit wißt Ihr, daß ich ein Gaukler bin. Mein Name ist Thom Merrilin.« Er zupfte an seinem Umhang, so daß sich die vielfarbigen Flicken bewegten, als könnte der Kapitän sie vorher übersehen haben. »Diese beiden Burschen vom Land wollen meine Lehrlinge werden, auch wenn ich da noch nicht sicher bin, ob ich sie überhaupt will.« Rand sah Mat an, und der grinste.
»Das sein alles gut und schön, Mann«, sagte Kapitän Domon gelassen, »aber es mir sagen nichts. Weniger. Glück piekse mich, dieser Ort sein an keiner Straße nach Caemlyn von irgendwoher, von der ich jemals hören.«
»Also, das ist eine Geschichte für sich«, sagte Thom, und dann begann er sie auch schon lang und breit zu erzählen.
Thom erzählte, daß er vom Schneefall dieses Winters in einer kleinen Bergwerksstadt in den Verschleierten Bergen hinter Baerlon überrascht worden war. Dort hörte er Legenden über einen Schatz aus der Zeit der Trolloc-Kriege in den verschollenen Ruinen einer Stadt namens Aridhol. Nun ergab es sich, daß er die Lage Aridhols von einer Landkarte her kannte, die ihm viele Jahre zuvor von einem sterbenden Freund aus Illian anvertraut worden war, dessen Leben er einst gerettet hatte, ein Mann, der starb, nachdem er gerade noch hauchen konnte, die Karte werde Thom reich machen. Thom hatte das nicht geglaubt, bis er nun von der Legende hörte. Als genug Schnee geschmolzen war, habe er sich mit einigen Begleitern auf den Weg gemacht, darunter auch seinen beiden Möchtegern-Lehrlingen, und nach vielen Strapazen schließlich die Ruinenstadt gefunden. Aber es stellte sich heraus, daß der Schatz einem der Schattenlords selbst gehört hatte und Trollocs ausgeschickt worden waren, um ihn nach Shayol Ghul zurückzuholen. Beinahe jede der Gefahren, denen sie wirklich ausgesetzt gewesen waren, tauchte in Thoms Geschichte an der einen oder anderen Stelle auf — Trollocs, Myrddraal, Draghkar, Mordeth, Mashadar — aber so, wie Thom es erzählte, war alles gegen ihn persönlich gerichtet und von ihm mit großem Geschick bewältigt worden. Mit großer Kühnheit — vor allem Thoms — waren sie entkommen, von Trollocs verfolgt, und waren in der Nacht voneinander getrennt worden. Schließlich suchten Thom und seine beiden übriggebliebenen Begleiter Zuflucht am letzten Ort, der ihnen noch geblieben war: Kapitän Domons von Herzen willkommenen Schiff.
Als der Gaukler fertig war, kam es Rand zu Bewußtsein, daß er eine ganze Weile mit offenem Mund dagesessen hatte. Er schloß ihn mit hörbarem Knacken.
Ein Blick auf Mat zeigte ihm, daß sein Freund den Gaukler mit großen Augen anstarrte.
Kapitän Domon trommelte mit den Fingern auf die Armstütze seines Stuhls. »Das sein eine Geschichte, die nicht glauben viele Leute. Natürlich, ich die Trollocs gesehen habe, ist richtig.«
»Jedes Wort daran ist wahr«, sagte Thom verbindlich, »und stammt von jemandem, der das selbst erlebt hat.«
»Kann sein, Ihr habt etwas von Schatz bei Euch?«
Thom spreizte bedauernd die Hände. »Leider war das wenige, das wir mitnehmen konnten, bei unseren Pferden, und die rannten weg, als die letzten Trollocs erschienen. Alles, was ich noch habe, sind meine Flöte und meine Harfe, ein paar Kupfermünzen und die Kleider, die ich trage. Aber glaubt mir, dieser Schatz wäre nichts für Euch. Er ist vom Dunklen König verflucht. Am besten ist es, ihn den Ruinen und den Trollocs zu überlassen.«
»Also Ihr kein Geld haben, um die Reise zu bezahlen. Ich nicht mal eigenen Bruder mitfahren lassen, wenn nicht bezahlen für Passage, besonders, wenn er bringen Trollocs her, die Reling zerhacken und Takelage kappen. Warum ich nicht sollen Euch lassen zurückschwimmen, wo Ihr kommen her, um loszuwerden Euch?«
»Ihr würdet uns doch nicht am Ufer absetzen?« sagte Mat. »Nicht, wenn dort Trollocs warten!«
»Wer sagen etwas von Ufer?« antwortete Domon trocken. Er betrachtete sie einen Moment lang und legte dann die Hände mit den Handflächen nach unten auf den Tisch. »Bayle Domon sein ein vernünftiger Mann. Ich Euch nicht über Bord werfen, wenn anderer Weg möglich. Nun, ich sehen, einer von euren Lehrlingen haben Schwert. Ich brauchen gutes Schwert, und ich sein gutherziger Mann. Ihr können Passage nach Weißbrücke dafür haben.«
Thom öffnete den Mund, doch Rand kam ihm zuvor. »Nein!« Tam hatte es ihm nicht gegeben, damit er es weiterverhökerte. Er fuhr mit der Hand über den Griff und fühlte nach dem Bronzereiher. Solange er es hatte, war es, als sei Tam bei ihm.
Domon schüttelte den Kopf. »Na ja, wenn nein, dann eben nicht. Aber Bayle Domon nicht geben freie Passage, nicht mal eigene Mutter.«
Zögernd leerte Rand seine Taschen. Es war nicht viel, was da zum Vorschein kam: ein paar Kupfermünzen und die Silbermünze, die Moiraine ihm gegeben hatte. Er hielt sie dem Kapitän hin. Einen Moment später tat Mat es ihm nach. Thom blickte böse drein, lächelte dann aber ganz schnell wieder, so daß Rand sich nicht sicher war, ob er sich den wütenden Blick nur eingebildet hatte. Kapitän Domon nahm den Jungen flink die beiden dicken Silbermünzen aus den Händen und holte eine kleine Waage hervor und einen klimpernden Beutel, den er in einer messingbeschlagenen Truhe hinter seinem Stuhl verstaut gehabt hatte. Er wog die Münzen sorgfältig ab, ließ sie in den Beutel fallen und gab jedem einige kleine Silber- und Kupfermünzen heraus. Vor allem Kupfermünzen. »Bis Weißbrücke«, sagte er und trug alles säuberlich in eine ledergebundene Kladde ein.
»Das ist aber eine teure Fahrt nach Weißbrücke«, murrte Thom.
»Plus Beschädigung von Schiff meiniges«, antwortete der Kapitän gelassen. Er legte Waage und Beutel in die Truhe zurück und schloß sie befriedigt. »Plus etwas für bringen Trollocs zu mir, daß ich nachts flußabwärts muß flüchten, obwohl da sein genug Untiefen, wo ich kann auflaufen.«
»Wie steht es mit den anderen?« fragte Rand. »Werdet Ihr sie auch mitnehmen? Sie sollten mittlerweile den Fluß ebenfalls erreicht haben, oder sie werden ihn bald erreichen, und dann werden sie die Laterne an Eurem Mast entdecken.«
Kapitän Domons Augenbrauen hoben sich überrascht. »Ihr etwa glauben, wir stehen still, Mann? Glück stech mich, aber wir sein drei, vier Meilen flußabwärts von wo Ihr gekommen an Bord. Trollocs haben meine Burschen gemacht rudern sehr stark — sie Trollocs besser kennen als mögen — und Strömung auch helfen. Aber das nichts machen. Ich nicht wieder an Ufer, selbst wenn alte Großmutter sein dort. Ich vielleicht nicht mehr an Ufer, bis wir in Weißbrücke. Ich genug haben von Trollocs auf meinen Fersen schon vor heute nacht, und ich werde vermeiden, wenn ich kann.«
Thom beugte sich interessiert vor. »Ihr habt schon zuvor Zusammenstöße mit Trollocs gehabt? In letzter Zeit?«
Domon zögerte und musterte Thom genau, doch als er dann antwortete, klang es lediglich etwas verärgert. »Ich überwintern in Saldaea, Mann. Ich nicht wollen, aber Fluß früh gefroren und Eis brechen auf sehr spät. Leute sagen, du kannst sehen Große Fäule von höchsten Türmen in Maradon, aber ich kein Interesse daran. Ich schon vorher mal dort sein und sie immer erzählen, daß Trollocs einen Bauernhof oder so haben überfallen. Aber diesen Winter jede Nacht Bauernhöfe brennen. Ja, und ganze Dörfer manchmal auch. Sie sogar kommen bis an Stadtmauer. Und nicht schlimm genug, Leute alle sagen, bedeuten daß Dunkler König kommt, daß Letzte Tage angebrochen.« Er schüttelte sich und kratzte sich am Kopf, als habe der bloße Gedanke seine Kopfhaut zum Jucken gebracht. »Ich nicht kann warten um kommen zurück, wo Leute glauben, Trollocs sein nur Märchen. Sie glauben, Geschichte ich ihnen erzählen sein nur Schiffergarn.«
Rand hörte nicht mehr weiter zu. Er starrte die Wand gegenüber an und dachte an Egwene und die anderen. Es schien ihm einigermaßen ungerecht, daß er sich in Sicherheit an Bord der Gischt befinden sollte, während sie noch immer irgendwo da hinten in der Nacht waren. Die Kabine des Kapitäns erschien ihm nun nicht mehr so gemütlich.
Er war überrascht, als Thom ihn auf die Füße zog. Der Gaukler schob Mat und ihn in Richtung Leiter und entschuldigte sich bei Kapitän Domon für die Landpomeranzen. Rand kletterte wortlos hinauf.
Gleich als sie an Deck waren, sah sich Thom schnell um, ob ihn jemand belauschen konnte, und schimpfte dann: »Ich hätte uns die Passage mit ein paar Liedern und Geschichten erkaufen können, wenn ihr beide es nicht so eilig gehabt hättet, Silber vorzuzeigen.«
»Da bin ich nicht so sicher«, sagte Mat. »Für mich hat er sich ernsthaft angehört, als er etwas von ›in den Fluß werfen‹ sagte.«
Rand ging langsam hinüber zur Reling und lehnte sich dagegen. Er blickte hinauf in den nachtdunklen Himmel. Er konnte nur Schwarz erkennen — nicht einmal ein Ufer. Eine Minute später legte Thom ihm eine Hand auf die Schulter, doch Rand rührte sich nicht.
»Es gibt nichts, was du tun könntest, Junge. Außerdem sind sie wahrscheinlich mittlerweile in Sicherheit bei der... bei Moiraine und Lan. Kannst du dir jemand Besseres vorstellen, um sie aus allem rauszuholen?«
»Ich habe versucht, sie zu überreden, nicht mitzukommen«, sagte Rand.
»Du hast dein Bestes gegeben, Junge. Keiner kann mehr von dir verlangen.«
»Ich sagte, ich würde auf sie aufpassen. Ich hätte mich mehr anstrengen sollen.« Das Knarren der Ruder und das Summen der Takelage im Wind fügte sich zu einer traurigen Melodie zusammen. »Ich hätte mich mehr anstrengen sollen«, flüsterte er.